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Dichter selbst angewendete sei, darüber sind die Herausgeber sehr verschiedener Meinung, und von den Verbesserungsversuchen, die sie angestellt haben, ist einer immer sonderbarer und wunderlicher als der andere. Gar nicht zu gebrauchen ist die Conjectur Warburton's, welcher ich keinen auch nur einigermassen erträglichen Sinn unterzulegen weiss. Statt Strachy schreibt er nämlich Trachy, was von Thrace (Thracien) man sieht nicht recht, wie dies möglich ist herkommen und wahrscheinlich also einen Thracier bedeuten soll; und die Möglichkeit der Ableitung zugegeben, so passt die Erwähnung Thraciens und der Thracier, dieses Landes und Volkes aus der alten Geographie, in den Zusammenhang unserer Stelle auch nicht im Mindesten.

Sehr weit hergeholt und höchst unwahrscheinlich ist ferner die Vermuthung Knight's, welcher Strachy für ein Verderbniss aus Strategus hält und dies letztere Wort durch Statthalter einer Provinz erklärt, so dass demnach „,the lady of the Strachy" die Wittwe eines Statthalters sein soll, die sich tief unter ihrem Range wieder verheirathet habe.

Fast noch unhaltbarer und unglücklicher ist die Conjectur von Steevens. Er schreibt starchy und erklärt „the lady of the starchy" für die Aufseherin über die (wahrscheinlich königliche) Wäsche. Aber gegen diese von vielen Gelehrten, unter andern auch von Tieck, angenommene Conjectur lassen sich sehr bedeutende Einwendungen erheben:

1) dass, wie schon oben bemerkt wurde, das in der Folioausgabe in Cursivschrift gedruckte Wort kein gewöhnliches oder Gattungswort, sondern ein Fremdwort oder einen Eigennamen erwarten lässt,

2) dass starchy gar kein im Englischen übliches, sondern ein von Steevens selbstgefertigtes Wort ist, indem man zwar im Englischen das Wort starch, die Stärke zur Wäsche, aber kein daraus gebildetes Wort starchy kennt, welches etwa ein Haus oder eine Anstalt, wo gestärkt wird, bedeutete, und mit laundry, Waschhaus, Wäsche, sinnverwandt wäre, und

3) dass auch der Sinn unserer Stelle einer Waschhausaufseherin durchaus ungünstig ist. Malvolio nämlich, der Verwalter oder Haushofmeister der jungen reichen Gräfin Olivia,

wähnt sich von seiner Gebieterin geliebt, sieht in sich schon den künftigen Grafen Malvolio und sucht die Bedenken wegen der Ungleichheit des Standes sich auszureden durch das Vorhandensein ähnlicher Fälle von Missheirathen, wofür er als Beispiel anführt, dass irgend eine vornehme Dame einen Garderobendiener geheirathet habe. Es scheint mir nicht zweifelhaft, dass (wie auch Collier annimmt) hier eine Anspielung auf einen auffallenden, zur Zeit der Abfassung unseres Stückes viel besprochenen, uns aber jetzt nicht mehr bekannten Vorfall der Art enthalten sei. Ob aber dieses, so grosses Aufsehen erregende Ereigniss sich in England (und zwar unter dieser Voraussetzung am wahrscheinlichsten bei Hofe) zugetragen habe oder im Auslande, und bei der letzteren Annahme als ein besonderes Curiosum durch die Zeitungen verbreitet worden sei und viel von sich reden gemacht habe, dies muss billig dahingestellt bleiben; dagegen ist einleuchtend, dass das Beispiel für Malvolio's Zweck um so treffender und schlagender wird, je grösser zwischen der Dame und dem von ihr gewählten Gemahle der Unterschied des Ranges ist, den wir durch das Wort erreichen, welches wir an die Stelle von Strachy setzen. Die Aufseherin eines Waschhauses, mit welcher uns Steevens beschenkt, und wenn wir uns auch darunter das Waschhaus ihrer Majestät der Königin Elisabeth vorstellen wollten (unter deren Regierung, wie wir aus bestimmten Angaben wissen, das Stück im Jahre 1602 aufgeführt wurde), ist aber über einen Garderobendiener dem Range nach nicht so sehr erhaben, dass durch das Beispiel einer solchen Verbindung Malvolio in seiner Hoffnung, die Kluft, die zwischen ihm und seiner hohen Gebieterin besteht, übersprungen zu sehen, bestärkt werden könnte. Am annehmbarsten scheint mir unter den bisherigen Vermuthungen der Herausgeber Shakspeare's noch die von Collier, dass in Shakspeare's Manuscript ursprünglich Strozzi, oder vielmehr Strozzy, gestanden habe, wenn wir mit Collier voraussetzen, dass die Verheirathung eines weiblichen Mitgliedes dieser edlen florentinischen Familie mit einem Dienstboten zu den damaligen Tagesneuigkeiten gehört habe. Dass aber Shakspeare den italienischen Namen Strozzi statt mit i, mit y, einem Buchstaben, den die italienische Sprache ganz verschmäht, geschrieben haben sollte (und doch dürfte diese Vertauschung des i durch y zur Erklärung der Entstehung der Lesart in der Folioausgabe ziemlich unabweisbar sein, wenigstens unter der Voraussetzung der Besorgung des Druckes entweder nach der Originalhandschrift selbst oder nach einer von derselben durch Abschrift genommenen Copie, welche Voraussetzung mehr Wahrscheinlichkeit für sich hat als die einer durch Dictat ent

standenen Handschrift), ist zu bezweifeln und macht mich gegen diese Conjectur Collier's bedenklich.

Wenn auch Collier mit Recht bemerkt, dass es am Ende eine Sache von nur geringer Bedeutung sei, das richtige Wort, welches in der Urschrift stand, zu wissen: so möchte man doch einen so grossen Dichter wie Shakspeare selbst von kleinen Flecken gereinigt sehen; und so hat die Auffindung eines an die Stelle des Verderbnisses zu setzenden passenden Wortes auch mein Nachdenken beschäftigt. Bei dem weiten Spielraum indessen, welcher dem Inhalte des Contextes zufolge für Vermuthungen dargeboten ist, darf man freilich auf zwingende Beweiskraft seiner Conjectur von vornherein sich keine Rechnung machen, sondern muss sich mit der Möglichkeit der Richtigkeit seiner Vermuthung neben verschiedenen anderen vielleicht eben so wahrscheinlichen genügen lassen. Den Anforderungen unseres Textes erstens einer im Gegensatze zu dem Garderobediener möglichst hochgestellten Dame deren Heimat übrigens weder in dem Vaterlande des Dichtens, noch in dem Lande, welches Shakspeare zum Schauplatze unseres Dramas macht, das ist in Illyrien, nothwendig gesucht zu werden braucht, sondern für welche uns die Wahl so lange völlig frei steht, als nicht eine aus bisher unzugänglichen Quellen geschöpfte zufällige glückliche Entdeckung Licht auf diese Anspielung Shakspeare's wirft, und zweitens einem in den Schriftzügen dem überlieferten Strachy möglichst nahe kommenden Worte, das wo möglich auch ein Freindwort oder Eigenname sein muss: diesen Anforderungen scheint mir das Wort Starosty vollkommen zu entsprechen. Wäre dies Wort das aus Shakspeare's Feder geflossene, so hätten wir uns zu denken, dass eine grosse Magnatin irgend eines slawischen Reiches, die Besitzerin einer Starostei, ihren Garderobendiener zu ihrem Gemahle erhoben habe: was gerade in einem halb orientalischen Staate zwar weniger befremdlich sein würde als in jedem anderen, dennoch aber, auf welche Weise auch die Kunde davon nach England gedrungen war, zur Zeit der Abfassung unseres Dramas in London eine grosse und das Publicum wenigstens für einige Zeit interessirende Neuigkeit gewesen sein muss, denn dass es allbekanntes Stadtgespräch war, scheint mir ziemlich deutlich aus dem Gebrauche des bestimmten Artikels in den Worten the lady... married the yeoman hervorzugehen.

Dr. Herm. Erfurdt.

Ueber Shakspeare's Hamlet.*)

Jeder Einzelne von uns weiss, dass er eine und dieselbe Dichtung zu verschiedenen Zeiten ganz verschieden liest; so im Grossen auch ein Volk, die Menschheit selbst. Wie verschieden wurde gerade Shakspeare bis auf heute gelesen und erklärt! Diese Erklärungen z. B. des Hamlet, in ihrer geschichtlichen Reihenfolge zusammengestellt, sind selbst ein Stück Geschichte eines Volkes, einer Zeit. Goethe sah in Hamlet eine schöne Seele, der eine zu grosse Aufgabe auferlegt wird, und schenkte ihr deshalb sein Mitleid; es war dies die ästhetische Zeit der Deutschen. Börne schmäht den thatlosen Helden, Gervinus und Freiligrath sehen in Hamlet ein Stück Deutschland; es ist die beginnende politische Zeit, die Zeit, die selbst bei der Erklärung Shakspeare's Tendenz verfolgt. Wir stehen vielleicht schon in einer vorurtheilsfreieren Zeit, welche die That zwar hoch anschlägt, aber auch Sinn für die dichterische Darstellung der Entwicklungsgeschichte einer That besitzt. Und diese

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Welch ein Meisterstück ist der Mensch! Wie edel durch Vernunft! Wie unbegrenzt in seinen Fähigkeiten! An Gestalt und Bewegung wie vollendet und bewundernswerth! Im Handeln wie so ähnlich einem Engel! Wie gleich in seinem Denken einem Gott! Die Zierde der Welt! das Muster aller Wesen!" Mit diesen Worten Hamlets leiten wir unsere Betrachtung ein, Hamlets, der uns mehr als eine einzelne sagenhafte Ge

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Der Verfasser dieser dramatischen Studie hat bekanntlich früher ein grösseres Werk über Hamlet (Aarau, Sauerländer 1853) erscheinen lassen. Obiger Vortrag wurde im Januar d. J. in Berlin gehalten. D. Red.

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stalt, der uns in einer Beziehung ein Repräsentant der Menschheit ist. Um so bedeutungsvoller sind seine Worte. Einem Gotte gleich? Ist nicht der Mensch der an die Erde geschmiedete Prometheus? Gefesselt - ja aber auch von einer mitleidigen Gottheit ausgerüstet, sich dieser Fessel auf eine zweifache Weise zu entledigen durch die Macht des Gedankens und durch die Macht des, Gedanken zu Thaten gestaltenden Willens. Zwei grosse Dichter unterzogen sich der Aufgabe, diese Erhebungsversuche, diese Kämpfe des Geistes mit den Ketten des Diesseits in erschütternden Schauspielen zu veranschaulichen. Goethe, der Dichter einer filosofischen Nation, machte den Menschen in seinem Kampfe gegen die Schranken der Vernunft, Shakspeare, der Poet eines handelnden Volkes, den Menschen im Verhältniss zu der ihm gegenüberstehenden Nothwendigkeit, im Konflikt mit den Hemmungen der sittlichen Freiheit und Thatkraft zum Stoffe einer Welttragödie.

Weil Faust eine höhere übermenschliche Erkenntniss anstrebt, geht ihm die Wahrheit, die dem Menschen zu wissen gestattet ist, mitten in seinem Forschen verloren; weil Hamlet ein von Aussen freieres, ein mit der ängstlichsten Erwägung aller wirklichen wie möglichen Folgen verbundenes, ein- fast göttliche Seherkraft für die Gestaltungen der Zukunft voraussetzendes Handeln verlangt, geräth er fast in völlige Thatlosigkeit und verliert den Blick auf das Nächste.

Der Mensch ist in den Tagen der Unschuld Eins mit sich: er glaubt - er handelt ohne Bedenken. Diese Unmittelbarkeit zerstört der Mephisto in uns, der Zweifel. Im Faust sehen wir den Zweifel in seiner Richtung auf die Idee der Vernunft, im Hamlet in seinem Einfluss auf das Handeln. Welche Fragen, nicht kleinere als die im Faust, dringen im Hamlet auf uns ein! Sind wir frei, fragen wir uns unter den Schauern der Tragik? Und wenn, haben wir die Kraft, unsern Willen durchzuführen? Wie können wir diese Kraft haben, wenn wir sehen, dass die grössten Vorsätze oft schon im Entschlusse sterben? Wie können wir frei sein, wenn wir wahrnehmen, dass Entscheidendes oft in einem Augenblicke der Leidenschaft geschieht? Wo endet unsere Freiheit, wo beginnt sie, die strenge Nothwendigkeit? Unser Aller Herz klopft, wenn wir Hamlet dem Dilemma gegen

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