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wenn es sich in allen seinen Begierden eine Ewigkeit zum Ziele sehen wollte. Meine Vorstellungskraft ist auf eine solche Vollkommenheit bestimmt, die sowohl der Dauer, als dem Grade nach endlich ist. Diese innerliche Bestimmung ist meiner eingeschränkten Natur gemåß, und ich kann immer noch eine zeitliche Vollkommenheit einer ewigen Unvollkommenheit vorziehen." Nimmt er dieses an, so kann ich beweisen, daß ihm vermöge seiner Natur kein Augenblick verächtlich seyn muß, um welchen er seine Realität verlängern kann. Das Mehr und Weniger kann hier in der Natur der Sache nichts åndern. Zieht er ein fröhliches Leben von 100 Jahren seiner Zernichtung vor, so muß ihm die kürzeste und mit den größten Qualen verknüpfte Dauer diesen Vorzug verdienen. Glück und Unglück, Freude und Leid muß ihm vollkommen einerlei seyn, wenn zwischen Seyn und Nichtseyn gewählt werden soll; denn ein einziger Augenblick ist für ihn eine Ewigkeit.

Ich bin müde, aus diesem Tone zu sprechen. Wie müde müssen Sie nicht seyn, mir in diesem Tone zuzuhören! Ich will also schließen, und nur noch eine einzige Bitte hinzuthun. Seien Sie versichert, daß ich keine andere Tugend an meinen Freunden zu mißbrauchen pflege, als ihre Geduld, und daß mich nichts mehr vergnügen wird, als wenn Sie fortfahren werden, mir Ihre vortrefflichen Gedanken mitzutheilen.

Berlin d. 1 Mai 1756.

Ich bin Zeit Lebens

Ihr

unveränderlicher Freund Moses.

2. Vorschläge zu einer Aufgabe in der Beredsamkeit*). Im J. 1758.

(Aus der Neuen Berl. Monatsschrift. Bd. 23. Jan. 1810. S. 44—46.)

1.

Ist eine der drei einfachen Regierungsformen, vermöge ihrer innern Einrichtung, der Aufnahme und dem Fortgange der schönen Künste und Wissenschaften zuträglicher, als die andere? und welche ist es ?

2.

Da die Empfindung des Schönen überhaupt mit der Empfindung des Schönen in den Sitten so genau verwandt ist; woher kommt es, daß beide nicht allezeit in einem Subject bei einander sind?

Man findet nåmlich sehr Viele, die in den Werken der schönen Künste den feinsten und richtigsten Geschmack haben, und dennoch in ihren Sitten das Häßliche und Unanständige nicht merken, das ein Anderer, deffen Geschmack sonst vielleicht sehr ungebildet ist, mit der größten Sorgfalt zu vermeiden sucht. Nun läßt sich zwar einigermaßen begreifen, wie die Neigung zur Wolluft und zur Weichlichkeit sich mit dem allerfeinsten Geschmacke in den schönen Wissenschaften verträgt. Wie aber dieses in Ansehung des Geizes, der Mißgunst und anderer unmenschlichen Leidenschaften angeht, scheint ein Räthsel zu seyn.

*) Ich hatte 1757, als ich anfing die Bibl. der schönen Wissenschaften herauszugeben, einen Preis auf das beste einzusendende Trauerspiel ausgeseht. Ich war nun Willens, einen ähnlichen Preis für einen in Prosa auszuführenden Gegenstand zu bestimmen. Dazu entwarf M. M. diese Borschläge. Die Sache unterblieb, weil ich und Moses die Bibl. d. sch. W. nicht fortsegten.

IV, 1.

Anmerk. von Fr. Nicolat. 2

3.

Woher es kommt, daß die schönen Wissenschaften, wie bereits vielfältig bemerkt worden, in ihrem Fortgange nur einen gewissen Grad der Vollkommenheit erreichen, alsdann plößlich aus der Art schlagen, und mit noch geschwinderen Schritten sich dem Verfall zu nahen scheinen, als sie vorhin zur Vollkommenheit gelangt sind?

Man glaubt nåmlich insgemein, die Begierde zur Neuerung und, es seinen Vorgängern zuvorzuthun, sei die Ursache der bemerkten Revolutionen. Könnte es aber nicht auch seyn, daß die schönen Wissenschaften an ihrer innern Intensitåt verlieren, wenn der Geschmack an denselben allzu sehr ausgebreitet wird?

4.

Giebt es ein allgemeines Kriterium der Schönheit? und worin besteht es?

3. Beantwortung einiger Fragen in der Schauspielkunst. Um das J. 1774.

(Aus der Neuen Berl. Monatsschrift. Bd. 24. Jul. 1810. S. 11-17)

Erste Frage. Kann man durch Regeln, ohne innere Empfindung, ein guter Schauspieler werden? Und hatte jene Actrice Recht, die ihre Schülerinn für ungeschickt hielt eine verliebte Rolle zu spielen, weil sie ihr gestand, daß sie in ihrem Leben nicht verliebt gewesen sei?

Antwort. Daß man es in gewissen Stücken durch die Übung bis zu großer Fertigkeit bringen könne, ist unstreitig. Wir sehen das täglich an unsrer Fertigkeit im Lesen und Schreiben, und an den überaus leichten und hurtigen Kriegsübungen der Preußen. Wie viel Regeln, die wir Anfangs langsam und mit Mühe erlernt haben, müssen hier fast auf einmal executirt

werden! Die Empfindung thut nichts dabei; und dennoch merkt man hier nichts von jener Unbiegsamkeit, die man mit Recht manchem åltern Künstler vorwirft, weil er bloß aus Kenntniß der Regeln und ohne Empfindung malte.

Die Ursache ist leicht zu finden. Eine jede Bewegung unsrer Gliedmaßen, die wir in ihre Theile auflösen können, kann auch vermittelst gewiffer Regeln hervorgebracht, und uns durch die Wiederholung der Regeln gleichsam natürlich werden. Allein es giebt Bewegungen in den Muskeln unsers Körpers, von denen wir bloß klare Begriffe haben. Diese können nicht vermittelst der Regeln hervorgebracht werden. Man versuche es einmal, die Bewegungen alle zu machen, die dazu nöthig sind, folgende drei Worte auszusprechen, ohne sich die Töne dabei stillschweigend zu denken: Arma virumque cano. Sobald man aber die Töne sich denkt, so erfolgen alle dazu nöthige Bewe gungen gleichsam ohne Mühe.

Gleicherweise verhält es sich mit den Ausdrücken der Affecte. Die Bewegungen der äußeren Gliedmaßen, mit welchen sie begleitet zu werden pflegen, können durch die Übung vollkommen fertig nachgeahmt werden. Aber die Bewegung der Gesichtsmuskeln, die Inflexionen der Stimme, die sich in's Kleine vers lieren, können unmöglich anders hervorgebracht werden, außer wenn diejenigen Begriffe in unserer Seele erregt werden, die mit denselben correspondiren. Da nun die Kennzeichen der Affecte durch keine symbolische Erkenntniß einer Gemüthsbewegung, sondern durch die wirkliche Anschauung, durch die Begeisterung derselben hervorgebracht werden, so wird es für einen Schauspieler nicht genug seyn, wenn er es weiß: ich soll einen zornigen Affect ausdrücken; sondern er muß diesen Affect intuitiv fühlen.

3weite Frage. Was thut die Illusion zur Begeisterung eines Schauspielers?

Wir haben gesehen, daß die Affecte, die der Schauspieler ausdrücken soll, wirklich in ihm entstehen müssen. Nun kann dieses anders nicht geschehen, als vermittelst einer Illusion, indem er sich stillschweigend beredet, er sei die Person, die er vorstellt. Diese Illusion braucht aber kein deutlicher und lauter Vorsag des Schauspielers zu seyn; ja, es kann seiner anschauenden Erkenntniß hinderlich werden, wenn er allzu deutlich an diesen Vorsag gedenkt. Allein er muß seine untern Seelenkräfte walten laffen. Die Menge der Begriffe, denen er sich nach und nach

überläßt, werden eine Art von anschauender Illusion in ihm hervorbringen; und er muß sich nur hûten, mit seinen obern Seelenkräften zu widersprechen. Er muß ausdrücklich an keinen Gegenstand gedenken, der ihn überzeugen kann, er sei die Person nicht, die er vorstellen soll. Kleider und Decoration helfen dem Schauspieler gar nichts. Diese äußerlichen Gegenstände muß er zehnmal ansehen können, ohne dadurch in seiner auschauenden Illusion gestört zu werden.

Man wirft hierwider ein: „wenn der Schauspieler wirklich zornig ist, so agirt er schlecht." Allein soll uns dieß wundern? Wenn der Acteur zornig ist, so agirt er seine eigene Person, und nicht die des Helden, den er vorstellen soll; denn die Ursachen seines Zornes halten ihn ab, in alle die Begriffe eins zugehen, die zu seiner intuitiven Begeisterung nöthig sind. Wo er aber, den Charakteren unbeschadet, seine eigene Empfindung ausdrücken kann, da wird man allezeit den Sieg der Natur über die Kunst wahrnehmen.

Wir haben Erempel hiervon: 1) an dem Schauspieler, der die Elektra des Sophokles vorstellte; 2) an einer Stelle in dem Prolog zu Thomson's Coriolan. 3) Man sieht es auch auf der komischen Schaubühne, wenn der Schauspieler einem Frauenzimmer Liebe ausdrücken soll, das er wirklich liebt.

4. Von der lyrischen Poesie *).
Im J. 1777.

(Aus der Neuen Berl. Monatsschrift. Bd. 23. Mai 1810. S. 298–311.)

Die Begriffe stehen mit einander entweder in Real-Verbindung, so wie ihre Urbilder, die wirklichen Dinge außer uns,

*) Moses Mendelssohn hatte diese Gedanken über die psychologische Beschaffenheit der lyrischen Poesie seinem Freunde Engel zu Gefallen aufgefeßt, aber schriftlich nicht ganz geendigt, weil sich beide mündlich über diesen Gegenstand unterhielten.

Anmerk. von Fr. Nicolai.

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