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schauung des Antipater Sidonius, welche Crinagoras nachahmte, entspricht es, wenn den Bäumen, die auf dem Grabhügel des Protesilaus standen, von Antiphilus Zorn zugeschrieben wird; wenn sie die Mauer von Troja erblicken, vertrocknet der Unmuth ihr Laub. Wegen des Todes des Agricola weint, wie derselbe Antiphilus darstellt, die Quelle und vertrocknet. 1)

Die Personification der Natur entspringt ferner aus der Leidenschaft des Menschen. Je lebhafter dieselbe ist, desto mehr ist er geneigt, der Natur eine moralische Gesinnung und Theilnahme zuzuschreiben. An die lebendige moralische Theilnahme der Natur appellirt Prometheus bei Aeschylus (Prom. 88-95) in seinen gewaltigen Leiden: „,0 heiliger Aether," ruft er aus,,, schnellbeschwingter Windeshauch, ihr Stromesquellen, du Meer, das in unzähligen Wogen lacht, Erde Allgebärerin, und Du allschauendes Auge der Sonne, Euch ruf ich an! sehet, was ich, ein Gott, von Göttern dulden muss; erblicket, von welcher Schmach gequält ich Jahrtausende hier mich abhärmen soll." 2)

1) Antiphil. 37, 5 (Jac. Anth. 2 p. 164). Antiphil. 39 (Jac. Anth. 2 p. 165).

2) Diese Anschauung kehrt bei neueren Dichtern wieder; in individualisirender Energie bei Shakspere im König Lear. Von der Undank barkeit seiner Töchter tief ins Herz getroffen ruft der greise König aus (3, 2; Del. p. 72);

Blast, Wind', und sprengt die Backen! Wüthet! Blast!

Ihr Cataract' und Wolkenbrüche, speit,

Bis ihr die Thürm' ersäuft, die Hähn' ertränkt!

Ihr schweflichten, gedankenschnellen Blitze,

Vortrab dem Donnerkeil, der Eichen spaltet,

Versengt mein weisses Haupt! Du Donner schmetternd,
Schlag' flach das mächt'ge Rund der Welt; zerbrich

Die Formen der Natur, vernicht' auf Eins

Den Schöpfungskeim des undankbaren Menschen.

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In Goethe's Drama Die natürliche Tochter" p. 286 ruft der Herzog aus, da er die geliebte Tochter für todt halten muss:

Ihr Fluthen schwellt,

Zerreisst die Dämme, wandelt Land in See!

Eröffne deine Schlünde, wildes Meer!

Verschlinge Schiff und Mann und Schätze! Weit

Verbreitet euch, ihr kriegerischen Reihen,

b*

Je lebhafter, je erregter die Stimmung ist, desto mehr wird der Natur Mitempfindung zugeschrieben. Hochpoetische

Und häuft, auf blut'gen Fluren, Tod auf Tod!
Entzünde Strahl des Himmels dich im Leeren
Uud triff der kühnen Thürme sichres Haupt!
Zertrümmr', entzünde sie und geissle weit,
Im Stadtgedräng, der Flamme Wuth umher,
Dass ich, von allem Jammer rings umfangen,
Dem Schicksal mich ergebe, das mich traf!

Bei der Nachricht, dass Tell gefangen und der Freiherr von Attinghausen todt sei, ruft der Fischer (Schiller, Wilhelm Tell p. 111) aus:

Erheb' die freche Stirne, Tyrannei,

Wirf alle Scham hinweg! Der Mund der Wahrheit

Ist stumm, das sehnde Auge ist geblendet,

Der Arm, der retten sollte, ist gefesselt!

Der Fischerknabe bemerkt: es hagelt schwer; und der Fischer

fährt fort:

Raset, ihr Winde! Flammt herab, ihr Blitze!
Ihr Wolken berstet! Giesst herunter, Ströme
Des Himmels, und ersäuft das Land! Zerstört
Im Keim die ungeborenen Geschlechter!
Ihr wilde Elemente werdet Herr!

Ihr Bären, kommt, ihr alte Wölfe wieder

Der grossen Wüste! euch gehört das Land.

Wer wird hier leben wollen ohne Freiheit?

Julian in Geibel's König Roderich p. 65 ruft aus, als er die Schande seiner Tochter erfahren hat:

So brecht

Zusammen denn, ihr Pfeiler dieses Hauses!
Begrabet mich und meine Schmach! Empor,

Du zorn'ge See aus deinen trägen Ufern

Und reisse diesen Fels in deinen Schlund,

Und mit ihm meinen Schandfleck! Auf, ihr Donner
Des Firmaments, und läutet Sturm im Weltall,

Dass man vor eurem Dröhnen nicht die Kunde

Vernehme, wie die Tochter Julian's

Zur Dirne ward.

Grabbe, Kaiser Friedrich:

Vom Himmel stürzet Sonnen! Alpen

Schmelzt hin wie Schnee, wenns thaut im Lenz;

Erdball

Erbebe! Felsen löst euch auf in Rauch

Und Dampf, denn heut vergeht die deutsche Treue.

Stellen sind bei Shakspere. Hamlet bezeichnet die That seiner Mutter, die mit dem Mörder ihres Gemahls sich verbunden hat, als eine so entsetzliche, dass ,, des Himmels Antlitz glüht, dass die Erde trotz ihrer Festigkeit und Massenhaftigkeit mit traurigem Antlitz, als nahte sich der jüngste Tag, trübsinnig über diese That ist." 1) Im Macbeth 2, 4 (Del. p. 62) ist durch die grausige Ermordung Dunkan's das Leben der mitempfindenden Natur gestört: „,Du siehst es, guter Vater," sagt Rosse,,, wie der Himmel auf diese blut'ge Bühne niederdräut, als ob das Spiel der Menschen ihn verfinstere. Der Uhr nach ist es Tag, doch dunkle Nacht erstickt die Wanderlampe; Uebermacht des Dunkels ist es oder Scham des Lichts, dass Finsterniss das Angesicht der Erde umgruftet, während sie der Sonne Kuss beleben sollte."

Eine moralische Indignation wird der Natur zugeschrieben. Dem Mythus gehört an, dass Helios sein Antlitz abwendet von grossen Verbrechen und Vergehungen, eine schöne Vorstellung, den antiken Dichtern geläufig und von neueren wie von Göthe in der Iphigenie benutzt, von Aristophanes zur Verspottung des Kleon gebraucht. 2) An das moralische Gefühl des Helios wird daher appellirt, dass er Verbrechen verhüte, wie in einer Stelle des Ennius; an seine mitempfindende Theilnahme wendet sich das Unglück, wie bei Euripides und Theodectes. 3) Wie Helios sein Haupt abwendet von Verbrechen, so empfinden die Quellen schimpfliche Thaten mit verzehrendem Kummer. Eine Quelle, die reine genannt, so dichtet Apollonidas, verschwand, weil ein Räuber Männer

Lindner, Stauf und Welf:

Stürzt vom Himmel, Sonnen, beugt ihr Alpen

Die Häupter in das Meer! Komm wieder, Chaos!

Denn heut vergangen ist die deutsche Treue!

1) Shaksp. Haml. 3, 4 (Del. p. 100). Vgl. 1, 1 (Del. p. 15).

2) Vgl. die Stellen bei Welcker, die griechischen Tragödien 1 p. 361.

Ovid. Tr. 1, 8, 1. 2. Loers zu Ovid. Tr. 2, 391.

Statyll. Fl. 9, 2 (Jac. Anth. 2 p. 240). Eur. Or.

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- 28. Ar, nub. 575.

3) Ennius 237 fr. 10 (Nauck p. 625).

Propert. 3, 22, 30.

1001

-

- 1006.

Soph.

39. Euripides in Jac. Anth. 1, p. 496. Theodectes,

getödtet hatte, die neben ihr ruhten, weil der Räuber die mordbefleckte Hand in dem heiligen Wasser gewaschen hatte; sie verschwand und sprudelte nicht mehr für den Wanderer, denn nun wäre sie die reine nicht mehr genannt worden. Dieselbe Anschauung herrscht in dem nachgeahmten Epigramme des Antiphanes. 1)

Da man der Natur moralische Gesinnungen zuschreibt, erfährt sie für ihre Handlungen auch Tadel oder Anklagen. Durch Schiffbruch Umgekommenen wird eine anklagende Anrede an das Meer in den Mund gelegt von Leonidas Tarentinus. Ein anderer Schiffbrüchiger klagt das Meer an, dass es nicht aufhöre, seine Asche zu beunruhigen. Archias schreibt dem Meere eine feindselige, Antipater Thess. eine unversöhnliche Gesinnung zu. In einer Fabel des Babrius klagt der Landmann das Meer als grausames, den Menschen feindseliges Element an, das Meer seinerseits vertheidigt sich. Seine Verwunderung spricht in schön personificirender Weise Antiphilus über den Winterstrom, Duris über die Wolken aus, aus welchen die Ueberschwemmung von Ephesus stammte. 2) Wie man die Natur anklagt, ihr Vorwürfe macht, so wird sie auch begrüsst, ihr Dankbarkeit erwiesen. Anmuthig ist das Epigramm des Leonidas Tarentinus, nach welchem Aristokles der Quelle, die seinen Durst gestillt hatte, einen Becher weiht. Freue dich, ruft er aus, kühles aus dem Felsen hervorspringendes Wasser. 3)

Diese personificirende Beseelung der Natur, in der Götter bildenden Phantasie der Alten bereits unermüdlich thätig, ist den neueren Dichtern nicht minder eigen. Oft schliessen sie sich an die mythischen Gestalten des Alterthums an. Göthe's Gedicht an Luna, Rückert's,, An die Göttin Morgenröthe," Hölderlin's,, Sonnenuntergang" und "Dem Sonnen

1) Apollonid. 11 (Jac. Anth. 2, p. 121). Antiphanes 7 (Jac. Anth. 2 p. 189). 2) Leonid. Tarent. 96 (Jac. Anth. 1, p. 180). Vgl. auch Asclepiades 38 (Jac. Anth. 1 p. 152). Philipp. 81 (Jac. Anth. 2 p. 218). Archias 33, 3 (Jac. Anth, 2, 89). Antipat. Thessal. 69, 1 (Jac. Anth. 2, p. 113). Antiphil. 31 (Jac. Anth. 2 p. 162). Vgl. Ovid. Amor. 3, 6,

5. Duris (Jac. Anth. 2 p. 59). Babrius 71, 3—6.

3) Leonid. Tarent. 58 (Jac. Anth. p. 169).

gotte" mögen aus der grossen Fülle von Beispielen hervorgehoben werden. Dichter, wie der letztere, von glühender Liebe zu den Griechen erfüllt, haben auch die mythische Naturpersonification derselben vorzugsweise sich angeeignet, wie die Elegie,,Archipelagus" vor allem beweist. Aber von

allem Mythischen losgelöst in frei poetischer Weise hat die neuere Poesie diese Belebung und Gestaltung der Natur hervorgebracht und zwar mit einer Individualisirung und Vertiefung, mit einer malerischen Innigkeit, wie sie den Alten fremd war. Mahomet's Gesang von Göthe, Möricke's ,, Mein Fluss", Lenau's ,, Sturmesmythe" personificiren Quell und Fluss und Meer in tief empfundener, frei poetischer Weise, während das herrliche Gedicht des Horaz an Bandusia's Quell (3, 13) an das Mythische anknüpft. Ueberaus häufig erscheint diese personificirende Neigung der Neuern in der Darstellung der Tages- und Jahreszeiten; mit Herder's Gedicht an die Nacht mag Rückerts schönes Gedicht (An die Nacht p. 248) oder das phantasievolle von Möricke „Tag und Nacht" verglichen werden; in dem Gedichte der Felicia Hemans (the song of Night) spricht die Nacht selbst von allen den Gaben, welche sie den Menschen bringt. Welche persönlichen Eigenschaften diesen personificirten Gestalten geliehen werden, geht aus der Stimmung der Redenden hervor: der finstere König Johann, auf den Tod des Arthur sinnend, nennt dem Hubert gegenüber bei Shaksp. den Tag stolz, der von den Ergötzungen der Welt umringt allzu üppig und zu geputzt sei, um ihm Gehör zu geben; er nennt ihn den brütend wachsamen Tag und Möricke sagt:,, der freche Tag verstummt." Ueberaus häufig ist die Personification des Frühlings, Herbstes, Winters. In einem herrlichen Gedichte Tieck's (Sternbald's Wanderungen, Werke 16, 135) ist der Frühling ein Kind, das den Obstbaum mit röthlicher Hand rührt, die Aprikosenwand hinaufklettert, in den verschlossnen Garten in Eile übers Gitter steigt, seine Spielkameraden, die Lilie, Tulpe, Rose ruft u. s. f. Oder Frühling und Winter treten selbst als Personen auf, wie bei Shakspere in ,,Verlorner Liebesmühe ", freilich hier nur als allegorische Gestalten. Je mehr auf dem Naturgebiete die freipoetische Personifica

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