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gabe der Fall, deren Druckbogen aber von mir durchgesehen worden. So weise ich denn jene Aeusserungen Schöll's als eine seiner vielen böswilligen Entstellungen zurück. Mit jenen Druckfehlern habe ich nichts zu schaffen, und ich habe aus dem Vollen geschöpft, so dass ich jenem Recensenten nichts zu entnehmen brauchte.

Wenn nun Schöll nach der sophistischen Wendung: „Düntzer's Dankforderung (?) ist ganz so völlig ungerechtfertigt, als es Herrn Düntzer's Undank gegen jenen Recensenten war,“ zu der Behauptung sich versteht: „Düntzer's Aufsatz gibt keinen beweisenden und begrenzenden Unterricht über die Filiation der Textverderbnisse, so dass eine Consequenz für die Textherstellung gezogen würde; im Gegentheil, er verficht den Widerspruch gegen diese Consequenz als kritische Massregel," so ist dies wieder ein Streich ins Blaue. Das Verhältniss der einzelnen Ausgaben zu einander habe ich scharf bezeichnet, Herr Bernays hat dafür nicht das Geringste mehr gethan, nur bei der dritten Ausgabe der Werke hat er sich ein Bild des Correctors gemacht, das mir sehr verzeichnet scheint, da er diescm manches als Verbesserung zuschiebt, was in der Nachlässigkeit des Setzers seinen ersten Grund hat. Schöll aber geht in seiner Unbesonnenheit so weit, dass er die Behauptung aufstellt, Goethe habe selbst in den späteren Ausgaben nichts verändert, da es ,,notorisch sei, dass er die durchgehende und definitive Revision Freunden anvertraut habe." So etwas konnte nur der zu behaupten wagen, der in der Geschichte des Goethe'schen Textes ganz unerfahren ist. Freilich beruft er sich auf Goethe's Aeusserung in der Ankündigung letzter Hand, man werde in dieser wenig geändert finden, da er, wie aus Vergleichung aller bisherigen Ausgaben zu ersehen wäre, an seinen Productionen von jeher wenig zu ändern geneigt gewesen, weil ihm das, was zuerst gelungen, in der Folge zu bessern niemals gelingen wolle. Schöll, der nach Art pfiffiger Sachwalter aus dieser Stelle nur das anführt, was für ihn zu sprechen scheint, übersieht völlig, dass es sich hier von bedeutendern Umänderungen, nicht von einzelnen stilistischen Verbesserungen handelt. Dass in den spätern Ausgaben fast bei allen einzelnen Werken Aenderungen sich finden, die unmöglich ohne Wissen und Gene!

migung des Dichters gemacht sein können, steht für jeden fest, der etwas vom Goethe'schen Texte weiss. Wenn die Ausgabe letzter Hand in der „Iphigenie“ statt „Des Oenomaus Tochter, Hippodamien" liest „Oenomaus Erzeugte, Hippodamien," wer wird es glauben, dass Goethe von dieser Aenderung nichts gewusst? Die zweite Ausgabe der Werke liest im Faust in den Worten „Ist wie ein Thier auf einer Heide" statt einer das bezeichnende dürrer; in der dritten ebendaselbst ,,Als stünden grau leibhaftig vor euch da" statt „Als stünd leibhaftig vor euch da.“ Im „Tasso" hat die dritte Ausgabe „Allein so sehr bist du's" statt „Allein du bist's so sehr;" „Und ehe nun Verzweiflung" statt "Und eh nun die Verzweiflung." Dass Wilhelm Meisters Lehrjahre für die zweite Ausgabe der Werke sorgfältig durchgesehen worden und manche kleine stilistische Aenderungen erfahren, und an den Mitschuldigen geändert worden, gibt auch Bernays zu, aber mehr oder weniger gilt dies von allen Werken, so z. B. auch von Götz und Egmont. Dieses und vieles andere weiss Schöll nicht, er weiss nicht, dass die Freunde, denen Goethe die Durchsicht seiner Werke übergab, in zweifelhaften Fällen diesen zu Rathe. zogen, dass Goethe bei der zweiten Ausgabe seine Sachen wieder allein oder mit diesen durchging, sondern behauptet keck in die Welt hinein, Goethe selbst habe später nichts geändert. Meiner einzig sachgemässen Bestimmung, dass die Ausgabe letzter Hand die nothwendige Grundlage bei der Gestaltung des Textes bilden müsse, setzt Schöll entgegen: „Diese Norm verbietet geradezu der Filiation der Textverderbnisse methodisch nachzuspüren, indem sie den Text der letzten Ausgabe, die der Dichter veranstaltet, für den wesentlich authentischen erklärt,“ und er hat die Keckheit zu behaupten: „Düntzers Fiction der spätern Aenderungen Goethe's ist nichts als die Costümirung seiner eigenen kritischen Nachlässigkeit und Willkür.“ Die von Schöll mir zugeschriebene "Fiction" ist eine plumpe Unwahrheit, und um meinen Grundsatz anfechten zu können, verschweigt er die bedeutenden Einschränkungen desselben, verschweigt, dass ich bestimmt die Fälle angegeben, worin eine Abweichung von der Lesart der Ausgabe letzter Hand gestattet sei. Die ärgste Verdrehung des thatsächlich Vorliegenden ge

stattet sich unser Gegner in der Versicherung: „Das ist das Eigene der Düntzer'schen Kritik, dass sie als ganz individuell keinen Zusammenhang mit der äusseren hat," wogegen das Verdienst von Bernays „die methodische Verknüpfung der äussern Kritik mit der innern" verkündet wird. Der gegen mich geschleuderte Vorwurf ist geradezu sinnlos. Bernays geht durchaus keinen andern Weg als ich, und er kann keinen andern gehn. Von der diplomatischen Grundlage hat jede Kritik auszugehn und zu diesem Zwecke muss die Gewähr jeder Ausgabe bestimmt werden, wie ich es zu thun versucht habe. Jede Abweichung von der Ausgabe letzter Hand muss begründet werden, was nicht allein durch diplomatische Kritik, sondern auch durch sachliche Gründe geschehen kann, die im Sprachgebrauche des Dichters und im Sinne und Zusammenhange der ganzen Stelle beruhen können. Gerade auch in letzterer Beziehung glaube ich durch genaueste Kenntniss des Dichters und ein in vielfacher Uebung gebildetes lebendiges Eindringen in Sinn und Geist sprachlicher, insonderheit dichterischer Darstellung den Beruf eines Kritikers seiner Werke in Anspruch nehmen zu dürfen, und dafür schon Bedeutendes geleistet zu haben. Schöll's Schmähungen von Plumpheit und Missverstand sind eben nur Schmähungen, deren Quelle offenbar zu Tage liegt. Mir gegenüber billigt Herr Schöll natürlich „alle einzelnen kritischen Unterscheidungen" von Bernays ohne Ausnahme, und verkündet, dass ausgezeichnete Kenner des Goethetextes und anerkannte Meister klassischer Philologie sie technisch genau, wohl überlegt und unumstösslich gefunden." Jene klassischen Philologen verbürgen noch nicht die zur Entscheidung durchaus nöthige Kenntniss des Goethetextes, und dass nicht alle bewährte Goethekenner unbedingte Bewunderer der Kritik von Bernays sind und in allem und jedem ihm beistimmen, weiss ich wohl. Ich habe in meiner Beurtheilung meinen Widerspruch bei einzelnen Fällen erhoben. Der ausgesprochenen Verdächtigung Schöll's gegenüber will ich diese hier zu erhärten versuchen. Möge dann vorurtheilslose Prüfung entscheiden, auf welcher Seite das Recht, ruhige Besonnenheit und kritische Schärfe sich finden. Für unfehlbar halte ich mich nicht, aber auf besonnene

Beurtheilung und genügende Kenntniss glaube ich besten Anspruch zu haben.

In den Lehrjahren spricht Therese, die als Jägerbursche gekleidet zu Wilhelm tritt: „Verzeihen Sie mir diese Maskerade! denn leider ist es jetzt nur Maskerade. Doch da ich Ihnen einmal von der Zeit erzählen soll, in der ich mich so gern in dieser Welt sah, will ich mir auch jene Tage auf alle Weise vergegenwärtigen.“ Statt Welt hat die erste Ausgabe Weste, das Bernays für einzig richtig hält; ich habe dies als Druckfehler bezeichnet. Schöll bemerkt dagegen, Herr von Löper könne mir sagen, dass das Wort Weste in der Handschrift stehe. Das hatte mir schon vorher dieser feine und tüchtige mir befreundete Löper selbst mitgetheilt. Schöll verschweigt klüglich, wie es mit jener Handschrift steht, dass es die von Goethe durchgesehene Abschrift ist, worin der Dichter bald nach dem Worte Weste ein anderes Wort geändert hat. Wenn Weste aber kein Druckfehler ist, so kann es doch sehr wohl ein von Goethe übersehener Schreib- oder Hörfehler sein. Wer weiss nicht, wie leicht man solche Schreibfehler übersieht, indem man statt des geschriebenen Wortes das wirklich im Sinne gehabte liest! Das war um so leichter möglich, als Goethe hier wirklich eine andere kleine Verbesserung anbrachte. Dass er wirklich später Weste statt Welt geschrieben, darf nicht bezweifelt werden, da die Annahme eines Druckfehlers hier aller Wahrscheinlichkeit widerspricht, und demnach müsste, wäre auch Weste ursprünglich vom Dichter geschrieben gewesen, in einer Ausgabe der Lehrjahre diese Veränderung Aufnahme finden. Bernays hingegen erklärt Weste für die einzig mögliche Lesart; Welt könne der Dichter nicht geschrieben haben. Aber sein Beweis gegen Welt beruht fast ganz auf Missverständniss des Wortes. Diese Welt ist nicht, wie Bernays ohne weiteres annimmt, die Welt, sondern die nähere Umgebung, wohin sie ihn zu führen denkt, wie wenn Faust sagt: „Das ist deine Welt! das heisst eine Welt!" Eine so weltschmerzliche Aeusserung könne eine so ruhig klare Natur wie Therese unmöglich thun, bemerkt Bernays; diese empfinde die volle Lust eines geregelten zweckmässigen Wirkens und besitze die Kraft noch glücklich zu werden. Aber Therese trägt nur

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noch das Dasein, dessen Duft mit dem Verluste Letharios geschwunden. Doch Bernays hat noch einen zweiten Grund. Der Zwischensatz in der ich sah," müsse eine Hindeutung auf ihr Jägerkleid haben. Dies zu beweisen, zerrt er diese ganze Stelle auf das widerlichste auseinander und trägt sein Missverständniss hinein, um dasselbe als einzig richtig nachzuweisen. Er denkt sich von dem Satze „Doch, da ich" als Gegensatz zu leider ist es jetzt nur Maskerade" den Gedanken: „Es gab aber eine Zeit, wo es nicht bloss Maskerade war: jene glücklichen Tage nämlich, da ich Lothario durch Feld und Wald in diesem Anzug zu begleiten pflegte." Zum Unglück war das schon lange vorher, ehe sie Lothario kennen lernte, keine Maskerade; denn Therese hatte sich schon früher, um leichter fort zu kommen und auch zu Fusse nirgends gehindert zu sein, Mannskleider machen lassen." Und wird in dieser Weise nicht der Hauptpunkt, der bei dem „Vergegenwärtigen jener Tage auf alle Weise" vorschwebt, auf die wunderlichste Weise schon in dem Zwischensatze vorweggenommen? Der Zusammenhang ist ein ganz anderer. Der Dichter sagt statt „, von jener glücklichen Zeit" bezeichnender, indem er an ihr damaliges Umherschwärmen mit Lothario in der Umgegend hindeutet, „von der Zeit, in der ich mich so gerne in dieser Welt sah." Weiter aber widerspricht die kindische Freude, welche Therese an ihrem Jägerkleide gehabt haben soll, durchaus dem ernsten besonnenen Sinne Theresens, die das Jägerkleid nur seiner Zweckmässigkeit wegen trug, auch später keinen besondern Werth darauf legen konnte, weil sie in diesem auch Lothario erschien und ihn begleitete. Wenn sie bedauert, dass das Jägerkleid jetzt nur Maskerade ist, so ist es gerade deshalb, weil es sie an das Verschwinden jener glücklichen Zeit erinnert. Endlich fragen wir, wie kann die Weste „das ganze männliche Habit“ vertreten, wie Bernays einfach, als wäre dies eine ganz natürliche Sache, erklärt. Die Weste bezeichnet bei Goethe, und so gerade in den Lehrjahren, das Wamms, kann aber nimmermehr die ganze Jägertracht bezeichnen. Goethe würde in dieser Tracht oder in diesen Kleidern" gesagt haben.

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Nicht besser wie mit der Weste, die das ganze Jägerkleid bezeichnen soll, steht es mit dem blinkenden Saum

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