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Körper ihre Figur verändern, d. i. in den Theilen, welche sich zu berühren scheinen, eine Geschwindigkeit rückwärts erlangen, im Ganzen aber neben einander ruhen; zwei vollkommen elalastische, wenn solche möglich wären, mit eben der Geschwindigkeit, und unvollkommene elastische mit einer geringern Geschwindigkeit sich von einander entfernen, als sie sich ge= nähert haben.

Beim schiefen Anstoße der Körper betrachtet man, nach der gemeinen Methode, die Linie der Bewegung als eine Diagonale, und löst sie in die beiden Seiten des Parallelogramms auf. Die Idee von der Auflösung der Bewegung, sagt Hr. Boscovich, macht einige Schwierigkeit. Man kann ihr zwar die Richtigkeit nicht völlig absprechen; man begreift aber nicht so leicht, wie eine einzige Kraft in zwei andere aufgelöst werden foll, deren jede öfters größer ist als sie selbst; denn je stumpfer der Winkel angenommen, desto kleiner ist die Diagonale in Verhältniß gegen jede der Seiten. Nach seiner Hypothese findet diese Schwierigkeit nicht statt; denn ihm stehen so viel Kräfte zu Gebote, als er deren bedarf. Wir wollen den einfachsten Fall betrachten, wo man nach der gemeinen Methode zur Aufs lösung der Kraft seine Zuflucht nehmen muß. Dieser ist, wenn ein Körper unter einem schiefen Winkel an eine unbewegliche Fläche stößt. Hier findet die gemeine Methode eine Zertrennung der Kraft in zwei andere, davon eine der Fläche parallel läuft, die andere aber auf dieselbe senkrecht steht. Die senkrechte Kräft, sagt man, wird durch den unbeweglichen Widerstand gehoben, die parallele hingegen findet keinen Widerstand, und bleibt nach dem Stoße unverändert. Hr. Boscovich schreitet ohne Auflösung zu Werke. Er schließt also: wäre der Körper, welcher sich der unbeweglichen Fläche nähert, vollkommen weich, so würde er von der Zurückstoßungskraft der Fläche so lange zurückgetrieben werden, bis er sich ihm nicht mehr nåhern, d. h. bis er neben der Fläche parallel fortlaufen würde. Diese Bewegung in der Parallele neben der Fläche ist aus der Bewegung des Körpers von dem Stoße (welche unverändert bleibt) und aus der Zurückstoßungskraft der Fläche zusammengesetzt. Könnte der Körper vollkommen elastisch seyn, so würde die Entfernungskraft, die er durch die Annäherung erlangt, zweimal so groß seyn, als diejenige, welche ein weicher Körper erlangt. Diefe, mit der Kraft von dem Stoße zusammengeseßt, treiben den Körper unter

einem Winkel von der Fläche zurück, der dem Einfallungswinkel völlig gleich ist. Ist aber der Körper nicht vollkommen elastisch, so muß der Einfallungswinkel größer seyn, als der Winkel, unter welchem der Körper zurückprallt; und so erfolgt, ohne Auflösung der Kräfte, alles völlig so wie nach der gemeinen Methode.

Eben dadurch sucht Hr. Boscovich den bekannten Bernoul li'schen Beweis für die Leibnißische Ausmessung der Kräfte zu widerlegen. Bernoulli beweist, daß ein Körper, der sich mit der Geschwindigkeit 2 bewegt, vier andern Körpern die Geschwindigkeit 1 mittheilen kann; und schließt hieraus, daß sich die lebendigen Kräfte wie die Quadrate der Geschwindigkeiten verhalten müssen. Nach Hrn. Boscovich's Hypothese aber ist die Folge ungegründet. Es ist nicht die erste Geschwindigkeit des Körpers 2, die sich durch die Auflösung gleichsam vervielfältigt, und Geschwindigkeiten hervorgebracht haben sollte, welche zusammen ihrem Quadrate 4 gleichen; sondern es find neue Kräfte, die durch die Annäherung der Körper entstanden sind; daher ist aus derselben für das Maaß der vorigen Kräfte nichts zu schließen.

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Im übrigen kann sich, nach dem System des Hrn. Boscovich, der vorhin erwähnte Körper der unbeweglichen Fläche niemals in einer geraden Linie nähern, sondern in einem solchen Uste von einer krummen Linie, die mit den Sinnen von der geraden nicht unterschieden werden kann. Wenn er der Fläche nahe kommt, so wird die Zurücklaffungskraft größer; daher nimmt die Krümmung zu, bis der Körper in einem andern Uste von der Fläche zurückfährt, der abermals mit den Sinnen von einer geraden Linie nicht unterschieden werden kann.

So viel von dem 2ten Theil dieser philosophischen Schrift. Ich weiß nicht, wie bald ich den 3ten Theil werde nachholen können. Hr. Boscovich hat dem Werke auch einige speculative Dissertationen angehängt, von welchen ich Ihnen, sobald es meine Zeit zuläßt, gleichfalls Rechenschaft geben werde.

XI. Den 13 Sept. 1759.

54ster Brief.

Ich nehme mir vor, Sie heute von einem sehr allgemeinen Vorurtheil zu befreien. Nicht wahr, Sie glauben wie Jes dermann, daß es unmöglich sei, z. E. eine Mauer oder einen Wall zu durchdringen, ohne eine Öffnung in denselben zu machen? in ein verschlossenes Zimmer zu kommen, ohne irgend wo einzubrechen? u. s. w. Machen Sie sich gefaßt, diesen Irrthum zu verlassen. Ich will Ihnen beweisen, daß alles dieses recht sehr mögliche Dinge sind, und daß nur ein einziger Umstand noch bisher ihre Wirklichkeit verhindert. Besinnen Sie sich nur erst wieder auf die vornehmsten Säße aus der Bofcovich'schen Hypothese; denn auf dieselben wird sich der Beweis stügen, so wie er aus dem Werke dieses Paters genommen ist.

Kein einziger Punkt, fångt Hr. Boscovich, in dem drit ten Theile seines so oft erwähnten Werks, an zu schließen, kann eben denselben Raum einnehmen, in welchem ein anderer Punkt oder auch er selbst jemals existirt hat. Denn da jedes Zwischenráumlein der Punkte, so klein es auch immer seyn mag, den noch, als ein Theil von einer Linie, unendlich viele Punkte ein: zunehmen fähig ist, die Zahl der wirklichen Punkte aber nur endlich seyn kann; so ist es unendlich wahrscheinlicher, daß die Punkte in allen möglichen Bewegungen und Versehungen immer andere Räume besehen, als daß irgend einer wieder in den Raum eintreten sollte, der schon einst von ihm oder von einem andern Punkte ist angefüllt gewesen; und diese unendliche Wahrscheinlichkeit macht eine physikalische Gewißheit aus.

Wenn wir also von den Entfernungskräften abstrahiren, so können alle Körper sich einander, so wie das Licht die durchsichtigen Gegenstände, oder die Feuchtigkeit den Schwamm, dem Augenscheine nach durchdringen, ohne daß eine wirkliche Penetration dabei vorginge. Denn die Punkte des einen Körpers werden gewiß niemals gerade auf die Punkte des andern Kör:

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pers, sondern, wie vorhin erwiesen worden, allezeit auf die Zwischenräumlein stoßen, und daher jin ihrem Durchgange nirgends aufgehalten werden. Ohne Entfernungskräfte also können sich die Körper zwar nicht wirklich durchdringen, aber doch zu durchdringen scheinen, dergestalt, daß wir in diesem Falle durch die Erfahrung gar keinen Begriff von der Undurchdringlichkeit erlangen könnten.

Allein die zurückstoßenden Kräfte, mit welchen die Punkte ausgerüstet sind, verhindern bei einigen Körpern auch die scheinbare Durchdringlichkeit, indem sie jede Anziehungskraft, noch ehe die scheinbare Durchdringung geschieht, durch entgegengeseßte Kräfte aufheben oder ihre Richtung verändern, mithin den herannahenden Körper entweder zur Ruhe bringen, oder sich anders wohin bewegen lassen. Dadurch aber wird die scheinbare Durchdringung noch nicht ganz unmöglich gemacht. Denn da zu ei ner jeden Kraft eine gewisse Zeit erfordert wird, ehe sie eine merkliche Wirkung hervorbringt; so kann der herannahende Körper, wenn er mit einer hinlänglichen Geschwindigkeit begabt ist, die scheinbare Durchdringung in einer allzu kurzen Zeit verrichten, als daß die zurückstoßenden Kräfte des durchdrungenen Körpers sollten einen merklichen Widerstand thun können. Wir se= hen dieses an einer eisernen Kugel, z. B. die auf einer Fläche fortrollt, auf welche hier und da kleine Stückchen Magnet zerstreut find. Bewegt sich die Kugel mit einer mäßigen Geschwindigkeit, so wird sie in ihrer Bewegung von der anziehenden Kraft der nahen magnetischen Theile aufgehalten, und wohl gar zur Ruhe gebracht; bewegt sie sich aber allzu schnell zwi= schen den Magnetstückchen hindurch, ohne sie zu berühren, so hat die magnetische Kraft nicht Zeit genug, ihre Wirkung ge= hörig zu äußern, und die Kugel wird nur einen ganz unmerklichen Theil von ihrer Geschwindigkeit verlieren.

Hr. Boscovich glaubt hier die wahre Ursach entdeckt zu haben, warum die Lichtstrahlen die durchsichtigen Körper von allen Seiten ungehindert durchscheinen können; denn daß die Lichtstrahlen eine ungemeine Geschwindigkeit besißen, kann durch die Erfahrung hinlänglich bewiesen werden. Ihre Punkte, meint er, können also so schnell vor den Punkten des durchsichtigen Körpers vorbeifahren, daß die zurückstoßenden Kräfte nicht Zeit genug haben, ihnen einen merklichen Widerstand entgegenzusehen. Auf gleiche Weise, sagt Hr. Boscovich, würden wir durch ver

schlossene Thüren und die stärksten Mauern ohne Hinderniß, und ohne die geringste Öffnung hinter uns zu lassen, durchkommen können, wenn wir nur im Stande wåren, uns die gehörige Geschwindigkeit zu geben, die seiner Theorie nach dazu erfordert wird. Wenn die Kraft des Pulvers groß genug wäre, so könnte man eine Kugel durch die Wand treiben, ohne ein Loch in dies selbe zu machen, u. s. w.

Was sagen Sie zu diesen Paradoren? Mich důnkt, es ließe sich dadurch manches wunderbare Mährchen, darüber der Weltweise mit dem Pöbel nicht einig werden kann, zum Besten des lehtern gar deutlich erklären. Die Geister können z. E. Leiber haben, wie wir, und dennoch allenthalben ohne Hinderniß durchdringen, und in den verschlossensten Zimmern aus den Wänden hervorkommen. Ein Mensch wird sich schußfrei machen können, wenn er das Geheimniß besißt, der Kugel mit eis ner solchen Geschwindigkeit entgegenzueilen, daß sie seinen Kórper durchdringt, ohne ihm den geringsten Schaden zuzufügen; und es wird nicht ganz unmöglich sevn, aus einem verschlosses nen und versiegelten Kasten das hineingelegte Geld herauszubrine gen, eine Begebenheit, von welcher ich einst eine ganze Dissertation gelesen habe.

Sie werden sagen: durch dergleichen Consequenzien läßt sich keine philosophische Hypothese widerlegen? Man würde nichts gewinnen, meinen Sie, wenn sich auch Ihr Boscovich zu allen diesen scheinbaren Ungereimtheiten verstünde?

Sie haben Recht! Dieses war auch ganz und gar meine Absicht nicht. Ich weiß, wie leicht man aus jedem philosophischen System Folgerungen ziehen kann, die das. jenige Ding, das man gesunde Vernunft oder bon - sens nennt, für ungereimt erklärt. Wie weit würde man in den demonstrativen Wissenschaften gekommen seyn, wenn man sich bloß der Führung des bon-sens, der die Gegenstände durch ein sehr blendendes Licht unterscheidet, håtte überlassen wollen?

So viel kann man indessen wider den Hrn. Boscovich durch Consequenzien gewinnen: man kann beweisen, daß seine Hypothese von einem weit größern Umfange sei, als die Natur selbst; und daß man, nach seiner Art, weit sonderbarere Er scheinungen und verwickeltere Begebenheiten erklären könne, als diejenigen, welche in der Werkstatt der Natur jemals zum Vorschein kommen. Mich dunkt, dieses mache ein starkes Vorur

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