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Forschungen, die, nebenbei bemerkt, den Anforderungen historischer Kritik meistenteils vollauf gerecht werden, sind durchwegs geeignet, uns weniger hochmütig auf die Franzosen herabsehen zu lassen, deren Bestrebungen für geistige Kultur und Bildung geringzuschätzen bei uns seit einiger Zeit in Mode gekommen ist", wie ein hervorragender deutscher Gelehrter, Professor Zarncke (Litterarisches Zentralblatt 1887 S. 592) mit Recht getadelt hat. Ich hätte vielleicht nicht an dieses Wort des nun verewigten Gelehrten erinnert, müsste ich nicht besorgen, dass mir einer oder der andere germanische Heisssporn und politische Nörgler ein Buch als Verbrechen anrechnet, welches, obschon es vom Grundsatze der Unparteilichkeit nicht abweicht, die Geschichte der frühesten Geistespflege Frankreichs darzustellen unternommen hat. Glücklicherweise ist aber die Wissenschaft ein allgemeines Gut der gebildeten Völker, das sich um angestrichene Grenzpfähle nicht zu kümmern braucht.

Noch erübrigt mir, Einiges über die französischen Vorarbeiten zu sagen, welche sich mit mir in die Bestellung desselben geistigen Feldes geteilt haben. Die engere Geschichte des gallo-fränkischen Bildungswesens haben insbesonders zum Vorwurfe genommen : Du Boulay 1, der berühmte Verfasser der Geschichte der Pariser Universität, Kilian 2, Théry 3, Henry de Riancey 4 und Vallet de Viriville 5. Obgleich sie aber keineswegs ohne grosses Verdienst sind, bieten sie doch für die Geschichte des gallischen Unterrichts- und Erziehungswesens nicht genug, da sie, um ihr weit gestecktes Ziel, die moderne Zeit, zu erreichen, rasch über die ersten Jahrhunderte hinweggehen müssen. Die hauptsächlichsten Quellen sind und bleiben, wenn man von der Ur

1 Bulaeus, Historia Universit. Paris, 6 vol in fol. Parisiis 1665. 2 Kilian, Tableau de l'Instruction secondaire en France, depuis les temps les plus reculés jusqu'à nos jours. Paris 1841.

3 Théry, Hist. de l'éducation en France, depuis le Ve siècle jusqu'au XIXe siècle. 2 vol. Paris 1843.

4 H. de Riancey, Hist. critique et legislative de l'Instruction publique et de la liberté de l'enseignement en France. 2 vol. Paris 1844. 5 Vallet de Viriville, Hist. de l'Instruction publique en Europe. Paris 1852.

zeit Galliens absieht, für das 4. Jahrhundert Ausonius und für das 5. Jahrhundert Apollinaris Sidonius, während als spätere Quellenwerke vor allem in Betracht kommen die einzig in ihrer Art dastehende Histoire littéraire de la France der ebenso gelehrten als fleissigen Mauriner, die Bollandisten, die Werke Mabillon's: Acta und Annales des Benediktinerordens, eine reiche Fundgrube von Thatsachen, Martène's Amplissima Collectio und Thesaurus anecdotorum, d'Achery's Spicilegium, die Sammelwerke Du Chesne's und Bouquet's, die Monumenta Germaniae von Pertz und endlich die allerdings historisch nicht immer korrekte Patrologia latina des Abbé Migne. Nähere bibliographische Nachweise über diese, sowie über andere bei Abfassung dieses Werkes benützte Hilfsmittel wird der geneigte Leser an geeigneter Stelle desselben finden.

Meine Arbeit erhebt keineswegs den Anspruch auf eine nach allen Seiten hin abgeschlossene Vollständigkeit. Eine solche wird sich bei der Beschaffenheit der Quellen auch je kaum verwirklichen lassen. Mein Buch soll nur ein Beitrag zur Geschichte der abendländischen Bildung sein und darthun, welchen Verlauf die Entwickelung der durch Rom vermittelten antiken Geisteskultur bei den GalloFranken genommen hat.

Zum Schlusse obliegt mir noch die angenehme Pflicht, Herrn Direktor Dr. G. Laubmann der Kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München, Herrn Dr. G. Grupp, Vorstand der Fürstl. Öttingen-Wallerstein'schen Bibliothek in Maihingen, Herrn Canonicus Dr. A. Bellesheim in Aachen, Herrn Seminardirektor F. X. Kunz in Hitzkirch (Luzern), Herrn Professor P. Gabriel Maier in Einsiedeln, insbesonders aber dem um das Erziehungswesen hochverdienten Herrn Direktor Ludwig Auer des hiesigen Cassianeums für gütige Förderung meiner Arbeit den wärmsten Dank auszusprechen.

Donauwörth (Bayern), im Herbst 1891.

Dr. V. M. Otto Denk.

Inhalt.

Erstes Kapitel: Die gallo-druidische Zeit.

Massilias Bildungseinfluss

Zweites Kapitel: Römisches Bildungswesen in der Kaiserzeit im all

gemeinen ..

Drittes Kapitel: Die heidnischen Rhetorenschulen Galliens vom 1.

Jahrhundert.

.

Viertes Kapitel: Die gallischen Rhetorenschulen im 5. Jahrhundert
und das Christentum. Sidonius Apollinaris .

Fünftes Kapitel: Erziehung und Unterricht beim Volke und Adel
Galliens

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Seite

1

40

82

141

164

Sechstes Kapitel: Die Kloster- und Episkopalschulen Galliens.
Die Tolosanerschule .

183

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Die erste und älteste Quelle, aus welcher uns Kunde über gallisches Unterrichts- und Erziehungswesen zuströmt, ist Caesars berühmte Geschichte des gallischen Krieges, jenes Meisterwerk der Darstellung, das vom Standpunkte der Vornehmheit aus mit Fug >> als die vornehmste Schrift des gesamten antiken Altertums«< erklärt worden ist. Darin heisst es: In ganz Gallien gibt es nur zwei Menschenklassen, welche von einigem Gewicht und Ansehen sind. Von diesen beiden Klassen ist die eine die der Druiden, die andere die der Ritter; jene verwalten den Kultus, nehmen die öffentlichen und Privatopfer vor, legen die Vorbedeutungen aus, eine grosse Anzahl Jünglinge strömt ihnen des Unterrichts wegen zu 1.

Diese schlichtvornehme Aufzeichnung des grossen Römers weist dem Forscher den Pfad an, auf dem er sich bei einer Untersuchung des gallischen Bildungs- und Erziehungswesens zu bewegen hat; sie zeigt ihm, dass ein Versuch, die pädagogische und unterrichtende Thätigkeit bei den Kelten Galliens unter die beobachtende Lupe zu bringen, nur im engsten Anschlusse an die Frage nach Wesen und Bedeutung des Druidentums, als dem obersten und auschliesslichen Träger aller gallisch-keltischen Geisteskultur, zu einem Ergebnis geleiten kann.

Scheidet man, wie es der Gegenstand erheischt, die Erziehung nach ihren beiden natürlichen Seiten, nach einer körperlichen und geistigen aus, so kommt vorerst die Thätigkeit der Druiden noch

1 Caesar, De bello gall. lib. VI, 13: In omni Gallia eorum hominum, qui aliquo sunt numero atque honore, genera sunt duo . . . . Sed de his duobus generibus alterum est druidum, alterum equitum. Illi rebus divinis intersunt, sacrificia publica ac privata procurant, religiones interpretantur. Ad eos magnus adulescentium numerus disciplinae causa concurrit.

Denk, Gallo-Fränkisches Unterrichts- u. Bildungswesen.

1

nicht in Frage, sondern das Wirken der gebornen Erzieher, der Eltern, tritt zunächst in sein Recht. Leider fliessen die Mitteilungen der Alten hierüber so spärlich, dass wir kaum das Notdürftigste in Erfahrung bringen.

Der Schwerpunkt der häuslichen Erziehung lag in der Gewöhnung der Kinder an unbedingten Gehorsam und an die strengste Unterwürfigkeit unter den Willen der Eltern, namentlich des Vaters, dem nach heidnischer Rechtsanschauung unbeengte Macht über die ganze Familie zustand1. Schon frühzeitig wurde also den Kindern grosse Ehrfurcht vor den Eltern eingeprägt. Sie mussten diese beim Mahle bedienen und durften nicht, solange das Knabenalter währte, an des Vaters Seite ausser dem Hause erscheinen. Die Richtung der körperlichen Erziehung neigte vor allem nach dem Bestreben, ein kräftiges, abgehärtetes, gesundes Geschlecht zu schaffen, welches den Anforderungen des damals noch sehr rauhen gallischen Klimas an den äusseren Menschen vollauf gewachsen war. Wie sich bei einem so kriegslustigen, kampfbereiten Volke, als welches die Gallier geschildert werden, von selbst ergibt, wurde der Knabe schon bald in die Waffenschule eingeführt. Die Waffentüchtigkeit war auch der Prüfstein für die Reife des Sohnes, denn erst wenn dieser zum Kriegsdienste sich tauglich erwies, durfte er öffentlich mit seinem Vater sich zeigen und war er ebenso selbständig, als er vordem unfrei und abhängig gewesen 2.

So viel über die in der engeren Familie sich abwickelnde erzieherische Thätigkeit. Vielgestaltiger als über die häusliche Erziehung sind die Nachrichten über die geistige Bildung, welche dem jungen Gallier vermittelt wurde. Hier ist es nun der mächtige Stand der Druiden, welcher seinen weitreichenden Einfluss und seine tief eingreifende Thätigkeit entfaltet.

Die Etymologie hat sich häufig mit dem Worte: Druide beschäftigt. Es fällt über den Rahmen dieses Buches hinaus, den etymologischen Bemühungen und aufhellenden Versuchen weiter nachzuhängen; es möge somit der Hinweis genügen, dass der Grundbegriff des Wortes Druid im Altirischen (Drui, Droi, Draoi, die beiden letzteren Formen verderbt, Plur. Druidhe, woher die

1 Caesar, VI, 19: Viri in uxores, sicuti in liberos, vitae necisque habent potestatem.

2 Caesar. VI, 18: In reliquis vitae institutis hoc fere ab reliquis differunt, quod suos liberos, nisi cum adoleverunt, ut munus militiae sustinere possint, palam ad se adire non patiuntur filiumque puerili aetate in publico in conspectu patris adsistere turpe ducunt.

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