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leben; daß diese hinwiederum dem Reichen zur Vergeltung dies jenige Achtung und Ehre bezeigen, welche die Belohnung der Tugend und der Verdienste seyn sollte; und alsdann ist es ja um den Staat geschehen! Es ist leicht zu sagen, was die Gesehe thun sollten; aber, wie? ist eine Frage, die sich der Weltweise allezeit erst selber thun muß, ehe er eine Forderung an den Tag legt.

,,Den Frieden mit den Benachbarten", heißt es ferner (S. 42.),,,so viel es immer möglich, zu unterhalten, die kriege,,rischen Tugenden in den Herzen der Bürger zu pflanzen und „zu ernähren, sind die zwey Hauptgrundsähe, nach denen ein Gesetzgeber sich zu richten hat". Wer wird dieses läugnen? Wenn aber diese beiden Hauptgrundsäge, wie es öfters kommen kann, mit einander streiten, was soll der Gesezgeber thun? Hr. Iselin hat ihm an einem andern Orte untersagt, seine Völker einer andern Macht zu leihen. Soll er nun einen Krieg anfangen, um die kriegerischen Tugenden in den Herzen der Bürger zu pflanzen und zu ernähren? Baco und fast alle erfahrne Politiker sagen ja, die Menschlichkeit aber seufzt nein; was sagt nun der Weltweise dazu? Diese schwierige Aufgabe ist der Untersuchung eines Menschenfreundes würdig, so wie überhaupt nicht die allgemeinen Geseße, sondern die nöthigen Ausnahmen in besondern Fällen die größten Schwierigkeiten machen. Wenn die Politiker mit den Weltweisen irgend in einen Streit ges rathen, so ist es mehrentheils über die Ausnahmen; in dem Allgemeinen der Geseße stimmen sie vollkommen überein. Warum beobachtet also Hr. Iselin über jene ein tiefes Stillschweigen?

In der darauf folgenden Stelle ist er etwas weniger allges mein. Ohne einen Blick auf die jeßigen Zeitläufte würde der Weltweise schwerlich auf diese Betrachtungen gekommen seyn. ,,Unglückselig ist das Volk", heißt es, dessen Räthe und Be ,,herrscher groß, mächtig, und selbst gesicherter durch die Unord,,nungen des Krieges, nur darauf bedacht sind, wie sie den ,,Tempel des Janus eröfnen können. Welch ein glückseliges „Geheimnis wäre es nicht, wenn man anstatt neue Auflagen ,,auszudenken, ein Mittel ausfündig machen könnte, wodurch die größte Last des Krieges auf diejenigen gewälzt würde, die den,,selben anrathen! Welch eine weise Marime wäre es nicht, ,,wenn der siegende Theil insbesondere diejenigen Minister des ,,Besiegten, die den Krieg angesponnen, verfolgte, und sich mehr

,,an deren und ihrer Clienten Schäzen und Gütern, als an der „Armuth_des unglückseligen Landmannes erhohlte!" Laffen Sie uns diesen Wunsch von ganzem Herzen unterschreiben, damit diese niederträchtigen Aufwiegler, welche zwar List, aber nicht Tapferkeit genug besigen, eine Welt zu verwüsten, sie wenigstens nicht so gemächlich, so unbesorgt verwüsten mögen.

Die Lehre von der Sanction oder Einführung der Geseze handelt Hr. Iselin mit einiger Gründlichkeit ab. Man sieht, daß er die Theorie der Neuern von der Verbindlichkeit und von den Bewegungsgründen mit Verstande gelesen. Schade, daß er diese subtile Materie nicht durch Erempel aus der Geschichte erläutert!

XI. Den 13 Dec. 1759.

72 ster Brief.

Warum mag es doch so schwer seyn, über den Ursprung der Sprachen mit einiger Gründlichkeit zu philosophiren? Ich weiß wohl, daß sich von geschehenen Dingen, davon wir keine urkundliche Nachrichten haben, selten mehr als Muthmaßungen herausbringen lassen. Allein warum will den Weltweisen auch keine Muthmaßung, keine Hypothese glücken? Wenn sie uns nicht sagen können, wie die Sprachen wirklich entstanden, warum erklären sie uns nicht wenigstens, wie sie haben entstehen können? Sollte es nicht daher kommen, weil uns die Sprachen so natürlich geworden, daß wir nicht ohne dieselben denken kön nen? So wenig die Augen in ihrem natürlichen Zustande das Werkzeug des Sehens, die Lichtstrahlen, deutlich wahrnehmen, eben so wenig mag vielleicht die Seele das Werkzeug ihrer Ge= danken, die Sprache, bis auf ihren Ursprung untersuchen können. Dieses mag uns so lange zur Entschuldigung dienen, bis ein glücklicheres Genie die Entschuldigungen unnöthig macht. Da ich ein Freund von dergleichen Speculationen bin, so können Sie sich leichtlich vorstellen, daß ich die Preisschrift der königl.

Academie für dieses Jahr *), die eine philosophische Untersuchung der Sprachen zum Gegenstande hat, mit ungemeiner Begierde in die Hånde genommen hatte. Die gekrönte Abhandlung des Hrn. Prof. Michaelis in Göttingen ist meines Bedünkens eine von den wichtigsten Schriften, die wir in dieser Materie haben. Die Aufgabe erforderte weit mehr als eine bloße Sprachgelehrsamkeit, sie erforderte auch eine gründliche Kenntniß der Meinungen und eine philosophische Beurtheilungskraft; Talente, die man selten in einer Person beisammen findet. Man sieht auch, daß unter allen Mitwerbern des Preises der einzige Michaelis der Sache gewachsen scheint; den Verfasser der zweiten Abhandlung in der Ordnung ausgenommen, welcher zur Beantwortung der academischen Frage wenigstens einen sehr sinnreichen Anfang geliefert hat. Da aber dieser gesteht, daß er nicht Zeit gehabt, seinen eigenen Plan auszuführen, so ist gewiß dem Hrn. Prof. Michaelis seine Abhandlung faurer geworden, als seiner Abhandlung der Sieg.

Zwar hat Hr. Michaelis einen gewissen Punkt in der Aufgabe gar nicht berührt, über welchen ich sehr gestust, als ich ihn gelesen. Die Academie erklärte sich bei der ersten Bekanntmachung der Aufgabe: „in wie weit haben die Meinungen eines ,,Volks einen Einfluß auf ihre Sprache und hinwiederum die ,,Sprache auf die Meinungen?" in folgenden Ausdrückungen : Hierben kömmt es darauf an, daß man durch verschiedene ,,wohlausgesuchte Erempel zeige: 1) Wie viele wunderliche Wen,,dungen und Ausdrücke es in den Sprachen giebt, welche offen,,bar von gewissen bey denjenigen Völkern angenommenen Meiz ,,nungen herrühren, wo solche Sprachen ihren Ursprung genommen haben. Dieser erste Punkt dürfte wohl der leichteste seyn. 2) Das Wesentlichste würde seyn, in gewissen einer jeden ,,Sprache eigenen Wendungen der Redensarten, in gewissen ,,Ausdrücken, und bis auf die Wurzeln gewisser Worte den Ursprung dieser oder jener Irrthümer, oder die Hindernisse zu zeigen, warum diese oder jene Wahrheit nicht herauszubringen fen", u. f. w. Ich finde, daß Hr. Michaelis alle Forderungen der Academie gründlich behandelt; aber den leßten Punkt, „die

*) über den Einfluß der Sprachen in die Meinungen und der Meinungen in die Sprachen.

Hindernisse, warum diese oder jene Wahrheit nicht herauszubringen sei", hat er mit keinem Worte berührt; und der Erfolg hat gezeigt, daß die Academie nur die etwanigen weitern Ausfichten hat zeigen wollen, ohne so sehr auf die Ausführung zu dringen.

In der That scheint diese Stelle etwas sehr unbestimmtes zu fordern. Überlegen Sie nur, daß es hier nicht auf die Hindernisse ankommt, warum eine gewisse Wahrheit bei diesem oder jenem Volke schwer oder leicht Eingang gefunden, sondern auf die Hindernisse, warum diese oder jene Wahrheit nicht herauszubringen sei". Der Concipist der Aufgabe scheint also zu ver muthen, es könnten gewisse Wendungen der Sprachen verhindert haben, daß wir eine oder die andere Wahrheit haben herausbringen können. Er muß ferner voraussehen, diese Wendungen könnten allen bekannten Sprachen gemein, und der Na= tur derselben so einverleibt seyn, daß sie von den Gelehrten nicht wahrgenommen worden sind, so lange man noch in einer von diesen Sprachen gedacht hat. Wer sie anzeigen wollte, der müßte eine Sprache verstehen, die von dem Genie aller bekannten Sprachen weit abgeht, die nichts willkührliches mit denselben gemein hat; und so weit forderte man noch nichts außer= ordentliches.

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Allein foll Jemand diese Hindernisse finden, so muß er zugleich die vergebens gesuchten Wahrheiten, davon die Aufgabe redet, entdeckt haben. Beides ist einerlei Arbeit; denn die Hindernisse der Sprache sind keine Hindernisse mehr, sobald man sie nur kennt. Die bloße Anzeigung und Beschreibung derselben giebt schon den mangelhaften Sprachen den glücklichen Schwung, dadurch Wahrheiten an den Tag kommen, die sonst nicht herauszubringen gewesen. Ja ich behaupte, der Anzeiger dieser Hindernisse müsse die verhinderten Wahrheiten in seiner fremden Sprache erst wirklich entdecken, ehe er durch die Vergleichung merken kann, wo uns die Hindernisse den Weg verlegen. Er kann ihrer unmöglich gewahr werden, wenn er nicht auf seinem bessern Wege schon das Ziel in den Augen hat; so wenig Einet, der selbst nicht sieht, einem Blinden sagen kann, was ihm für ein Sinn fehlt. Verstehe ich also den angeführten Punkt der academischen Frage recht, so ist es eben so viel, als wenn man überhaupt die Entdeckung dieser oder jener Wahrheit verlangt

hätte, die bisher nicht herauszubringen gewesen, ohne zu bestimmen, welche. Konnte die Academie wohl alles Ernstes auf einer solchen Forderung bestehen?

73fter Brief.

Hr. Michaelis hat seine Abhandlung in vier Abschnitte eingetheilt. In dem ersten handelt er von dem Einflusse der Meinungen in die Sprachen; in dem 2ten von dem vortheilhaften, und in dem 3ten von dem nachtheiligen Einfluß einiger Sprachen in die Meinungen und Wissenschaften der Völker; und endlich untersucht er in dem 4ten Abschnitte die Mittel, wie dem schädlichen Einfluß vorzubeugen und der vortheilhafte zu befördern fei. Die ersten drei bestehen mehrentheils aus Erempeln, die in verschiedene Wissenschaften einschlagen, in welchen sich die Wirkung dieses wechselseitigen Einflusses deutlich zeigt. Der Hr. Verf. hat zwar aus diesen mannigfaltigen Beispielen nichts allgemeines abstrahirt, als was die Academie zum voraus seßt: daß nämlich die Sprache und Meinungen wechselsweise in einander einen zum Theil schädlichen, zum Theil auch vortheilhaften Einfluß haben. Allein die Beispiele an und für sich sind Betrachtungen von der größten Wichtigkeit, und verdienen mit Aufmerk samkeit gelesen zu werden. Der 4te Abschnitt aber scheint mit etwas weniger Sorgfalt ausgearbeitet zu seyn. Die Mittel, die Hr. Michaelis zur Verbesserung der Sprachen in Vorschlag bringt, find weder neu noch gründlich. Kein Wunder! Wenn dieser Theil der Abhandlung håtte gerathen sollen, so håtte man aus den Erempeln der drei ersten Abschnitte allgemeine Säte abstrahiren, und aus diesen die Mittel zur Verbesserung der Sprache herausbringen müssen. Das wäre aber in einer so neuen Materie für das erste Mal zu viel gefordert!

Sie werden vermuthlich keinen Auszug von mir erwarten; denn wie könnten Sie sich begnügen, eine so wichtige Schrift bloß aus einem Auszuge kennen zu lernen? Nein! Sie müssen sie selbst lesen. Aber Ihr Versprechen?.. Gut! ich verstehe Sie. Hier sind die Anmerkungen, die ich im Lesen gemacht habe!

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