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allwo nach der Meinung des P. Boscovich das Gesez des Ståtigen weder nothwendig ist, noch auf das genaueste beobachtet werden kann; scheint ihm die Natur dennoch eine Art von Stätigkeit zu affectiren, und zwischen den Gränzen einer Quantitåt alle mittlere Grade mitzunehmen. Die Erempel, die er hiervon anführt, sind sonderbar. Sie mögen sie aber in dem Werke selbst nachschlagen.

Der Pater fährt fort zu schließen: die Stätigkeit in den Veränderungen ist also eine durchgängige Beobachtung. Nun steht unsere Art, die Veränderungen der Dinge, wahrzunehmen, in keiner solchen Verbindung mit diesem Geseße, daß wir uns bereden könnten, es fånde nur da statt, wo uns die Veränderungen in die Sinne fallen; so wie etwa die Farben oder die Ausdehnung, in Ansehung welcher der Schluß von dem Sichtbaren auf das Unsichtbare fehlerhaft wäre, weil sie selbst nur allzu sehr von der Art, wie wir uns die Dinge vorstellen, abhangen. Es ist also vielmehr zu vermuthen, die Natur habe sich das Geset der Ståtigkeit in allen ihren Wirkungen ohne Ausnahme vorgeschrieben, dergestalt, daß es auch da statt findet, wohin unsere Sinne nicht reichen.

Hr. Boscovich beweist sein allgemeines Geseß aber auch auf eine demonstrative Art. Er segt zum voraus, die Dauer sei in ihrer Folge ståtig; ein jeder Augenblick sei, wie wir oben berührt, als die gemeinschaftliche Gränze des vorhergehenden und des fol= genden zu betrachten. Es giebt also keine zwei Augenblicke, die sich einander die nächsten wären, d. i. zwischen welchen nicht eine wirkliche Dauer, eine wirkliche Folge anzutreffen seyn sollte; so wenig es in der mathematischen Linie zwei Punkte, in der Fläche zwei Linien, oder in dem Körper zwei Flächen giebt, die sich einander berühren und einander die nächsten sind. Die Zeit ist folglich nirgend getrennt, allenthalben stätig; daher muß auch der Fortgang der Veränderungen nirgend unterbrochen, sondern allenthalben ståtig seyn. Denn wären die Veränderungen irgendwo unterbrochen, so müßte ein Sprung geschehen. Da, wo der Sprung geschahe, würde die Dauer des vorhergehenden Zustandes von der Dauer des folgenden wirklich getrennt, und die beiden Gränzen, oder der lehte Augenblick der vorigen und der erste Augenblick der folgenden Zeit, sich einander die nächsten seyn; welches ungereimt ist. Will man nun diese Ungereimtheit ver

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meiden, so muß man zugeben, daß die Veränderungen eben so ståtig sind als die Zeit.

Daß aber die Gefeße der Bewegung der vollkommen harten Körper mit dem Geseße der Stätigkeit nicht bestehen können, ist bereits von Leibniz dargethan worden. Denn wenn zwei volls kommen harte Körper an einander stoßen, so müssen sie nach der Berührung entweder plöglich ruhen, oder beide sich mit gleicher Geschwindigkeit nach eben der Richtuug fortbewegen. Beides kann nicht anders als vermittelst eines Sprunges geschehen; denn sie haben keine Federkraft, und ihre inneren Theile sind nicht so veränderlich, daß sie sich ihre Geschwindigkeiten sollten nach und nach mittheilen können.

Dieser Schwierigkeit abzuhelfen, sprechen die Leibnizianer den vollkommen harten Körpern, wie bekannt, das Daseyn ab. Allein Hr. Boscovich meint, die Körper möchten beschaffen seyn, wie sie wollten, so müßte man doch in der fortgeseßten Theilung zuleht auf Theile kommen, die sich nicht mehr zusammendrücken ließen; und diese würden sich bei der Berührung ihre Geschwin= digkeiten plößlich mittheilen müssen. Wollte man allenfalls auch diese Theile läugnen, so würde man, wie Hr. Boscovich glaubt, nichts gewinnen. Denn sollen sich die Körper wirklich berühren, so müssen sie sich in Flächen, oder in Linien, oder in Punkten berühren. Flächen, Linien und Punkte, sagt Hr. Boscovich, find wirkliche Affectionen der Körper. Die Flächen sind die wirklichen Gränzen der Körper, so wie die Linien der Flächen, und die Punkte der Linien. Nun mögen sich die Körper, in welchen von diesen Affectionen man will, berühren; so müssen sie sich die Geschwindigkeiten plößlich mittheilen, und die Verånderungen können nicht so allmålig geschehen, wie es das Gefet des Stätigen mit sich bringt.

Wie ist dieser Schwierigkeit abzuhelfen? Hr. Boscovich glaubt, man müsse eine Quelle der Bewegung annehmen, vermöge welcher die Geschwindigkeiten der Körper nicht erst bei der wirklichen Berührung, sondern von ferne, sobald sie sich einander näher kommen, verändert werden. Das bekannte Gefeß der Naz tur von der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung erfordert, daß man beiden Körpern einen gleichmäßigen Antheil an dieser Veränderung zuschreibe. Daher wird man darauf geleitet, beiden Körpern eine zurückstoßende Kraft beizulegen, welche die Geschwindigkeit, mit der sie sich nähern, schon von ferne nach der

allergenauesten Stätigkeit allmålig verringert, bis sie sich einander nicht mehr nähern, d. h. bis sie entweder ruhen, oder beide sich nach eben der Richtung mit gleicher Geschwindigkeit fortbewegen, welches bei der Bewegung der vollkommen harten Körper ge schieht.

Damit aber das Gesetz der Stätigkeit niemals übertreten werde, muß diese angenommene Zurückstoßungskraft fähig seyn, eine jede Geschwindigkeit zu tilgen, mit welcher sich nur zwei Körper einander nåhern können; d. h. diese Kraft muß zunehmen, wenn sich die Körper nåher kommen; und wenn sie sich am nächsten sind, d. i. wenn sie sich völlig berühren, muß sie unendlich groß seyn. Bestimmter zu reden: die Körper müssen sich einander desto nåher kommen, je größer die Geschwindigkeit ist, mit welcher sie sich nähern; niemals aber müssen sie sich völlig berühren können; denn für jede gegebene Geschwindigkeit muß es auch eine gewisse Distanz geben, in welcher sie durch die Zurückstoßungskraft völlig anfgehoben wird, und die Körper nicht mehr antreiben kann, sich einander zu nähern. Der Beweis hiervon ist leicht. Denn gefeßt, die Zurückstoßungskraft sei nun groß genug, eine gewisse respective Geschwindigkeit zweier Körper, die sich einander nähern, dergestalt zu verringern, daß fie bei der wirklichen Berührung verschwindet; so würden Körper, die fich mit einer größern Geschwindigkeit einander nåherten, bei der Berührung sich entweder durchdringen, oder sich ihre Geschwindigkeit plößlich mittheilen müssen; beide Fålle aber laufen wider unveränderliche Geseze der Natur. Folglich muß es keine Geschwindigkeit geben, die nicht bei einer gewissen Annäherung der Körper getilgt werden sollte.

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Da nun Hr. Boscovich keine völlige Berührung zugiebt, so können Sie sich leicht vorstellen, was er mit den Körpern anfangen wird. Er seht sie aus wirklichen Punkten zusammen, die sich einander nicht berühren, sondern im leeren Raume zers ftreut find. Wenn sie sich berührten, sagt Hr. Boscovich, so müßten sie nothwendig zusammenfließen; denn als Punkte haben sie keine verschiedene Seiten, wie die Körper. Diese Schwierigs keit, glaubt Hr. Boscovich, habe es immer noch mit den Leibs nißischen Monaden sowohl, als mit den Zenonischen Punkten; und die Leibnizianer würden sie nimmermehr heben können. Seine Punkte aber können nicht zusammenfließen, weil sie sich nicht berühren; denn er hat ihnen Zurückstoßungskräfte zugegeben,

mit welchen sie sich wechselsweise immer in einer gewiffen Ents fernung erhalten.

Denken Sie aber ja nicht, Hr. Boscovich habe sich begnügt, feinen Punkten bloß zurückstoßende Kräfte zuzuschreiben. Dieses würde mit gewissen Erscheinungen in der Natur streiten, welche beweisen, daß es auch anziehende Kräfte giebt. Er behauptet vielmehr, und dieses ist das Eigenthümliche seines philosophischen Systems, daß die Kräfte der Punkte sich nach den Entfernun gen richten, und daß sie zu verschiedenen Distanzen bald positiv, bald zero, bald negativ werden; wodurch die Körper bald sich anziehen, bald ruhen, bald sich von einander entfernen. Der Übergang von der positiven zur negativen Kraft, und umgekehrt, kann nach dem Geseße der Stätigkeit geschehen. Denn da sowohl das Positive als Negative eine wirkliche Quantitat ist, die durch allmålige Verminderung oder Vermehrung eine aus der andern entstehen können; so können auch die Linien, welche in verschiedenen Distanzen die Kräfte ausdrücken, durch allmålige Ab und Zunahme von dem Positiven durch das Zero ins Negative, und umgekehrt, übergehen.

Und eben daher glaubt Hr. Boscovich alles durch eine ein fache Kraft bewerkstelligen zu können. Eben dieselbe Kraft, sagt er, kann nach einem einfachen Geseze dergestalt abgeändert werden, daß sie bald anziehend, bald zurückstoßend werde. Um uns einen Begriff von diesem Gefeße zu machen, fucht er den Zug der krummen Linie zu beschreiben, dadurch ungefähr ein solches Gesetz ausgedrückt werden könnte.

(Der Beschluß des Briefes in der folgenden Nummer.)

XXIV. Den 14 Juni 1759.

Beschluß des 42sten Briefs.

Es ist in der höhern Mathematik eine sehr bekannte Sache, daß öfters nach einem einfachen Gefeße eine krumme Linie bes schrieben werden kann, die den Augen noch so intricat. scheint

Man nehme also eine gerade Linie, welche die Distanzen ausdrückt, für die Are an; von dem Punkte der völligen Berührung, wenn eine möglich wäre, rechne man auf beiden Seiten die Abscissen, deren jeder bald rechts, bald links eine gewisse Ordinate zukomme. Diese Ordinaten mögen die Kräfte ausdrücken, die jeder Abscisse oder Entfernung zusagen. Die krumme Linie, welche alle diese Ordinaten umschränkt, kann nach einem einfachen Geseze beschrieben werden, und dennoch die Are verschie dentlich durchkreuzen; daher denn die Ordinaten bald auf dieser, bald auf jener Seite der Are zu liegen kommen, und folglich die Kräfte, durch die allergenaueste Stätigkeit, bald aus dem Positiven zero und negativ, bald umgekehrt werden können.

Da, wo der Anfang der Abscissen ist, oder wo die Distanz dem Zero gleicht, muß durch die Are eine senkrechte Linie gezogen werden können, welche die krumme niemals berührt. Denn sollte sie dieselbe berühren, so würde sie eine Ordinate seyn, folglich den Grad der Kraft ausdrücken, mit welcher sich zwei Punkte zurückstoßen, wenn ihre Entfernung dem Zero gleicht. Wenn sich also die Punkte mit einer Kraft nåherten, die diese Ordinate übertråfe, so würden sie zur völligen Berührung zuge= lassen werden; und diese findet in der Natur nicht statt. Da= her muß die senkrechte Linie, wenn sie auch unendlich verlängert wird, die krumme Linie nicht berühren. Indessen wird ihr diese doch immer nåher kommen, weil die Ordinaten in dieser Gegend desto größer werden, je kleiner die Distanzen sind. Eine folche gerade Linie wird von den Mathematikverständigen eine Asymptote, und der Theil der krummen, der mit ihr fortlauft, ein asymptotischer Schenkel genannt. Die Linie der Kräfte nimmt also ihren Anfang von einem asymptotischen Schenkel, schlängelt sich nachher verschiedentlich bald neben, bald durch die Are; bei welcher Gelegenheit sie alle die Krümmungen machen kann, die zur Erklärung der natürlichen Begebenheiten erfordert werden. Hr. Boscovich wagt aber weder, die Natur dieser Krümmungen, noch die Anzahl der Punkte zu bestimmen, in welchen die krumme Linie die Ure durchschneidet.

In einer gewissen Distanz erlangt die Kraft des Hrn. Boscovich die Natur der Newton'schen allgemeinen Schwere; und wenn diese anders von dort aus unendlich fortgeht, und nirgend wieder zurückstoßend wird, so wird die Linie der Kräfte fich allba abermals in einem asymptotischen Schenkel endigen,

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