Page images
PDF
EPUB

Bemerkungen zu Otfrid ad Liutbertum.

Von

G. Michaelis.

Zu der kleinen Zal der einfachen Vokale und Diphthongen, welche uns von den Römern überlifert find und an welche fich unfere Schrift anlente, kamen durch die Entwicklung der neueren Sprachen allmählich neue, indem fich mannigfache Zwifchenftufen zwischen den drei Eckpunkten a, i, u, fowie neue Diphthongen bildeten. Änlich war es mit den Konfonanten, die fich, durch Vor- und Rückfchiebungen der Artikulationsstellen und durch Abftufungen in den Artikulationsgraden vervilfältigten. Es konnte daher nicht ausbleiben, dass man einzusehen anfing, dass die uns überliferten lateinifchen Schriftzeichen zu einer genaueren Darftellung der neueren Sprachen nicht ausreichten.

Schon der Frankenkönig Chilperich (561-584) hatte verfucht, das lateinifche Alphabet für vier deutsche Laute zu ergänzen, one damit durchzudringen.

Otfrid von Weißenburg machte um 868 in dem an Liutbert, Erzbischof von Mainz, gerichteten Schreiben, welches er feinem Evangelienbuche als Vorrede voranfchickte, wenn auch nur in fer knapper Weife, auf einige Übelstände aufmerkfam, welche die zu geringe Zal der lateinifchen Buchstaben boten. So vilfach die betreffenden Stellen auch schon besprochen find, fo dürfte doch eine erneuerte Betrachtung derfelben vom Standpunkte der heutigen Sprachphyfiologie aus nicht überflüssig fein.

Es heißt bei Otfrid:

,,Hujus enim linguæ barbaries ut est inculta et indisciplinabilis atque insueta capi regulari freno grammaticæ artis, sic etiam in multis

dictis scripto est propter literarum aut congeriem aut incognitam sonoritatem difficilis. Nam interdum tria uuu, ut puto, quærit in sono, priores duo consonantes, ut mihi videtur, tertium vocali sono manente; interdum vero nec a, nec e, nec i, nec u vocalium sonos præcavere potui: ibi y grecum mihi videbatur ascribi. Et etiam hoc elementum lingua hæc horrescit interdum, nulli se caracteri aliquotiens in quodam sono, nisi difficile jungens; het z sepius hæc lingua extra usum latinitatis utitur, quæ grammatici inter literas dicunt esse superfluas. Ob stridorem autem dentium, ut puto, in hac lingua z utuntur, k autem ob fautium sonoritatem. Hic sepius i et o ceteræque similiter cum illo vocales simul inveniuntur inscriptæ, interdum in sono divisæ vocales manentes, interdum conjunctæ, priore transeunte in consonantium potestatem."

Die Worte: „Et etiam... superfluas" find in der Wiener Handschrift in drei Zeilen an Stelle zweier früher dageftandenen nicht mer erkennbaren durch den Korrektor eingefchriben. (Vergl. das genaue Facfimile bei Kelle II, Tafel 2. Erdmanns Otfrid p. IX und 328.)

Wir dürfen in den angefürten Worten im ganzen wol den Stand der Laut- und Schreiblere erkennen, wie folche in Fulda unter der Leitung des Hrabanus Maurus (822-847), dessen Schüler Otfrid war, gelert wurde, über den aber Otfrid im einzelnen hinauszugehen verfuchte. (Vgl. Joh. Müller, Quellenschriften S. 191 ff.)

Bei der Aufzälung der Vokale a, e, i, u ist o villeicht zu ergänzen, indem es nur zufällig ausgelassen wurde; villeicht ist es aber auch abfichtlich nicht mit aufgefürt, da für o kein y eintritt.

[ocr errors]

Die Eingangsworte der angefürten Stelle erinnern wol an Donat: Omnis vox aut articulata est aut confusa. articulata est quæ litteris comprehendi potest, confusa quæ scribi non potest" (Keil IV, 367). Wie weit lautgetreu gefchriben werden kann, das hängt eben von dem Zuftande der Entwicklung der Schriftzeichen ab.

O. Erdmann, Otfrids Evangelienbuch S. XIII, bemerkt über das y der Wiener Handschrift: „y stellt der Korrektor befonders häufig (aber nicht durchgehend) aus i des ersten Schreibers her in der Vorfilbe ir-, die derfelbe öfters (namentlich in den Marginalien) auch schon fo gefchriben hatte; ferner ebenfalls beim ersten Schreiber einmal aus e in fyrsagenti I, 4, 68; einigemal aus u: blyent III, 7, 64, gimyatu III, 22, 37, gimyato II, 21, 27. III, 6, 26 (fo fchreibt Schr. I von felbst Sal. 32), syah III, 18, 19 (wol um der Lefung suah = swah

-

vorzubeugen); syazo III, 5, 20; beim zweiten Schreiber Ny aus Nu IV, 28, 11, blyent aus bluent V, 23, 273. S. 328: y ist in V häufig aus einem vom Schreiber gefetzten Vokal korrigirt, und zwar im eigentlichen Sinne durch Hinzufchreiben oder durch Anfügung eines Striches." (Vgl. Kelle II, 445.)

Lachmann (Otfrid 1833, Ersch und Gruber Sect. III, T. VII, Kl. Schriften I, 459) fagt über Otfrids Angaben: „Er bemerkt, i vor Vokalen fei bald diphthongisch, bald Konfonant, er erklärt die Schreibung uuu, wenn wu gemeint ist, für genauer als das in den Handfchriften feines Werkes doch auch vorkommende uu. Wunderbar ist das y, welches er gefetzt habe, wo er den Laut keines der fünf Vokale habe können befchaffen. Nach dem Gebrauch in den Handschriften könnte man wol an ein verkümmertes und an ein umgelautetes u denken, aber für difen Umlaut in fo früher Zeit wage ich mich nicht auf muillen im Gedicht auf den h. Georg zu berufen, welches villeicht mulljen heißen foll. Den fibenten Vokallaut, welchem auch y nicht genügen foll, weiß ich nicht zu erraten."

Dagegen bemerkt Müllenhoff (Denkm.2 322) zu dem in der pfälzifchen Handfchrift des Otfrid erhaltenen Georgsliede, V. 38: man goihezen muillen ze pulver al uerpernnen,

nach Müllenhoff's Lesung:

"

man gohiez en müllen, ze pulver al verprennen:

Durch das ui in muillen fcheint der Umlaut ü bezeichnet zu fein. Auffallend genug: doch lässt fich die Anficht, dass die ersten Anfänge difes Umlauts nicht in die ahd. Zeit hinaufreichen, daraus nicht erweifen, dass er aus den Handfchriften nicht zu erkennen ist; noch mhd. Handfchriften, z. B. die Gießener des Iwein lassen ihn unbezeichnet."

Auch im Ndd. blib der Umlaut oft noch lange unbezeichnet, wo er doch wol fchon vorhanden war. Lübben fcheint mir in der Läugnung des Umlautes im Mnd. zu weit gegangen zu fein. (Vgl. darüber meine Beiträge zur Gefchichte der Rechtfchr. II, 72 ff.) Das y wurde ja auch im Nord. und Agf. als Umlaut von u gebraucht. Wir werden daher wol dabei bleiben müssen, dass Otfrid durch y den Laut ü habe andeuten wollen.

Für das griechische y im fremden Worte sillaba fchreibt Otfrid I, 1, 23 bereits i. (Vgl. Grimm Gramm. 13 80, Wackernagel, Umdeutfchung, Kl. Schr. III, 276.)

Was den fibenten Vokal betrifft, von dem Lachmann fagt dass er ihn nicht zu erraten wisse, so kann, da an den Umlaut ở zu

Otfrids Zeit im Hochdeutschen nicht zu denken ist, wol nur das tonlofe e gemeint fein. In unbetonten Silben war dis, wenn es auch kein befonderes Zeichen hatte, im Ahd. nach Lachmanns eigenen Ausfürungen fchon vorhanden. Lachmann, über ahd. Betonung und Verskunst (Kl. Schr. I, S. 401) bemerkt: „dass die hochdeutsche Sprache, fo früh wir fie kennen, fchon einzeln und allgemach immer mer, den Ableitungsfilben ire vollen Vokale entzieht und fie in ein unbetontes e abschwächt, wärend fie den Flexionsendungen bis ins 12. Jarh, weit mer die ursprünglichen Laute, oft fogar noch die Länge lässt.“ S. 402. „Die oberflächlichste Betrachtung otfridischer Verfe muss leren, dass ihm das tonlofe e ein fo guter Vokal ist als alle anderen, dass er es fer oft in die Hebung des Verfes fetzt, wo die folgende Senkung einen vollen und oft einen langen Vokal oder Diphthong enthält.“

Auch unfere gewönliche Schrift hat noch heute kein befonderes Zeichen für difen unbetonten, außerhalb des Hellwag-Chladnifchen Dreiecks ftehenden Vokal (Sweets mid-mixed-narrow), und überlässt es der genaueren Schreibung der Dialekte, fich zu helfen. Schmeller hat dafür ǝ, andere haben e oder & eingefürt.

Otfrids Bemerkung über das unfilbige (halbkonfonantifche) in consonantium potestatem übergehende i vor anderen Vokalen schließt fich unmittelbar an Donat an, bei dem es heißt: „i et u transeunt in consonantium potestatem, cum aut ipsæ inter se geminantur aut cum aliis vocalibus iunguntur, ut Iuno, vates." (Keil IV, 367.) So heißt es auch bei A elfric, ed. Zupitza, S. 6: „i and u bêod âwende tô consonantes, gif hî bêod togædere gesette odde mid odrum swêgendlicum.“ (Über die unfilbigen Vokale vgl. Sievers Phonetik 123; Kräuter Lautverfch. Anh. I.) Bei Otfrid find die vokalifchen i und u von den konfonantifchen forgfältig durch die Accente unterfchiden. (Vgl. Erdmann, S. III und 329; Piper, Lit.-Gefch. u. Gramm. 278.)

Die Entstehung des Zeichens w aus uu deutet fchon darauf hin, dass w im Ahd. noch dem Vokal u näher ftehend halbvokalifch und bilabial, noch nicht labiodental (genauer labio-marginal) war. (Vgl. Grimm I2 139.) Statt der zufammengefetzten Anlaute sw, thu, dw, zw steht bei Otfrid noch einfach su, thu, du, zu (cf. Erdmann XII) z. B. gisuichen IV, 13, 25, thuingan III, 7, 65, thuungin V, 20, 87; duellen I, 27, 16, dualta I, 19, 17; suival II, 12, 17 etc. (vgl. Kelle II, 483 f.). Die Angelfachsen fuchten fich durch die Rune wên zu helfen, für welche fpäter ebenfalls w eintrat.

In betreff des k und z bemerkt Lachmann: „dass Otfrid die unlateinischen Buchstaben als notwendiges Übel anfehe, fei ihm oft als Befchränkung vorgeworfen." Ich kann indes in den Worten Otfrids nicht finden, dass er die k und z als ein Übel anfehe. Er fagt vilmer nur: unfere Sprache gebrauche fie öfter extra usum latinitatis, und dass es grammatici gebe, welche fie für überflüssig erklärten.

Das durch die hochdeutfche Lautverfchiebung aus t entstandene z hatte ich, wie Jakob Grimm und Graff unzweifelhaft nachgewifen haben, fchon im S. Jrh. in zwei Laute gespalten:

1) z dem Afrikatdiphthongen ts,

2) 3

einer einfachen Spirans (= unferm ß wie in gießen). Im Anlaut ist z diphthongifch =ts gebliben, wärend urfprünglich einfaches im In- und Auslaut im allgemeinen unter Verdrängung des t zur bloßen Spirans geworden ist.

Otfrid hatte, wie es mir scheint, in der citirten Stelle den Gebranch des z für die Spirans im Sinn. Von z = ts hätte er wol kaum fagen können, dass es extra usum latinitatis fei, da Z, wenn es auch erst nach Festsetzung des übrigen Alphabetes, zugleich mit dem Y, aus dem griechifchen Alphabet in das lateinifche aufgenommen und an den Schluss desfelben hinter X geftellt wurde (vgl. Kirchhoff, Studien zur Gefchichte des griech. Alph.3 120), doch in der lateinischen Schrift die Geltung ts erlangt hatte. Von difem z hätte er doch wol nur fagen können, dass es in der deutfchen Sprache vil häufiger vorkomme als in der lateinifchen.

Schon der Schreiber der Pariser Handfchrift des Ifidor de nativitate domini, wol auch ein gelerter Mönch, hatte das Bedürfnis gefült, den Spiranten durchgehends von dem Affrikatdiphthongen z zu unterfcheiden; er hatte zu dem Hilfsmittel gegriffen, dass er f, ff als Determinativ hinter z fetzte, wärend andere Schreiber das Determinativ I vor das z fetzten, was mit der Zeit das gewönlichere wurde.

Doch war man in Fulda und in St. Gallen in bezug auf die Schreibung der Zifchlaute hinter der Genauigkeit des Schreibers des Ifidor zurückgebliben, indem in beiden Schulen das Zeichen z in der doppelten Bedeutung der Affrikata und der Spirans one Unterscheidung beibehalten wurde, obwol fich auch fowol in Fulda wie in St. Gallen einzelne sz einftellten. Im Tatian (vgl. Sievers Vorrede S. 14) findet fich einmal sz: gisasznisso, urfprünglich hatte es aber öfter in der Handschrift geftanden. In der Benediktinerregel

« PreviousContinue »