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Plastizität sein. Und wenn unten (im dritten Abschnitt) der Beweis erbracht wird, daß die vom Entwurf (Art. 14, § 3) noch vorgesehenen Behandlungsarten mit Strafcharakter keine Strafen im strengen Sinne sind, so haben wir in dieser Limitierung auch die eigentliche Grenze der Strafunmündigkeit zu erblicken.

Hier vergleichend auf die bestehenden kantonalen und außerschweizerischen Gesetzgebungen zurückzugreifen, wäre natürlich verkehrt, da diese in der Hauptsache noch auf den Prinzipien der Zurechnungsfähigkeit ruhen und deshalb seinerzeit aus ganz anderen Gesichtspunkten zur Absteckung der kritischen Periode, zu der untern Grenze absoluter Strafmündigkeit gelangten. Wir sind deshalb darauf angewiesen, unter ähnlichen neueren Bestrebungen des Auslandes Umschau zu halten.

In den Verhandlungen der deutschen Kommission schwankten die Meinungen bezüglich der Festlegung der obern Grenze zwischen dem 12. und 16. Lebensjahr. Vereinzelt wurde schon da die Ansicht vertreten, daß vor allen Erörterungen über Verstandesreife und Charakterbildung der eine Gedanke in den Vordergrund gerückt werden müsse: die jugendlichen Verbrecher möglichst lange von den Gefängnissen und Strafanstalten fernzuhalten, weil da die Besserung nicht zu erwarten sei. Aus diesem Grunde wurde schon damals das Hinaufrücken der Altersgrenze bis zum vollendeten 18. Lebensjahre beantragt. Appelius, der für deutsche Verhältnisse mit dem Zeitpunkt der vollendeten Geschlechtsreife auch die sittliche Entwicklung als abgeschlossen annahm und deshalb die Grenze auf das 16. vollendete Altersjahr setzte, gibt doch zu, daß auch nach Erlangung der ethischen Reife Erziehung noch sehr oft nötig und möglich sein werde.1

Die Jugendstrafgesetze der einzelnen nordamerikanischen Staaten schwanken ebenfalls zwischen dem 16. und 18. Jahre.2 Für die Niederlande gilt das 18. Altersjahr, mit Ausnahme derjenigen Jugendlichen, die sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben, das im Minimum. mit dreijähriger Gefängnisstrafe bedroht ist.

Gegen die Festsetzung einer bestimmten oberen Altersgrenze sprach sich D. O. Engelen aus. Er begründet seine Ansicht: ,mais pour les mesures qui touchent la nature même de l'individu, l'âge n'est pas la chose principale, c'est l'éducation, le développement, le

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milieu dans lequel il a vecu qui l'emportent et alors une limite d'âge peut être funeste. on a aboli chez nous [in Holland] un terminus a quo, se fiant aux magistrats qu'ils ne poursuiveront un nouveau-né; de même, il me semble, on aurait pu se fier à eux qu'ils ne mettront pas à la disposition du gouvernement, pour un régime d'éducation, un cinquantenaire.“

Entsprechend konsequent wäre es dann aber auch, für Individuen, bei denen der Richter die Überzeugung gewonnen hat, daß hier nichts mehr zu bessern, noch zu verschlechtern sei, auf jeden Fall die gewöhnlichen Strafen eintreten zu lassen. Dies geschieht auch zum Teil in Holland (vis-à-vis des majeurs de 16 ans, le juge a la faculté de laisser de coté toutes ces dispositions et d'infliger les peines ordinaires fixées pour les delinquants qui ont passé la limite de 18 ans) und ebenso, wie schon erwähnt, in England.1 Doch konnten sich auch diese Staaten nicht entschließen, von einer sicheren gesetzlichen Grenzlinie abzusehen, wohl in der richtigen Erwägung, daß dadurch die individualisierende Aufgabe des Richters bis zum Übermaß gesteigert würde. Und soweit überhaupt die Beurteilung eines Menschen selbst wieder von der Individualität des Beurteilenden abhängt, wäre damit einer lokal und temporal verschiedenen Rechtsprechung Tür und Tor geöffnet.2

Der Gedanke schließlich, zivil- und strafrechtliche Mündigkeit zusammenfallen zu lassen, erschien weder der Kommission der deutschen Landesgruppe der internationalen kriminalistischen Vereinigung noch den Beratern unseres Entwurfs als tunlich, in Hinsicht nämlich auf die sehr zweifelhafte Besserungsfähigkeit dieser Altersklasse [18. bis 20. (21.) Altersjahr].3

Wie konsequent der Gesetzgeber den Besserungsgedanken erfaßt und durchgeführt hat, zeigt sich darin, daß er auf das Alter des Täters im Augenblicke der richterlichen Entscheidung, und nicht zur Zeit der Tat, abstellt (Art. 14, § 1, 6. Alinea). Letzteres müßte geschehen, so lange man den jugendlichen Verbrecher für seine Tat bestrafte; jetzt, wo sich das richterliche Interesse fast ausschließlich seiner Person zuwendet und nach ihr die anzuwendenden Maßregeln

1 Geschichtl. Einleitung § 3.

Es bleibt zu erwähnen, daß der Entwurf zu einem norwegischen Strafgesetzbuch (1895) noch auf den Discernementbegriff abstellt und darnach folgerichtig für die verschiedenen Deliktskreise verschiedene obere Altersgrenzen feststellt; ähnlich Strafgesetzbuch des Kant. St. Gallens (1885).

3 Vgl. Appelius, S. 82,3.

bemessen werden, wird konsequenterweise der gegenwärtige Zustand des Täters entscheidend. Hat er aber einmal die obere Altersgrenze überschritten, so spricht die gesetzliche Vermutung der Adaptionsfähigkeit nicht mehr für ihn; er untersteht dem normalen Strafgesetz (siehe unter III).

Durch obige Bestimmung gestaltet sich der Übergang gewiß nicht weniger schroff. Man denke unter anderem an den Fall, daß ein Jugendlicher, der mit 171/2 Jahren einen Diebstahl beging, noch vor Erreichung der privilegierten Altersgrenze vor den Richter gestellt wird. Er wird als verwahrlost befunden und in eine Erziehungsanstalt verwiesen. Mit der Vollendung des 18. Lebensjahres hört aber die Besserungsfähigkeit auf. Wäre vielleicht ein Jahr nach begangener Tat derselbe Jugendliche, jetzt 181/2jährig, in Untersuchung gezogen worden, so kämen für ihn nun die Strafbestimmungen, allerdings gemildert (siehe unter III), in Anwendung. Das Unlogische liegt nun darin, daß man scheinbar glaubt, wenn bei einem Jugendlichen kurz vor Erreichung der oberen Altersgrenze die Wirkungen der staatlichen Erziehung eingreifen, müßten auch die übrigen zwei bis drei Jahre, welche jenseits der Plastizitätsgrenze liegen, von Erfolg gekrönt sein, während eben durch die Regel ausgesprochen wird, daß im allgemeinen nach Überschreitung der obern Grenze nichts mehr zu hoffen sei. Das eine halbe Jahr, welches im Einzelfalle zu einem Monat oder noch weniger werden kann, soll demnach eine derartige, vorbereitende Wunderwirkung tun, daß die Regel dadurch umgestoßen wird? Es ist oben (unter I) gezeigt worden, daß solche Härten die Folgen jeder gesetzlich gewillkürten Limitierung sind; dann aber werden es vor allem zweckmäßige Bestimmungen der Verjährungslehre sein, welche geeignet sind, die Schroffheit des Überganges etwas abzuschleifen.1 Der Gesetzgeber behalf sich vorläufig zum Teil auch dadurch, daß er für die Zeit des vollendeten 18. bis 20. Lebensjahres gesetzliche Strafmilderung eintreten läßt (Art. 14, § 1, 6. Alinea und Art. 49, § 1).

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III. Übergangsperiode (18. bis 20. Altersjahr). Neben der gemachten Erwägung fällt als Strafmilderungsgrund in Betracht, daß erst mit diesen Jahren Verstand und Charakter durchschnittlich zu

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2 Vgl. Appelius (S. 84): „Mit dem Augenblick, wo die Anordnung der Erziehung in Wegfall kommt, muß das ordentliche Strafgesetz zu seinem Recht kommen." Ferner: u. § 15.

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ihrer Reife und vollen Stärke gelangen.' Appelius (Seite 85), der namentlich die Tatsache in Erwägung zieht, daß gerade von den allerschwersten Verbrechen, heutzutage besonders politische, von eben erwachsenen Burschen den „Buben der Propaganda der Tat" begangen werden, ist allerdings der Ansicht, diese dritte Periode, dieses Privilegium einer milderen Beurteilung, sei ganz fallen zu lassen. Dies läßt sich nicht ohne weiteres auch auf die Bestimmungen des Entwurfes übertragen, da hier und dort die Voraussetzungen andere sind. Die mehrfach erwähnte deutsche Kommission, deren Berichterstatter Appelius ist, wollte damals für die Periode des 14. bis 18. Jahres das Kriterium der sittlichen Reife aufstellen, ging also von einer Zeit zweifelhafter Strafmündigkeit aus, an die sich nun erst wieder die Periode absoluter Strafmündigkeit mit Milderung angliedern sollte. Der Entwurf hingegen kennt eine Periode zweifelhafter Zurechnungsfähigkeit (im Sinne des Kriteriums der sittlichen Reife) nicht; absolute Strafmündigkeit und absolute Strafunmündigkeit liegen ohne ein vermittelndes Zwischenglied hart aneinander, wodurch eben dieser Übergang mit gesetzlicher Strafmilderung nötig gemacht wird. —

Für diejenigen Fälle schließlich, wo ein Jugendlicher nach Überschreitung der oberen Altersgrenze für eine in früher Jugendzeit begangene Tat verurteilt werden sollte, gibt Art. 16 des Entwurfes (Unzurechnungsfähigkeit = subjektive Unmöglichkeit zur Zeit der Tat, vernunftgemäß zu handeln) in seiner allgemeinen Fassung das nötige Corrigens ab.2

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Anhang. Trotz einer mittleren Periode bedingter Strafmündigkeit (zweifelhafter Zurechnungsfähigkeit) kennen eine Zeit gesetzlicher Strafmilderung die folgenden kantonalen Strafgesetze: Thurgau, Bern vom 16. bis 18. Altersjahre; Zürich, St. Gallen vom 16. bis 19. Altersjahre; Tessin, Zug, Schaffhausen, Freiburg vom (14.) 16. bis 20. Altersjahre; Solothurn vom 18. bis 20. Altersjahre.

1 v. Krafft-Ebing (Lehrbuch der gerichtlichen Psychopathologie, 1881) verlangt Milderungsgründe bis zum 21. Lebensjahr, wo im allgemeinen das mensehliche Hirn erst seine völlige Reife erlange.

2 Zum Ganzen zu vergleichen: Krohne, Lehrbuch der Gefängniskunde, S. 275; Aschrott in der zitierten Schrift, S. 21.

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Daß dabei für die Zeit zweifelhafter Zurechnungsfähigkeit bei nachgewiesenem Discernement auch nur die gemilderte Strafe Platz greift, ist selbstverständlich. Es ist zu beachten, daß für das Delikt der Eigentumsschädigung (Art. 87 § 3) der Entwurf auch nach Überschreitung des vollendeten 20. Altersjahres bei Unbedacht oder jugendlichem Leichtsinn des Täters eine sehr weitgehende, allerdings nur fakultative Strafmilderung statuiert.

Schroffer gestaltet sich gegenwärtig der Übergang, wenn sich die Periode der Strafmilderung mit derjenigen der zweifelhaften Zurechnungsfähigkeit deckt und in dieser erschöpft in dem Sinne, daß bis zu einer gewissen Altersgrenze bei Bejahung des Discernements immer Strafmilderung einzutreten hat. Diese Periode mündet dann übergangslos in jene absoluter Zurechnungsfähigkeit, wo die Möglichkeit der Strafmilderung ganz entfällt.

Dies trifft zu für folgende Kantone: Wallis bis zum 14. Altersjahre; Genf, Appenzell A.-Rh. bis zum 16. Altersjahre; Waadt, Luzern, Basel, Neuenburg bis zum 18. Altersjahre.

II. Abschnitt.

§ 8.

Die bedrohte Handlung.

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I. Allgemeines. Ein Jugendlicher, der eine als Verbrechen bedrohte Tat begeht, wird nach folgenden Grundsätzen behandelt." (Art. 14, 2. Alinea; desgleichen für die Übertretungen Art. 226).

Die dem richterlichen Einschreiten zugrunde liegende Handlung ist, wie wir gesehen haben, für die Entscheidung selbst unwesentlich und durch das Übergewicht der jeweiligen Persönlichkeit verdrängt worden. Die Tat interessiert nur soweit, als sie über den Charakter des jugendlichen Täters Aufschluß gibt, also als ein Beitrag zur Geschichte des Individuums und natürlich insofern, als der Tatbestand im Interesse einer geordneten Rechtspflege zur Vermeidung späterer Verwechslungen und falscher Verdächtigungen stets festgestellt werden muß.

Daß das Gesetz nicht von Verbrechen (oder Übertretung), sondern von einer als Verbrechen (oder Übertretung) bedrohten Tat spricht, bestätigt die obige Behauptung, daß Jugendlichkeit an sich nach dem Wortlaut des Entwurfes Verbrechens- und somit auch Strafausschließungsgrund ist.1 Das bedeutet nicht, daß die jugendliche Täterschaft zur

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1 Vergl. hierüber § 5. S. auch Entw. Art. 12, wo sich der Gesetzgeber für verbrecherische Handlungen von Kindern des gleichen Ausdruckes bedient: eine als Verbrechen bedrohte Handlung. Er könnte seine klare Meinung kaum deutlicher machen als durch diese Unterstellung der Taten sowohl von Kindern als von Jugendlichen unter ein und denselben Begriff.

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