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ein Eigenthum der Schwere gehalten werden sollte. Die Mechaniker sind gewohnt ihn zu bestimmen, indem sie in einer Fläche den Durchschnitt zweier Linien suchen, die das Gleichgewicht der Flächen halten, und in einem Körper den Durchschnitt dreier Flächen, deren jede das Gleichgewicht des Körpers. hålt, die sich aber nicht alle in einer einzigen Linie durchschneiden. Wenn es mit diesem Verfahren seine Richtigkeit haben soll, sagt Hr. Boscovich, so muß vorläufig erwiesen werden, daß ein jeder Körper einen Schwerpunkt habe, und daß er auch nicht mehr als einen einzigen haben könne; kein Mechaniker aber hat sich noch bemüht, diese Såße zu beweisen.

Man versuche es, fährt er fort, den Mittelpunkt der Größe auf eben dieselbe Weise zu bestimmen; indem man nåmlich den Durchschnitt zweier Linien sucht, welche die Figur in zwei gleiche Theile zerschneiden, so wird man in handgreifliche Irrthümer verfallen. Warum? Es haben nicht alle Flächen einen Mittelpunkt der Größe. Wenn man also eben demselben Verfahren in Ansehung der Schwere trauen soll, so muß man bewiesen haben, daß alle Flächen und Körper wirklich einen Schwerpunkt, und zwar nicht mehr als einen haben.

Dieses zu beweisen, legt Hr. Boscovich folgende Erklärungen zum Grunde. Er nennt die Fläche, die einen Körper dergestalt durchschneidet, daß die Summe der Entfernungen aller Punkte, aus welchen der Körper besteht, auf beiden Seiten gleich ist, eine Fläche von gleichem Abstande; man mag diese Entfernungen entweder alle durch senkrechte Linien bestimmen, oder alle durch solche, die unter einem gegebenen Winkel gezogen sind; denn das Verhältniß der Gleichheit bleibt in beiden Fållen einerlei. Den Punkt aber, durch welchen keine geradlinige Fläche gehen kann, ohne eine Fläche von gleichem Abstande zu seyn, nennt er den Schwerpunkt; welche Erklärung, wie wir oben erinnert, sich auf die Eigenschaft der Masse überhaupt bezieht, und erforderlichen Falls auf die Schwere angewendet werden kann. Hieraus beweist Hr. Boscovich folgende Sähe:

1) Für jede Fläche von ungleichem Abstande findet sich innerhalb des Körpers eine Fläche von gleichem Abstande, die ihr parallel läuft.

2) Wenn drei Flächen von ungleichem Abstande sich nur in Einem Punkte durchschneiden, so können ihnen drei andere

Flächen von gleichem Abstande parallel gezogen werden, die sich auch nur in Einem Punkte durchschneiden.

3) Wenn drei Flächen von gleichem Abstande sich nur in Einem Punkte durchkreuzen, so sind alle übrige Flächen, die durch denselben Punkt gezogen werden können, gleichfalls Flächen von gleichem Abstande.

4) Zwei Flächen von gleichem Abstande müssen einander durchschneiden. Unter zwei parallelen Flächen muß also eine im mer von ungleichem Abstande seyn.

Hieraus fließen die beiden Såße ganz natürlich:

5) daß eine jede Masse einen Schwerpunkt habe, und 6) nicht mehr als einen einzigen Schwerpunkt haben könne. Dieser Beweis kann, wo ich nicht irre, auch außer der Hypothese unsers Paters gültig gemacht werden. Denn will man nicht, wie Hr. Boscovich, alle Körper aus Punkten zusammensehen, so hat man nur, statt der Entfernungen der Punkte, die Momente, oder das Produkt der Masse in die Entfernung zu nehmen; und die Erklärungen sowohl als die daraus gezoge= nen Folgerungen behalten ihren Werth.

Jedoch mich dunkt, man könnte in Ansehung der Schwere insbesondere mit weit geringern Kosten beweisen, daß jede Masse einen Schwerpunkt haben müsse. Ich würde nur folgende beide, an sich deutliche Grundsäße vorausschicken.

1) Eine jede Masse kann durch eine geradlinige Fläche in zwei gleich schwere Theile durchschnitten werden. Denn man lasse sie von einer geradlinigen Fläche in ungleich schwere Theile durchschneiden, so wird der eine Theil leichter, der andere aber schwerer seyn. Man lasse ferner diese Fläche innerhalb des Körpers sich dergestalt forbewegen, daß sie sich selbst beständig parallel bleibt; so wird irgendwo das Verhältniß der Theile sich umkehren, der schwerere Theil leichter, und der leichtere schwerer werden. Daher müssen die beiden Theile auch irgendwo vollkommen gleich schwer seyn. Dieser Beweis gilt, mit gehöriger Veránderung, sowohl von Flächen und Linien, als von Körpern, sowohl in Ansehung der Größe, als in Ansehung der Schwere.

2) Wenn man bloß die Schwere zu betrachten hat, so kann man von der Ausdehnung abstrahiren, und annehmen, als wenn die Schwere des ganzen Körpers in der Fläche concentrirt wäre, die ihn in gleich schwere Theile zerschneidet. Auf gleiche Weise kann man die Fläche als in der halbirenden Linie,

und die Linie als in dem halbirenden Punkte concentrirt betrach= ten, wenn man unter dem, was halbirt werden soll, nicht die Größe, sondern die Schwere versteht.

Fließt nun nicht hieraus sehr deutlich, daß jede Masse einen Schwerpunkt haben müsse? Und sieht man nun nicht die Ursache, warum das Verfahren, dessen sich die Mechaniker bedienen, den Schwerpunkt zu finden, alsdann nicht Stich hålt, wenn man den Mittelpunkt der Größe dadurch herausbringen will? Die Schwere läßt sich, ihrer Natur unbeschadet, concentriren; daher muß es eine Fläche geben, in welche der Körper, eine Linie, in welche die Fläche, und endlich einen Punkt, in welchem die Linie, und folglich der ganze Körper in Ansehung seiner Schwere concentrirt werden kann; aber die Größe kann von der Ausdehnung nicht getrennt werden.

Der zweite Sah, daß eine jede Masse nicht mehr als einen einzigen Schwerpunkt habe, ließe sich eben so leicht beweisen, wenn dieser Brief nicht mehr bestimmt wäre, Sie des Hrn. Boscovich, als meine eigene Gedanken wissen zu lassen. Kommen Sie also zu unserm Pater zurück!

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Beschluß des 45sten Briefes.

Es ist bekannt, daß die Wirkung der zusammengeseßten Kräfte durch die Diagonallinie bestimmt werde. Hr. Boscovich will diesen Saß auf eine allgemeinere Art erweisen, als insge= mein zu geschehen pflegt. Er sagt: jede Kraft verrichtet in der Zusammenseßung ihre Wirkung nach eben der Richtung und mit eben der Geschwindigkeit, mit welcher sie außer der Zusam= mensehung gewirkt haben würde. Um nun eine zusammengefekte Wirkung auszumessen, hat man nur anzunehmen, die Kräfte hätten nicht zugleich, sondern eine nach der andern ge= wirkt; und in diesem Fall die Geschwindigkeit sowohl als die Richtung einer jeden zu bestimmen. Der Ort, an welchen sie

den Körper nach dieser Voraussehung endlich gebracht haben würden, ist eben derselbe, an welchen sie ihn führen, wenn sie alle zugleich wirken; und die Linie, welche von diesem Punkte bis auf den Punkt, wo sich die Bewegung angefangen, gezogen werden kann, bestimmt die zusammengeseßte Richtung sowohl als Geschwindigkeit. Wenn zwei Kräfte zugleich wirken, so macht diese Linie die Diagonale aus; und in diesem Falle kommt die Methode des Hrn. Boscovich mit der gemeinen Weise überein. Allein wenn mehrere Kräfte zugleich wirken, ist man, nach der Methode des Paters, der Weitläuftigkeit überhoben, der Kräfte immer zwei und zwei zusammenzusehen, und so viele Diagonalen zu ziehen. Man läßt die Kräfte eine nach der andern wirken, und sucht den Ort, dahin sie ihn zuleht bringen würden. Dieser bestimmt sowohl die Richtung, als die Geschwindigkeit.

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Eben desselben Kunstgriffs, die Kräfte, die zu einer Zeit wirken, nach und nach wirken zu lassen, bedient sich Hr. Boscovich, den berühmten Newton'schen Lehrfaß von der Ruhe oder gleichförmigen Bewegung des Schwerpunkts auf eine so allge= meine als leichte Art zu beweisen. Den Sah selbst drückt er nach seiner Hypothese folgendermaßen aus: Wenn eine Menge „Punkte in einer jeden Lage gegen einander gewisse Massen ,,Materie ausmachen, und nicht nur gewisse Geschwindigkeiten ,,und Richtungen haben, sondern noch überdem mit gewissen ,,Kräften dergestalt wechselsweise in einander wirken, daß je zwei „und zwei Punkte auf entgegengesezte Seiten gleiche Wirkungen ,,dußern (aequaliter agant in plagas oppositas); so wird der ,,allgemeine Schwerpunkt des ganzen Systems entweder ruhen ,,oder in einer Linie fich gleichförmig fortbewegen, nicht anders, ,,als wenn die Punkte gar nicht wechselsweise in einander ge= ,,wirkt hätten. Der Beweis hiervon ist für meinen Raum zu ,,weitläuftig".

Sie sehen leicht, mein Herr, daß Hr. Boscovich nun bald Land gewinnt. Sobald er diesen Sag des Newton erwiesen, folgert er daraus, daß die Quantität der Bewegung nach einer Direction beständig einerlei, wie nicht weniger, daß die Wirkung beständig der Gegenwirkung gleich sei; und es ist bekannt, daß man nur einen von diesen Grundsäßen anzunehmen hat, um alle Gefeße der Bewegung für den Stoß der Körper daraus herzuleiten. Zwar den Sak, daß in zwei Punkten Wirkung

und Gegenwirkung sich gleich sei, hat Hr. Boscovich zum Be= hufe des Newtonischen Lehrsages ohne Beweis angenommen und zum voraus gesetzt. Die wechselsweise in einander wirkenden Kräfte, mit welchen er die Punkte beseelt, wirken in binis quibuscunque punctis aequaliter in plagas oppositas, d. h. die Wirkung ist der Gegenwirkung beständig gleich. Alles, was Hr. Boscovich nunmehr, ohne einen fehlerhaften Zirkel im Schließen zu machen, aus dem Newton'schen Lehrsage folgern kann, ist dieses: daß die Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung auch in Massen, d. h. in ganzen Haufen von Punkten, statt finden müsse, sobald man sie in Ansehung zweier einzelner Punkte ats ausgemacht zum Grunde legt. Da er aber auf diesen Sak die Geseze der Bewegung für den Stoß der Körper gründet, so wäre es vielleicht besser gewesen, ihn mit Newton *) aus der Erfahrung anzunehmen, um die Gesehe der Bewegung auf keine willkührliche Vorausseßung zu stüßen. Jedoch ich will Ihnen im Urtheilen nicht zuvorkommen. Ich fahre also fort zu erzählen.

Daß Hr. Boscovich keine vollkommen harte Körper zugiebt, dürfte Sie nicht wundern, da nach seinem System die Punkte, aus welchen der Körper besteht, sich allezeit nåher kommen und niemals berühren können. Er giebt aber auch keine vollkommen weiche oder elastische Körper zu; und theilt die natürlichen Körper bloß in unvollkommen weiche und elastische ein, weil die unvollkommen harten doch entweder weich oder elastisch seyn müssen. Wie diese verschiedenen Arten von Körpern aus seinen Punkten entstehen können, werden wir im 3ten Theil erfahren.

Was nun den senkrechten Stoß der Körper betrifft, so er= folgt nach der Hypothese des Hrn. Boscovich alles eben so, wie nach der gemeinen Lehre, nur daß sich die Körper nicht völlig berühren. Hr. Boscovich glaubt, die Bewegung der Körper, die sich einander nähern, erscheine bloß den Sinnen als gleichförmig, in der That aber nehme sie unmerklich ab; und indem sie sich sehr nahe kommen, werde die Geschwindigkeit durch die vermehrte Zurückstoßungskraft so sehr vermindert, bis zwei weiche

*) Philosophiae naturalis principia mathematica. Lex III. IV, 1.

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