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kommenen, nur anklingenden (mit kunstloser Assonanz statt des vollkommenen Reimes) und meist stumpfen '') — Reimen (rimes plates) 2) in singbaren Strophen (couplets), oder strophenmässigen Abtheilungen (tirades monorimes) ohne oder mit Refrain.

Aber nicht nur aus der Analogie des typisch-formellen Charakters der Volkslieder überhaupt lässt sich auf diese ursprüngliche Form der Lais zurückschliessen, sondern auch aus dem, was sich davon in den französischen und englischen Bearbeitungen derselben durch die höfischen und meisterlichen Kunstdichter erhalten hat. Zwar sind fast alle französische (unter welchen ich, der Kürze wegen, auch immer die anglonormandischen begreife) 3) und ein paar englische (wie die Lais del Freisne, d'Orpheo, Syr Degore) in den seit dem 12ten Jahrhunderte in erzählenden und didaktischen Gedichten der bloss sagenden Hofpoesie allgemein üblichen kurzen (de huit syllabes; of four accents) Reimpaaren (à rimes plates; riming couplets) abgefasst (daher im Mittelenglischen vorzugsweise Ministrel metre genannt). Aber ist denn nicht gerade diese Form, wie überhaupt jede, in welcher der unmittelbar gebundene Reim vorherrscht, zuletzt aus der Volkspoesie hervorgegangen? Bestand nicht eben der Hauptfortschritt jener höfischen Poesie nur in der mit künstlerischem Bewusstsein vorgenommenen Regelung der volksmässigen Form, d. h. in der Einführung eines Gleichmasses (Isometrie, sei es durch Sylbenzählung, sei es durch Feststellung der Zahl der Hebungen und ihres Verhältnisses zu den Senkungen) für die früher oft gar zu ungleich langen rhythmischen Zeilen (vgl. KOBERSTEIN S. 106), und wie LACHMANN (zu den Nibelungen und zur Klage S. 288) treffend sagt, im Umreimen minder genauer kurzer Verse in strenge Reime 1)? Es haben sich also auch noch in diesen Ueberarbeitungen von der ursprünglichen Form die kurzen Verse und der unmittelbar gebundene Reim erhalten; aber die strophische Abtheilung ist schon verloren gegangen, wie dieses eben bei bloss zum Lesen und Sagen bestimmten Produkten der höfischen und meisterlichen Kunst ganz folgerecht eintreffen musste1). W. WACKERNAGEL (die epische Poesie, im

Schweiz. Museum f. hist. Wissensch., Bd. II. Hft. 1. S. 86) hat daher sehr bezeichnend,,diese paarweise reimenden kurzen Verse" eine „, unsangbare Umgestaltung der sangbaren vierzeiligen Strophe" genannt.

Noch mehr von dem ursprünglichen strophischen Charakter der Volkslieder hat sich aber in der Form erhalten, in welcher die meisten mittelenglischen Lais abgefasst sind; sie bestehen nämlich ebenfalls aus Reimpaaren, jedoch ist jedem Reimpaare noch ein (meist kürzerer) Vers angehängt, deren wenigstens zwei durch denselben Reim verbunden sind (aab ccb u. s. w.), wodurch, je nachdem zwei, drei oder vier solcher Zwischenverse auf diese Weise verbunden werden, sechs-, neun- oder zwölfzeilige Strophen (six- ninetwelve-line stanzas with tail-rime, oder tail-staves, wie sie GUEST, Vol. II. p. 303 ff., nennt, oder Strophen mit ryme couwee, wie ROBERT OF BRUNNE diese Reimweise genannt hat) entstehen. Schon J. GRIMM hat mit dem ihm eigenen feinen Sinn für alles Volksthümliche das „Sang- und Volksmässige" dieser Form richtig herausgefühlt, indem er (Ueber den altdeutschen Meistergesang, S. 169) davon sagt: ,,Die erzählenden englischen Gedichte des 13ten und 14ten Jahrhunderts wurden entweder französischen nachgeahmt, oder in diesem Sinn doch aus alten Liedern und Sagen hergenommen. Die Form ist daher jene französische selbst (d. b. kurze Reimpaare) oder eine sangmässige, etwas steifer und strenger gehaltene. Im Stil der letzten Art ist eine Aehnlichkeit mit gewissen unserer erzählenden gleichzeitigen Gedichte kaum zu verkennen, von denen sich sagen lässt, einmal, dass sich das Meistersängerische in ihnen freier, dann, das Volksartige enger und beschränkter zeige." Andere hingegen haben die durch denselben Reim verbundenen Zwischenverse für eigentlich überschlagende Reime (rimes croisées, interwoven rime) gehalten, wodurch diese Form zu einem Produkt der Kunstpoesie gemacht, ihre eigentliche Natur und das ihr zu Grunde liegende Princip gänzlich verkannt würde. Denn ich hoffe durch die genetisch-historische Entwickelung derselben nachzuweisen, dass diese Zwischenverse, weit entfernt, über

schlagende Reime zu sein, vielmehr aus eigentlichen Refrains entstanden sind, ihre Stelle vertreten, und diesen ihren Ursprung und wahren Charakter nie gänzlich verläugnet haben; dass die dadurch gebildeten Strophenformen zuvörderst aus dem eigentlichen Volksgesange, zunächst aus dem volksthümlichen Kirchengesange hervorgegangen, und daher keineswegs ein Produkt der Kunstpoesie, vielmehr durchaus volksmässig sind.

Dazu ist es aber vor allem nöthig, sich die Geschichte des Refrains überhaupt (im weitesten Sinn, als Wiederholungs-, Schalt- und Schlussvers, Kehrreim) zu vergegenwärtigen, und da es leider noch gänzlich an einer solchen fehlt, so erlaube ich mir, nachstehende Andeutungen vorauszuschikken, die zwar keineswegs darauf Anspruch machen, diese Lücke auszufüllen, zu dem gegenwärtigen Zwecke jedoch genügen dürften.

Der Refrain (refran, refrim, referre) entstand wahrscheinlich aus dem Antheil des Volkes (oder der Gemeine) an Liedern, die von Einem oder Mehreren bei feierlichen oder festlichen Gelegenheiten, bei Gottesdienst, Spiel und Tanz, ihm vorgesungen wurden, indem es einzelne Worte, Verse oder ganze Strophen im Chor wiederholte (daher öfter vom Vorsänger selbst intoniert, oder an die Spitze des Liedes gestellt, wie der Estribillo), oder in den Pausen des Vorsängers (nach grösseren oder kleineren Absätzen, Tiraden, Strophen) ihm durch einen wiederholten Zuruf (niq9yua) antwortete, der wohl ursprünglich die durch das Vorgetragene in ihm erzeugte Stimmung, Beifall, Abscheu, Freude, Schmerz u. s. w. ausdrückte, in der Folge aber oft zur allgemeinen, stehenden Formel (derselben zu verschiedenen Liedern ähnlichen Inhalts), oder zur conventionellen Acclamation (qúuvia, μɛovμvia; vorzüglich bei Kirchen-, Kriegs-, Fest- und Spielliedern) ward 16).

Daher ist der Refrain so alt wie die Volkslieder selbst, und kommt vorzugsweise in diesen (besonders in den festlichen) und ihnen nachgebildeten (volksmässigen) Gesängen vor.

So um nur beim Occident stehen zu bleiben finden sich Spuren von dessen Gebrauch schon im klassischen Alterthum, und zwar gerade in volksmässigen Liedern; so waren die ephymnischen oder mesymnischen Aus- oder Zurufe 'I1⁄2'ïɛ Ilaιáv, ὦ Διθύραμβε, ἰὼ Βάκχε, αἳ αἳ τὸν Λίνον oder τὸν Αδωνιν und ̔Υμὴν ὦ ̔Υμέναι ὦ gesetzliche Refrains (auch in der ursprünglich doppelten Bedeutung dieses Wortes als eines Sprichund Wiederholungswortes) und wesentliche Bestandtheile der ältesten chorisch-orchestischen Cultus- und Festlieder der Griechen, der Päane, Dithyramben, lobakchen, Linodien, Adoniasmen und Hymenäen (S. HEPHAESTIONIS ALEXANDRINI Enchiridion, ed. Th. Gaisford. Lipsiae 1832. IIɛgì noinuάtwv, c. XI. p. 138; vgl. HERMANN, Elementa doctrinae metricae, p. 28. SANTEN zum Terent. Maurus, p. 148 — 150; ZELL, Ferienschriften I. S. 59, 66,

77;

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BODE, Gesch. d. Hellenischen Dichtkunst, Bd. II. 1. S. 10-11, 7879, 102 ff. 2, S. 291); so waren die versus fescennini der Römer,,neben wiederkehrenden Formeln durch den Refrain ausgezeichnet" (BERNHARDY, Grundriss der röm. Lit. S. 69); und mehrere Beispiele von diesen und anderen refrainartig wiederkehrenden Worten und Versen finden sich noch bei den griechischen und römischen Kunstdichtern, besonders wenn sie den Volkston nachahmen wollen ; z. B. bei AESCHYLUS, Agamemnon, v. 120, 137, 154 Wellauer; EURIPIDES, Troades, v. 310-332 Matthiae; Aves, v.

ARISTOPHANES, Pax, v. 1329 - 1353;

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1743 1750, 1765; Ranae, v. 405415; 1315 — 1322 Invern.- Beck; THEOCRITUS I (der Scholiast

zu Vers 64 τοῦτο δὲ λέγεται πρόᾳσμα, καὶ ἐπιμελώδημα, καὶ ἐπῳδή) und II;

BION, I;

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MOSCHUS III; ARCHILOCHUS, Olympisches Siegeslied (Kallinikos, von dem ephymnischen Zurufe Týveλha xalhívıxe; vgl. BODE, a. a. 0. S. 315); ANACREON XXXIX; CATULLUS, LXI (vgl. HAUPT, 'Quaestiones Catullianae, Lipsiae 1837. p. 25) und LXII; VIRGILIUS, Ecloga VIII; und im Pervigilium Veneris.

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Ebenso finden wir schon sehr frühzeitig, und wieder vor

I. p.

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zugsweise in volksmässigen Liedern, die Anwendung des Refrains in der mittellateinischen Poesie, und zwar wird der Refrain um so häufiger und regelmässiger, je mehr der Reim, mit dem er ohnehin in innerer Verwandtschaft steht, sich in den Vulgarsprachen ausbildete und auch in der lateinischen Mönchspoesie festsetzte; wobei noch der merkwürdige Umstand nicht zu übersehen ist, dass manche dieser lateinischen Lieder sogar Refrains in den Vulgarsprachen haben, was abermals den volksthümlichen Ursprung derselben, und ihre Bestimmung, den Antheil des Volkes an diesen Gesängen zu repräsentieren, beurkundet. So hat schon das berühmte, sogenannte alphabetische Volkslied des heiligen AUGUSTINUS gegen die Donatisten eine Art Refrain (Hypopsalma)"); so haben zwei Hymnen des VEN. HON. FORTUNATUS (Opera omnia, op. et stud. M. A. LUCHI. Romae 1786. 4. Vol. 48, lib. II. cap. VIII In sacrum baptismum, mit dem Refrain Tibi laus; und cap. IX In laudem chrismatis, mit dem Refrain O redemptor) und GOTTSCHALK'S VON ORBAIS (st. 8689, vgl. Hist. litt: de la France, V. 352 ff.) Klaglied (s. LEBEUF, Dissertat. Paris 1739. p. 493-495, mit dem Refrain O cur jubes canere) förmliche Refrains, und in ALCUIN's Gedicht ad Carolum regem (Alcuini opera, cura ac stud. Frobenii. Ratisbonae 1777. fol. tom. II. p. 614) werden, wie in Virgilius Pharmaceutria, einzelne Verse refrainartig wiederholt. Seit dem 11ten Jahrhundert aber häufen sich die lateinischen Gedichte mit Refrain, wie z. B. die meisten der von ECCARD (Vet. monument. quaternio. Lipsiae 1720. fol.) mitgetheilten Cantica aliquot (VIII) saec. XI im Volkston (s. p. 54 ff. No. II. III. V. V. VI und VIII); das Kreuzlied des BERTERUS AURELIANENSIS (um 1188; vgl. Hist. litt. de la France, XV. 337 f.) mit einer Refrainstrophe (s. ROGER HAVEDEN, Annal. pars post. bei SAVILE, Rer. angl. Scriptt. Francof. 1601. fol. p. 639

640); ein dem heil. BERNHARD zugeschriebener Rhythmus (s. Opera St. Bernhardi, ed. Mabillon. Paris 1719. fol. tom. V. col. 914); der Planctus I. ABAELARDI

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