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Psalm 129.

Oft hat man mich gedrängt,
Bon meiner Jugend auf:
So finge Israel!

Oft hat man mich gedrängt,

Bon meiner Jugend auf,

Jedoch nicht übermocht.

Auf meinem Rücken haben sie gepflügt,

Gezogen ihre langen Furchen.

Gerecht ist er, der Ewige!

Zerhieb der Frevler Seile.
zu Schanden werden, weichen
Müssen alle Feinde Zions,
Und seyn wie Gras auf Dächern,
Das, eh' man's ausrauft, welkt.
Kein Schnitter füllet seine Hand,
Kein Garbenbinder seinen Arm.
Vorübergeher grüßten nicht:

,,Der Segen Gottes über euch!

,,Wir grüßen euch im Namen Gottes!"

Dieser Psalm ist von Herrn Ramler *) sehr glücklich über: fest. Der Schluß ist mitten in der Abschweifung, die den Dichter auf eine sehr angenehme Vorstellung geführt und den traurigen Affect gleichsam in ein liebliches Bild aufgelöst hat. Psalm 133.

Sieh, wie fein, wie lieblich ist es,
Wenn in Eintracht Brüder leben!
Wie vom Haupte köstlich Salböl
Fleußet in den Bart herab:
Aarons ehrenhaften Bart,
Wallend auf des Kleides Bortez
Wie auf Hermon Morgenthau,
Thau auf 3ions Berge träufelt.
Dort befiehlt der Ew'ge Segen,
Lebensfreude hin, auf ewig.

Der Dichter ist von seiner Hauptidee nunmehr allzu weit entfernt, und die Ode schließt sich mitten in der zweiten Digression.

*) Jm 3. Bande seines Batteux.

Anmerk. von Fr. Nicolai.

Wenn unsere Sinne lebhaft gerührt werden, so bemerken wir in dem Fortgange der Begriffe eine breifache Periode. In der ersten beherrscht der Totaleindruck die Seele so völlig, daß sie ihr die Macht benimmt, die Theile einzeln zu betrachten und zu bezeichnen. Dieses ist der Zustand der Betäubung. Unterdeß arbeitet die Real-Verbindung immer fort, und vermindert die Lebhaftigkeit des Totaleindruckes nach und nach, bis die Seele in derselben einen übergang auf einen besondern Umstand findet, der alsdann aus dem betäubenden Gefühl gleichsam hervorspringt, und sich auszeichnet. Dieser führt die Seele alsdann durch die Ordnung der Theilnehmung auf die übrigen Theile des Totaleindruckes. Das ist der Zustand der Verwirrung. Endlich wird die Rationalordnung die herrschende. Die Seele kann ihre völlige Aufmerksamkeit auf die Theile richten, die ihrem Vorsage gemäß sind, und kann sie in der gleichen Ordnung auf einander folgen lassen. (Das Übrige fehlt.)

5. über den Neid *).

1780.

(Uus der Neuen Berl. Monatsschrift. Bd. 23. Jan. 1810. S. 46–47.)

Nein, ihr gutherzigen Männer, Opig und Ramler! ihr kennt den Feind eurer Verdienste nicht recht, und beschreibt ihn

*) Ramler schrieb in das Stammbuch eines berühmten Schauspielers folgendes, vermuthlich auf irgend eine Veranlassung:

Opią.

Neid ist ein schlimmes Ding; dies Lob bleibt ihm indessen:
Er pflegt dem Neider Herz und Augen abzufreffen.

Seinem Freunde, dem Schauspieler
bei dessen Durchreise durch Berlin

von

K. W. Ramler.

d. 30 März. 1780.

Daneben schrieb Moses Mendelssohn obiges.

Anmerk. von Fr. Nicolai.

eurem Freunde S. sehr unphysiognomisch. Der Unhold. besucht und belauscht euch zwar oft, aber allezeit vermummt oder verkappt. Nach meinem Berichte, hat er vielmehr lange, lange Ohren, und gesunde Augen. Scheel sieht er, aber scharf, und hat auch nur die Augenlieder zerfreffen. Daher kann er keinen Schlaf gewinnen, und hört und sieht, auch wenn's ihm wehe thut.

Berlin, d. 30 März 1780.

Moses Mendelssohn.

6. Über einige deutsche sinnverwandte Wörter. (Aus der Neuen Berl. Monatsschrift. Bd. 23. Jan. 1810. S. 41—43.)

Abbinden, abtrennen, ablösen. Man bindet eine Sache ab, die irgend woran angeknüpft war. Man trennt sie ab, wenn man die Knoten nicht auflöst, sondern zerschneidet. Man löset sie hingegen ab, wenn sie vorhin, wie ein Theil an seinem Ganzen, befestigt war.

Abbinden, losbinden. So auch abkaufen, loskaufen. Das Erstere (1 und 3) fagt man von leblosen Dingen, das Lettere (2 und 4) von lebendigen, oder auch von` solchen leblosen, die eine Bemühung anwenden, sich von dem Gegenstande zu entfernen, mit welchem sie verbunden sind.

Abtheilen, eintheilen, vertheilen. Das Erste wird gebraucht, wenn ein Theil vom Ganzen getrennt wird, ohne daß man vorher das Ganze übersehen hat; beide leßte, wenn man das Ganze vorgenommen hat, und es in seine Theile zerlegt. Er theilt jährlich von seinen Einkünften ein Kapital von 500 Thalern ab, welches er wiederum in 5 Massen eintheilt, und für gewisse Ausgaben oder auf gewisse Zeiten vertheilt. Eine Stadt hat 5 Abtheilungen; zusammen genommen, nennt man sie eine Eintheilung.

Ablernen, verschieden von lernen: wenn man, ohne Vorwissen des Lehrers, ihm seine Kunstgriffe abfieht.

Ab vor einem Verbum activum oder neutrum bedeu= det: durch eine gewiffe Handlung eine Schuld abtragen. So: abarbeiten, abpflügen, abschwören u. s. w.

Abbilden, abschildern; abreißen, abzeichnen. Jenes (1 und 2) heißt: ein Ding durch die Nachahmung so vorstellen, wie es sich dem Gesichte und dem Gefühle darstellt; dieses (3 und 4) hingegen bloß, wie es sich den Augen darstellt. Ein Bild heißt ein sinnlicher Ausdruck eines Gegenstandes. Viele Bilder, die zusammengenommen ein Ganzes ausmachen, heißen ein Gemälde.

Abfinden, abthun, entscheiden, beilegen, ausmachen. Eine Zwiftigkeit wird entschieden, wenn darin vorgeht, was Rechtens ist. Beigelegt wird sie, wenn, ohne auf die Gerechtigkeit zu sehen, beide Partheien auf eine oder auf die andre Weise sich wozu verstanden haben. Abgethan ist sie, wenn der gegenseitigen Forderung Genüge geschehen ist. Der Befriedigte, der seine Forderung gegen eine Leistung aufgiebt, ist abgefunden. Ausmachen heißt, wenn etwas außer Zweifel gesezt wird; es ist ausgemacht, daß ein jeder Rechtshandel sowohl vom Richter entschieden, als von guten Freunden beigelegt werden kann.

Böse, schlecht, schlimm, arg, übel. Was an und für sich nicht gut ist, nennt man schlecht; in Ansehn seiner Folgen und Wirkungen, böse; in Ansehn der Absichten, arg; insoweit es mit unsern Wünschen nicht übereinstimmt, schlimm; und insoweit eine widrige Empfindung damit verbunden ist, übel. Die Fabel von den Bienen (von Mandeville) ist kein schlechtes Buch; hier und da findet man zwar böse Lehren darin, der Verfasser scheint es aber nicht so arg gemeint zu haben. Ein böses Geschwür. Ein schlechter Kopf. Ein bófes Herz. Ein übler Geruch, Geschmack; Übellaut. Sagt man auch ein übler Anblick? übelgesinnt scheint unsrer Erklärung zu widersprechen. Vielleicht aber heißt es so viel als Leute, die widrige Gesinnungen hegen, z. B. mißvergnügte Leute, die mit den Einrichtungen unzufrieden sind (Malcontenten). Eine böse Unternehmung kann einen nicht schlechten Fortgang haben, und dennoch ein schlimmes Ende nehmen. Das Wetter kann eigentlich nicht schlecht, aber wohl für Einen, der reisen will, schlimm seyn.

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Von der Herrschaft über die Neigungen.

(Um das I. 1755.)

(Aus J. Heinemann's Moses Mendelssohn. S. 48-56.)

§. 1.

Ein jeder Begriff, der vermöge seiner Beschaffenheit unsern Willen bestimmen kann zu handeln oder nicht zu handeln, heißt ein Bewegungsgrund.

a) Dieser Begriff muß uns die Vorstellung einer Schönheit oder Vollkommenheit gewähren, wenn er uns zu Handlungen antreiben will, et vice versa.

b) Was uns Lust gewährt, wenn es gegenwärtig ist, das erregt abwesend ein Verlangen in uns, welches nichts anderes ist, als eine Vermischung von Lust und Unlust; von Lust über die Güte des Gegenstandes, und von Unlust über deffen Abwesenheit.

c) Gleichgültigkeit, Wollen, Verlangen, Begierde, Sehnsucht sind die Stufen der Begehrlichkeit, oder desjenigen Affects, der in uns erregt wird, wenn der vollkommene Gegenstand ab= wesend ist; so wie Gleichgültigkeit, Behaglichkeit, Lust, Vergnügen, Wollust, Entzückung die Grade der Empfindung ausdrücken, die durch den Genuß des vollkommenen Gegenstandes erregt werden.

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