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elemente und specifische Züge Grausamkeit und Leidenschaft gewesen; unter diesen solle der Grieche stets zu leiden gehabt haben, und sich davon durch den Schmerzensschrei des λeos entladen haben; die Furcht aber stamme aus dem immer drohenden Schicksal, das den grausamen und leidenschaftlichen Menschen niederdrücke. Hr. B. warf hiergegen zunächst die Frage auf: ob denn nun diese beiden Züge den griech. Volkscharakter gebildet, oder ob sie ihn so hervorstechend gebildet, dass nur sie auf die Tragödie influirten; ob es nicht andere specifische Züge in ihm gebe, und warum diese nicht auf die Tragödie influirt hätten, die ja „die Aufgabe habe, den ganzen Körper der Zeit zu schildern, dem Jahrhundert sein Abbild zu zeigen." Der Redner stellte dann folgenden Plan für seine Untersuchung auf: Wenn sich zeigen lasse: 1) dass Grausamkeit und Mitleid nicht specifische Züge des griech. Volkscharakters gewesen, sei es nun a) dass sie bei andern Völkern in demselben Masse vorhanden, oder b) dass andre ebenso hervorstechende Züge im griech. Charakter sich aufweisen lassen, die also auch auf die Tragödie eingewirkt haben mussten, 2) dass Furcht and Mitleid auch bei den Völkern der Hebel der Tragödie seien, bei denen erweislich Grausamkeit und Leidenschaft keine specifischen Charakterzüge seien, 3) wenn aus Aristoteles selbst erwiesen werden Könne, dass er Furcht und Mitleid aus etwas anderm als dem griech. Volkscharakter abgeleitet habe, so müsse das G.'sche Gebäude als erschüttert angesehen werden. Hr. B. ging nun sämmtliche von Hrn. G. angeführten Beispiele durch, worauf derselbe seine neue Hypothese gründet hatte, und suchte dieselben durch Gegenüberstellen einer reichen Fülle von Beispielen aus der Geschichte der Römer und der Modernen zu widerlegen; namentlich wurde gezeigt, dass eos bei Plato, Aristoteles, Thucydides, niemals „, Wehruf," ,,Schmerzensschrei“ bedeute, sondern Lizy in ȧhhorgios xaxois, wie bei uns, und dass die Thatsachen aus dem Leben des Perikles, woraus Hr. G. die Grausamkeit der Gr. nachgewiesen, von Curtius (griech. Gesch.) widerlegt seien. Neid und Bestechlichkeit ferner sind mindestens ebenso herVorstechende Züge im griech. Nationalcharakter gewesen; müssten also auch auf die Tragödie gewirkt haben; was zwar nicht behauptet, aber auch nicht nachzuweisen sei. - 2) Furcht und Mitleid sind aber auch Hebel der Tragödie bei den Völkern, die nicht hervorstechend grausam und leidenschaftlich waren; sie sind es bei allen Völkern, weil überhaupt keine wahre Tragödie zu denken ist, die nicht F. und M. erregt. Nach ihrem verschiedenen Inhalt können freilich die einzelnen Tragödien sehr verschiedne Stimmungen und zavuara hervorrufen,. denn andre Stimmungen erweckt Romeo und Julie, andre Richard III.; aber Furcht und Mitleid erweckt jede, wei! F. und M. nothwendig im Wesen des Tragischen liegen. Es folgte eine eingehende Betrachtung ber das Wesen des Tragischen, aus dem Furcht und Mitleid mit Nothwendigkeit hervorgehen. Aristoteles ist entschieden derselben

Meinung gewesen. Den Beweis führte Hr. B. 1) aus des A. Definition der Tragödie (Poet. VI), 2) aus zwei Stellen ib. c. XIII u. XI, wo A. ausdrücklich als das eigenthümliche (to "dtov) Wesen und die Aufgabe (rò oyov) der Tragödie bezeichne, Furcht und Mitleid zu erregen. A. leite also aus dem Wesen des Tragischen, nirgends aus dem griech. Volkscharakter seine Theorie her. Damit hatte der Redner seine Aufgabe erfüllt, indem er behauptete nachgewiesen zu haben, 1) dass Grausamkeit und Leidenschaft keine specifischen Züge griech. Nationalcharakters gewesen, 2) dass Furcht und Mitleid die trag. Hebel bei allen Völkern seien, weil sie aus dem Wesen des Tragischen hervorgehen, 3) dass Aristoteles derselben Ansicht gewesen. Den Schluss bildete eine kurze Darstellung der závαçois, die der Redner nicht im medicinisch-homöopathischen, sondern im ethischen Sinne fassen zu müssen erklärt.

Hr. Goldbeck erwiederte auf diese Kritik, dass, wenn man nach der Weise des Hrn. B. vorgehen wollte, alle Nationalunterschiede schwinden würden. Auf seiner Seite ständen in Bezug auf d. λeos Susemihl, Döring, Vischer, Hegel u. A. In der vorgetragnen Ansicht herrsche immer noch die Verwechslung des antiken eos mit dem modernen Mitleid. Er setze jetzt statt der früher aufgestellten Principien einfach die Sinnlichkeit, der die Griechen in eminentem Grade unterworfen gewesen, und aus der jene, wie auch Bestechlichkeit und Neid abzuleiten seien. Man müsse nicht betrachten, wie die geläuterten Geister gedacht und gefühlt, sondern wie der Rohstoff der Nation beschaffen gewesen. Der Beschluss, den Vorschlag des in voriger Sitzung gewählten Comités mit 100 Thalern, auf ein Mal zu zahlen, auf ein Exemplar der Publikationen der „Eearly English Text Society zu subscribiren," wurde dem Antrag des Vorsitzenden gemäss noch ausgesetzt.

134. Sitzung vom 22. Januar 1867. Hr. Muret behandelte in seinen Orthoepistischen Betrachtungen in Bezug auf Littré's Wörterbuch" besonders 2 Punkte, 1) die Aussprache nasaler Endungen in der Bindung, 2) die des mouillirten 1. Die natürlichste Art zu binden bestehe darin, dass beide zu bindende Wörter zu einem Wort vereinigt, der Nasallaut aufgehoben und als Anlaut zur folgenden Silbe gezogen werde. Ein anderes Veifahren, die Nasallaute zu binden sei, dass man ihnen den Nasallaut lasse und ein zweites für die Aussprache eingeschobenes n zum Anlaut des folgenden Wortes mache. Nachdem der Vortragende die Ansichten der zahlreichen Vertreter der einen und der andern Art meist wörtlich angeführt, zeigte er, dass Littré kein constant gleiches Verfahren beobachte, sondern in einzelnen Fallen für die eine, in andern für die andere Art der Aussprache eintrete. Der Vortragende knüpfte hieran die Bemerkung, dass die zweite Art der Bindung, d. h. die Einschiebung eines n für die Declamation gelte (nach Morin Traité de prononc.), während die erste Art zu

Auch die

binden in der Umgangssprache am gebräuchlichsten sei. Aussprache des mouillirten 1 ist weder in Theorie noch Praxis endgültig festgestellt. In Paris und andern grossen Städten des nördlichen Frankreich ist die Aussprache dieses Lautes unserem j gleich, während er im Süden lj lautet. Der Vortragende gab wiederum eine reiche Blumenlese aus den Ansichten der namhaftesten franz. Theoretiker über diesen Punkt. Für die zweite Art der Aussprache, die wohl im Allgemeinen in der höheren Declamation üblich ist, tritt mit seiner ganzen Autorität Littré ein, indem er bei jedem bezüglichen Worte warnt, nicht nach der ersten Art zu sprechen. Zum Schluss erwähnte der Redner die eigenthümliche Lehre Littré's, wonach oy mit folgender Silbe so zu sprechen ist, dass y consonantisch die folgende Silbe anlautet, also cro-yons, cito-yen etc. Der Vortrag musste hier wegen vorgerückter Zeit abgebrochen werden. Es knüpfte sich daran eine Discussion, an welcher die Hrn. Giovanoly, Langenscheidt, Benecke, Michaelis, Brunnemann, Mahn und der Vorsitzende theilnahmen. Darauf las Hr. Imelmann über Crouslé, Lessing et le goût français en Allemagne. Lessing sei in Frankreich wenig bekannt und verstanden, um so mehr verdiene ein Werk, wie das vorliegende, Anerkennung. Der franz. Verfasser giebt zuerst eine Skizze von Lessings Leben und bespricht sodann sein théâtre, L.'s negative, dogmatische und eigene poetische Leistungen auf dramatischem Felde. Er erörtert L.'s Verhältniss zu Aristoteles, Shakespeare, Diderot, kritisirt seine Dramen, wobei ihm das deutsche Urtheil wohl nicht überall beipflichten kann, sucht in seinem Styl einen gewissen französischen Einfluss nachzuweisen, vergleicht seine kritische Methode mit der Bayle's, wobei er unserem Kritiker richtig die Stellung zwischen Intoleranz und Impietät anweist und wendet sich dann hauptsächlich zu einer Abwehr der Angriffe L.'s gegen das französische Theater. Die Bemerkungen des franz. Verf. sind hier in den Hauptpunkten stichhaltig und verdienen als Beitrag zur gerechteren Würdigung des franz. klassischen Theaters Beachtung von deutscher Seite. Hr. Brunnemann las über: Camille Desmoulins als Journalist." Derselbe war, wie Robespierre, ` im collège Louis-le-Grand erzogen worden, gab nach einander vier Journale heraus und bekannte sich früh als Republikaner. Sein Ideal war das Perikleische Athen. Wie die médisance für die Franzosen überhaupt, so ist die persönliche Invective charakteristisch für ihre Journalisten; auch bei C. D. finden wir weniger theoretische Discussion, als persönliche Polemik, die zuletzt immer hämischer wird. Dennoch ist seine Schreibweise im Ganzen zu gebildet (gern z. B. gewürzt mit Citaten aus Tacitus und Cicero), als dass seine Journale weite Verbreitung finden konnten. Reichliche Proben aus C. D.'s Journalartikeln dienten als Beleg für die Behauptungen des Vortragenden.

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135. Sitzung vom 12. Febr. 1867. Hr. Michaelis sprach über die Aussprache des Alt-Französischen. Indem er auf die Wichtigkeit

hinwies, die der Gegenstand erhalten, seit das Altfranzösische in den Unterrichtsplan der franz. Schulen aufgenommen worden, erinnerte er an die frühere Ansicht (Voltaire), die das Altfr. für wild und barbarisch erklärte, und an die wohlbegründete Wackernagel's und Anderer, welche bei der Schreibung das phonetische Princip als massgebend annahmen. Ganz entgegengesetzt hat dann vor 20 Jahren Génin (Variations du langage Fr.) behauptet, das Altfranzösische sei schon ganz nach Art des Neufranzösischen gesprochen worden, so dass die stummen Buchstaben, z. B. p in coup und b in debt stets stumm gewesen. Danach läge das Barbarische nur in der Schreibweise; entfernte man diese, so würde man das Altfr. dem modernen sehr nähern. Dieser Ansicht trat Francis Wey entgegen, Littré modificirte sie in etwas. Er erkennt an, dass die alte Orthographie nützliche Winke für die Etymologie gebe; er erklärt die Schreibweise doner und enfans u. A. für gut: eine Umformung der modernen Schreibweise müsste nur mit System und wissenschaftlichem Takt gemacht werden. Den letzteren Principien ist beizustimmen, aber die Ansichten über das Altfranz. erregen grosse Bedenken, obgleich sich ihr Pélissier 1866 angeschlossen: er nimmt für die Schreibung des Altfr. überall die Verständlichkeit für die Gegenwart als Norm, obgleich er zugiebt, dass einzelne Schriftsteller sich nach der Aussprache ihrer Heimat möchten gerichtet haben. P. tritt also auch der gemässigten phonetischen Reform Littré's entgegen; er bezeichnet das phonet. Princip gradezu als unvernünftig, und läugnet es auch für das Mittelalter. Diese Ansicht richtet sich von selbst: jede etymologische Schreibweise setzt doch eine phonetische als Grund voraus. Man wird also auf diese Weise der Eigenthümlichkeit des Altfranzösischen jedenfalls zu nahe treten; denn im 12. u. 13. s. hat die Schrift jedenfalls dem Laut entsprochen; dies ist überall festzuhalten, wo nicht positive Beweise des Gegentheils vorliegen. Ausserdem sind wenigstens 7 literarisch begründete Dialekte zu unterscheiden, von denen doch jeder seine Eigenthümlichkeit darzustellen suchte. Die nicht abzuläugnenden fremden Einmischungen sind grade ein Beweis für das phonet. Princip. Die etymol. Schreibung ist erst ein Kunstprodukt der Gelehrtenschulen und Kanzleien, nach d. 12. u. 13. s. In der folgenden Discussion schloss sich Hr. Strack den Pélissier'schen Grundsätzen an; die Hrn. Scholle und Bieling der des Vortr., indem namentlich auf die im Englischen vorhandne Aussprache von Lauten hingewiesen wurde, die erst nach der Eroberung im Franz. könnten geschwunden sei. Eine Frage des Hrn. Rischel über den Nasallaut im Altfr. beantwortete Hr. Mahn dahin, dass derselbe schon vorhanden gewesen, wie schon im Celtischen. Hr. Marelle meinte, es seien sowol phonetisches als etymologisches Princip anzunehmen, namentlich da die clercs, die Inhaber der Schrift, stets lateinische Gelehrte gewesen.

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Hr. Mahn leitete crétin, unter Abweisung des Etymon castrare,

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von creta ab, indem er albino damit verglich; marcher von marc, mardre (Gränzstein, Zeichen, Fussspur) — erklärte Alhambra die rothe Wohnung, mit Ergänzung von där, welches das erforderliche Femininum biete, während beith Haus masc. und serai (persisch) geschlechtslos sei). Gegen die erste Etymol. wandte Hr. Strack ein, dass Cretins nicht weiss wären; Hr. Marelle wollte es mit „la crête de la montagne" zusammenbringen.

136. Sitzung vom 26. Febr. 1867. Hr. Muret fuhr in seinen orthoepistischen Betrachtungen fort (vergl. Sitzung vom 22. Jan.) Er behandelte zunächst die Frage über das offne und geschlossne e, and stellte darüber Littré's Ansichten mit denen andrer Orthoepisten zusammen. Das Beibehalten des é vor den stummen Sylben, wie namentlich in den Verben auf ger, woran die Akademie festhält, ist, so sehr auch angezweifelt und getadelt, von keinem umgestossen worden. Hierbei wurde auch die von Planer aufgestellten Beobachtungen (über die Verbindung né und des é, wenn ri mit Consonant oder stummem e folgt: inhérent, chérie, mérite u. dgl.) erörtert. Es folgte dann eine Fülle von Beispielen, in denen die Orthoepisten verschiedne Meinung über die Aussprache haben, schliesslich wurde das aspirirte h behandelt. - Einzelne Bemerkungen knüpften die Hrn. Marelle und Giovanoly an; der letztere machte namentlich in Bezug auf Phonetik auf das Buch von Julien Harnier (1836) aufmerksam.

Hr. Märker besprach eine neue Uebersetzung des Homer in ungereimten fünffüssigen Jamben durch den amerikan. Dichter Bryant. Er stellte namentlich die alte Uebersetzung Chapman's (von der eine schöne neue Ausgabe von 1857 vorgelegt wurde), die in ihrer Gewalt und sprachbildenden Kühnheit ein epochemachendes Werk für England war, und die entnervende Pope'sche der gegenwärtig erschienenen gegenüber. Nach einem Vergleich der Eingangsverse in den drei Cebersetzungen wurde Br. als ein genauer Kenner des Dichters und geschmackvoller Uebersetzer hingestellt, der indess doch die Kraft des alten englischen Vorgängers nicht erreiche. Hr. Brunnemann hält das gesprochene Urtheil für zu wenig begründet und hätte einen Vergleich Br.'s mit seinen amerikanischen Vorgängern (namentlich Mumford) gewünscht.

137. Sitzung vom 12. März 1867. Herr Beneke gab einen eingehenden Bericht über die Thätigkeit und die Erfolge der seit 1864 bestehenden Early English Text Society. Die Mitglieder haben es zum Zweck ihres höchst uneigennützigen Strebens gemacht, unter Verzicht auf jeden Lohn für persönliche Mühe dem Publikum die noch vorhandenen Denkmäler der ältern und ältesten Literaturperioden in England zugänglich zu machen; während, was von ähnlichen Sachen bis jetzt erschienen war, nur um theuren, oft unerschwinglichen Preis erworben werden konnte. Die Subscriptionskosten (7 Thaler jährlich,

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