Selim erhebt fich, schaut fich um Und todt liegt alles rings, und stumm. Nur, wie sein Auge aufwärts fieht, Lief eine Regenwolke zieht, Schwarz durch die Luft die Flügel breitend, Kalt wie der Tod herniedergleitend. Schon droht sie, ibre dunkle Hülle, Die inhaltfeuchte, zu erschließen, Und ihres Busens falte Fülle Ueber die Wandrer auszugießen. Und neue Furcht kommt Selim an, Er drückt sich an den Freund heran, Und ruft zur Wolfe auf: » Halt ein! O, bab' Erbarmen, schone sein! Den ich mehr liebe als mein Leben, Den man nicht anders lieben kann Du kommst den Freund mir zu verderben: zu andern Opfern magst du sdweben, Doch schone fein - laß ihn nicht sterben! Giebt's keine größre Schuld, als seine, Und keine größre Qual, als meine? «
Hört auch die dunkle Wolfe nicht, Was findlich flebend Selim spricht: Sie thut doch was er flebend sagte, Sie schwebt vorbei .. Als er aufs Neu Die Augen aufzuheben wagte, War fie schon weit. Und gleich als sei Ismail von der feuchten Küble, Die mit der Wolke über ihn Gekommen wie er reglos lagi Erstorben jeglichem Gefühle Geweckt zu neuem Herzensschlag Holt er tief Athem - und wird wach. Und zitternd ftreckt er eine Hand Aus nach der andern. Ob auch schwach Und elend noch bald neubelebt Fühlt er sich von der Abendluft. Und wie er seinen Blick erhebt, Allmählig die Umgebung ruft Klar das Bewußtsein ihm zurück. Doch wo ist Selim? wo fein Freund? Der lette der in Leid und Glück Jhm treu blieb - Himmel! was erscheint Vor seinem Blic? die Worte brechen Sich an den ftarren Lippen - sprechen Kann er nicht mehr, er kann nur sehn! Und nicht mit Engels- nicht mit Teufelszungen Ließe sich sagen, was ihn da durchdrungen Was er gesehn, wie ihm geschehn!
Selim ... doch, wer erkennt ihu jegt noch nicht? Der Müße Pelz deckt nicht mehr sein Gesicht, Die Bruft wogt frei, auf das Beschmét13) von Seide Fällt glänzend schwarzes, langes Lockenbaar,
Am schönsten ist das Weib in seinem Leide! Es starb ihr auf den Lippen das Gebet; Im Blicke lag ein Ausdruck wunderbar O Himmel! Himmel! giebts im Paradiese Auch Augen die voll Thränen so wie diese? Wo Furcht und Gram so schön dem Auge fteht, In seinen Thränenperlen, daß es schade Sie zu verwischen – traurig fie zu lassen? Ift Sara auch, die herrliche, die junge, Unter den Auserwählten deiner Gnade? Und stammelt dort von Liebe ihre Zunge, Und weint sie dort ... Ich kann dein Schweigen fassen! Die Antwort selbst aus Sara's Augen spricht, Aus ihrer unvergleichlichen Geberde: Ein ird'sches Abbild giebt's im Himmel nicht, Und keine zweite Sara auf der Erde!
Jsmaïl schnell das liebe Bild erkannte, Das er im Sturm des Herzens und der Schlacht Vergessen. Auf den zarten Wangen brannte Sein Ruß, und neue Lebensglut erwacht In ihrem Antlit — neue Lebenslust In ihrem Herzen, als an seine Brust Ihr Köpfchen sie gelehnt; und sie entflammt Bei seinem Kuß zu niegefannter Regung, Und der Verstand vermag nicht die Bewegung Bu bändigen, die aus dem Herzen stammt. In Glut das Wort von ihre: Lippen quoll, Und alles rings war ihrer Wonne voll Die Liebe ist den Menschen Sünde nur: Heilig ist sie dem Himmel und der Erde! Es athmet eitel Wollust die Natur Der Mensch nur fauft sein Glück mit Angstgeberde.
Zwei Jahre flohn. Der Krieg tobt fürchterlich Noch immer fort; vom Raube nähren fich Des öden Kaukasus verarmte Stämme.
Es schien, die blinde Rache wurde ftill, Die zwischen Roslam - Beg und Ismail So lang gewüthet, und in Liebe schien Der Haß des Brüderpaares umgekehrt. Sah man Blut fließen und die Feinde fliehn:
War immer vorn Ismaïls Hand und Schwert! Doch warum ist jetzt Selim, Sara nicht Beim Fürsten mehr? Wobin hat sie's getrieben? Wo ist die schöne Lesghierin geblieben? Welch Schicksalsschlag war's, der Verderben trug In dieses Herz, das so für Liebe schlug? War's durch Verrath, durch Untreu, daß die Beiden, Die so in Eins verschmolzen, mußten scheiden? Lebt Sara – oder liegt sie schon begraben? Und deckt der Heimat Erde fie
und haben Des Vaters Hände fie gebracht zur Rube? Ward noch das Wort » Verzeihung « ausgesprochen, Daß Elternfluch ihr nicht das Herz gebrochen? Und - liegt sie noch nicht in der falten Trube, Wo mag ihr junges Herz jeħt leiden, klagen? Wer wagt es, Jsmaïl darum zu fragen!
Einftmals, zur Stunde wo die Abendsonne Die Wölkchen glüh umzog mit rothen Streifen, Saß Ismail versunken wie im Traum, Auf einem Hügel, ließ im weiten Raum Gedankenvoll umber die Blicke schweifen. Es war von frühauf seine größte Wonne Der wilden Berge Bilderpracht zu schauen, Das Abendglühn der Gletscher, die am blauen Gewölb des Himmels blendend ringsum zogen In dieser Freude ward er nie betrogen! ..
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