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welcher Seite die Ausnahme geschieht. Sie mag von der allgemeinen oder von der untergeordneten Regel gemacht werden, so beträgt der Mangel in beiden Fällen nicht mehr und nicht weniger als 1.

Diesen Saß macht er in der Folge allgemein, und drückt ihn folgendergestalt aus: wenn ein vernünftiges Wesen durch ,,den Streit verschiedener Regeln der Vollkommenheit genöthigt ,,wird, eine Ausnahme zu machen, und es findet, daß allezeit, ,,die Ausnahme mag geschehen von welcher Seite man will, „nicht mehr und nicht weniger Vollkommenheit gewonnen und „verloren wird; so ist das vernünftige Wesen alsdann in dem ,,Zustande der völligen Gleichgültigkeit zwischen den verschiedenen ,,möglichen Ausnahmen“. Hierdurch wird das ganze Leibnißische Lehrgebäude niedergerissen.

Wenn wir solche handgreifliche Fehler in den Lehren eines großen Mannes zu finden glauben, so sollten wir billig einiges Mißtrauen in unser Urtheil sehen. Gemeiniglich pflegt alsdann der Irrthum auf unserer Seite zu seyn. Sie werden bald sehen, daß sich Hr. Reinhard in diesem Falle befunden.

Wenn man eine Größe ausmessen will, so muß man ein bestimmtes Maaß annehmen, mit welchem entweder das Ganze oder verschiedene Theile desselben gleich groß find. Dieses gilt sowohl von der intensiven als von der extensiven Quantitåt. Wenn die Einheit, oder das Maaß, das ich annehme, mit der auszumessenden Größe weder im Ganzen noch in den Theilen übereinkommt, so fällt die Möglichkeit des Ausmeffens weg. Dieses wird Hr. Reinhard eingestehen.

Nun behaupten die Leibnizianer, und man hat sie hierin noch nie widerlegt, zwei vollkommen gleiche Größen fånden nur alsdann statt, wenn man mit den Mathematikern die Qualität bei Seite seht, und von der Quantitåt im abgesonderten Begriffe redet. In der Natur, wo sich die Quantität allezeit auf die Realität bezieht, beweisen sie, daß zwei vollkommen gleiche Größen eben so wenig vorhanden seyn können, als zwei vollkommen ähnliche oder übereinkommende Dinge (congruentia). Reinhard läugnet zwar den Sag des Nichtzuunterscheidenden. Warum hat er aber die Beweise nicht entkräftet, die Wolf und Baumgarten davon gegeben? Er muß sie nicht gelesen haben, wenn er glaubt, die ganze Kraft ihres Beweises beruhe nur darauf, daß der Schöpfer keinen zureichenden Grund gehabt hätte, eines

von den ähnlichen Dingen hier, das andere dorthin zu sehen. Dieses ist das schwächste unter ihren Beweisthümern.

Die Leibnizianer sind also berechtigt, sich eines Sages, den ihr Gegner nicht widerlegt hat, zu ihrer Vertheidigung zu bes dienen. Nimmt man nun den Saß des Nichtzuunterscheidenden in der allgemeinsten Bedeutung, so kann man in dem strengs sten philosophischen Sinne niemals sagen, diese Ausdehnung, dieser Grad verhalte sich zu einem andern, wie 1:3. Denn dieses seht zum voraus, daß ein Theil der größern Quantitat der kleinern völlig gleich sei. Man kann nicht sagen, zwei Summen von Realitäten wåren sich einander völlig gleich, weil die eine durch die Menge dasjenige ganz genau erseßt, was ihr am innern Werthe fehlt. Man kann eben so wenig sagen, zwei verschiedene Ausnahmen könnten einen gleich großen Mans gel verursachen. Wenn ein Ding dem andern gleich groß, oder vollkommen ähnlich seyn soll, so muß es eben dasselbe Ding feyn. Nunmehr laufen Sie des Hrn. Reinhard Abhandlung noch einmal durch, wenn Sie Geduld übrig haben, und sagen Sie mir, ob ein einziger von seinen Einwürfen Stich hålt? Was kann er ausrichten, wenn er solchen Gegnern arith metische Gründe vorlegt, ohne zu beweisen, daß sie in der Me taphysik angewendet werden können?

25ster Brief.

Ich muß einem Einwurfe zuvorkommen, den Sie mir viel leicht machen könnten. Wenn kein genaues Verhältniß zwischen den Graden statt findet, dürften Sie einwenden: wie haben denn einige Weltweise eine Mathesin intensorum gewünscht, und Baumgarten fogar die ersten Linien dazu entworfen? Doch Sie können mir diesen Einwurf nicht machen. Das richs tige Verhältniß findet sowohl in der Meßkunst der Grade, als in der Meßkunst der Ausdehnung statt, wenn man die Quantität im abgesonderten Begriffe betrachtet, und die Qualität bei Seite seßt. Daraus aber rückgängig zu schließen, daß es auch im concreten Begriffe eine völlige Gleichheit oder ein genaues

Verhältniß geben müsse, heißt, am gelindesten davon zu reden, ein entseglicher Sprung.

Der Herr von Leibnis hat zwar die völlige Gleichheit niemals, so viel ich mich erinnere, mit ausdrücklichen Worten gelåugnet, und dürfte Einigen scheinen, den Saß des Nichtzuunterscheidenden bloß auf die völlige Ähnlichkeit eingeschränkt zu haben. Allein Baumgarten hat unumstößlich dargethan, daß fich diese beiden Säße nicht trennen lassen. Er beweist *), daß weder zwei unähnliche Dinge völlig gleich, noch zwei ungleiche Dinge vollkommen ähnlich gedacht werden können.

Brucker **) führt einige Stellen aus Jordani Bruni Schriften an, in welchen dieser Weltweise mit ausdrücklichen Worten behauptet, es gebe weder zwei völlig gleiche, noch zwei völlig ähnliche Dinge in der Natur. Es ist dieses keine von den Stellen, in welche man hineinlegt, was man nicht darinnen findet. Wenn Brucker anders recht anführt, so kann man sich nicht deutlicher ausdrücken, als Brunus sich hierüber ausgedrückt hat. Mich dünkt, Leibniz müßte Brunus Schriften nicht so fleißig gelesen haben, als Einige glauben. Er würde sonst gewiß nicht vergessen haben, den Sag des Nichtzuunterscheidenden auch auf die völlige Gleichheit auszudehnen. Mit seinem übrigen System stimmt die Allgemeinheit dieses Sages vortrefflich überein.

Die Stoiker sollen schon, wie abermals Brucker bemerkt, den Sah des Nichtzuunterscheidenden gelehrt haben. Er glaubt dieses aus folgender Stelle des Cicero zu beweisen: dicis, nihil esse idem, quod sit aliud. Stoicum est quidem, nec admodum credibile, nullum esse pilum omnibus rebus talem, qualis est alius, nullum granum. Allein, mit dieses großen Gelehrten Erlaubniß, aus dieser Stelle läßt sich nur beweisen, daß die Stoiker die völlige Congruenz zweier Dinge gelåugnet. Nihil esse idem, quod sit aliud, fagt der römische Philosoph. Von der geläugneten Congruenz aber bis auf den Sah des Nichtzuunterscheidenden des Leibniß war noch ein ziemlicher Schritt zu thun.

*) Metaph. §. 272. 273.

**) Hist, crit. phil. Period. III. p. 2. lib. 1. S. 404.

Eine andere Stelle im Cicero hat mich aufmerksamer ge= macht. Eine von seinen unterredenden Personen widerlegt die Meinung des Democritus, welcher unendlich viele Welten geglaubt, darunter sich viele völlig gleich und ähnlich sind; cui non assentior, sagt der Römer, propter id quod dilucide docetur a politioribus physicis, singularum rerum singulas proprietates esse *). Dieser Saß der feinern Naturkündiger, wie sie Cicero nennt, scheint weiter zu gehen als auf die bloße Congruenz. Ein jedes einzelne Ding, sagten sie, hat seine ein zelne Eigenschaften; mit andern Worten: nichts kommt einem Dinge völlig auf eben die Weise zu, wie es einem andern Dinge zukommt. Ist dieses nicht der Sag des Nichtzuunterscheidenden in der weitesten Bedeutung, die man ihm geben kann, und die ihm noch von keinem Neuern gegeben worden? Denn daß zwei wirkliche Dinge nicht eine einzige Bestimmung völlig gemein haben können, hat noch keiner von den Neuern behauptet, ob es sich gleich aus ihrem System beweisen läßt, und überhaupt ein fruchtbarer Begriff zu seyn scheint.

XL. Den 15 März 1759.

26 ster Brief.

Hier sind zwei Abhandlungen von den Saamenthierchen, die ein Freund der Leeuwenhoekischen Entdeckungen, wie Sie, nicht ungelesen lassen wird. Die erste ist im Jahr 1756 zu Nürnberg gedruckt, und führt den Titel **). Jedoch der völlige Titel würde eine ganze Seite einnehmen. Sie enthält physikalische Beobachtungen der Saamenthierchen in einem Sendschreiben von M. F. L. Die zweite ist von eben demselben Verfasser im Jahr 1758 zum Vorschein gekommen, und die ses Mal hat es ihm beliebt, sich zu nennen. Er heißt Martin

*) Acad. Quaest. lib. IV. c. 18.

**),Philosophische Beobachtungen derer Saamenthiergens".

Der Herausg.

Frobenius Ledermüller, und ist Notarius und Procurator zu Nürnberg. Man findet darin einen Versuch zu einer Rettung der Saamenthierchen, eine kurze Beschreibung der Leeuwenhoekischen Mikroskope, und einen Entwurf zu einer Geschichte des Sonnenmikroskops. Sie werden über die Unannehmlichkeit des Vortrags desto leichter hinwegsehen, da man in dergleichen Abhandlungen mehr auf die Sache als auf den Vortrag zu sehen gewohnt ist. Durch die Erfindung und Verbesserung der opti= schen Werkzeuge hat man in den neuern Zeiten der geheimnißvollen Natur so manches Geständniß abgezwungen. Von der einen Seite hat man durch vortreffliche Fernglåser die entlegensten Weltkörper gleichsam heruntergezogen, und die Schöpfung im Großen bewundern gelernt; von der andern Seite ist es uns gelungen, die allerkleinsten Räume durch die Kunst zu vergröBern, und neue Welten im Unendlich Kleinen zu entdecken. Da es unmöglich war, den Bezirk unserer sinnlichen Empfindungen zu erweitern, so hat man die Gegenstände in die Gränzen der Sinne hineingetragen, welche die Natur weit über dieselbe hinaus gesezt hatte. Was von den Alten durch den kühnsten Flug des Genies nur gemuthmaßt werden konnte, was ihre eingeschränkten Köpfe niemals eingestehen wollten: daß nämlich die Natur im Allerkleinsten so wie im Allergrößten voller Ordnung, Vollkommenheit und Organisation sei; das haben die Neuern den Sinnen gleichsam unmittelbar dargestellt. Wer nunmehr zweifelt, der braucht nur die Augen aufzuthun; und wer hartnåckig seyn will, muß weder dem Verstande noch den Sinnen

trauen.

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Die scharfsichtigen Weltweisen unter den Alten hatten die rauhe und unorganische Materie schon långst aus der Natur verbannt. Wenn man die Herrlichkeit der Schöpfung zwischen den Gränzen unserer Empfindungen einzåunen will, so muß man albern genug seyn, die Allmacht mit dem Maaßstabe unserer Sinne ausmessen zu wollen. Plato und Hippokrates haben sogar schon von den Saamenthierchen geredet. Allein sie haben sie nur gleichsam geweisfagt. In dem vorigen Jahrhunderte sind fie von Ludw. von Hammen durch die Vergrößerungsgläser entdeckt, von Leeuwenhoek, Hartsoeker und Andern sorgfäl= tig beobachtet, mit allen Umständen beschrieben, und beinahe auBer Zweifel geseht worden. Sie fanden zwar immer noch eini gen Widerspruch; allein die Einwürfe, die dawider gemacht

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