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vermöge, entscheidet er sich nach dem übereinstimmenden Urtheil des Alterthums, und in diesem Falle also für die Verneinung. Bei Bacon wird das Verhältniss ein ganz anderes. Er kann die Alten wohl als Lehrmeister der Klugheit betrachten, aber seine sittlichen Grundsätze holt er sich anders woher. Er citirt überhaupt weit seltener als Montaigne, und unter seinen Citaten finden sich eine fast überwiegende Zahl aus der heiligen Schrift und auch wohl den Kirchenvätern. Wenn er einen Alten

nennt, so fügt er wohl hinzu, es sei zu verwundern, dass dieser dies eingesehen habe, da er doch ein blosser Heide gewesen, oder er habe dies gesagt bloss als ein Philosoph und natürlicher Mensch. Manches bezeichnet er als zu hoch für das Verständniss eines Heiden.

Damit ist nun auch die ganz verschiedene Stellung zu den philosophischen Aufgaben gegeben. Wenn die Scholastik als eine Thorheit erwiesen ist; wenn die Logik des Aristoteles abgethan ist, um deren Willen sich Montaigne nie die Finger genagt hat, so bleibt diesem eben kein näherer Ausweg, als sich in die heitere und weise Lebensanschauung der Alten zu flüchten und sich sonst ein freies offenes Urtheil zu erhalten und unter Anerkennung der allgemeinen Schwäche des menschlichen Urtheils das Aufschieben einer bestimmten Erklärung bis zu näherer Untersuchung für das Thunlichste zu nehmen. So findet er in der Religion, in der er zufällig geboren ist, in der Staatsverfassung, unter der er lebt, in den Sitten und Gebräuchen, die ihn umgeben, sehr Vieles, was eben nicht als das an sich Nothwendige und in der Sache Liegende zu betrachten ist: vielmehr hat es an sich nicht grössern Werth, als andere Lebens- und Glaubensformen unter andern Völkern und in andern Himmelsstrichen auch. Diese Verschiedenheit von Sitten und Gebräuchen, Denk- und Glaubensformen aufzuzählen macht ihm ein hauptsächliches Vergnügen. Aber wenn er so die Endlichkeit in der besondern Erscheinung auffindet, so ist er doch keineswegs geneigt, etwas nach seiner Meinung irgend besser machen zu wollen, weil ihm der Hauptsatz die Schwäche jedes menschlichen Urtheils ist, und er begnügt sich mit dem Vorhandenen, ihm die besten Seiten abgewinnend, und am liebsten sich von den Welthändeln zurückziehend in den Winkel seines

Hauses wie seines Herzens, wo er ungestört ist. Bacon dagegen, wenn er, mit den bisher geltenden Sätzen des Denkens und Wissens gebrochen hat, wirft sich frei und alle Brücken zur Vergangenheit abbrechend als einen Reformator auf. Das ganze Gebäude der menschlichen Wissenschaften will er neu begründen; auf der Grundlage der sinnlichen Anschauung und der Erfahrung, und mit der Methode der Induction, durch die Naturwissenschaften will er das menschliche Geschlecht regeneriren, die Herrschaft des Menschen über die Dinge erweitern, und eine im verwegensten Sinne des Wortes praktische Wissenschaft an die Stelle der bisherigen Speculationen setzen. Was er in dieser Weise geleistet hat, gehört aber nicht zu den eigentlichen Essais, und wir können hier in diesem Zusammenhange uns nicht weiter darüber verbreiten.

Wenn wir nun zum Schluss fragen: welches ist der deutsche Prosaiker, der an nationaler und literaturgeschichtlicher Bedeutung mit Montaigne und Bacon verglichen werden kann: so werden wir wieder finden, was sich auch sonst bestätigt; dass der Deutsche langsam, aber gründlich verfährt, und dass er seine Früchte spät, aber desto vollständiger reift. Erst wenn wir 140 Jahre nach Bacon vorwärtsgehen, finden wir den Urheber einer wahrhaft classischen deutschen Prosa in Lessing.

Goethe und Tischbein.*)

Die Nummern 348 und 349 der Kölnischen-Zeitung vom letztverwichenen December enthalten eine Besprechung der von mir im vorigen Jahre veröffentlichten Autobiographie Wilhelm Tischbein's. Diese Beurtheilung rührt von einem der gründlichsten Kenner der Literaturgeschichte, von Heinrich Düntzer her; bietet sehr charakteristische Auszüge; ist anerkennend, und übt namentlich in Betreff meines geringen Antheils an obigem Werke eine äusserst gütige Nachsicht aus. Und doch hat mich dieser Artikel, den ich nur zufälligerweise, leider auch erst sehr spät zu Gesicht bekommen habe, und obenein zu einer Zeit, in welcher ich absolut behindert war, näher darauf einzugehen, schmerzlich berührt. Der geehrte Berichterstatter nämlich, der zwar im Allgemeinen den Verdiensten Tischbein's die gebührende Anerkennung nicht versagt, lässt doch eine grosse Voreingenommenheit gegen den trefflichen Künstler durchblicken. So heisst es z. B.: halb Tischbein seinen Freund Waagen nicht nach Kassel zurückbegleitete, sondern in der Schweiz zurückblieb, hören wir nicht; wahrscheinlich hatte er den Anforderungen des Landgrafen nicht genügt, der ihm jedoch die Anwartschaft auf die Stelle seines Oheims bei der Akademie zugesagt." Gegen diese Auffassung des Sachverhalts ist einfach zu erwiedern, dass man, wie in Beck's Lebensbeschreibung Ernst's II. von Gotha (p. 261 und 266) zu lesen ist, in Kassel aus

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"Der nachfolgenden Ehrenrettung Tischbein's hat leider die Redaction der Kölnischen Zeitung die Aufnahme verweigert, und zwar unter dem Bemerken, dass sich „ein politisches Blatt in eine so specielle Polemik nicht einlassen könne.“ Für die umfangreicheren Invectiven wider Tischbein waren die Spalten jenes Blattes nicht zu beschränkt.

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unzeitiger Sparsamkeit mit dem versprochenen Reisestipendium nicht Wort hielt. Nur aus Edelmuth brachte Tischbein diesen Umstand nicht vor die Oeffentlichkeit, (s. Beck, p. 268). Dennoch musste er wohl den Ansprüchen des kasseler Hofes genügt haben, weil man fortwährend bemüht war, ihn für die dortige Akademie zu gewinnen, wie namentlich aus einem Briefe des Grafen von Bohlen, d. d. 7. October 1806, hervorgeht. Tischbein wollte aber für die zu knappe Besoldung seine Freiheit und Musse nicht opfern. Leider aber erstreckt sich diese Voreingenommenheit auch auf den ehrenwerthen Charakter Tischbein's. So will Düntzer sogar die Darstellung der Begebnisse nicht überall für ungetrübt, und der reinsten Wahrheit gemäss halten.“ Er begründet diese Ansicht durch Hinweisung auf den, seiner Meinung nach,,,die Sache entstellenden Bericht“ über das durch Goethe beim Herzoge von Gotha erwirkte Reisestipendium; über die Differenz mit dem Herzoge Ernst von Gotha, und über Tischbein's Bewerbung um die Directorstelle an der Akademie zu Neapel. Referent muss bekennen, dass er in den berührten Fällen eine so wesentliche Abweichung von den übrigen Berichterstattern nicht finden kann, um daraus Tischbein's Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen, und dass er keinen Augenblick ansteht, wo in einzelnen Punkten eine Uebereinstimmung der Berichte nicht stattfindet, sich entschieden auf Tischbein's Seite zu stellen. Musste dieser doch in den oben erwähnten, ihn persönlich berührenden Angelegenheiten nicht allein besser unterrichtet sein, als die übrigen Berichterstatter; sondern galt er doch auch bei Allen, welche ihn näher kannten, für unbedingt wahrheitsliebend, und für einen Mann des kindlich-naiv sten, redlichsten und wohlwollendsten Charakters. Und ein so edler Mensch soll dennoch ,,etwas zur Intrigue geneigt" gewesen sein, und muss die wenig schmeichelhafte Beschönigung über sich ergehen lassen: „Drückende äussere Verhältnisse schlagen leider zu oft selbst in die Seelen gemüthlicher Naturen, die sich aus ihnen herausgearbeitet haben, traurige Falten und trüben die strahlende Reinheit zuverlässiger Offenheit, so dass derjenige, der ihnen vertraut, in der Gefahr steht, besonders wenn sie seiner Hülfe nicht mehr bedürfen, von ihnen verrathen und verkauft zu werden. Aehnlich wird es sich auch mit dem guten, von Natur ganz arglosen Tischbein verhalten haben. Noth und stachelnder Ehrgeiz verleiteten ihn, seine Absichten zu verheimlichen, günstige Anerbietungen anzunehmen, ohne sich ein Gewissen daraus zu machen,

sich später einseitig von den eingegangenen Bedingungen zu entbinden, nur seinen eigenen Vortheil stets im Sinne zu haben, von Recht und Billigkeit Anderen gegenüber, wo diese ihm lästig wurden, Umgang zu nehmen. Bei dem Verhältnisse zum Landgrafen von Kassel und zum Herzoge von Gotha hatte sich diese Unredlichkeit gerochen, und auch Goethe's Zutrauen hatte er dadurch eingebüsst. Leider rächt *sich eine derartige Falschheit nicht immer der Art, sondern Manche gelangen auf diesem Wege zu den einflussreichsten Stellungen im Leben, um die verderblichste Wirksamkeit auf weite, ihrer Unredlichkeit überlieferte Kreise mit souverainer Verachtung jedes Rechtes auszuüben." (!!)

Es fragt sich nun, wodurch über diesen Treuesten der Treuen eine so äusserst ungünstige Meinung veranlasst sein kann? Und da zeigt sich denn als die einzige Quelle eine Aeusserung des von Tischbein innig verehrten Freundes Goethe. Dieser hatte es nämlich, nach Tischbein's Erläuterung gegen seinen Freund, den Consistorialrath Römer zu Braunschweig, sehr übel vermerkt, dass Tischbein, der sich dem Freunde zu Rom und Neapel mit der aufopferndsten Hingebung als Gesellschafter und Kunstführer gewidmet hatte, und ihm durch seine geistreichen, anregenden Skizzen, so wie durch die von den merkwürdigsten Punkten aufgenommenen Erinnerungsblätter werth geworden war, ihn nicht nach Sicilien begleiten konnte, weil er sich gerade um die erledigte Directorstelle in Neapel bewarb. Kniep, der nun statt Tischbein's als Begleiter eingeschoben wurde, mochte allerdings kein vollständiger Ersatz sein. Und da sich die Entscheidung über das neapolitaner Directorat ungebührlich in die Länge zog, und Tischbein, der nach Goethe's eigenem Ausspruche (Band XXVIII. p. 58), „als Mensch und Künstler von tausend Gedanken hin- und hergetrieben, von hundert Personen in Anspruch genommen wurde, und nicht freien Theil an eines Andern Existenz nehmen konnte, weil er sein eigenes Bestreben so eingeengt fühlte," der aber auch nebenbei bemerkt, in ächtkünstlerischer Genialität alle Geschäftsangelegenheiten mit Nachlässigkeit betrieb, den Freund auf die verheissene Rückkehr nach Rom vergeblich harren, und das daselbst eingerichtete Atelier leer stehen liess: so veranlasste dieses Missgeschick im Verkehre zwischen Goethe and Tischbein eine empfindliche Kühle. Diese Missstimmung nun veranlasste Goethen unter dem 2. October 1787 zu der unwilligen

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