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Sechstes Kapitel.

Die Kloster- und Episkopalschulen Galliens.
Die Tolosanerschule.

Lehre und Unterricht bedingen die Existenz des Christentums, wie dies die lehrende Thätigkeit seines göttlichen Stifters selbst bezeugt und sein an die Apostel gerichtetes Wort: >>Gehet hin und lehret alle Völker!« zum klarsten Ausdruck bringt. In den ersten Zeiten der Kirche umfasste der Unterricht hauptsächlich den Katechumenat, der im Gesamtgebäude der kirchlichen Erziehung dieselbe Stellung wie die Volksschule im pädagogischen Organismus einnimmt, so dass der Katechumenat als die kirchliche Pädagogik κατ' ἐξοχήν bezeichnet werden kann 1.

Anfangs besassen die Christen noch keine besonderen Elementarschulen, weshalb sie genötigt waren, falls sie nicht selbst Unterricht zu erteilen vermochten, ihre Kinder zu den Heiden oder, wie namentlich im Orient, zu den Juden zu schicken, bei welch' letzteren die Volksbildung auf einer die der Heiden weit überragenden Stufe stand2. Die wenigsten aber werden die Fähigkeit besessen haben, den Unterricht ihrer Kinder, den religiösen etwa ausgenommen, selbst zu geben, denn das Christentum fing bei den plebeiischen, armen und unwissenden Klassen an und allmählig erst stieg der Glaube zu den höheren Ständen und bis zum kaiserlichen Throne empor3.

Die ersten Spuren einer historisch beglaubigten christlichen Elementarschule findet man zu Ausgang des 2. Jahrhunderts in Edessa, wo ein Presbyter Protogenes die Kinder im Lesen, Schreiben und Psalmensingen unterwies. Mit der Vermehrung der Christengemeinden sahen sich die Bischöfe genötigt, das Lehramt den Priestern zu übertragen, welche die Kinder ihrer Gemeinde um sich

1 G. Weiss, Die altkirchliche Pädagogik S. 3.

2 Braunmüller, a. a. O. S. 11.

3 Chateaubriand, Essai sur la litt. anglaise. (Oeuvr. XIII.) Paris 1862, p. 62.

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sammelten, ihnen in ihrem Hause Unterricht erteilten, zunächst in den christlichen Wahrheiten, dann aber auch in den elementaren Wissensgegenständen'. Aber diese Bildung erwies sich als unzureichend, sobald sich bei den Christen die Notwendigkeit geltend machte, ihren Glauben gegen die Angriffe der heidnischen Philosophen und Rhetoren zu schützen und zu verteidigen; sie waren somit durch die Beschaffenheit der Verhältnisse gezwungen 2, ihre Kinder zu den heidnischen Rhetoren zu schicken ungeachtet der schweren Bedenklichkeit eines solchen Schrittes. Wenn St. Chrysostomus bei Erwägung des Falles, ob es für einen Vater besser sei, seine Kinder in die öffentlichen verderbten Schulen der grossen Städte zu senden oder ohne Unterricht aufwachsen zu lassen, sich für das letztere entscheidet, so mag die Ausführung eines solchen Entscheides wohl manchen Vätern schwer gewesen sein. Und doch blieb ihnen in vielen Fällen kein Ausweg, bis die Christen zu dem Entschlusse gelangten, in Nachahmung der römischen Kaiserschulen ähnliche Anstalten, ihren Zwecken angepasst, zu errichten. So entstanden die berühmten Katechetenschulen, von denen die erste und vorzüglichste die in der glänzenden Musenstadt Alexandria befindliche war; ihre Gründung erfolgte um das Jahr 180 oder 181. Die Professoren derselben wurden von den Bischöfen ernannt, und die Schule selbst stand bis zur Zeit des heil. Athanasius unter episkopaler Jurisdiction.

Während der Schule zu Alexandrien bald Schwesterschulen folgten zu Caesarea, Antiochia, Edessa, Nisibis (Mesopotamien), hat die abendländische Kirche ein derartiges Institut leider nirgends aufzuweisen. Hier sollte eine andere Einrichtung für Erziehung und Unterricht der Christen zum reformatorischen Faktor werden das Mönchtum.

Vom Oriente, wo der Einsiedler Antonius die thebaische Wüste mit Scharen von Anachoreten bevölkert hatte, brachte Athanasius, der Freund desselben, die Kenntnis des Klosterlebens nach dem Abendlande. In Rom und seiner Umgebung entstanden die ersten Klöster. Der heil. Eusebius von Vercelli verbreitete die klösterliche Idee unter seinem Klerus, der hl. Ambrosius schuf zu Mailand ein Kloster, die Inseln des mittelländischen Meeres belebten sich mit Mönchen und St. Augustin gab seiner Kirche um 423 die später unter Karl dem Grossen für einen ausgedehnten Zweig des abend

1 Stöckl, Geschichte der Pädagogik, S. 79.

2 Tertullian, De idolatr. c. 10.

ländischen Mönchtums zum Regel1.

Gesetzbuche gewordene berühmte

Wie der Wind das befruchtende Samenkorn in fremde Erde senkt, so trug der grosse Kämpfer Athanasius, welchen caesaristische Tyrannei (356) zum dritten Male verbannte, den Keim des Ordenslebens nach Gallien. Von Trier aus, wohin der heldenhafte Streiter der Kirche seinen Fuss gelenkt, ging die Neigung zum klösterlichen Stande bald durch ganz Gallien, das einst das gelobte Land des Ordenswesens werden sollte. Hier gründete der volkstümlichste Priester seines Jahrhunderts und der nachfolgenden Zeit, der heilige Bischof Martin von Tours, im Frühlinge des Jahres 360 das erste abendländische Kloster Ligugé (monasterium Locociagense) bei Poitiers und ein zweites (372), Marmoutier (majus monasterium) bei Tours, so dass bei seinem Tode (400) Gallien bereits an 2000 Mönche zählte. Um 405 gründete St. Honoratus, ein Römer aus konsularischem Geschlecht, von 426-430 Bischof von Arles, auf der von Klippen und Riffen umwehrten Insel Lerin an der südfranzösischen Küste ein Kloster, welches eine Zufluchtstätte der Wissenschaften, eine Bildungsanstalt der treuesten und würdigsten Kirchenhirten und die Mutter vieler Heiligen wurde 2, das, eine unzugängliche Felsenburg in den Stürmen der Völkerwanderung, ein Asyl war nicht nur für Theologie und christliche Philosophie, sondern für jegliche Art der Litteratur und Wissenschaften und das vielen anderen gallischen Klöstern die Entstehung verlieh3. >> Das kleine Lerin wurde die Pflanzstätte grosser Geister. Christliche Theologen und Philosophen, berühmte Leiter der Kirche, hervorragend durch Geist und Wissen, gingen aus Lerins Schule hervor. Fast alle Äbte dieses Klosters, zur selben Zeit Vorsteher der Schule, wurden berühmte Bischöfe, welche der gallischen Kirche die Wissenschaft und Lehrer brachten, deren sie bedurfte und die ihr von nirgends anderswo gekommen waren. Dahin gehörten Hilarius, Eucherius, Principius, Antiolius, Faustus, Vincent, Lupus, sowie auch Salvian, der einige Jahre in Lerin lebte 4. <<

Um 410 (nach anderen um 415 oder 420) gründete Johannes Cassianus, konstantinopolitanischer Diakon, und unter Papst Innocenz I. in Rom gebildet, wahrscheinlich ein geborner Südgallier,

1 Montalembert, I, S. 207.

2 Möhler, Gesammelte Schriften II, S. 186

3 Montalembert, I, S. 225.

4 Fauriel, I, p. 403. 404.

der selbst mehrere Jahre in der thebaischen Wüste als Mönch gelebt, bei Marseille zwei Klöster, das eine, St. Victor, für Männer, das andere für Frauen und schrieb zur Förderung des klösterlichen Lebens sein berühmtes Werk »De institutis coenobiorum libri XII« (über die Einrichtung der Klöster), sowie auf Ansuchen des Bischofs Castor. von Apta-Julia »>Collationes Patrum XXIV« (Besprechungen mit den Vätern), die jedoch nicht ganz frei sind von den Irrtümern des Semipelagianismus. Den Klosterstiftern Galliens ist auch der als Jurist hoch gebildete St. Germanus, seit 418 Bischof von Auxerre, beizuzählen, der in seiner Bischofstadt ein das ganze Mittelalter hindurch berühmt gebliebenes Kloster ins Leben rief. Im Jura gründete 450 Romanus, Mönch des Klosters Ainay, am Zusammenflusse von Saône und Rhone im Thale Condat das gleichnamige Kloster gemeinsam mit seinem Bruder Lupicinus1. Condat wurde bald die Mutter anderer klösterlicher Niederlassungen, wovon Leucone und das Frauenkloster Ba u me oder St. Romain de la Roche (Romanus de Rupe), beide im Jura, Erwähnung verdienen.

Diese Gott geweihten Stätten des Friedens nun wurden zu einer Zeit, in welcher Studien und Litteratur unter dem ehernen Tritte des Kriegsgottes dahinstarben, nicht nur Asyle der Wissenschaften, sondern auch Schulen, nicht bloss der Ascese und Frömmigkeit, sondern auch des Unterrichts, obwohl ursprünglich und streng genommen alle anderen Ziele, welche nicht mit der Reinheit des Herzens und dem Reiche Gottes zusammenflossen, über die Bestimmung des klösterlichen Lebens hinauslagen 2. Nicht Gelehrte und Philosophen im heutigen Wortsinne, sondern Diener Gottes wollte man bilden in den Klöstern, nicht in die Tiefen weltlicher Wissenschaft wollte man dort eindringen, sondern der Erkenntnis Gottes leben. Wenn sich dessenungeachtet naturgemäss die Wirkungen dieses Unterrichts und Strebens über die Klosterzellen hinaus erstreckten, so ist eben das einfach als eine Folge, aber niemals als Selbstzweck solcher Lebensrichtung aufzufassen 3.

1 Eine bei Mabill. Annal. I. Append. III, p. 677 abgedruckte Reimchronik über die Gründung Condats und dessen vier heilige Äbte: Romanus, Lupicinus, Minausius und Eugendus sagt:

Sub istis quatuor sanctis dicti loci abbatibus
Floruerunt miraculis, scientia, virtutibus

Palladius tunc juvenis, ac sanctus Sabinianus.

2 Cassian, Collat. Patr. I, c. 4.

3 Braunmüller, Über den Bildungszutand der Klöster im 4. und 5. Jahrhunderte. Schulprogr. 1855/56 S. 9.

Wie sehr aber schon frühzeitig der uneigentliche Selbstzweck des klösterlichen Lebens mit dem Geiste der Wissenschaft in Eins verschmolz, dafür sind gerade die Klöster Galliens ein Beweis, allen voran Lerin, die »beata insula«, ein Vereinigungspunkt gelehrter und heiliger Männer.

Während die zahlreichen Schüler Lerins sich in allen Vorschriften ihrer Mönchsregel übten, die Welt verachteten, die Sinneslust bezähmten, in den heiligen Schriften lasen, fasteten, wachten und arbeiteten, vernachlässigten sie trotz aller Ascese dennoch die Wissenschaften nicht. Es wäre auch nicht leicht für sie gewesen, sich gänzlich dem Bildungseinflusse zu entziehen, welcher sich aus den benachbarten Städten Massilia und Arles wie helle Strahlen von ihrem Brennpunkte weg ergoss. Die alten Autoren waren aus Lerin keineswegs verbannt, denn Cicero, Vergil und Xenophon wurden dort ebenso gut gelesen wie Hieronymus, Ambrosius, Origenes, Cyprian, Gregor von Nazianz, Basilius und Eusebius. So wenig hatte sich Lerin von dem Geiste der Wissenschaften abgeschlossen, dass Honorat vielmehr drei seiner Schüler: Gelasius, Augendus und Tigridius nach Nola in Campanien sandte, um ihnen dort den Unterricht des gelehrten Bischofs Paulinus, des berühmten Dichters und Schriftstellers, zu ermöglichen, der selbst seine wissenschaftliche Bildung an der ausgezeichneten aquitanischen Akademie zu Bordeaux genossen hatte.

Der überzeugendste Beweis für den Wert einer Schule sind ihre Schüler. Misst man den Inhalt dieses Satzes an Lerin, so tritt uns hier eine Anzahl von Namen entgegen, deren Träger in ihren herrlichen Schriften rühmliches Zeugnis für die geistesbildende Thätigkeit jener Mönchsstätte ablegen. Da ist Hilarius, († 449) ein Verwandter des Honorat und dessen Nachfolger auf dem Bischofssitze zu Arles; er schrieb das Leben seines Meisters1. An ihn reiht sich Vincenz, wahrscheinlich zu Toul um 450 geboren, dessen >>Commonitorium<< ein glänzendes Zeugnis von dem Scharfsinne und der theologischen Bildung des Verfassers ist, welcher darin sein berühmtes Kriterium der katholischen Glaubenslehre niedergelegt hat: >>Katholisch ist nur, was überall, was immer, was von allen geglaubt wurde« (quod semper, quod ubique, quod ab omnibus creditum est c. 3). Salvian, zu Trier an der dortigen Kaiserschule gebildet, lebte vor seiner Priesterweihe und Übersiedelung

1 Vita S. Honorati (Bolland., Acta Mens. Maj. II, p. 28).

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