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Aus den Briefen, die neueste Litteratur

betreffend.

Aus dem ersten Theil.

IX. Den 1 März 1759.

20ster Brief.

Sorgen Sie nicht! Sie sollen zeitig genug mit unsern neuen

Weltweisen bekannt werden. Sie werden zeitig genug das traurige Schauspiel, eine Wissenschaft in ihrem Verfall, erblicken;und eine solche Wissenschaft, in welcher wir vor kurzem so wich tige Progressen gemacht, in welcher Deutschland die größten Månner aufzuweisen hatte; eine Wissenschaft, die dem unbestimmten Nationalcharakter der Deutschen etwas eigenthümliches zu geben schien. Die Königinn der Wissenschaften, die sich sonst aus Herablaffung ihre Magd nannte, ist jego, dem Wortverstande nach, zu den niedrigsten Mägden heruntergestoßen worden.

Die arme Matrone! sagt Shaftesbury; man hat sie aus der großen Welt verbannt und auf die Schulen und Collegien verwiesen. Nunmehr hat sie auch diesen staubigen Winkel råumen müssen. Des Cartes hat die Scholastiker, Wolf den Des Cartes, und die Berachtung aller Philosophie auch endlich den Wolf verdrängt. Der Schauplag ist ledig, und dem

Anscheine nach wird Crusius bald der Weltweise nach der Mode werden.

Unterdessen lebt alles in einer allgemeinen Unarchie. Siz sollten mit Verwunderung unsere jungen Leute, die von der hohen Schule zurückkommen, von Philosophie reden hören. Sie beurtheilen alles, lachen über alles. Sie werden Ihnen dreift genug unter die Augen sagen, daß die beste Welt eine Grille, die Monaden ein Traum, oder ein Spaß des großen Leibniz Wolf ein alter Schwäßer, und Baumgarten ein dunkle Grillenfånger sei, die albern genug waren, was Leibniß scherzweise vorgebracht, in ein ernsthaftes System zu verwandeln. Diese plösliche Veränderung dürfte Ihnen ein Räthsel scheinen? Wissen Sie also, daß einige kleine Brochuren (sie werden Ihnen nicht unbekannt seyn; denn sie haben das Glück gehabt, Preisschriften zu werden) unsern Weltweisen die Augen geöffnet. Sie haben das Sectirerjoch endlich abgeschüttelt; sie sind Eklektiker geworden, schwören zu keiner Fahne, auch nicht einmal zur Fahne der Vernunft. Justi, der vor einigen Jahren wider die Monaden zu Felde zog, hatte das Glück, der damals obsiegenden Wolfis schen Philosophie den ersten Stoß beizubringen. Allein er wußte fich in sein Glück zu finden. Zufrieden, daß er gekrönt vom Kampfplage zurückkam, zeigt er sich jest von einer ganz andern Seite, und ist aus einem mittelmäßigen Metaphysikus vielleicht ein vortrefflicher Cameralist geworden. Reinhard aber, der die beste Welt besiegte, scheint vor Freuden ganz außer sich zu seyn. Die Ehre, die ihm vielleicht nur deswegen widerfahren, weil er unter den schlechten Schriften die beste einschickte, scheint ihm ein göttlicher Beruf zu seyn, seinen Eifer zu verdoppeln. Baumgarten sieht es und lacht, unsere kleineren Geister zittern. Der einzige Prémontval thut ihm noch einigen Widerstand. Nunmehr glaubt Hr. Reinhard, in den Stücken, in welchen ihm auch dieser Recht giebt, ganz gewiß Recht zu haben.

Das Abenteuerlichste ist, daß alle Einwürfe, die von diesen Herren wider die Wolfische Philosophie vorgebracht werden, nichts weniger als neu find. Lange, Buddåus und ihre Anhänger haben eben dieselbe, und noch mehrere, weit gründlicher vorges tragen. Jene wurden ausgepfiffen, und ihre heutigen Ausschrei ber machen Aufsehen. Werden Sie mir nun bald einräumen, daß die Wahrheit die Sache des Publikums gar nicht sei? Sein Beifall ist Leichtgläubigkeit, und sein Tadel Eigensinn.

Man trägt sich heutiges Tages mit der Grille, alle Wisfenschaften leicht, und ad captum, wie man es zu nennen beLiebt, vorzutragen. Dadurch glaubt man die Wahrheit unter den Menschen auszubreiten, und sie wenigstens nach allen Ausmessungen auszudehnen, wenn man ihren innern Werth nicht vermehren kann. Vielleicht sind die Wolfianer nicht wenig an diesem Vorurtheile schuld gewesen. Mich důnkt aber, es sei nichts so schädlich, als eben dieser königliche Weg zu den Wiss senschaften, den man hat finden wollen. Wolf hat die Geometrie leichter vorgetragen als Euklides, und ich wünschte, daß ich die Geometrie nie aus dem Wolf gelernt hatte. Eben derselbe große Weltweise hat seine Lehrsåße und Beweise des Rechts der Natur zum bequemen Gebrauche ins Kurze zusammengezogen, und hat sie verstümmelt. Einige seiner Anhänger haben die tiefsinnigsten Wahrheiten aus seiner Philosophie leicht, faßlich, und so Gott will, auch schön abgehandelt. Was war aber die Wirkung davon? Man hat in allen artigen Gesellschaften von Monaden, vom Saße des zureichenden Grundes, des Nichtzuunterscheidenden u. f. w. gesprochen. Es waren Mode= worte, die man aus Galanterie kennen mußte. Man trug Wahrheiten im Munde, davon weder Geist noch Herz durchdrungen war. Um die Beweise der angenommenen Säge bekümmert man sich wenig, weil man überzeugt seyn wollte; noch weniger aber dachte man an die Schwierigkeiten, die durch das beliebte System gehoben oder die mit demselben verbunden find. Die Wahrheit selbst ward durch die Art, wie man sie annahm, zum Vorurtheile. Lieber mag sie mit der größten Heftigkeit angefeindet werden, ehe sie sich unter der Gestalt eines Vorurtheils einen kalten Beifall erschleichen soll!

Sie mögen meinen Geschmack immer seltsam schelten. Mich vergnügen die unruhigen Begebenheiten in der Gelehrtengeschichte eben so sehr, als in der weltlichen. Und sie sind wirklich der Aufnahme der Wissenschaften so vortheilhaft, als dem Flor der Staaten. Beide müssen durch Widerwärtigkeiten in Bewegung gesezt werden, sonst gerathen ihre Säfte in eine tödtliche Fäulniß; beide müssen in ihrem Fortgange einen gewissen Punkt nicht überschreiten, sonst verlieren sie an innerlicher Stärke, je mehr sie ihre åußere Gränzen erweitern.

21ster Brief.

Noch ein Wort von der Revolution in der Weltweisheit! Baumgarten hat in der Vorrede zur 3ten Auflage seiner Metaphysik eine Stelle, die mir merkwürdig geschienen. enthält gründliche Betrachtungen über den jeßigen Zustand der Weltweisheit, und, mit einiger Veränderung, zugleich die Ur sachen, warum auf den Flor einer jeden Wissenschaft überhaupt gemeiniglich ihr naher Fall zu folgen pflegt. Vielleicht ist Ihnen diese neue Auflage noch nicht zu Gesichte gekommen. Sie ist zu einer Zeit *) erschienen, da Sie dem wundervollsten Feldzug beigewohnt, der vielleicht je ist gethan worden; zu einer Zeit, da Sie und der bei Olmiß verunglückte Jacobi gezeigt, wie leicht, wie anständig es Weltweisen sei, unter der Anführung eines Weltweisen den größten Gefahren zu trogen. Unser vortrefflicher Baumgarten, der, wie Sie wissen, bloß für die Wahrheit zu leben wünscht, hatte damals einige Zwischentage, an welchen ihm feine tödtliche Krankheit Ruhe ließ; und er wendete sie an, seine Metaphysik verbessert herauszugeben. Von den Verbesserungen ein ander Mal; jeht will ich Ihnen die Stelle aus der Vorrede herseßen, die mich aufmerksam gemacht hat.

Er redet von dem Schicksale der Philosophie zu unserer Zeit, und ruft mit einer philosophischen Verwunderung aus: ,,Wie schnell drehet sich das Rad der menschlichen Dinge! Wie „plöglich wechseln die Veränderungen mit einander ab! Ich habe ,,das vierzigste Jahr noch nicht erreicht, und in dieser Zeit er,,fahren, daß die sogenannte Leibniz- Wolfische Philosophie anfangs mit Waffen bestritten wurde, die man beynahe für heilig ,,und unversehrlich ausschrie. Viele hielten sie für verloren, und ,,unvermögend sich zu vertheidigen. Nicht lange hernach schien sie zu triumphiren. Jego wird sie mit eben denselben Gründen ,,wieder bestritten, die aber nur deswegen vielen so stark scheinen, ,,weil sie von einigen für neu gehalten werden. Als ich den ,,lesten antiwolfianischen Lectionen beywohnte, die zu Halle ge,,halten wurden, konnten sich viele kaum des Lachens enthalten, fo oft der gute Alte wider die Allgemeinheit der Lehre vom

*) Im Jahr 1757.

,,zureichenden Grunde, und wider die einfachen Dinge disputirte. ,,So unerheblich schien alles, was er vorbrachte. Und siehe! ,,dasselbe Gericht wird wieder aufgewärmet, und zwar von solchen, ,,die vor einigen Jahren diese Philosophie mit beyden Hånden ,,angenommen".

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„Wer aber die Natur des Menschen kennt", fåhrt unser Weltweise fort, wird sich hierüber nicht verwundern. Säge, ,,die wir aus einer vorgefaßten Meinung angenommen, sie mögen ,,noch so wahr seyn, müssen über kurz oder lang, wenn es uns ,,einmal ein Ernst wird, die Wahrheit zu untersuchen, wieder ,,vorgenommen werden, da sie alsdenn leicht verdächtig, oder „wohl gar zweifelhaft scheinen können. Sind wir nun bey dies ,,ser Untersuchung eilfertiger, als wir seyn sollten; so werden sich ,,uns die Gegengründe durch ihre Neuheit empfehlen. Die Hof,,nung uns durch sonderbare Meinungen hervor zu thun, kömmt ,,hinzu, und reißt unsern schwankenden Beyfall völlig auf die ,,entgegen gefeßte Seite. Wenn ich dieses bedenke, so freue ich ,,mich mit meinem Schicksale, daß ich anfänglich unter den ,,Widersa hern dieser Philosophie erzogen worden, und die Gegen,,gründe fast eher eingesehen habe, als die Lehren, die in der,,selben vorgetragen werden; denn dieses hat verursachet, daß ich ,,erst nach sorgfältiger und genauer Untersuchung verschiedenes, ja sehr vieles aus dieser Philosophie angenommen.- Ich habe „jekt den Nußen davon, daß ich nicht mehr zu wanken, und so ,,oft meine Neigung zu åndern nöthig habe, so gern ich es auch ,,thåte, wenn ich von der Gewalt der Wahrheit dazu getrieben ,,würde. Nun zweifele wer da will, an den ersten Quellen der ,,,Erkenntnis, die man als eine eigenthümliche Lehre der Leibnizi,,schen Philosophie betrachtet; es zweifele wer da will, an den ,,ersten Quellen des Daseyns, die in derselben gelehrt werden, ,,an den Monaden, oder einfachen Dingen. Ich habe sowohl „iene als diese einst geleugnet, und denn in Zweifel gezogen; ,,endlich habe ich nachgedacht, und sie wahr befunden". So weit unser Weltweiser.

Ich weiß nicht, ob Ihnen hierbei der Befehl einfällt, der einst dem Herrn P. M. ist ertheilt worden, nicht immer über den Wolf, sondern über den Locke zu lesen. Die Wolfianer würden meines Erachtens bei dieser Veranstaltung gewinnen. Die jungen Leute würden Schwierigkeiten, unauflösliche Schwierigkeiten finden; die eingeschränkten Köpfe unter ihnen würden

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