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die geschriebenen Zeichen erst mit den Lauten vorzustellen, sondern man könnte, der Natur der Sache gemäß, sogleich die Begriffe damit verbinden. Bei dem geschriebenen Worte Tugend kann ich mir sowohl die Erklärung dieser Fertigkeit der Seele, als die Laute vorstellen, mit welchen ich das Wort ausspreche. Daß aber insgemein vielmehr das Lestere zu geschehen pflegt, rührt von einer ganz andern Ursache her. Wir haben nämlich von den Lauten einen stärkern Begriff als von der ErElárung der allgemeinen Worte; daher fallen uns jene, vermöge des Gesezes der Einbildungskraft, leichter und geschwinder bei Erblickung der geschriebenen Zeichen ein, als diese. Bei einfa chen Begriffen, da wir von der Sache selbst eine fast eben so lebhafte Vorstellung haben als von den Lauten, wie z. B. Linie, Dreieck, roth, süß u. s. w., fällt es schon etwas leichter, sich mit den geschriebenen Zeichen unmittelbar die Sache selbst zu denken.

Man nehme aber einen Laubgebornen, und lasse ihn z. E. die deutsche Sprache in Schriften lernen. Dieser wird mit den geschriebenen Zeichen unmittelbar die Sachen und Begriffe selbst verbinden, so lange er sich von der Aussprache noch keine Vorstellung machen kann. Man führe ihn hernach in die Ums mon'sche Schule, und lehre ihn, in verschiedenen andern Spra= chen, außer der deutschen, sich mit Worten ausdrücken, derge stalt, daß er nunmehr z. E. deutsch schreiben und nicht spre= chen, französisch, englisch, italiänisch u. s. w. im Gegentheil sprechen, aber nicht schreiben können mag. Diesem wird es ei= nerlei seyn, eine ihm vorgelegte deutsche Schrift französisch, englisch oder italianisch auszudeuten. Hatte also Leibniz weiter nichts gesucht, als eine Schrift, die sich in verschiedenen Sprachen auslegen läßt, so hätte er vielleicht so große Schwierigkeiten nicht gefunden.

So viel ich mich aber erinnere gelesen zu haben, dachte Leibnis auf eine Erfindung, die nichts weniger als zur Philologie gehört. Er hatte nämlich vor, eine allgemeine Algebra zu erfinden, die sich nicht bloß auf die Größe und ihre Verhältnisse einschränken, sondern auf alle mögliche Vernunftschlüsse erstrecken sollte. Hr. Sulzer bemerkt an einem andern Orte (§. 104.) einen Vortheil der Algebra, daß „in dieser Wissen„schaft, worin, als durch die allergenaueste Vernunftschlüsse her,,ausgebracht wird, diese Schlüsse auf eine ganz mechanische Art

,,können gemacht werden, so daß durch blose Versehung gewisser „Zeichen, oder durch eine Art Rechnung in einer Minute eine Reihe von Schlüssen aus einander hergeleitet werden, wozu ,,durch die ordentliche Sprache die Zeit eines ganzen Tages nicht ,,würde hinreichend seyn." Diesen Vortheil nun dachte Leibnit allen Wissenschaften überhaupt zu stiften. Er hielt es nicht für unmöglich, die ersten Merkmale, die wir an den Dingen erkennen, und die Arten, wie wir sie verbinden, durch Zeichen an= zudeuten, und aus diesen Zeichen eine Art von algebraischen Gleichungen herauszubringen. Es ist hier der Ort nicht, dieses weitläuftiger auszuführen; und wozu wäre es auch nöthig ? Wolf hat in seiner lateinischen Ontologie *) einige hierher gehörige Säße, die der Sache ein vortreffliches Licht geben; und ich würde mit vielen Worten doch nicht mehr als den Wolf ausschreiben. So viel ist gewiß! eine allgemeine Sprache håtte es seyn sollen; aber nur für Gelehrte, sowie die Analysten unter sich eine Art von allgemeiner Sprache haben. Die Philologen würden sich mit dieser Sprache gewiß nichts zu thun machen.

(Der Beschluß folgt.)

III. Den 18 Oct. 1759.

Beschluß des 62 sten Briefes.

Ich weiß wohl, daß sich verschiedene Gelehrte bemüht haben, eine allgemeine Schrift zu erfinden, die eine jede Nation in ihrer Sprache sollte lesen und aussprechen können. Becher that, so viel ich weiß, den ersten Versuch. Seine Schrift führt den Titel: Joh. J. Becheri Spirensis Character pro notitia linguarum universali etc. Francof. 1661. 8°. Andere haben es nach ihm, auch an ihren Bemühungen nicht fehlen lassen. Allein ich begreife nicht, was eine solche Erfindung für Nußen

*) §. 964. u. flgd.

haben soll? Entweder man muß so viel einfache Zeichen erfinden, als Sachen sich denken lassen, und in diesem Falle ist die Verwirrung unbeschreiblich; oder man seht eine gewisse Anzahl einfacher Zeichen fest, und bedient sich vielfältiger Zusammensehungen derselben. Diese Zusammensetzungen sowohl, als die Ordnung in ihrer Folge auf einander, muß, wie in den üblichen Sprachen, ihre gewisse Regeln haben; und man hat erstlich keine von den Schwierigkeiten vermieden, die man findet, eine neue Sprache zu erlernen. Die Gedanken müssen sich überdem aus dieser allgemeinen Schrift in eine jede gemeine Sprache eben so schwer, als aus einer Sprache in die andere, übersehen lassen; und zur Erfindung und deutlichen Entwickelung der Begriffe hat jene nicht die geringste Bequemlichkeit vor jeder gemeinen Sprache voraus.

Daß aber Leibnis wirklich mit einer Entdeckung wesentlicher Zeichen, wie man sie zu nennen pflegt, die in der Erfindungskunst große Vortheile bringen sollte, umgegangen, erhellt unter andern daraus, daß dieser große Mann sich mehr als einmal erklärt, man müsse erst auf andere Erfindungen, und unter andern auf eine algebram situs denken, um sich zu dieser größern Erfindung den Weg zu bahnen. Alle diese Vorbereitungen wåren unnöthig gewesen, wenn es ihm nur um eine gemeine Zeichensprache zu thun gewesen wäre.

Die Theorie der Malerkunst", sagt Hr. Sulzer (§. 79.) ,,lehret, wie das Schöne in sichtbaren Gegenständen durch die ,,Zeichnung und Farben auf einen flachen Grund vorzustellen "sey". Diese Beschreibung ist unvollständig. Warum nur das Schöne in den sichtbaren Gegenständen? Sollte man nicht hieraus schließen, daß die Malerei die Dinge, die in der Natur nicht schön sind, gar nicht vorstellen müsse? und dieses kann Hr. Sulzer unmöglich gemeint haben. Die Malerei weiß nicht nur die häßlichen Gegenstände auf eine angenehme Art zu bearbeiten ; sondern sie ist vielleicht die einzige schöne Kunst, die sich sogar mit den ekelhaften Gegenständen abgiebt. Ich möchte also lieber sagen: die Theorie der Malerkunst lehrt, wie die sichtbaren ,,Gegenstände u. s. w. schön vorzustellen sind". Doch auch dieser Beschreibung mangelt ein wesentliches Stück, die Rührung. Sie ist in vielen Theilen der Malerkunst von allzu großer Wichtigkeit, als daß sie aus der Beschreibung ganz sollte wegbleiben können. Ich finde, daß Hr. Sulzer bei der Tanzkunst (§. 83.) IV, 1.

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derselben gedenkt; und die Malerei follte sich bloß mit dem Schönen begnügen?

Noch eine kleine, vielleicht nichts bedeutende Anmerkung über die allgemeine practische Weltweisheit! Hr. Sulzer sagt von ihr (§. 216.): man könnte ihr den Namen der moralischen Theorie des Menschen geben". Wolf, der Erfinder dieser Wissenschaft, hat dem Recht der Natur den Namen der moraralischen Theorie gegeben. Die allgemeine practische Philosophie aber nennt er generalem theoriam et praxin philosophiae practicae *); denn sie enthält die allgemeinen Grundsäge des Rechts der Natur, der Ethik, Politik und Sconomik, und also nicht bloß den lehrenden, sondern auch den ausübenden Theil der practischen Weltweisheit. Das Recht der Natur aber ents hält, nach Wolf's Sinne, die besondere Theorie der Ethik, Po= litik und Öconomik; denn sie lehrt, welche Handlungen des Menschen, in den verschiedenen Verfassungen, in welchen er stehen kann, gut, und welche böse sind. Jedoch ich finde, daß hr. Sulzer auch in Ansehung des Rechts der Natur von der Wol fischen Erklärung abgegangen, und sie, mit einigen andern Leh: rern der practischen Weltweisheit, bloß auf die Theorie der vollkommenen Pflichten (encratica biastica) eingeschränkt hat. Das was Wolf aber Recht der Natur nennt, betitelt Hr. Sulzer Theorie der menschlichen Pflichten; und also mag er unter den Worten: moralische Theorie des Menschen, womit er die allgemeine practische Weltweisheit benennt, sowohl die Kenntniß der Pflichten als ihre Ausübung verstehen; denn beide gehören zur moralischen Wissenschaft des Menschen. In diesem Falle habe ich nichts als eine kleine Dunkelheit an dieser Erklärung auszusehen.

*) S. deffen disc. praelim. §. 68. 70.

VI. Den 8 Nov. 1759.

66ster Brief.

Wie kommt es, fragen Sie, daß es in der Malerei und Bildhauerkunst eine Idealschönheit, und überhaupt in allen schönen Künsten aliquid immensum infinitumque giebt, das sich die Künstler in der Einbildung zum Muster vorstellen? und bloß die Dichter sollten, nach dem Ausspruche Plutarchs, genöthigt feyn, Gutes mit Bösem, und also Schönes mit Häßlichem zu vermischen? Ich gestehe es, dieser Einwurf hat einigen Schein. Es scheint seltsam, daß die vollkommenste Tugend, diese unendliche Schönheit der Seele, dem Maler des Geistes nicht eben das Urbild seyn sollte, was die vollkommenste Schönheit der Figuren für den Maler der Körper ist. Warum hat dieser seinen Endzweck erreicht, wenn er seinen hohen Begriff von der vollkommensten Schönheit nach der Verschiedenheit des Alters, Geschlechts und der übrigen Mannigfaltigkeiten schattirt? und warum wird von dem Dichter ausdrücklich eine Vermischung von moralischem Bösen gefordert?

Bemerken Sie hier noch einen Umstand, der uns vielleicht näher zum Ziele bringen wird. In allen schönen Künsten ist das Idealschöne am allerschwersten zu erreichen; und die größten Meister sind glücklich, wenn sie ihm nur nahe gekommen sind. Die vollkommen tugendhaften Charaktere aber machen dem Dichter die wenigsten Schwierigkeiten. Ich weiß, daß Richardson mit seinem vollkommenen Grandison leichter fertig geworden, als mit seiner Clementina; und vielleicht auch mit der Clarissa leich ter, als mit dem Lovelace. Ein deutsches Exempel anzuführen: wer wird läugnen, daß der Charakter des Canut ungleich leichter durchzusehen gewesen, als der Charakter des Ulfo? Ich schließe hieraus, daß die Dichtkunst, als schöne Kunst betrachtet, eine ganz_andere Idealschönheit habe, als die sittliche Vollkommenheit der Charaktere.

Wir müssen die philofophische Sittenlehre nicht mit der Epopee verwechseln. In jener ist eine vollkommene Tugend, oder die größeste Fertigkeit, in allen Vorfällen feine Handlungen nach den Vorschriften der Vernunft einzurichten, der erhabenste

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