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solchen Oden, in welchen vergleichungsweise mehr Begeisterung

und weniger Affect herrschen soll *).

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In Trauerspielen, wo die Personen zwar in Affect, aber in keiner Begeisterung seyn sollen, finden keine Digreffionen statt. Desto häufiger aber erfolgen Sprünge in der Folge der Gedanken, welche Figur: die allerbequemste ist heftige Leidenschaften zu erregen. Shakespeare hat sich derselben vortrefflich zu bedienen gewußt.

Wenn sich aber ein anhaltender Affect in eine Art von Raferet verwandelt, so thut die Raferei die Wirkungen der Begeisterung, und macht, daß Digreffionen erlaubt werden. Erem pel aus Phädra und Hippolyt, aus King Lear und Hamlet.

Die schrecklichste Raserei ist diejenige, in welcher der Rasende sich bei einem Nebenbegriff aufhält, und den Gegenstand seines Affects völlig vergessen zu haben scheint. Erempel: Herodes beim Voltaire, der in der Raferei glaubt, Mariamne lebe noch. Elementina beim Richardson, die den Grandison, den Gegenstand ihrer Liebe, vor Augen sieht, ohne ihn zu kennen.

Die anscheinende Ruhe bei einem innern heftigen Affecte hält das Mittel zwischen dem gewaltigen Ausbruch und der Raserei, welche bei einer scheinbaren. Gelassenheit zu besorgen steht. Die erste Hiße der Leidenschaft erfordert eine Anstrengung der Kräfte, auf welche eine proportionirte Erfchlaffung zu erfol= gen pflegt; daher man vermuthet, sie werde sich bald verrauchen. Haben sich aber die heftigen äußerlichen Bewegungen gelegt, und die Seele fährt fort innerlich von dem Affecte gequält zu wer den, so fangen wir an, für die Zukunft besorgt zu werden, indem wir nicht wissen, worin sich dieser Zustand endigen wird. Dieses hat abermals eine Ähnlichkeit mit dem Unendlichen durch die Kunst. Daher ist die anscheinende Ruhe bei einem Affect

* L. II. Od. 1. Mit dem 13ten Vers fängt sich die Begeisterung an. Diese verwandelt sich V. 29. in Affect. Die Rückkehr V. 37. sed ne mildert nur die Heftigkeit des vorhergehenden Verses, eigentlich aber kehrt der Dichter nicht zum Pollio zurück.

Die 13te de des zweiten Buches ist voller Uffect, und dennoch schließt sie sich mitten in der Digression. Allein hier war die Digreffion dem Affecte schnurstracks entgegengesest, und konnte also keine Rückkehr statt finden. Wie vortrefflich lösen sich B. 21. u flgd. die Bewegungsgründe zum Born in andere, entgegengeseßte Gründe auf!

öfters schrecklicher, als die Raserei selbst, in welcher sie sich zu endigen pflegt. Die Furcht vor einem übel beunruhigt uns mehr, als die Gegenwart desselben. Hingegen findet bei einer Raserei mehr Mitleiden statt, indem die Seele, welche in diesem Zustande der Freiheit völlig beraubt ist, an dem Unglück nicht mehr schuld zu seyn scheint; daher das übel, welches wir bedauern, mehr ein physisches als moralisches Übel wird.

Wir haben also drei verschiedene Stufen des Affects: den plöglichen Ausbruch, die anscheinende Stille, und die Raserei.

Die beiden ersten Stufen können uns nicht zum Weinen bringen, wenn sie nicht Traurigkeit, plöhliche Freude, Mitleiden oder Großmuth zum Gegenstande haben. Hingegen bringt der dritte Grad einer Leidenschaft die Zuschauer allezeit zum Weinen, weil er nie ohne Mitleiden seyn kann.

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Ich weiß nicht, ob die Maler und Bildhauer mehr als den ersten Grad des Affects schildern können.

In der Poesie wird der Ausdruck des ersten Grades feurig, nachdrücklich, und durch Sprünge des zweiten Grades frostig, nachdrücklich und ordentlich, des dritten Grades hingegen wild und voller Ausschweifungen geschehen müssen.

Die Musik scheint nur den ersten und dritten Grad ausdrücken zu können.

Die Tanzkunst hingegen kann, wie die Poesie, sich aller drei Grade bedienen.

Der Ausdruck der Leidenschaften durch natürliche Zeichen erregt ähnliche Bewegungen in den Gliedmaßen der Sinne, und dunkle und unbestimmte Begriffe in der Seele. Der Ausdruck der Leidenschaften durch willkührliche Zeichen erregt klare Vorstellungen in der Seele, und vermittelst dieser auch Bewegungen in den Gliedmaßen der Sinne, die aber nicht so stark sind, als diejenigen, welche durch natürliche Zeichen erregt werden. Die Malerei kann vermittelst der natürlichen Zeichen, deren sie sich bedient, Bewegungen in den Gliedmaßen der Sinne, vermittelst der Composition aber klare Begriffe von dem Gegenstande der Leidenschaften in der Seele hervorbringen. Da aber diese Kunst nicht mehr als einen einzigen Augenblick vorstellen kann, so sind die Eindrücke nicht stark genug, sehr heftige Leidenschaften zu erregen, wenn man nicht eine Reihe von Gemälden, die die Folgen und Wirkungen der Leidenschaften vorstellen, nach einander betrachten kann. Dieses geschieht in der Tanzkunst, welche Kunst,

wenn sich große Genies damit beschäftigten, alle Arten von Leis denschaften in der Seele sowohl, als in den sinnlichen Gliedmaßen erregen könnte.

Wenn eine Person, die jest nicht im Affect ist, die Ursachen einer Leidenschaft erzählt, so kann der Ausdruck geschmückt und ordentlich seyn. Erzählt sie aber die Wirkungen der Leidenschaften, so muß sie nachahmen, und eben so unordentlich, so kurz und so feurig sich ausdrücken, als die Person, welche in einem Affecte begriffen ist. Erempel: der beschriebene Untergang der Stadt Troja im 2ten Buch der Üneis.

Der Ausdruck in der Poesie muß aus willkührlichen Zeichen bestehen. Diese können aber durch natürliche Zeichen unterstüßt werden, damit sie sinnlicher und anschaulicher werden mögen, welches in Poesien durch den Wohlklang und auf der Schaubühne durch theatralische Action geschieht. Indessen müssen in der Dichtkunst die willkührlichen Zeichen herrschen und nicht von den natürlichen Zeichen völlig verdunkelt werden. Daher sind auf der Schaubühne solche Handlungen zu verwerfen, die durch den heftigen Eindruck, welchen fie auf die Zuschauer machen, den Eindruck der willkührlichen Zeichen völlig verdunkeln. Man sieht auch hieraus, warum die abscheulichsten Handlungen in der Malerei gefallen, die auf der Schaubühne einen sehr widrigen Effect haben.

Wenn beim Shakespeare die abscheulichsten Handlungen weniger mißfallen, so geschieht es deswegen, weil seine willkührlichen Zeichen immer noch einen stärkern Eindruck machen, als die mechanische Handlung selbst, durch welche er sie unterstüßt.

Über die neuere deutsche Litteratur. Erste und zweite Sammlung von Fragmenten, als eine Beilage zu den Briefen, die neueste Litteratur betreffend. 1767. (von Herder.) *)

Die Verfasser der Litteraturbriefe haben den eingeschränkten Vorsak gehabt, dem Publikum vorzulegen, was die Deutschen während des leßten Krieges zum Besten der Litteratur gethan. Dieses ungenannten Verfassers Absicht geht weiter. Er will den jetigen Zustand der deutschen Litteratur in ihrem ganzen Ulmfange betrachten, und den deutschen Musen anzeigen, was sie bisher geleistet und was sie noch leisten können. Alle zu dieser Absicht dienliche Anmerkungen und Beobachtungen, die ihm die Litteraturbriefe an die Hand gegeben, hat er in seine Sammlung eingerückt, vieles unverändert beibehalten, manches verbessert, und manches auch völlig verworfen. Daß er seine Sammlungen für bloße Beilagen zu den Litteraturbriefen ausgiebt, ist eine Bes scheidenheit, welcher der Leser gar bald widerspricht; denn er erkennt den Verfasser gar bald als einen Mann, der keines fremden Schußes bedarf. Sein Name ist auch der Neugier nicht lange unbekannt geblieben, so sehr er vielleicht gewünscht, sein Kunstrichteramt in der Stille ausüben zu können. Man weiß nunmehr, daß Hr. Herder aus Riga der Urheber dieser unschäzbaren Fragmente ist. Er zeigt in denselben vertraute Be= kanntschaft mit den Alten, wohlverdaute Philosophie, durchdringende Scharfsinnigkeit und gesunde Beurtheilungskraft. Vielleicht ist, wie ein anderer Kunstrichter schon vor uns be merkt, sein Gefühl nicht das sicherste. Allzu lebhaftes Bewußtseyn der richtigsten Grundsäge kann den Geschmack unversehens irre führen, wenn er Grundsäge entscheiden läßt, wo die Empfindung entscheiden sollte.

Wir legen unfern Lesern keinen Auszug aus diesem Werke vor. Wenn ihnen die deutsche Litteratur nicht ganz gleichgültig

*) Diese Recension war für die Algemeine deutsche Bibliothek be= stimmt. Anmerk. des Herausgebers.

ist, so werden sie eine so merkwürdige Schrift nicht ungelesen lassen. Die aber durchaus Quintessenzen haben wollen, werden solche in andern deutschen Journalen nach beliebigem Geschmacke zubereitet finden. Wir begnügen uns, die Anmerkungen, die wir bei öfterer Durchlesung dieses kritischen Werkes gemacht, unsern Lesern mitzutheilen.

Das System des Verfassers von den verschiedenen Lebensaltern einer Sprache (S. 27. und flgd.) paßt vollkommen auf die griechische Sprache, und scheint von derselben abgezogen zu seyn. Aber auch nur auf diese. Die Römer hatten vielleicht zuerst Weltweise, sodann Redner, und endlich Dichter. Die Hebräer hatten entweder keine Prosa oder keine Poesie. Ihr gemeiner historischer Styl wat ungebildet. Wollen wir ihren hohen prophetischen Styl geschmückte Profa nennen, so bleibt ihnen keine Poefie. In der zweiten Sammlung entwirft der Verfasser selbst ein sehr richtiges Gemälde von der hebräischen Litteratur. Das älteste Monument der hebräischen Dichtkunst ist vielleicht ein sehr philosophisches Lehrgedicht. Die Veränderungen der neuern Sprachen binden sich ebensowenig an ein System. Hier bildet sich die Sprache zur Dichtkunst, dort zur Metaphysik, und an einem dritten Orte zur schönen Prosa zuerst. Wir wissen wohl, daß der Verfasser seine Hypothese auf ursprüngliche Sprachen einschränken kann, auf solche, die sich selbst überlassen geblieben und in ihrem natürlichen Fortgange durch keine äußerlichen Mittel unterbrochen worden. Die römische Sprache hat sich nach der griechischen, und die neuern Sprachen haben sich nach senen beiden gebildet; daher der natürliche Fortgang bei ihnen noth wendig hat abgeändert werden müssen. In Absicht auf die hebräische Sprache fehlt es auch nicht an Entschuldigungen. Allein alles dieses zugegeben, so bleibt zur Gewährleistung für diese Hypothese nichts mehr, als bie einzige griechische Sprache mit ihren Beränderungen; und es scheint sehr mißlich, von einem einzigen Beispiele sich eine Theorie abzufondern.

Wie sind die Synonyme in den Sprachen entstanden? Der Verfasser meint (S. 55.), die Erfinder der Sprachen hätten das durch ein neues Wort ausgedrückt, was sie noch nicht unter einen andern Begriff zu ordnen wußten. So wären Synonymen entstanden, die dem Dichter so vortheilhaft waren, als sie dem grammatischen Weltweisen zum Ürgerniß gereichen. In der Folge hatte man die Begriffe mehr unter einander ordnen

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