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,,weg"; und S. 39.: „da hat ein Schauer meine Seele gefaßt, „hat aus diesem håßlichen Schlamme sie_empor gerißen".

Die häufigen Umarmungen und Freudenthränen, die im Iten Gesange fast auf allen Seiten vorkommen, das öftere Weinen überhaupt, und die Flickwörtchen hin und daher wollen wir unserm Verf. nicht zur Last legen. Sie sind von den größten Dichtern unserer Nation eingeführt worden; und es ge hört nicht sowohl Geschmack als Freimüthigkeit dazu, sie zu tadeln. Was die Maler Costume nennen, und wir im Deutschen durch das übliche ausdrücken möchten, hat der Dichter bis auf einige Kleinigkeiten, die wir in dem Auszuge angemerkt haben, ziemlich wohl beobachtet. Nur scheint uns das Hånde drücken und Håndeküssen S. 118. nicht den Zeiten gemäß zu seyn; dieses war wahrscheinlicher Weise damals kein Zeichen der kindlichen Ehrfurcht, und jenes kein Zeichen der våterlichen Liebe.

Mit einem Worte! Hr. Geßner hat uns ein Gedicht ge liefert, welches sich das erste Mal überaus angenehm lesen läßt; denn was kann ein Geßner schreiben, das sich nicht mit Vergnügen lesen ließe? Bei der zweiten Durchlesung aber fångt man an, mit kritischen Augen_sich umzusehen; und diese Probe hålt das Gedicht nicht aus. Es fehlen ihm die mächtigen Triebfedern der Handlung und das durcheinandergeflochtene Interesse, zu wel chen eine Erfindungskraft im Großen erfordert wird; und dieses sind wir gewohnt in einem Gedichte von fünf Gesängen, das kein Lehrgedicht ist, zu erwarten.

Lady Johanna Gray, ein Trauerspiel, von C. M. Wieland. Frustra leges et inania jura tuenti scire mori sors optima! Zürch, bey Heidegger und Compagnie, 108 Seiten, in gr. 8°.

1758.

(aus der Bibliothek der schönen Wiff. und der fr. K. Bd. 4. Stück 2. 1759. G. 785-802.)

Dieses Trauerspiel ist, bevor es im Drucke erschienen, von der Ackermann'schen Gesellschaft zu Zürich aufgeführt worden;

und es gereicht dem dasigen Publico eben so wohl als dem Dichter zur Ehre, daß es mit Beifall aufgenommen worden. Die deutschen Dichter haben selten das Glück, ein Parterre zu finden, das Einsicht und Geschmack genug hat, die wahren erhabenen Gesinnungen in ihrer völligen Größe zu fühlen und mit ihrem Beifalle zu krónen. Indessen kann der Beifall des Publici nicht alles entscheiden. Bei der ersten Aufführung kann der Kenner selbst nichts als einzelne Schönheiten und Situationen beurtheilen; und wenn diese sich gut ausnehmen, so ist er zu= frieden. Nach vielfältig wiederholten Vorstellungen erst ist er im Stande, das Ganze zu fassen, und von der Anlage und Symmetrie der Theile zu urtheilen. So lange unsere Empfindungen beschäftigt sind, können wir nichts als das Gegenwärtige beurtheilen; wenn aber der Überlegung Plaß gemacht wird, so fangen wir an, das Gegenwärtige mit dem Vergangenen gegen einander zu halten, und einen jeden Theil in seiner Beziehung auf das Ganze zu betrachten.

Es giebt Stücke, die, im Ganzen betrachtet, tadelhaft find, und sich, gleichsam der Kritik zum Troße, durch unzählige Vorstellungen im Beifall erhalten. Wenn dieses geschieht, so müssen die Situationen fo außerordentlich rührend feyn, daß sie die untern Seelenkräfte allezeit beschäftigen, und uns niemals Zeit lassen, an das Ganze zu denken. Der Kunstrichter hat sich in diesem Falle vor dem sehr schädlichen Vorurtheile zu hüten, als wenn die Regeln des Ganzen allezeit das Vornehmste wären. Hat der Dichter Genie genug, die Fehler der Anlage durch die Gewalt der Leidenschaften, die er erregt, unserer Bemerkung zu entziehen; so macht sich der Kunstrichter lächerlich, wenn er seine Empfindungen verläugnet, und nach Regeln urtheilt, über die sich der Dichter weit hinweggesett hat. Es ist hier der Ort nicht, diese Materie auszuführen. Unsers Wissens haben die Kunstrichter noch sehr wenig daran gedacht, die Gränzen der Regeln und des Genies auseinanderzusehen.

Das gegenwärtige Trauerspiel Johanna Gray hat viele von den glänzenden Schönheiten, die bei der ersten Vorstellung einnehmen können. Die Schreibart ist für die Declamation überaus bequem. Das Metrum ist frei und abwechselnd, die Perioden harmonisch und deutlich, und der Vortrag edel, blühend, doch nicht zu sehr geschmückt. Die Gesinnungen und Charaktere darin sind erhaben und heroisch. Diese pflegen selten sehr heftige

Leidenschaften zu erregen. Die Leidenschaft, die ihnen eigenthümlich zukommt, ist die Bewunderung; und diese kann die Seele mehr erheben und in angenehme Entzückung fortreißen, als in Schrecken und Betrübniß stürzen. Wir erinnern dieses, um die Fehler des Plans desto freier bemerken zu können, und dem Einwurf zuvorzukommen, als håtte der Dichter durch die Heftigs keit der Leidenschaften die Fehler in der Anordnung hinlänglich bedeckt. Die Ausflucht des Hrn. Wieland in der Vorrede, er habe sich die Simplicitât des Euripides zum Muster vorgestellt, dadurch er vermuthlich einigen Einwürfen hat zuvorkommen wol len, bedarf keiner Widerlegung. Man muß seltsame Begriffe von der Simplicitåt des Euripides haben, wenn man sich ge trauet, den Plan der Johanna Gray" für euripidisch einfach zu halten. Eine kurze Erzählung des Wiedland'schen Plans wird unsere Leser in den Stand sehen, von der Anlage desselben zu urtheilen.

In dem ersten Auftritte bringt Lady Johanna Gray ihrer vertrauten Sidney die betrübte Botschaft von dem Tode des Königs Edward. Lady Johanna ist untröstlich über den frühzeitigen Hintritt dieses tugendhaften Königs; und sie zittern beide für das Schicksal, das England drohet, wenn Maria, die der römischen Religion zugethan ist, den Thron besteigen sollte. Lord Guilford, Gemahl der Johanna, erscheint im 2ten Auftritte, und erzählt seiner Gemahlinn, der Senat sei jezt versammelt, um die Angelegenheit der Thronfolge zu bestimmen; denn wie man sagt, so hat Edward ein Testament hinterlassen, das durch Maria des Throns entsegt ist. Ein Officier kommt und ruft Lord Guilford in den Senat. Lady Johanna überläßt sich ihrer vorigen Betrübniß.

Im ersten Auftritte des 2ten Aufzuges entdeckt Northum berland, Vater des Lord Guilford, in einem Monologe, er habe das Testament untergeschoben, um die Gemahlinn seines Sohnes, Lady Johanna Gray, auf den Thron zu sehen. Lady Johanna erscheint, und Northumberland sagt ihr, sie sei durch des Königs lehten Willen und durch die Einwilligung des Senats zur Königinn von England erklärt. Johanna, die von allen ehrsüch tigen Gedanken weit entfernt ist, glaubt Anfangs, es sei nicht sein Ernst; doch als er sie dessen versichert, fångt sie an, ihm die stärksten Einwürfe entgegenzusehen. Vergebens bemüht er fich, sie zu ehrgeizigen Absichten zu bereden, ihre gerechten Be

sorgnisse Kleinmuth und ihre Zweifel weibliche Gedanken zu schelten; sie beharrt darauf, es sei ungerecht, Marien den Thron zu rauben, auf den sie das nächste Recht hat. Northumberland sieht Lady Suffolk, die Mutter der Johanna, sich nähern, und geht ab, in Hoffnung, die Vorstellungen der Mutter würden mehr Gewalt über Johanna haben, als die feinigen. Im 3ten Auftritte wendet Lady Suffolk alle ihre mütterliche Gewalt über Johanna an, sie zur Annehmung der königlichen Würde zu bereden. Dieser Auftritt ist rührend. Nichts vermag uns so leicht zu bewegen, als der Streit verschiedener Gesinnungen, der mit Zärtlichkeit geführt wird. Endlich fångt die kindliche Ehrfurcht an, ihre Gewalt zu zeigen. Johanna scheint nachzugeben; aber sie fragt noch:

Wenn Edward wirklich

Berechtigt war, die Kron' auf Heinrichs Schwesterkinder
zu übertragen, ist die Reihe denn

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Was müßte meine Mutter seyn,

Eh' mir der Thron gebührte?

Lady Suffolk.

Deine Mutter!

Und stolzer auf den Titel deiner Mutter,

Als auf den Ruhm, die glänzende Monarchinn
Der ganzen Welt zu seyn, u. s. w.

Durch diese mütterliche Zärtlichkeit wird Johanna ungemein gerührt. Lady Suffolk merkt, daß sie bewegt sei, und entfernt fich, um ihr Zeit zur Überlegung zu lassen, oder vielmehr dem Dichter zu einem Monologé Plak zu machen.

In diesem Monologe entschließt sich Johanna abermals, der Stimme ihres Gewissens zu folgen, das ihr verbietet, ein Unrecht zu thun, und sich nicht durch falsche Schlüsse blenden zu lassen. Doch Suffolk und Guilford erneuern den Kampf. Sie bitten sie, das Vaterland nicht vergebens nach einer tugendhaften Beherrscherinn seufzen zu lassen; ihr Gemahl_wirft sich zuleht zu ihren Füßen, und fleht:

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Suffolk unterstüßt die Bitte des Guilford. Johanna kann ihren Gemahl nicht länger vor sich knieen sehen. Sie ergiebt sich, und sagt:

Nehmet mich, mein Vater!

Nimm, Guilford, mich, macht aus Johanna Gray,
Was euch gefällt

Northumberland erscheint, und meldet der neuen Königinn, der
Senat erwarte sie, um den Eid der Treue vor ihr abzulegen;
Johanna erwiedert:

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Verwandlung

Geheimnißvolles Schicksal!

Wie spielst du mit den Menschen!

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doch ich schweige! Höre du,

Der du die Unschuld dieses Herzens kennest,

Die heißen Seufzer meiner bangen Seele!

Häuft dieser schwarze Tag das Maaß des Unrechts

Auf Englands Haupt, ist dein gerechter Zorn

Noch nicht versöhnt, und warten neue Plagen,
Sich über dieses unglücksel'ge Land

zu stürzen

Gott! So höre mein Gebet!

Verschone seiner! laß auf mich allein

Die Strafe fallen! mich allein

Für mein geliebtes Volk zum Opfer werden!

Der dritte Aufzug.

Johanna unterredet sich mit ihrer Vertrauten. Sie hat den Bitten der Ihrigen nachgegeben, aber ihr Gemüth ist nichts weniger als ruhig. Ihr Herz ist beklemmt, und ihr ahndet das Unglück, das über sie verhängt ist. Guilford meldet ihr, Northumberland sei jest in einer Schlacht mit den Anhängern Mariens begriffen, und werde bald im Triumph einziehen und ihre Feinde ihr zu Füßen legen. Johanna entsegt sich über das Wort Feinde. Meine Feinde?" ruft sie aus;

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