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Zweite Fortsetzung.

§. 30.

Wanderungen der Darlehen.

Wir haben oben (§. 15) gesehen, dass die Borger die geliehenen Gelder zu vier verschiedenen Zwecken anwenden, dass es mithin vier verschiedene Anlageplätze für Darlehen gibt: die Verwendung als Consumtionsgeld, oder als Kapitaliengeld, oder zur Errichtung oder zur Erwerbung von Sach- und Werthfonds, und viertens zur Tilgung von Schulden.

Da nun die wenigsten Borger eines Landes Verschwender sind, so werden auch die wenigsten Darlehen ihre Anlageplätze zu Consumtionszwecken finden; da man ferner nur selten Darlehen zur Erwerbung von Sach- oder Werthfonds aufnimmt, so werden die meisten angesparten, zum Ausleihen disponiblen Gelder zur Schuldenzahlung und als Circulationskapitale ihre Anwendung finden. Dies ist besonders in kräftigen, neu angebauten Ländern zutreffend, vo noch fast Jeder auf sein Arbeits- und Unternehmereinkonmen angewiesen ist.

Wenn aber auch schon die meisten sich bildenden Dalehen vorzugsweise den Anlageplätzen, wo sie als Unternehmerkapital fungiren, sich zuwenden, so sind sie doch in ihren Wanderungen zu den verschiedenen Zweigen dieser Anlageart selbst sehr wählerisch. So wie die ersten ersparten Unternehmerkapitale eines Landes mit Vorliebe auf len Ackerbau, als die von den Kunden unabhängigste Production, angelegt werden, so werden auch die ersten Darlelen, welche als Unternehmerkapitale Verwendung finden solen, mit Vorliebe an die den Landbau treibende Klasse, weil sie die beste Realsicherheit zu geben vermag, verlichen werden. Dergestalt werden die ersten, als Unternehmerkapital benutzten Darlehen der Fohstoffproduction sich zuwenden.

Erst später, wenn diese Productionsart mit Darehen

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gesättigt ist, bei der Geldanlage auf ländlichen Grundbesitz kein so hoher Zinsfuss mehr stipulirt werden kann, als der, wozu sich andere Arten Producenten verstehen, werden auch andern inländischen Gewerben und noch später auch dem auswärtigen Handel Darlehen zufliessen. Aus demselben Grunde werden zuletzt erst die Darlehen sich dem precären sogenannten Fuhrhandel und dem sehr gewagten Aventurhandel zuwenden.

Da nun der Ackerbau die Grundsäule der Volkswirthschaft und der inländische Verkehr wieder von grösserer Bedeutung und Nutzen, als der auswärtige Handel ist, so geht das Privatinteresse der Gläubiger bei der Wahl der Anlageplätze für ihre Darlehen mit dem Nationalinteresse Hand in Hand; denn diejenige Art der Geldanlage ist bei den Geldbesitzern immer die beliebtere, welche zu solchen Unternehmungen gemacht wird, die für die Gesammtheit die nützlichsten sind. Eine Regierung daher, die, um den Handel nach Aussen anzuspornen, Ausfuhrprämien oder sonstige Begünstigungen bewilligt, leitet die Unternehmerkapitale und die Darlehen von ihren natürlichen Anlageplätzen ab und gibt ihnen eine für die nationale Production dermalen noch schädliche Richtung.*)

Der erwähnte Stufengang beliebter Anlageplätze für Unternehmerkapitale und Darlehen gilt jedoch nur für neu angebaute Länder; in altcivilisirten Ländern aber, wo für die Nachfrage aller Gewerbszweige gewöhnlich genug Darlehen zu Markt kommen, werden dieselben sich mit Vorliebe

*) Ad. Smith (B. II. Ch. V.) will sogar den Wohlstand Amerikas zur Zeit seiner Abhängigkeit von England dem damaligen englischen Gesetze zuschreiben, wornach Amerika alle seine feineren Manufacturwaaren nur vom Mutterlande sich verschaffen durfte. Dadurch nun, dass Amerikas Ausfuhr- und Küstenhandel durch englische Kapitalien betrieben worden, seien zum Nutzen jener Colonie alle dort angesammelten Kapitalien dem Ackerbau zugeflossen.

demjenigen Gewerbszweige zuwenden, welcher dermalen am meisten gewinnbringend ist, weil von solchem auch die höchsten Darlehenszinsen gezahlt werden können; so z. B. die Waffen- und Lederfabrication in Kriegszeiten. Für die Beliebtheit der Darlehensanlagen entscheidet also die Höhe des Unternehmergewinns der Entleiher in indirecter Weise, während die Sicherheit und die Höhe des Zinsfusses dieselbe direct regulirt. Gewöhnlich sind diejenigen Gewerbe, die einen höhern Unternehmergewinn machen und einen höhern Zinsfuss als audere bezahlen können, dermalen auch für die Nation die nöthigsten und nützlichsten. Dergestalt geht also auch in altcivilisirten Ländern bei der Wahl der Darlehen-Aulageplätze das Interesse der Verborger mit dem der Gesammtheit Hand in Hand.

Obwohl die Darlehen vorzugsweise dem Gebrauch als Unternehmerkapital, und zwar den der Nation nützlichsten Gewerbszweigen mit Vorliebe sich zuwenden, so finden doch periodisch Ausnahmen von dieser Regel statt. So z. B. wird der Gewinnreiz eines zu einem höhern Zinsfusse ausgeschriebenen Staatsanlehens zu Eroberungszwecken die meisten Darlehen von andern Anlageplätzen abziehen und dieser Anlage als Consumtionsgeld zuführen; die neu sich bildenden Darlehen werden der Nachfrage der Unternehmer kein Gehör geben und die bisher besessenen werden ihnen entzogen werden. Eine solche künstlich erzeugte Wanderung der Darlehen zu Consumtionszwecken kann eine Trockenlegung der Unternehmernachfrage zu Kapitalienzwecken bewirken. Diese Calamität für die nationale Production kann sich noch vergrössern, wenn gleichzeitig mit dieser Darlehensnachfrage zu Consumtionszwecken auch eine zu Erwerbung von Werthfonds, Fondspapieren entsteht, wie wenn eine Aussicht auf grossen Gewinn durch eine Actienspeculation sich kundgibt. Beispiele einer solchen Collision des privaten und nationalen Interesses auf dem Kapitalienmarkte

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bieten die Geldklemmen und die Klagen über Creditmangel des Grundbesitzes in den Jahren 1856 und 1857.*)

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Aehnlich wie dergleichen Kriegsanlehen wirken alle Darlehensnachfragen zu Consumtionszwecken zu einem höhern als dem gewöhnlichen Zinsfuss. Ueber die aufgenommenen grossen Anlehen zur Verschönerung der Stadt Paris sagt ein wohlunterrichteter Schriftsteller **):,, Abgesehen davon, dass diese Neubauten ihre Productionskosten nicht werth ,, sind, muss man noch den Schaden, der daraus erwächst, ,,in Anschlag bringen, dass die Baugesellschaften, indem sie 7 bis 8 Procent Zinsen bewilligten, die Leibkapitale von andern Plätzen nach Paris zogen und auch den Handelstand von Lyon und Marseille 7 bis 8 Procent zu zahlen zwangen, oder ihnen ganz und gar die Darlehen entzogen.“ ***)

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Ebenso wie der Privatnutzen oft die Darlehen dem Consumtions- oder den Fondserwerbszwecken zuführt und die Unternehmernachfrage zu Kapitalzwecken Mangel daran leiden lässt, kann dies auch bei Darlehen eintreffen, welche die Verleiher als Kapitaliengeld zu übertragen gedenken, wenn nämlich der momentane Aufschwung eines besonderen Gewerbes oder die Handelsspeculation in einem besonderen

*) Berndt, Der Credit für den ländlichen Grundbesitz. Bodemer, Die Creditverhältnisse des Grundbesitzes im Königreich Sachsen. Sauken, Börsenzustände und der Credit des Landmanns.

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**) Bonnet, Le crédit et les finances, p. 182 - 185.

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***) Sehr richtig sagt Léon Faucher in seiner Rede in der französischen Repräsentantenkammer im Jahr 1850: Il y a une raison plus décisive encore de différer l'emprunt: c'est que le fonds dispo,, nible des capitaux auxquels s'adresse l'état, quand il emprunte, est le même qui subvient aux entreprises de l'industrie privée, et que ce fonds aujourd'hui n'est rien moins qu'inépuisable. Ne recommen,, çons pas les fautes de la monarchie. Le gouvernement de Juilliet, au moment où il inondait le marché d'actions de chemins de fer, ouvrit un emprunt de 200 millions, et, au lieu d'assister le crédit des compagnies, leur fit une concurrence qui devait être fatale à tout ,, le monde." (S. Mélanges d'Econ. Pol. par Faucher, I. p. 125.)

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Waarenartikel durch starke Darlehensnachfrage anderen Geschäfts- oder Productionszweigen die nöthigen Kapitaliengelder entziehen, wie dies z. B. der Fall ist bei voraussichtlicher Eingangssperre oder Zollerhöhung gewisser Artikel, oder wenn plötzlich viele Actiengesellschaften zur Errichtung von Spinnereien und zur Ausbeutung von Bergwerken ohne wirkliches Bedürfniss sich bilden. Durch solche plötzliche Ausdehnung eines einzelnen Productionszweiges und die dadurch entstehende ungewöhnliche Darlehensnachfrage zum Kapitaliengeld-Gebrauch können die bisher bestandenen Unternehmungen zum Schaden der Gesammtheit in ihrem Kapitalbedarf beeinträchtigt werden.

Obwohl bei Freiheit der Bewegung das Privatinteresse unter gewöhnlichen Umständen die Darlehen in die für die Gesammtheit nützlichsten wirthschaftlichen Kanäle leitet, ist doch zuweilen ein Eingreifen der Regierung nützlich und nöthig. Wenn z. B. eine Eisenbahn- oder Kanalanlage für das Gemeinwesen unbedingt erforderlich ist, die Rentner aber wegen geringer Rentabilität des Unternehmens sich davon zurückziehen, so ist es gerechtfertigt, wenn die Regierung durch das künstliche Mittel der Zinsengarantie viele Darlehen diesem Unternehmen zuzuführen sucht. Umgekehrt lässt es sich vertheidigen, wenn die Regierung mit Rücksicht auf die augenblickliche Noth des Geldmarktes die Concession für eine an sich nützliche Actiengesellschaft versagt, oder, wie es viele Regierungen im Jahre 1856 gethan, die Ausschreibung von Actieneinzahlungen verbietet.

§. 31.

Dritte Fortsetzung. - Entstehen, Vernichten und Grenze der Darlehen circulation.

I. Die Hauptquellen aller Darlehen sind folgende: 1) Die Geldersparniss, als eigentliche primitive und Hauptquelle, wodurch die Darlehen möglich werden. Auch

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