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der Classification der Begriffe und Handlungen abhangen. Wiederholte Handlungen von Einer Art vermehren die ihnen zusagende Fertigkeit. Handlungen von verschiedener Art vermehren die ihnen zusagenden Fertigkeiten wechselsweise, nicht insoweit sie vers schieden, sondern insoweit sie von Einer Gattung sind. Da alle Handlungen der Seele unter einer Hauptgattung begriffen sind, so ist niemals in der Seele eine Fähigkeit ohne irgend einen Grad von Fertigkeit gewesen; auch keine Fertigkeit, die nicht durch Gewohnheit verstärkt worden wäre. Die Antwort fållt also dahin aus: diese Seele hat seit ihrem Daseyn mehr Gelegenheit gehabt, Handlungen von dieser oder einer ihr verwandten Art zu verrichten, wodurch die ihr zusagende Fertigkeit verstärkt worden ist. Die Classification der Begriffe ist hier nicht bloß Hülfsmittel zum Denken, sondern in der Natur gegründet; die Handlungen, die zu Einer Classe gehören, erleichtern sich einander wechselsweise. Wer sich in einer Wissenschaft geübt hat, kommt auch in einer andern leichter fort. Woher dieses, wenn die Classification bloß willkührlich ist?

S. 124. 5. Außer der Befriedigung gegenwärtiger oder künftiger Bedürfnisse der Natur, liegt auch bei dem Geldgeize ein gewisser Ehrgeiz zum Grunde, indem man sich ein gar wichtiges Ansehen geben kann, wenn man Andern von seinem überflusse mittheilen kann. Es versteht sich, daß auch hier die Begierde zum Mittel so stark werden kann, daß der Endzweck selbst darüber versäumt wird. Indessen giebt es auch Geizige, die nicht karg sind, die vielmehr Pracht und Gefolge lieben.

S. 130. Die Betrachtungen über den Geiz sind sehr gut. Ich wünschte, daß Hr. Garve untersucht hätte, warum der Besit ohne den Genuß beim Geldgeizigen allezeit niedrig,, beim Ehrgeize aber meistens edel und erhaben sei?

Vor Einführung des Geldes war auch der Ackerbau eine Quelle des Geizes, indem dadurch ein festes Eigenthum eingeführt und die Begierde, solches zu erweitern, rege gemacht wurde. Die Begierde, viele schöne und nůßliche Dinge zu besigen, hatte damals nichts niedriges, nichts verächtliches, und scheint vielmehr als eine gute Eigenschaft angesehen worden zu seyn. Achilles sagt zum Agamemnon beim Homer (Iliad. I. 121.):

Ατρείδη κύδιστε, φιλοκτε ανώτατε πάντων. Er scheint hier noch nicht in der Laune zu seyn, Vorwürfe machen zu wollen, welches das xvdiote beweist.

S. 131. Leute von großen und weitaussehenden Anschlägen sind niemals geizig." Wenn das Mittel zu vielerlei möglichen Endzwecken führt, so ist es dem Menschen sehr natürlich, das Augenmerk bloß auf das Mittel zu richten und die Endzwecke unbestimmt zu lassen. Alsdann können alle diese Endzwecke, so viel ihrer sind, einzeln verrichtet oder verabsäumt werden, und das Mittel behält dennoch seinen Werth. Wir opfern für unsern Freund so viele, und zuweilen noch größere Vortheile und Vergnügungen auf, als uns seine Freundschaft je verspricht. Daß in diesen Fällen die Freundschaft edel und der Geldgeiz unedel sei, kömmt daher, weil dieser selbstsüchtig ist. Die Freundschaft ist nicht bloß Mittel, sondern auch wahrer Endzweck der Natur. Die Neigung, sich an Anderer Glückseligkeit zu vergnügen, ist selbst eine Vollkommenheit.

S. 133. Die Ehre ist nicht nur als Mittel, sondern auch als Absicht begehrlich, insoweit die Übereinstimmung Underer Meinung von unserm Werthe mit diesem Werthe selbst und unserer Meinung davon eine_Realität, und folglich begehrlich ist. Wenn die äußerlichen Dinge mit unsern Absichten übereinstimmen, so sind sie nicht als Beförderungsmittel dieser Absichten nüßlich, sondern auch als übereinstimmung an und für sich angenehm und gut.

,,Unsern Bedürfnissen zu Hülfe zu kommen, und für unser Vergnügen zu arbeiten."- Man schränke nur den Begriff der Bedürfnisse nicht zu sehr ein, denn die Ehrliebe gehört vornehmlich mit dazu. Auch das Wort Vergnügen muß nicht in einem gar strengen Sinne genommen werden.

Daselbst: einen Zuwachs von Kraft, oder mit einem andern Worte, von Vollkommenheit wünschen, um -"; kein um weiter, sobald wir das lehte Ziel erreicht haben. Es muß doch etwas als Absicht begehrlich seyn. Sagt man, wie Hr. Garve zu sagen scheint: die Befriedigung unserer Bedürfnisse; so frage ich weiter: wohin zielen unsre Bedürfnisse?

S. 134. Alles, was Hr. Garve hier von der Entstehung der Ehrbegierde sagt, scheint aus, dem Helvetius genommen zu seyn, und ist meines Erachtens grundfalsch. Abermals Bedürfniß? und welches? bloß Essen, Trinken und Beischlaf? Wenn der Ehrbegierige nur dieser Bedürfnisse halber geehrt seyn möchte, warum ist denn der Ehrende so willig, dem Geehrten einen

Theil seiner Bedürfnisse aufzuopfern? Warum gönnt er ihm manchen Bissen, den er wohl selbst verschlucken könnte?

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,,Alle Vortheile des Sieges ohne die Beschwerlichkeiten des Kampfes". Wer hat diese jemals gewünscht? So philosophirte Cyneas mit dem Pyrrhus, und ward von dem Abenteurer mit Recht für einen Sophisten gehalten.

S. 138. So richtig Hrn. Garve's Schlüsse in Absicht auf den Geiz gewesen, so übel zusammenhangend scheinen sie mir in Absicht auf die Ehre. Was für eine Kette von der Be= friedigung der Bedürfnisse bis auf die Verachtung des Todes! Wie wenig ist sie der Natur gemåß!

Ich frage nochmals: woher entsprang denn die Neigung, einem Menschen, der irgend einen Vorzug hat, mehr Vergnügen zu verschaffen?

S. 140. Es giebt Seelen" etc. Hier lenkt Hr. Garve wieder in das Gleis der gefunden Philosophie.

S. 149. Der Zorn seht eine Unmöglichkeit voraus, die unangenehme Empfindung der Beleidigung auf eine andere Art wegzuschaffen, als durch die Vernichtung dessen, der diese Empfindung in uns veranlaßt hat." Hr. Garve sollte auch gegen den Zorn nicht ungerecht seyn. Die Begierde, sich zu råchen, ist nicht immer einerlei mit der Begierde, seinen Gegner zu zernichten.

S. 156. 7. Ich finde keinen so großen Unterschied zwischen den angenehmen und unangenehmen Empfindungen. Beide verdunkeln, wenn sie herrschend sind, alle schwächeren Neben= begriffe, und werden von den gleichartigen verstärkt, von den ungleichartigen geschwächt. Beide verstärken, wenn sie nicht herrschend sind, die Empfindungen, die von ihrer Art find. In einem Anfalle heftiger Schmerzen wird man niemals neidisch oder traurig, so wenig man während eines sinnlichen Vergnügens, wenn es heftig ist, gegen die sanften Vergnügungen des Wohlwollens empfindlicher wird. Aber ein måßiger, anhaltender Schmerz macht zu allen Verdrießlichkeiten aufgelegt; so wie ein stilles Vergnügen, das bloße Behagen, die Abwesenheit alles Schmerzes, die Menschen gar wohl zu den Empfindungen der Liebe und des Wohlwollens geschickter machen kann. Daß körperlicher Schmerz in seiner größten Heftigkeit die Entstehung des Zorns erleichtern kann, wird nicht geläugnet; aber nur als= dann, wenn wir glauben, daß eine Milderung des Schmerzes uns

verweigert wird, welches natürlicherweise den Zorn erregen muß; oder wenn Jemand einen Grad der Aufmerksamkeit fordert, den wir ihm ohne Zwang nicht gewähren können, weil der gegen= wärtige Schmerz uns ganz beschäftigt.

S. 158. „Verlangen nach Genuß und Verlangen nach Bestrebung". Ich kenne keine solche Eintheilung. Es giebt keine Bestrebung ohne Genuß, und keinen Genuß ohne Bestrebung. Der Arbeitsmann beschäftigt seine Hånde, wenn er arbeitet, sei= nen Mund, wenn er ißt, und seinen Magen, wenn er verdaut. Nennt Hr. Garve etwa eine mindere Thätigkeit Genuß?

Nicht in jedem Grade können unangenehme Leidenschaften andere unangenehme erwecken. Im Zorne empfinden wir zuweilen körperliche Schmerzen nicht, in der äußersten Betrübniß keinen Zorn. Furcht und Zorn vertreiben sich einander. Schmerz vermindert den Ekel, Verachtung den Neid.

S. 162. 3. Vortrefflich! so auch 163. 4. 5. 6. 181usque ad finem.

Von dem Worte Kunst.

Man sagt, sie sei subjective eine Fertigkeit, objective aber der Inbegriff der Regeln etc.; allein auch die Wissenschaft ist eine Fertigkeit (Wolf's Logik §. 2.). - Man unterscheidet 1) Kunst von Natur, 2) Kunst von Wissenschaft. Ich möchte also sagen, complexus propositionum practicarum compossibilium in uno convenientium, sed sese non determinantium sei eine Kunst; so wie complexus propositionum theoreticarum compossibilium in uno convenientium eine Wissenschaft sei. Wer sich eine Fertigkeit erworben, jene ohne Fehl zu verrichten, und diese gewiß zu erkennen, der besißt die Kunst oder die Wissenschaft. Was von Natur hervorgebracht wird, ist deswegen von der Kunst unterschieden, weil die hervorbringenden Ursachen sich einander determiniren, und nicht nach practischen Vorschriften handeln. Dieses gilt nur, so lange von cansis secundariis die Rede ist; in Rücksicht auf Gott aber fagt man freilich, er habe unendliche Kunst gezeigt.

Eine Kunst kann zur Wissenschaft werden, so wie man einen jeden practischen Sah in einen theoretischen verwandeln kann, wie aus der Logik bekannt ist. Wer aber die Wissenschaft einer Kunst besißt, der besigt noch deswegen die Kunst nicht. Denn wenn er gleich eine Fertigkeit besißt, gewiß zu er= kennen, so hat er doch deswegen noch die Fertigkeit, ohne Fehl zu thun, nicht in seiner Gewalt.

Zu den Briefen über die Empfindungen.

(1770.)

S. 28.,,Daß die Seele die Vorstellung einer Vollkommen= heit lieber haben, als nicht haben, und die Vorstellung" etc.

Falsch! Die Abneigung geht nicht immer auf das Nichthaben der Vorstellung, sondern zuweilen auf die Mißbilligung des Objects. Die Unvollkommenheit ist objectiv böse und erzeugt Mißbilligung, aber subjectiv als Vorstellung ein praedicatum ponens, und also gut. Wenn dasjenige, was wir lieben, in Gefahr oder Elend ist, so wünschen wir, wenigstens der Empfindung nach, nicht, dieses nicht zu wissen, sondern dem übel abzuhelfen. Die Vorstellung der Unvollkommenheit erregt also eine vermischte Empfindung; sie ist objectiv mit einer Mißbilligung, subjectiv hingegen mit einer angenehmen Empfindung verknüpft.

S. 48. 49. Das Vergnügen håtte nicht mit dem Wollen verglichen werden sollen. Jenes ist ein inneres Bewußtseyn, daß die Vorstellung A unsern Zustand verbessere; das Wollen hingegen ein Bestreben der Seele, diese Vorstellung wirklich zu machen. Das Vergnügen ist gleichsam ein günstiges Urtheil der Seele über ihren wirklichen Zustand; das Wollen hingegen ein Bestreben der Seele, diesen Zustand wirklich zu machen. Das Verlangen, von welchem das Vergnügen begleitet zu werden pflegt, gehört nicht wesentlich zum Genusse des Vergnügens.

S. 85. Ich bin bloß bei der objectiven Vollkommenheit stehen geblieben, die die Seele (während eines sinnlichen Ge= nusses) wahrnimmt. Ich hätte aber hinzuthun sollen, daß durch

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