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S. 24. fagt Hr. Michaelis: „Bisweilen wirkt auch eine ,,noch versteckte Neben-Idee oder eine andere Bedeutung des Worts, in der wir es dismal nicht nehmen sollten, und be,,trugt uns auf eine geheime Art. Wir sind daher glücklich, ,,wenn wir ein so vollkommenes Mittelwort haben, dem auch ,,nicht einmahl in einer anderweitigen Bedeutung Lob oder Tadel ,,anhänget. Ich will dis mit einem Beyspiele erläutern, welches ,,eine Gelegenheit giebt, meiner Muttersprache ein Compliment, ,,wegen ihrer Vorzüge vor der lateinischen zu machen.

,,Das allererste, oder, wie man es nennen will, das aller,,legte Gut, die Ursache, weswegen etwas für gut geachtet wird, ,,fette Epicur in einer angenehmen Empfindung, voluptate. ,,Dis lateinische Wort, welches auch die Wollust bezeichnete, ,,behielt eine anhängende Idee von Weichlichkeit, die der Tugend ,,und der Tapferkeit entgegen gefeßt war. Wer wird daran zweifeln, daß die Lehre Epicurs manchem Römer, blos aus Schuld ,,der Sprache unrichtig, ja so gar verhaßt und höchst verächtlich scheinen mußte? Die mit Wortspielen und homiletischen Grün,,den gefüllten Predigten des Cicero wider den Epicur sind ein ,,Beweis davon. Dem Lateiner fiel doch bey voluptas stets die ,,Wollust ein. - Unsere Sprache würde sich des Ausdrucks, ,,angenehme Empfindung, viel besser bedienet haben. Wenn ,,ich einem sage:,,mein Freund! es ist die Frage, woher es ,,,,komme, daß wir dis für ein Gut, und jenes für ein Übel schäßen? Daß wir dis suchen, und vor jenem einen Schauder empfinden? Was die Ursache sey? wegen welcher dir es lieb ist, geehrt, gesund, aufgeräumt zu seyn; und warum du Armuth, Verachtung, Schmerzen, Krankheit, Melancholie, ,,,,ungern hast, und sie gewiß nicht willig übernehmen wirst, wo du sie nicht als ein Mittel vor einem grössern übel bewahrt zu werden, oder, ein Gut von einer ihnen entgegengeseßten Art zu erhalten, betrachtest. Die erste Ursache, oder das, was ,,,,uns eigentlich in dem Guten gefällt, nennet man, wie du willst, das erste oder das lehte Gut, finem bonorum. Ich ,,,,behaupte, dies leßte Gut laufe endlich auf einer Empfindung ,,hinaus, von der man sich keines weitern Grundes bewust ist, ,,,,warum sie gefällt, die man nicht wieder als ein Mittel zu ,,,,andern Endzwecken ansiehet, sondern bloß durch ein inneres Gefühl hat, sie sey uns angenehm" ,,Wenn ich, sage ,,ich, so mit einem rede, so wird er leicht zu überzeugen seyn,

,,und mir alle die Chicanen nicht machen, damit der römische ,,Redner den Epicur mishandelte, dessen Vertheidung ich sonst ,,nicht übernehme, und gern zugebe, daß er oder seine Schüler „aus Schuld des zweydeutigen Wortes, auch bisweilen Wollust ,,und angenehme Empfindungen verwechselt haben".

Sollte sich Cicero von einer so plumpen Zweideutigkeit haben blenden lassen, nachdem ihm Torquatus das Lehrgebäude Epikurs von der vortheilhaftesten Seite geschildert hat? Sollte der lateinischen Sprache ein Wort gefehlt haben, das dem deutschen Wort angenehme Empfindung zusagt? Unmöglich: Cicero sagt *) mit ausdrücklichen Worten: est enim voluptas jucundus motus in sensu, deutsch: eine angenehme Bewegung in den Sinnen. Was ist dieses anders, als die angenehme Empfindung? Er geht sogar noch weiter; er sagt an eben der Stelle zum Torquatus: Dieses ist meine Erklärung von dem Worte voluptas; ich weiß aber auch, was ihr unter diesem Worte versteht. Ihr zählt zweierlei Arten von Wollust: erst ,,lich diejenige, die ich beschrieben, die ihr voluptatem in motu ,,nennt; außer dieser aber gilt euch die bloße Abwesenheit aller Schmerzen (der behagliche Gemüthszustand, wenn alle Begierden gestillt find) für den höchsten Grad der Wollust, den ihr ,,voluptatem stabilem nennt". Er läßt den Torquatus oft genug wiederholen, daß nach dem Epikur die voluptas stabilis, aber nicht die voluptas in motu das höchste Gut sei. Kann man deutlicher zeigen, daß man seinen Gegner verstehe? oder kann man nach einer solchen Erklärung wohl noch mit einem Wortspiele aufgezogen kommen?

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Cicero eifert zwar in homiletischen Predigten, wie sie Hr. Michaelis nennt, wider den Mißbrauch des Worts voluptas. Als ein Vertheidiger des Sprachgebrauchs konnte er die Neues rung unmöglich dulden, daß die Epikurder das Wort verdrehen, und die Abwesenheit aller Schmerzen, diesen gleichgültigen Zustand der Seele, den höchsten Gtad der Wollust nennen. Ja er konnte es nicht begreifen, daß man die honesta nicht aus einer höhern Quelle sollte herleiten können, als aus einer bloßen finnlichen Empfindung; und diese Beschwerden würden mit einiger Veränderung auch wider die deutschen Worte angenehme Empfindung statt gefunden haben.

*) De finibus bonorum et malorum lib. II. 123.

Jedoch der römische Weltweise hat noch weit triftigere Gründe, mit welchen er den Epikur widerlegt. Der Grieche be hauptete, id solum dici honestum, quod est populari fama gloriosum, Er wollte auch der Seele keine andere angenehme Empfindungen einräumen, als die sich schlechterdings auf den Körper beziehen. Dixit etiam nec gaudere quemquam nisi propter corpus, nec dolere. Wider diese irrigen Grundsäße richtet Cicero seine stärksten Waffen. Ja er führt (lib. II. cap. 7.) eine sententiam ratam des Epikurs an, die in der lateinischen übersehung also lautet: si ea, quae sunt luxuriosis efficientia voluptatum, liberarent eos deorum, et mortis, et doloris metu, docerentque qui essent fines cupiditatum; nihil haereremus, cum undique complerentur voluptatibus, nec haberent ulla ex parte aliquid aut dolens, aut aegrum, id est autem malum. Diese Stelle giebt dem Römer Gelegenheit zu Folgerungen, die das ganze System des Epikur umstoßen; und wo ich nicht irre, so wäre das System der ange= nehmen Empfindungen für diese Consequenzien nicht viel besser geborgen gewesen, als das System der Wollust.

Ich weiß wohl, daß berühmte Leute die Vertheidigung der epikurischen Sittenlehre über sich genommen, und die von Cicero und Plutarch gerügten Stellen zum Theil vertheidigt, zum Theil auch für verstümmelt erklärt haben; allein sie haben dem Cicero zwar Absichten, aber keine solche Unwissenheit zugeschrieben, daß er ein System, das er widerlegt, so wenig gekannt haben sollte. Und die Vertheidigung eines Gaffendi selbst? Ich glaube, daß sie Epikurs Unschuld, aber nicht sein System retten könne. Der Beweis hiervon überschreitet die Schranken eines Briefes. Jes doch wir wollen einmal den geläutertsten Epikurismus betrachten. Wir wollen die angenehmen Empfindungen der Seele mit in den Anschlag bringen, und daraus ein Lehrgebäude aufrichten, das der Aufrechthaltung der Tugend nicht gefährlich ist. Wird es aber auch mit der Wahrheit bestehen können? Gewiß nicht! wir werden noch immer Schwierigkeiten finden, die den Grund dieses Lehrgebäudes untergraben. Ein gewiffer Priester behauptete gegen Sokrates, dasjenige sei gerecht, was den Göttern gefållt. Ge= fällt es den Göttern, fragte Sokrates, weil es gerecht ist? oder ist es gerecht, weil es den Göttern gefällt? Einen Vertheidiger des Epikurs würde ich auf eine ähnliche Weise fragen: ist die Tugend deswegen ein Gut, weil sie eine angenehme Empfindung

erregt? oder erregt sie eine angenehme Empfindung, weil sie ein Gut, eine Vollkommenheit ist?

Ich finde einen wichtigen Einwurf beim Cicero *), den die scharfsinnigsten Vertheidiger des Epikurs noch nicht gehoben haben. Ein Neuerer würde ihn ungefähr folgendergestalt vortragen: Gott zieht das Gute dem Bösen vor, das gesteht man ein. Er thut es aber nicht der angenehmen Empfindung wegen; sondern man muß zu einem höhern Grunde der Vollkommenheit hinaufsteigen, diese göttliche Wahl verständlich zu erklären. Was bei Gott in dem allerhöchsten Grade angenommen wird, kann bei zufälligen vernünftigen Wesen mit der gehörigen Einschränkung statt finden. Die Vollkommenheit ist also das höchste Gut, nicht aber die angenehmen Empfindungen.

XII. Den 20 Dec. 1759.

74fter Brief.

Das summum bonum hat schon so Manchen geschwäßig gemacht. Was Wunder, daß auch ich nicht so bald davon schweigen kann? Nur noch eine Kleinigkeit! Hr. Michaelis zeigt (S. 26.), daß die Worte zu einer Zweideutigkeit Anlaß gegeben;,,summum bonum", sagt er,,,kann auch das allergrößte Gut unter allen bedeuten, und den deutschen Ausdruck höchstes Gut wird man nicht leicht anders verstehen". Einige Weltweise haben es, wie er fortfährt, wirklich also verstanden, und sich daher mit der unnüßen Frage gequält, worin das höchste (d. i. von nun an das allergrößte) Gut bestehe. Die Sprache ist, wie mich dünkt, in diesem Falle unschuldig. Summum und maximum sind nicht allemal gleichbedeutende Wörter; und

*) Lib. II. cap. 34. Quaero enim de te; si sunt dii, ut vos etiam putatis, qui possunt esse beati, cum voluptates corpore percipere non possint? aut si sine eo genere voluptatis beati sunt, cur similem animi usum in sapiente esse nolitis?

die Weltweisen haben sich selbst betrogen, die sie hier für gleichbedeutend gehalten haben. Es ist wahr, der Ausdruck finis bonorum könnte dieser Mißdeutung vorbeugen; allein summum bonum hat einen vielbedeutenden Nebenbegriff, den ich nicht mehr entbehren möchte. Das allerhöchste Gut ist derjenige Gegenstand unsers Verlangens, dem alle andern, die mit ihm nicht zugleich bestehen können, weichen müssen; die allergemeinste Regel der Vollkommenheit des menschlichen Wandels, von welcher, wenn ein Streit der Regeln entsteht, niemals eine Ausnahme geschehen kann. Wenn ich nun mit den neuern Weltweisen annehme, das „allerhöchste Gut sei der ununterbrochene Fortgang von einer Stufe der Vollkommenheit zur andern", so giebt mir der Ausdruck höchstes Gut noch eine andere Wahrheit zu verstehen. Ich lerne daraus, daß ich, wenn ein Streit unter den Pflichten entsteht, derjenigen den Vorzug geben müsse, welche den erwünschten Fortgang am besten bes fördert. Wollen wir einen so fruchtbaren Ausdruck fahren lassen, weil er von Unverständigen gemißdeutet wird?

,,Ein gegen jenen sehr junger Ausdruck", fährt Hr. Michaelis fort, Jus naturae, Recht der Natur, hat durch seine Zwey,,deutigkeit die Gelehrten eben so sehr verwirret, und die meisten, ,,die nicht Juristen sind, einer ganzen Disciplin beraubt, denn ,,was sie Recht der Natur nennen, ist Moral. Wir brauchen ,,nehmlich ausser der Moral, welche durch die Betrachtung, es fen ein Gott, der die Moral befehle, in ein natürliches Gesez ,,verwandelt wird, noch eine Disciplin, welche bestimmt, was für Rechte einer gegen den andern hat, die jener ihm zugeben ,,müsse, wenn er auch keinen Gott glaubt, oder doch Gott für. ,,keinen Gesetzgeber erkennet". Lassen Sie mich hier ein wenig stille stehen! Ich begreife nicht, warum Hr. Michaelis auf der längst widerlegten Meinung beharrt, es gebe kein Gesez ohne einen befehlenden Gesekgeber. Wir nehmen in der Naturlehre, Seelenlehre und Meßkunst Gesege an, ohne die Betrachtung, daß ein Gott sei, der dieselben befehle. Warum denn nicht in der Sittenlehre? Es ist wahr, die Vorschriften und Regeln müssen mit Bewegungsgründen verbunden seyn, wenn sie zu moralischen Gesehen werden sollen. Diese Bewegungsgründe können von einem freihandelnden Wesen willkührlich mit den Regeln verbunden werden, und in diesem Falle rühren die Gesebe von einem Gesezgeber her; allein nothwendig ist dieses nicht.

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