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Vorrede.

Von den Artikeln, welche die vorliegende Schrift enthält,

sind 36 bereits vor mehreren Jahren in einer Festschrift gedruckt erschienen. Dieselben sind in diese Schrift wieder aufgenommen, nachdem sie vermehrt, vermindert, verändert, verbessert worden sind.

Die Absicht des Verfassers ist, die sprachlichen Wendungen aufzuzählen und durchzugehen, welche insbesondere bei den Griechen personificirend gebraucht werden. Diese Wendungen zerfallen in zwei Hauptgruppen. Die erste derselben ist in dem vorliegenden Theile behandelt. Das Charakteristische dieser Gruppe ist, dass die ihr zugehörigen Wörter und Wendungen die Vorstellung der menschlichen Körpergestalt erwecken. Es geschieht zunächst durch Wörter, welche Theile des menschlichen Körpers bezeichnen; die menschliche Gestalt ist es auch, welche von der Bezeichnung durch 9ɛós und durch die Beflügelung zur Anschauung gebracht wird.

Die Menschengestalt gelangt ferner zu sichtbarer Individualität durch Kleidung, Schmuck, Wohnung und dergleichen; Waffen, Geräthe und Derartiges erhöhen die Eigenartigkeit der Erscheinung; auf dem Gebiete der hier bezeichnenden Wendungen ist der Verfasser vorzugsweise von den mythi

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schen Personen ausgegangen, um durch die angeführten Beispiele den Reichthum der Alten in der plastischen Darstellung zu veranschaulichen. Schon hier, ferner in den Wörtern, welche aus der Sphäre der Pietätsverhältnisse stammen, in den Bezeichnungen durch Lachen, Weinen und manchen anderen treten Züge des Seelenlebens hinzu; doch sind sie noch gebunden und die menschliche Körpergestalt, deren Anschauung durch diese Wendungen hervorgerufen wird, bleibt das Ueberwiegende und ist das Gemeinsame, welches alle Artikel dieses Theiles, wenn auch nur mit lockerem Bande, zusammenschliesst. Der Verfasser weiss es wohl und hat es in manchem der folgenden Artikel ausgesprochen, dass in vielen dieser Wörter und Verbindungen die Kraft der Personification verblasst oder erstorben ist, dass sie durch langen Gebrauch die Schöpfungsfrische verloren haben und Münzen geworden sind von verwischtem Gepräge; wenn er dessen ungeachtet auch solche Wendungen angeführt hat, so geschah es aus dem Bestreben, den. bildlichen Gebrauch der fraglichen Wörter bis an die äusserste Grenze zu verfolgen; hat er hier des Guten zu viel gethan, so mag der unerbittlichen Kritik gegenüber die,, Liebe zum Worte" und das Interesse für die poetische Sprache wenn nicht als Anwalt, so doch vielleicht als Fürsprecher für ihn auftreten.

Die zweite Gruppe und der zweite Theil dieser Schrift wird das Gebiet der Wendungen und Wörter behandeln, welche Geistesverhältnisse bezeichnen, menschliche Gesinnung und Seelenleben oder eine hieraus entspringende Thätigkeit ausdrücken und personificirend auf Natur- und Zeitverhältnisse, abstracte Begriffe und mechanische Gegenstände übertragen werden. Auf diesem Gebiet feiert die Sprache Shakspere's durch Originalität und verwegene Combination ihre glänzendsten Triumphe, bleibt aber auch der Nieder

lage durch Anwendung des Seltsamen, Gesuchten und Bizarren nicht immer fern.

Auch in dem vorliegenden Theile hat Shakspere's Sprache ein Contingent von zum Theil sehr originalen Beispielen gestellt. Neben ihm ist von deutschen Dichtern Göthe mit anderen benutzt worden. Aus beiden Dichtern zu schöpfen war dem Verfasser subjectives Bedürfniss. Beide bezeichnen die Summe der höchsten Leistungen, welche der poetische Genius der neueren Zeit hervorgebracht hat; beide, wie verschieden auch unter sich, stehen gleichberechtigt auf der höchsten Höhe dichterischer Genialität. Wenn auch der Satz des G. G. Gervinus zweifelhaft ist, dass Shakspere ein Lehrer von unbestreitbarer Autorität und der wählenswürdigste Führer durch Welt und Leben sei, eine Autorität und Führerschaft, gegen welche G. Rümelin in seinem geistvollen und schön geschriebenen Buche Protest erhoben hat, so ist doch gewiss, dass beide Dichter die freigebigsten Begleiter 1) auf der Lebensbahn für diejenigen sein können, die es lieben in die Tiefen des Menschenherzens hinabzusteigen, die Mannigfaltigkeit der Schönheitsformen zu erkennen und practische Weisheit in goldnen Sprüchen aus der Hand der Muse zu empfangen. Für die specielle Arbeit des Verfassers war die Benutzung der beiden Dichter auch objectiv geboten. Durch Shakspere wollte er an vielen Stellen den Unterschied des malerisch-individualisirenden Stils von dem antik-plastischen kenntlich machen, ohne für den willigen Leser immer mit dem Finger auf denselben hinzuweisen, durch Goethe die Verwandtschaft mit den Alten.

1) Jüngling, lerne du bei Zeiten,

Wenn sich Sinn und Geist erhöht,
Dass die Muse zu begleiten,
Doch zu leiten nicht versteht.

Göthe.

In dieser ist der deutsche Dichter für den deutschen Philologen ein unvergleichlicher Schatz; denn die Plasticität der Alten erzog seinen Formensinn, ohne seiner Seele die freie Originalität und die germanische Tiefe zu rauben. Aus dem Grunde der Verwandtschaft hat auch der geläuterte und hohe Formensinn Schiller's Beispiele geliefert und Hölderlin so wie andere neuere Dichter sind Quellen gewesen.

Schliesslich bitte ich die wenigen Leser, welche diese Schrift benutzen wollen, die sinnstörenden Druckfehler zu entschuldigen und die Berichtigungen derselben sich ansehen zu wollen.

Parchim, den 6. Januar 1868.

Hense.

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