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zuwider zu handeln. Dass sie es ehemals dennoch gethan, beweisen Beispiele wie:

sants.

La Providence s'en est servie comme du moyen plus propre
à garantir la pureté de la religion (Leibnitz).
de mon débris les reliques plus chères (Racine).

Chargeant Mais je

veux employer mes efforts plus puissants (Molière). Girault-Duvivier bemerkt zu diesen Beispielen (Gr. des Gr. t. I., p. 264), die genannten Schriftsteller hätten sagen sollen: du moyen le plus propre, les reliques les plus chères, mes efforts les plus puisWenn er statt dessen über die Sache nachgedacht hätte: so würde er gefunden haben, dass nicht die Grammatiker, sondern jene Schriftsteller im Rechte sind. Vielleicht hätte er's freilich auch nicht gefunden. Denn selbst denkende Männer wie Fernow und Blanc haben diese Forderung den französischen Grammatikern in Bezug auf das Italienische nachgesprochen. Es ist wahr, dass manche italienische Schriftsteller in französirender Weise derselben Vorschrift folgen; die meisten und besseren aber, die sich von diesem fremden Einflusse fern halten, thun es nicht, sondern sagen z. B.:

Le grazie più vive (Soave). Gli uomini più qualificati (Manzoni). I casi più dolorosi (Pellico). Il padre più misero che sia mai nato (Foscolo). Le strade più ample e più frequentate (Spallanzani). Il clima più bello (Ganganelli).

Eben so drücken sich die Spanier und Portugiesen durchgehends aus.

Es ist also eigentlich nur die französische, und zwar die neufranzösische Grammatik, welche die Behauptung aufstellt, dass der Artikel den Comparativ zum Superlative mache. Sie stellt diese Behauptung auf, ohne sie zu begründen, und hat dabei nicht nur den Gebrauch der übrigen romanischen Sprachen, sondern auch den der älteren französischen Schriftsteller selbst gegen sich. Dieser Gebrauch aber gründet sich seinerseits mit gutem Rechte auf die oben dargelegte Anschauung, welche die romanischen Sprachen von dem comparativen Verhältnisse überhaupt gewonnen haben auf die Anschauung nämlich, dass es kein wesentlicher Unterschied sei, ob Eines mit Einem oder Eines mit Allem verglichen werde. Möge diese Anschauung die Folge davon sein, dass die antike Superlativform in den romanischen Sprachen verloren gegangen oder, wo sie geblieben, auf die absolute Bedeutung beschränkt worden, oder aber möge sie

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selber jenen Verlust, jene Beschränkung erst herbeigeführt haben: so viel steht fest, dass es einen eigenen relativen, comparativen Superlativ in diesen Sprachen nicht mehr giebt. Wenn die Grammatiker von einem solchen reden: so thun sie es, weil sie einen solchen in anderen Sprachen kennen. Man könnte sagen, sie reden so von einem Superlative, wie sie auch noch von Casus reden, ungeachtet diese in den romanischen Sprachen ihre Formen gleichfalls eingebüsst haben. Nur liegt hier die Sache allerdings ein Wenig anders. Denn mit den Casusformen sind doch keineswegs die Casusverhältnisse verschwunden; sie haben nur eine neue Bezeichnungsweise erhalten. Aber mit der Form des Superlativs ist in der That auch der Sinn des Superlativs aufgegeben er ist nicht auf eine neue Weise bezeichnet, sondern vollständig mit dem Comparativsinne identificirt

worden.

Wenn dem so ist (und es wird damit wohl seine Richtigkeit haben): so kann man schliesslich nur sagen, dass andere Sprachen die deutsche, die lateinische, die griechische ihren Superlativ geeigneten Falles dem romanischen Comparative substituiren, diesen mit ihrem Superlative übersetzen können. Aber man muss nicht sagen, dass der romanische Comparativ darum selber ein (comparativer oder relativer) Superlativ sei. Ein solcher ist in den romanischen Sprachen nicht nachweisbar.

G. L. Staedler.

„Geschlechtswort"?

In gewissen Kreisen pflegt der Artikel als eine Bezeichnung des Nominal-Geschlechtes (Genus) aufgefasst und darum Geschlechtswort" genannt zu werden. Mit welchem Rechte geschieht dies?

Es giebt Sprachen, welche überhaupt keinen Artikel haben, obschon ihnen das Nominal-Geschlecht nicht fehlt. Solche sind das Sanskrit, das Zend, das Syrische, das Lateinische, die slawischen Sprachen (die russische, polnische etc.). Wo er also überhaupt nicht vorhanden ist, kann er selbstverständlich auch nicht Geschlechtswort" sein.

Es giebt zweitens Sprachen, welche zwar einen Artikel, aber kein Nominal-Geschlecht haben. Dergleichen sind die englische, die ungarische. Hier kommt nur das natürliche, das Personal-Geschlecht in Betracht. Dass er aber da, wo die Nomina überhaupt geschlechtslos sind, auch kein Geschlecht derselben zu bezeichnen hat, versteht sich ebenfalls von selbst.

Drittens giebt es Sprachen, in welchen der Artikel dem allerdings vorhandenen Nominal-Geschlechte dennoch seinerseits geschlechtslos gegenüber steht. Von dieser Art sind die hebräische, die arabische. Es bedarf gleichfalls keiner Erläuterung, warum er da, wo ihm selber das Geschlecht fehlt, auch nicht geeignet ist, ein solches zu bezeichnen.

So bleiben viertens nur diejenigen Sprachen übrig, in welchen das Geschlecht sowohl am Nomen wie am Artikel haftet. Dies sind die griechische, die romanischen, die deutsche.

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Aber alle diese Sprachen lassen mit nur einer Ausnahme unter den romanischen das Genus deutlich an dem Nomen selbst erkennen, sei es durch die Wortform überhaupt, sei es durch ausdrückliche Endungen. Sie könnten deshalb den Artikel so gut entbehren wie diejenigen, die wirklich keinen haben; er könnte hier wenigstens so gut geschlechtslos sein wie er es in denjenigen ist, wo ihm die Beziehung auf das Genus wirklich fehlt. Oder man müsste sich zu der Behauptung entschliessen, es sei, wie sehr auch das Nomen selbst schon die Zeichen seines Genus an sich trage, dennoch nothwendig, dasselbe, und zwar ausserhalb des Nomens, noch ein Mal zu bezeichnen eine Behauptung, die sich selber

richtet.

In der That zeigt eine nähere Betrachtung der genannten Sprachen, dass das Verhältniss des Artikels zum Genus nur von untergeordnetem Werthe ist. Es ist überhaupt nur zum Theil vorhanden.

Denn was zunächst die griechische Sprache betrifft: so unterscheidet diese am Artikel zwar das Femininum vom Masculinum und Neutrum, aber diese beiden Letzteren unter einander nur im Nominative (Sing. ô, tó, Plur. oi, vá) und Accusative (Sing. tóv, tó, Plur. tous, tá), nicht aber im Genitive (Sing. Tov, Plur. Tov) und Dative (Sing. T, Plur. Tois). Im Dualis verschwindet der Unterschied auch selbst für den Nominativ und Accusativ, und jenes plurale tv gilt sogar auch für das Femininum, d. h. es ist völlig geschlechtslos.

Unter den romanischen Sprachen sind die spanische und die portugiesische die einzigen, welche beide Genera (es giebt da überhaupt nur Masculinum und Femininum) am Artikel durchweg unterscheiden (span. Sing. el, la, Plur. los, las; port. Sing. o, a, Plur. os, as). Auch gelten diese Formen für alle Casus, indem der Genitiv und Dativ durch vortretende Präpositionen (Casuszeichen) ausgedrückt wird. Dabei kommt aber die beachtenswerthe Erscheinung vor, dass Feminina, welche mit betontem a anfangen, im Spanischen statt des weiblichen den männlichen Artikel erhalten. Man sagt dort z. B. nicht

la alma (die Seele), sondern el alma (was beiläufig an das französische mon âme für ma âme erinnert). Offenbar geschieht dies zur Vermeidung des Hiatus, es beweist aber zugleich, dass der Artikel das Geschlecht nicht allzu ernst nimmt.

Im Italienischen hat der männliche Artikel die Doppelform il und lo. Man sollte glauben, der Zweck dieser Doppelform sei ebenfalls die Vermeidung des Hiatus. Aber gerade vor Vocalen steht durchaus lo und wird dann, wie das weibliche la, apostrophirt. Das apostrophirte l' erscheint also ohne Unterschied vor männlichen wie vor weiblichen Substantiven (l'esame, l'origine), das heisst, es ist geschlechtslos; der Artikel meint es nicht ernst mit dem Geschlecht.

Das erloschene Provenzalische hat für den Artikel dieselben Geschlechtsformen lo und la und apostrophirt sie vor Vocalen eben so wie es das Italienische thut.

Die französische Sprache ist diejenige, welche die oben angedeutete Ausnahme bildet, nämlich insofern, als sie die lateinischen Wortformen sowohl im Stamme wie in den Endungen noch weit mehr als die übrigen romanischen Sprachen zerstört und dadurch den Geschlechts-Charakter, derselben oft bis zur völligen Unkenntlichkeit verdunkelt hat. Um so mehr sollte man gerade hier die Aufrechthaltung dieses Geschlechts-Charakters vom Artikel, vom „Geschlechtsworte" erwarten und fordern dürfen. Der Artikel lautet bekanntlich le, la. Man sollte also fordern dürfen, dass er der Apostrophe widerstehe, zumal da er sich dessen in der Verbindung mit onze (man sagt und schreibt z. B. le onze Avril, le und la onzième, desgleichen auch le oui) in der That fähig zeigt. Gleichwohl unterwirft er sich der Apostrophe nicht nur vor Vocalen, sondern auch vor stummem h durchaus. Wie bezeichnet also das „Geschlechtswort das Geschlecht in Beispielen wie l'or und l'eau, l'habit und l'heure? Man sage nicht, dass dieser Fall unerheblich sei. Er geht ein gutes Drittheil aller Substantiva an und erfährt noch eine beträchtliche Vermehrung dadurch, dass auch jedem andern Substantive ein so geartetes Adjectiv vortreten kann. L'aimable caractère, l'absurde doctrine was ist hier le, was

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