Page images
PDF
EPUB

Staats- und gerichtlichen Reden u. f. w., vom Extemporiren, Auswendiglernen, von Chrien u. s. w.; welches alles wir eben so wohl, als das 6te Hauptstück, von Staats- und gerichtlichen Schriften, mit Stillschweigen übergehen; diese Materien sind für die lernende Jugend vielleicht nicht ohne Nuhen, allein zu unse= rer Absicht gehören sie nicht.

Der dritte Theil, von der Poesie, enthält fünf Hauptstücke. Das erste handelt von dem Wesen der Poesie. § 249. von dem Gegenstande der ersten Poesie, § 250. vom Ursprunge des Sylbenmaaßes und der Reime, § 251. daß man sehr früh diefen Begriff von einem Gedichte bekomme, daß es eine vorzuglich schöne Rede in Versen sei; § 252. wie die prosaische Wohlredenheit zum Theil durch die Poesie entstanden sei, § 253. durch welche Mittel die Dichter die prosaische Wohlredenheit zu übertreffen gesucht haben, § 254. von den Schwierigkeiten, das Wesen eines Gedichtes zu bestimmen. Die Gedichte, wenn

fie schön sind, werden mehr als einmal gelesen; und folglich müssen nothwendig viele Redensarten und Wendungen, welche die Poesie erfunden hat, um sich über die Prosa zu erheben, nach und nach in die lehte eingemischt werden. Mit der Zeit haben sich wißige Köpfe gefunden, die alle Mittel zu gefallen, welche die Poesie braucht, auch in ihren Werken angewendet, ohne jedoch in gebundener Rede zu schreiben. Oft wird man die Gedanken eines alten oder ausländischen Dichters, um ihrem Nachdruck nicht durch allzu großen Zwang Abbruch zu thun, ohne Sylbenmaaß in seiner Muttersprache einkleiden. Man wird Werke schreiben, worin die gebundene mit der ungebundenen Rede abwechselt. Alles dieses wird es unendlich schwer machen, die Gränzen der Prosa und Poesie zu bestimmen, und zu sagen, was eigentlich ein Gedicht sei. So viel können wir für's erste gewiß fagen", fährt der Hr. Verf. fort,,,daß in keinem der folgenden Stücke das ganze Wesen eines Gedichts bestehe“. 1) Nicht in der Kürze der Abfäge, oder in der Versmacherei u. f. m.; denn der Catechismus des Hrn. Dr. Luther und die Methaphysik des Hrn. von Wolf, in solche gebundene Schreibart überseßt, wären gewiß kein Gedicht. 2) Nicht in der Erdichtung; die Alpen" des Hrn. von Haller sowohl, als manche andere Lehrgedichte und Oden, sind Gedichte; wer wird aber die eigentliche Erdichtung für die Hauptsache darin halten? 3) Nicht in der Nachahmung der schönen Natur; es giebt Oden,

Lehrgedichte, Satyren, Elegien u. f. w., die keine Nachahmungen der schönen Natur find. (Wird Batteur und diejenigen, die sein System annehmen, dieses ohne Beweis zugeben?) 4) Nicht in der sinnlichen Vorstellung des Guten und Schönen; denn der Hr. von Mosheim redet, besonders im Schlusse der Predigt ,,vom Tode", so sinnlich als möglich; seine Vorstellungen sind gut und schön. Und dennoch würde dieser Theil von seiner Rede wohl kein Gedicht seyn, wenn man ihn gleich in die wohlklingendsten Verse übersehte. Diese Behauptung könnte noch viel leicht mit gutem Grunde in Zweifel gezogen werden. Überdem hat der Hr. Verf. die Baumgarten'sche Erklärung, auf welche es vermuthlich hier angesehen seyn soll, nicht richtig angeführt. Dieser große Weltweise seht das Wesen der Dichtkunst nicht in die sinnliche Vorstellung des Guten und Schönen (denn dieses wåre etwa eine Erklärung aller schönen Künste und Wissenschaften überhaupt), sondern in eine vollkommen sinnliche Rede. Man muß auch die Erklärung dieses Philosophen von den Worten vollkommen und sinnlich*) wohl inne haben, wenn man den ganzen Nachdruck dieser Erklärung einsehen will. 5) Nicht in der Begeisterung, oder in der Sprache der Leidenschaften; viele Reden im Livius sind so begeistert, so voller Leidenschaften, von Anfange bis zu Ende, als sie seyn konnten. Endlich glaubte der Verf. im § 255., die Poesie sei von der Profa nur dem Grade der Schönheit nach unterschieden. Der eigentliche Unterschied bestünde also in einem relativen Begriffe, den man nicht absolut zu bestimmen fordern kann, so wenig als man

*) In der Vorrede zur dritten Ausgabe seiner Metaphysik_widerlegt er einen Einwurf, der ihm irgendwo wider diese Erklärung gemacht worden, mit folgenden Worten: Dixeram in prima, quam edidi, dissertatione, poema sensitivam orationem perfectam. Vere dictum adhuc puto. Fuit autem, qui scriberet, me dixisse, poema orationem perfecte sensitivam, et deinde significatum perfecti jam inter philosophos, ipsos pueros, notissimum detorqueret in vulgarem illum, quo perfecte pro omnino vagis in sermocinationibus aliquando substituitur. Significatum sensitivi ipse expresse fixeram, longe tamen alium affingit et huic vocabulo bonus vir, quo germani nonnunquam crassa vel pingui Minerva turpiuscule, vel etiam obscenius dicta, per jocum ajunt oppido sensitiva etc. Ob nun gleich die lehte Beschuldigung unserm Verf. nicht zur Last gelegt werden kann, so scheint er doch wenigstens die Erklärung des Worts perfecta aus den Augen gesezt zu haben.

fagen kann, was die absolute Höhe und Tiefe, die Wenigkeit und Vielheit sei. Und dennoch sucht er § 256. das Wesen der Poesie, wo nicht zu erklären, doch wenigstens zu beschreiben. Er sagt: ein Gedicht sei eine Rede oder Ausarbeitung, worinnen ,,die Mittel zu gefallen oder zu vergnügen offenbar herrschen" 2c. (ist dieses etwas anders als oratio sensitiva perfecta?); „oder eine ,,Rede, deren Inhalt, Gedanken und Ausdrücke sowohl an sich ,,selbst, als nach einer vernünftigen Absicht des Verf. entweder ge= ,,sangmäßig, oder versmäßig oder beydes zugleich sind". Wir wissen nicht, warum der Hr. Verf. sich Mühe giebt, dasjenige, was der Philosoph mit drei Worten bestimmt und genau sagt, mit zwanzigen unbestimmt und weitläuftig zu sagen. Man wird aus seiner doppelten Umschreibung schwerlich deutlicher einsehen, was das Wesen der Dichtkunst sei, als vorher. Die Erklärungen von gefangmäßig und versmäßig, wie nicht weniger die Schlüsse, die der Hr. Verf. § 257. aus seinem Begriffe von einem Gedichte zieht, sind nichtsdestoweniger sehr lesenswürdig.

Zweites Hauptstück, allgemeine Regeln der Dichtkunst aus der Art poétique des Boileau. (Wir lassen es dahin gestellt seyn, ob der Hr. Verf. wohl gethan, hier lieber den Boileau als den Horaz zu wählen.) In diesem ganzen Hauptstücke werden nur Stellen aus der Art poétique angeführt; und wo es nöthig ist, sest der Hr. Verf. seine Anmerkungen hinzu. § 258. vom Genie eines Poeten, § 259. von der Dienstbarkeit des Reimes. Boileau sagt: la rime est un esclave, et ne doit qu'obéir. ,,Wir würden uns wundern", heißt es hier in der Anmerkung des Hrn. Verf., wenn wir såhen, wie viel Neues, Nachdrückli,,ches und Wißiges die besten Dichter öfters dem Reime zu ver,,danken haben". Er will daher den Reim in gewissen Fällen als ein Erfindungsmittel der Gedanken und Ausdrücke ansehen. Der Reim, sagt er, ist ein Sklave, der zuweilen einen vernünftigen Rath giebt, dem der Herr nach der Prüfung folgt; aber der Herr wird keine Entschuldigung haben, wenn sein Knecht ihm übel gerathen hat.

Wir glauben nicht, daß man dem Reime den Werth eines Erfindungsmittels beilegen könne. Es muß unstreitig ein sehr glücklicher Zufall seyn, wenn der Reim einen guten Gedanken erzeugt, den der Dichter sonst nicht gehabt hätte. Was sich auf ein gewisses Wort reimt, steht gewiß in keiner natürlichen

1

Verbindung mit dem Begriffe, den dieses Wort in uns erweckt. Wir wollen versuchen, die Vorzüge des Reimes hinlänglich zu bestimmen, und sie in folgende drei Stücke sehen: 1) der Reim dient zur Ersehung der richtigen Quantität der Sylben, daran es den jest lebenden Sprachen öfters mangelt; 2) in einer fol= chen Art von Gedichten, wo sich der Gedanke mehrentheils mit dem Verse schließt, dient der Reim, den Schluß des Verses sinnlicher zu machen. Von dieser Beschaffenheit sind alle französis sche, und ein großer Theil der englischen und deutschen Gedichte. Wo aber der Gedanke öfter aus einem Vers in den andern übergeht, als in den Gedichten der Alten, oder der Neuern, die ihnen verwandt sind, da ist der Reim bisweilen ein unschicklicher Zierrath. 3) Endlich hat der Reim in einigen kleinen Gedichten, die oft nur ein bloßes Spiel sind, sehr viel angenehmes; und nicht selten macht er fast ihr ganzes Verdienst aus. § 260. von der gesunden Vernunft im Dichten, § 261. von unnüşer Weitläuftigkeit und dunkler oder harter Kürze, und vom Zierrathe, § 262. von der natürlichen und edlen Schreibart. BoiLeau sagt:

Quoi que vous écrivies, évites la bassesse

Le stile le moins noble a pourtant sa noblesse.
Distingues du naif, le plat et le bouffon etc.

Und der Hr. Verf. erklärt in der Anmerkung das Wort naif durch eine solche Art zu denken und sich auszudrücken, die Einem aus Unschuld, untadelhafter Unwissenheit, oder Vertraulichkeit eines freimüthigen Menschen, der einen besondern Charakter hat, zuerst einfällt, und etwas ungewöhnliches und dem Scheine nach anstößiges zu haben scheint. (Vielleicht hätte diese Materie in einem Lehrbuche von den schönen Wissenschaften eine besondere Ausführung und gründlichere Untersuchung verdient.) § 263. vom Wohlklange und der grammatikalischen Richtigkeit, § 264. man muß denken, ehe man schreibt; § 265. von dem Fleiße in der Ausarbeitung und Ausbesserung der Verse. In der Unmerkung zu der angeführten Stelle aus der Art poétique läßt sich der Verf. bei Gelegenheit verlauten: „die Moral“ (es ist hier von dessen deutscher Moral die Rede),,des Hrn. Barons von ,,Wolf håtte, bey mehr Muße freylich besser geschrieben seyn ,,können. Inzwischen hätten doch viele Leute Ursache, es ihm ,,Dank zu wissen, daß er sie lieber so, als gar nicht, geschrieben ,,hat." Wir sind nicht von dieser Meinung; und glauben viel

mehr, daß die deutschen philosophischen Schriften des Hrn. von Wolf, insonderheit seine Metaphysik und Moral, zu ihrem Zwecke unverbesserlich geschrieben sind; und daß dieser große Weltweise, bei mehr Muße, vielleicht vieles in der Sache selbst geändert, aber den Styl gewiß so gelassen håtte, wie er ist: gesezt auch, er hätte die Gabe gehabt, geschmückter zu schreiben. So viel ist gewiß, man liest die Moral" des Hrn. von Wolf jest mit weit mehr Vergnügen, als wenn es unserm Verf. oder sonst einem Schönschreiber einfallen sollte, sie in eine geschmücktere Schreibart umzuschmelzen. Mit der Ausbesserung der Verse, davon hier sehr viel nüßliches gesagt wird, hat es eine eigene Bewandt= niß. Man hat angemerkt, daß die poetischen Werke einiger groBen deutschen Dichter durch die Ausbesserung mehr verloren als gewonnen haben; daher denn auch die ersten Ausgaben ihrer Gedichte von Kennern immer noch im großen Werthe gehalten werden. Ja es ist uns ein Dichter in B. bekannt, dem es das Publikum sehr schlechten Dank weiß, daß er ihm seinen Vorrath von vortrefflichen Gedichten, aus allzu strenger Gewissenhaftigkeit und Begierde sie noch weiter auszuarbeiten, vorenthält. §. 266. es ist selten erlaubt, ein mittelmäßiger Dichter zu seyn. (Wir hatten gesagt, es ist gar nicht erlaubt; eben so falsch ist der Sas, den der Hr. Verf. behauptet:,,das Verbot, mittelmäßig ,,zu seyn, geht nur hauptsächlich die Dichter an". Es geht eben so wohl die Redner, Maler, Musikverständige und alle, die sich mit den schönen Künsten beschäftigen, an. Von allen muß man sagen:

mediocribus esse

Non Di, non homines, non concessere columnae.

Selbst bis in die Wissenschaften erstreckt sich dieses Verbot.) Der Vorwand derer, die ihre mittelmäßigen Gedichte mit der Absicht, Nußen zu stiften, entschuldigen wollen, wird hier gründlich entkräftet. Im § 267., daß man mit dem eiteln Vorlesen seiner Werke sich nicht lächerlich machen müsse (eine nöthige Vorschrift für gewisse Dichter). § 268. man muß sich in der Poesie nicht vertiefen.

Drittes Hauptstück. Von der poetischen Erfindung, Ordnung und Schreibart. Im § 269. werden die Gränzen der philosophischen, physischen und poetischen Möglichkeit weitläuftig auseinandergeseßt, und endlich folgende Gefeße angeführt, welche von den besten Poeten theils wissentlich, theils durch eine dunkle

« PreviousContinue »