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Seitdem das römische Reich, weniger durch die eigentümliche germanische Kraft, als durch die Macht, welche die Bedürf nisse und das Wirken des Römerreichs unter den Germanen erst schuf und der dieses letztere später gehorchte1, gestürzt worden, hatten sich zwar die civilisatorischen Verhältnisse in den von den germanischen Siegern eroberten Ländern beträchtlich verschoben, nirgends aber in solchem Grade, dass unter ihrer Herrschaft ein gänzlicher Niedergang der alten Kultur erfolgt wäre, mochte auch manche Blüte derselben zu Tode getroffen worden sein. Schon früher ist bemerkt worden, dass mitten unter den Westgothen in Clermont, Arles, Bordeaux u. s. w. die alten Rhetorenschulen fortbestanden; ebenso besass Lyon, die Hauptstadt des beredten und gebildeten Burgunderfürsten Gundobald eine Rhetorenschule, an welcher Viventiolus unterrichtete, der mit seinen Schülern die alten Redner und Dichter las 2. Auch die Ostgothen und Longobarden wussten geistige Bildung zu schätzen. »Die Grammatik ist die Grundlage der Wissenschaften, die Zierde des menschlichen Geistes, die Meisterin des Wortes,<< schrieb Athalarich an den römischen Senat, als dieser Anstand nahm, die Gehälter der Professoren auszubezahlen. >>Wenn wir Schauspieler zum Vergnügen des Volkes bezahlen, muss man um so mehr diejenigen ernähren, welche die Feinheit der Sitten und die Beredsamkeit in unserem Palaste erhalten 3.«< Bei den Longobarden war die vom Konzil von Vaison für Gallien geforderte Unterweisung von Knaben durch die Pfarr

1 Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, I. S. 55. 56.

2 Aviti episcop. Vienn. ep. 51. 52.
3 Cassiod. Variarum libr. IX. ep. 21.

Hist. litt. II. p. 20.

geistlichen längst üblich und das Konzil verweist ausdrücklich auf diese in Italien verbreitete Einrichtung; die feine Bildung der longobardischen Grossen war lediglich eine Frucht der in ihrem Lande bestehenden Grammatikschulen 2, als deren berühmtesten eine die des Deuterius zu Pisa gelten konnte. Selbst Kloster-, Episkopal- und Privatschulen kommen zur Zeit der Merovinger in Italien vor und namentlich scheinen letztere noch im 8. Jahrhunderte einen blühenden Stand gezeigt zu haben 3. Der Erzbischof von Mailand, Benediktus Crispus, hatte Schüler um sich, die er in den sieben freien Künsten unterrichtete. Im 8. Jahrhunderte empfahl Gison von Modena seinen Priestern, Schule zu halten und die Kinder zu unterrichten. Die Kirche von Lucca hatte ihre Schule sogar unter dem Kathedralportale, wie aus einer Urkunde vom Jahre 787 des dortigen bischöflichen Archivs hervorgeht 4. Selbst in Afrika, wohin eine oberflächliche Geschichtschreibung mit dem billigen Ausdruck Vandalismus den Inbegriff aller Barbarei abzuladen pflegt, wurden die Wissenschaften nicht verachtet, wie ein leichtfertiges und oberflächliches Urteil mancher Schriftsteller etwa angibt. Unter König Thrasamund besass Carthago Lehrer und Studien, und St. Augustin meldet uns, dass dort die klassischen Sprachen gelehrt wurden; ja sogar Frauen Carthagos waren im Griechischen nicht unbewandert. So unterrichtete Mariana, die Mutter des Diakons Fulgentius († 533), eine ebenso fromme als gebildete Matrone, ihren Sohn, ehe er in die Schule des Grammatikers kam, im Griechischen selbst, und las mit ihm den ganzen Homer, den sie ihn, wie auch eine Auswahl von Menander, auswendig lernen liess 6. Erwägt man endlich die Thatsache, dass gerade der Verfasser des berühmtesten mittelalterlichen Schulbuchs, Martianus Capella, aus Afrika stammte und sein Werk um den Beginn der Vandalen herrschaft verfasste, so darf man sich unbedenklich der Ansicht hingeben, dass die Vandalen in ihrer

1 Vita S. Fulgentii (Bolland. A. S. I. p. 82.) Papenkordt, Gesch. der vandal. Herrschaft in Afrika, S. 297.

2 Giesebrecht, De litterarum studiis apud Italos primis aevi saeculis. Berolini 1845. p. 8. Muratori, Antiqu. Ital. med. aevi.

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Diss. 43. p. 809. August, Christl. Archäolog. VI, S. 153. 3 Ebert, Gesch. der christl. Litterat. II. S. 4.

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6 Burmann, Anthol. VI, ep. 85: Carthago studiis, Carthago ornata magistris.

Stellungnahme zu den Wissenschaften besser waren als ihr Ruf es ist.

Auch die neuen Herren Galliens, die Franken, traten in ein wolwollendes Verhältnis zur Kultur der von ihnen seit der Schlacht von Soissons (486) bezwungenen gallo-römischen Nation, die ihnen vermöge ihrer höheren Bildung Achtung abzwang, während sich die Gallo-Romanen, besonders die aus edlem Blute entsprossenen, den Franken nicht nur ebenbürtig fühlten, sondern auf sie trotz ihrer materiellen Übermacht wie auf ein geringes Geschlecht herabsahen 1. Die Franken selbst mussten sich des geistigen Unterschiedes, der sie von den Besiegten trennte, klar werden und der Umstand, dass die Romanen in Staat und Kirche vermöge ihrer höheren Bildung die wichtigsten Stellen inne hatten, mochte für die Franken ein Antrieb mehr sein zu einem Ausgleiche auf einem Gebiete, wo die rohe Gewalt der Waffen nichts mehr zu entscheiden hatte. Deshalb bequemten auch sie sich allmählich zu der bei den Römern herrschenden Sitte, ihre Kinder in den öffentlichen Schulen unterrichten zu lassen. Die Fürsten selbst betraten zur Aneiferung ihrer Unterthanen diese Bahn und begaben sich an das Studium der Sprache Latiums, vor deren unbezwingbarer Macht sie sich beugten. Childebert I. beherrschte das Lateinische gut, noch besser aber Charibert von Paris (567), der sowohl deswegen wie auch seiner Gesetzeskunde halber von Fortunatus gepriesen wird. Chilperich I. von Soissons († 584), der »Nero unserer Zeit« 3, der mit Vorliebe in die Theologie hineinpfuschte und sogar eine Schrift verfasste, worin er den Bischöfen seines Landes zu beweisen suchte, dass es keine Dreiheit der göttlichen Personen, sondern nur ein Wesen, Gott genannt, gebe 4, setzte sich auf seinen lendenlahmen Pegasus und machte nach Art des irischen Dichters Sedulius Verse, die sich indes hauptsächlich durch ihre widerhaarige Metrik auszeichneten 5. Das fränkische Alphabet vermehrte er, wie einst Claudius das römische, mit einigen neuen Schriftzeichen, mit dem

1 Loebell, Gregor v. Tours, S. 138. W. Arnold, Deutsche Gesch. II. S. 95. 96.

2 Fortunat. lib. V, carm. 4:

Quum sis progenitus clara de stirpe, Sicamber,

Floret in eloquio lingua latina tuo.

3 Gregor Tur IV, 46. 4 Ibid. IV, 45.

5 Ibid. V, 44: Scripsit alios libros idem rex versibus, quasi Sedulium secutus, sed versiculi illi nulla paenitus metricae conveniunt ratione.

der Griechen, mit dem, Z und ▲, und sandte Befehle in alle Städte seines Reiches, dass die Knaben darnach unterrichtet werden, die nach der alten Weise geschriebenen Bücher aber mit Bimsstein radiert und umgeschrieben werden sollten. Es müssen also die Elementarschulen im fränkischen Reiche in genügender Anzahl vorhanden gewesen sein, um einem eigenen königlichen Erlasse die Entstehung zu geben.

Ob nun auch die litterarischen Leistungen der Frankenkönige nicht viel bedeuteten und die zwei Bücher Verse, deren sich Chilperich schuldig machte, sowie seine anderen Schriften, Hymnen und Messgebete ganz und gar nichts taugten, wenngleich die Nachwelt, welche ihn am Portale von Notre-Dame in Paris mit einem Saiteninstrument in der Hand und in der Haltung eines Apollo ausgemeisselt hat, minder streng über sein schriftstellerisches Schaffen zu Gericht sass 1 so entzündete das Beispiel der Könige dennoch auch die Vornehmen und die höfischen Würdenträger. Angesehene Männer widmeten sich nicht ohne Erfolg der Poesie, wie Gogo, der Erzieher Childeberts II., der wegen seiner Neigung zu den Musen von Fortunatus mit Orpheus verglichen wird. Andere zeichneten sich durch ihr Wissen in der Gesetzeskunde und ihre Beredsamkeit aus 2.

Um den Vornehmen Gelegenheit zu bieten, ihren Söhnen eine Erziehung zu geben, welche ihnen Anteil verschaffte an der Tragweite der von den Gallo-Romanen vertretenen Bildung, schufen die Merovingerfürsten in Nachahmung der einst am Hofe des Augustus 3 und zu Trier bestandenen kaiserlichen Palastschule eine Anstalt, in welcher die adelige Jugend für den Reichsdienst herangebildet wurde, wobei man nicht allein an die Hebung und Pflege der germanischen Waffentüchtigkeit, sondern auch an höher liegende Aufgaben, an eine wissenschaftliche Erziehung, dachte.

Entstanden ist die Palastschule der Merovinger zunächst aus einer religiösen Einrichtung, nämlich aus der Palastkapelle, wo der heil. Martin von Tours, der Schutzherr der Franken, verehrt wurde und bei Tag und Nacht zu seinem Lobe heilige Gesänge ertönten. Man lehrte den vornehmen Knaben, die an den Hof des Königs altgermanischer Sitte gemäss zur Gefolgschaft desselben gebracht wurden, um dort erzogen zu werden, den Gesang. Auch hier ist es wieder eine Sängerschule, unter deren Dach die Musen ein

1 Ozanam, 1. с. р. 455. 2 Hist. litt. II. p. 19.
3 Suet. De illustr. grammat. XIII. XVII.

kehren, denn es ist kein Zweifel, dass die jungen Adeligen in dieser Schule alle jene Kenntnisse erhielten, welche sie später, sei es im Dienste der Kirche oder des Staates, bedurften.

Zu diesen Kenntnissen ist vor allem das Studium der lateinischen Sprache zu rechnen. Auch im sprachlichen Leben überwog der Einfluss des romanischen Elements und zwang die rohen Franken, die Grammatikregeln Donats und Priscians zu lernen. Die Schriftsprache war ausschliesslich Latein, selbst die Lex Salica, das Gesetzbuch der Franken, war lateinisch abgefasst; die Sprache der Verwaltungsbehörden war die lateinische, die Gerichtsbeamten bedienten sich im südlichen Teile des Landes sicher derselben, die Kapitularien und Verordnungen der Frankenkönige sind alle lateinisch, kurz: schon seit dem 6. Jahrhundert beginnt dieser Zersetzungsprozess des germanischen Sprachgebäudes in Gallien und schreitet unaufhaltsam vorwärts, bis es im Laufe der Jahrhunderte dem Volke das aus dem verdorbenen Latein, der lingua latina rustica, und eingestreuten germanischen Elementen bestehende Romanische oder Französische hinterlassen, den Gebildeten, dem Hofe und der Kirche das Lateinische als Amtssprache vererbt hat1. So wenig also ein Franke ein geistliches Amt ohne Kenntnis des Lateinischen übernehmen konnte, so wenig konnte der Beamte des Staates seiner Pflicht ohne dieselbe genügen. Ein Schüler der merovingischen Hofschule lernte also die Grammatik, aber auch die übrigen Wissenschaften, die freien Künste, die darum auch die höfischen Fächer (aulicae disciplinae) genannt wurden 2. Die Lektüre der Alten war nicht ausgeschlossen. Der heil. Audoënus, Bischof von Rouen, und der mit dem heiligen Bischof Eligius von Noyon befreundete Biograph desselben, war am neustrischen Hofe erzogen worden; in der Lebensbeschreibung seines Freundes nennt er verschiedene alte Autoren, die ihm bekannt waren 3. Auch die Tachygraphie wurde an der Schule der Merovinger gelehrt, denn noch bis ins 10. Jahrhundert findet man die Anwendung derselben in der

1 Biedermann, Deutsche Volks- und Kulturgeschichte, I. Teil, S. 57. 2 Vita S. Wandregisili Abbatis bei Du Chesne, Hist. Franc. Script. I. p. 638: Cumque adolescentiae polleret aetas in annis, sub rege Dagoberto militaribus gestis, ac aulicis disciplinis, quippe ut nobilissimus nobiliter educatus est. Et crescentibus sanctae vitae moribus, cunctis mundanarum rerum disciplinis imbutus, ab eodem rege Dagoberto Comes constituitur Palatii.

3 Spicileg. d'Achery, Vita S. Eligii II. p. 77,

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