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ZUR ÜBERLIEFERUNG

DER

TRISTAN-SAGE.

„Wie sich die quellen alter dichtung winden, von einander lassen und sich immer wieder begegnen! Die fabel von Tristan und Isalde kann hierzu eins der reichsten beispiele abgeben“. So äusserte sich schon im jahre 1812 der recensent des „Buches der liebe“ (J. Grimm?) in der Leipziger literatur-zeitung p. 493, und spätere untersuchungen haben diesen ausspruch immer wieder bestätigt. Hier mehr wie bei den meisten anderen epen, welche, von Frankreich ausgehend, ihren weg durch die abendländischen litteraturen gemacht haben, können wir beobachten, wie die stoffe schon im mutterlande den gewaltsamsten be- und umarbeitungen unterworfen worden sind, während die ausländischen übersetzer oder umdichter viel behutsamer und conservativer zu werke gingen. Freilich ist die methodische quellenforschung betreffs der romantischen sagenstoffe des ma., welche zu derlei mehr oder weniger sicher gestellten resultaten führt, noch keines sehr alten datums; man begnügte sich früher mit auf oberflächliche betrachtung gebauten schlüssen, die sich bei sorgfältigerer nachprüfung häufig als nicht stichhaltig erweisen. So ermangeln denn noch immer die meisten dieser stoffe einer solchen strengen durcharbeitung, und wer dieselbe in die hand nimmt, dem wird in vielen fällen die rolle eines ersten wegbahners zufallen, welche ihre eigenthümlichen reize geradeso wie ihre eigenthümlichen schwierigkeiten hat. Es kommt hinzu, dass es nur sehr selten gelingen dürfte, das material zu abschliessenden arbeiten vollständig zu beschaffen; überall stösst man auf geheimnissvolle angaben über unedirte texte oder seltene, schwer oder garnicht beschaffbare drucke. Beide bedenken fallen hier, bei der behandlung der Tristan-sage, von vorn herein weg. Es ist kaum zu erwarten, dass ausser den unten aufzuführenden versionen derselben noch vieles, bislang unbekannte, ans tageslicht gezogen werden wird; andererseits hat gerade dieser stoff in neuester zeit zu wiederholten malen eine eingekende philologische behandlung erfahren, so dass hier sich uns nirgends mehr das gefühl der unsicherheit oder vereinsamung befallen kann.

Die beiden arbeiten, welche ich hier besonders im auge habe, sind: 1) Bossert: Tristan et Iseult, poème de Gotfrit de Strasbourg comparé à d'autres poèmes sur le même sujet. Paris 1865. und 2) R. Heinzel: Gottfrieds von Strassburg Tristan und seine quelle, in: Ztchr. für d. a. XIV p. 272-447. Die zuletzt genannte monographie Heinzel's gehört unstreitig zum scharfsinnigsten, was in neuerer zeit auf dem gebiete der vergleichenden literaturgeschichte geleistet worden ist. Die vortrefflichkeit dieser arbeit wird in meinen augen auch dadurch um nichts gemindert, dass ich vielfach zu ganz anderen endresultaten gelangt bin, wie Heinzel: ich gestehe unumwunden zu, dass die untersuchung, welche ich auf den folgenden seiten den fachgenossen vorlegen will, ihr bestes der durch ihn mir gewordenen anregung verdankt.

Verwerthet habe ich für meine arbeit nachstehende fassungen der sage, welche sich in zwei hauptgruppen scheiden. Zur ersten gruppe gehören 1) das fragment des Berox, abgedruckt bei Michel: The poetical romances of Tristan I p. 3–212. 2) der Tristrant Eilhart's von Oberge, herausgegeben von F. Lichtenstein. QF. XIX. Strassburg und London 1877. Bei dieser ausgabe kommt ausser dem texte für unsere zwecke vor allem auch die an Heinzel sich anschliessende untersuchung über die französische quelle Eilhart's (p. CXIV ff.) in betracht. Daran schliesst sich der deutsche prosaroman „von herr Tristanen und der schönen Isalden“, am zugänglichsten in Büsching und v. d. Hagen's Buch der liebe. Erster band. p. 1—142, von welchem J. Grimm a. a. o. b. 499 ff. gegen v. d. H. nachwies, dass es direkt aus Eilhart's gedichte geflossen sei; vgl. auch F. Lichtenstein: Zur kritik des prosaromans Tristrant und Isalde. Breslau 1877. Diese fassung war von besonderer wichtigkeit, so lange ihre quelle noch nicht edirt war: jetzt ist sie für meinen zweck fast entbehrlich. 3) Ulrich's von Türheim fortsetzung und schluss von Gottfried's Tristan, in Massmann's ausgabe des letzteren werkes, p. 493.ff. 4) Heinrich's von Freiberg Tristan, herausgegeben von R. Bechstein. Leipzig 1877. Letztere beide dichtungen werden wir nur gelegentlich herbeizuziehen haben, da ihr inhalt sich fast ganz mit Eilhart deckt. Zur zweiten, im ganzen jüngeren gruppe der überlieferung gehören: 5) Fragmente von dem frz. gedichte eines Thomas, die uns in drei hss. zerstreut überliefert sind: a) ms. Sneyd A, bei Michel III. p. 1-44. b) ms. Strassburg, bei Michel III p. 83-6. c) ms. Douce, bei Michel II p. 1-85, zu vergleichen mit Michel III p. 87-94 und p. 45-81. d) ms. Sneyd B, bei Michel III p. 80-2 (die letzten 30 verse des gedichtes). Ueber den inhalt dieser französi

schen dichtung vgl. Heinzel a. a. o. p. 355.ff. 1). 6) Tristan als narr, in der Douce-hs., bei Michel I p. 213 ff. 7) Gottfried's von Strassburg Tristan, herausgeg. von R. Bechstein. 2. aufl. Leipzig 1873. Zwei neue ausgaben werden vorbereitet von H. Faul und von A. Reifferscheid. 8) das englische gedicht Sir Tristrem, herausgegeben von Walter Scott, zuerst Edinburgh 1804 erschienen und dann wiederholt neu aufgelegt, zuletzt unter dem titel: The poetical works of Sir Walter Scott. Vol. V. Elinb. 1833. Dieser letztere abdruck basirt auf einer neuen collation der hs. (des Auchinleck-ms.), durch welche der früher sehr fehlerhafte text wesentlich verbessert ist. Ich citire nach meiner collation. Das gedicht stammt aus der zweiten hälfte des 13. jahrh. Ueber verfasserschaft und dialekt wird im zweiten theile meines buches zu handeln sein. 9) die altnordische Tristrams saga ok Ísondar, im jahre 1226 auf befehl des königs Hakon des alten von demselben mönche Robert aus dem Französischen übertragen, der als verfasser der Elis saga ok Rósamundu genannt wird. Leider sind uns nur wenige bruchstücke derselben in einer membrane des 15. jahrh. erhalten, während sie vollständig nur in einer papierhs. des 17. jahrh. aufbewahrt ist. Diese saga hat schon mehrfach erwähnung gefunden; dass sie „dem gange der erzählung in dem englischen gedichte genau folgt, wird in F. E. Müller's Sagaenbibliothek I, übers. von Lachmann, p. 192, bemerkt; der verfasser der schon erwähnten recension vom Buch der liebe sagt a. a. o. p. 495 u. von derselben: „Man braucht blos eine oberflächliche kenntniss dieser arbeit zu haben, um alsbald zu sehen, dass sie mit der Gottfriedischen übereintrifft, ohne dass sie aus ihr hervorgegangen sein kann. Es ist recht zu bedauern, dass der Isländer seinen vorgänger nirgends namhaft macht, aber er muss sicher mit Thomas und dessen buch zusammenhängen." Ja dieser gelehrte scheint entweder die saga in Kopenhagen gelesen oder sich eine abschrift davon verschafft zu haben; das bezeugt ein genaues citat aus der mitte der saga a. a. o. p. 505 u. Unklarer drückt sich Nyerup: Almindelig

1) Eine neue ausgabe aller frz. fragmente der Tristansage ist ein dringendes bedürfniss, da Michel's ausgabe sehr selten geworden ist und auch den jetzigen ansprüchen der wissenschaft nicht mehr genügt. K. Hofmann hat (Sitzungsberichte der baier. akad. der wiss. 1875, II emendationen zum frz. Tristan versprochen; ich glaube jedoch, nothwendiger wäre noch eine nachcollation der von Michel benutzten handschriften. Daran knüpft sich die frage: In wessen händen befindet sich gegenwärtig die Douce-hs.? Bei Michel I, p. LVII heisst es über dieselbe nur: Ce manuscrit, qui, par une disposition particulière de son ancien possesseur, n'a point été légué à la bibliothèque Bodléienne. und nachfragen in der Bodleiana ergaben auch kein befriedigenderes resultat. Auch das Strassburger fragment scheint verloren zu sein.

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