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diese Eigenschaften nicht besißt, sie aus Irrthum oder Vorurtheil zuschriebe, so würde doch das Vorurtheil nicht das Phänomenon der Schönheit erzeugen können. Überhaupt hat alle sinnliche Erkenntniß die untrüglichste subjective Wahrheit; und da dieses auch von der Schönheit gilt, so läßt sich davon auch mit Gewißheit schließen, daß der Gegenstand, der diese subjective Erscheinung wirkt, auch die dazu erforderlichen Eigenschaften, wenigstens in Beziehung auf dieses Subject, besigen müsse. Der allerausschweifendste Geschmack hat einigen Grund in dem Gegenstande. Die Dinge haben verschiedene Seiten, aus welchen sie betrachtet werden können. Es kommt auf Gewohnheit, übung, angeborne und erworbene Fertigkeit, Neigungen, Gemüthsbeschaffenheit, Winkel und Falten der Seele an, wohin die Aufmerk: samkeit bei Erblickung eines Gegenstandes sich lenken, und auf welcher Seite sie haften soll. Und nach diesem Gesichtspunkte richtet sich Schatten und Licht des Gegenstandes, und auch unser Urtheil von seiner Schönheit oder Häßlichkeit. Der Begriff des ekelhaften Schmußes überwiegt bei einem verzårtelten Frauenzimmer alle andere Betrachtungen, in welcher uns etwa der Anblick schön gewundener Därme angenehm seyn könnte. Der Naturforscher unterdrückt die Idee des Schmußes, und findet die Därme interessant. Der Wilde hat kein Gefühl von Ekel, und hängt sie sich zum Puze um den Hals. Gemeine Augen können eine bunte Fläche mit einem wallenden Umriffe schön finden. Geübtere Sinne hingegen fordern eine der Wahrheit ges måße Vermischung von Schatten und Licht, und einen Umriß, der sich zu verlieren scheint.

Mich dunkt, die Urtheile der Menschen in Absicht auf die todte Schönheit weichen nicht so sehr von einander ab, als in Absicht auf die lebendige Schönheit oder den Ausdruck, und insbesondere, wenn Collisionen entstehen. Dieser liebt bräunliche, jener blonde Gesichter. Jene drücken mehr Lebhaftigkeit, diese mehr Seelenruhe aus. Dieser liebt Keckheit, jener Bescheidenheit; ein Anderer offenes, freimüthiges Wesen; Mancher hingegen Verschwiegenheit; dieser mannhafte Festigkeit, jener Empfindsam keit u. s. w. Jede dieser Eigenschaften `hat ihre besondere Physiognomie, die zuweilen mit den Erfordernissen der todten Schönheit in Collision kommt. Daher die verschiedenen Urtheile der Völker und Zeiten in Absicht auf die Schönheit, die erstaunliche Mannigfaltigkeit des Geschmacks, die man sonst dem Eigensinne,

dem Vorurtheile, oder andern zufälligen Ursachen zuzuschreiben pflegt, die aber, meines Erachtens, in der Verschiedenheit der Kräfte und Fähigkeiten, und in der Mannigfaltigkeit ihrer Mischung und Verhältnisse gegen einander ihren zureichenden Grund haben. Diese müssen nothwendig nach Zeit, Raum, Klima, Erziehung, Nahrung, Religion und Regierungsform veränderlich seyn; daher auch die Dinge, die dieser Mischung von Kräften und ihrer Verhältnisse angemessen seyn sollen, die Schönheiten, derselben Veränderlichkeit unterworfen seyn müssen.

Man hat also, von dieser Seite betrachtet, guten Grund, mit dem gemeinen Sprichworte zu sagen: ein jeder hat seinen Geschmack;" und: „über Sachen des Geschmacks läßt sich nicht streiten." In der That, nur ich allein kann sagen, welcher Schein meinen Fähigkeiten angemessen ist und diese ohne Ermůdung beschäftigt. Vernunftgründe und Autoritäten vermögen hier nichts wider die innere Überzeugung. Man kann einen Gelbfüchtigen zwar überführen, daß die Gegenstände, die ihm gelb scheinen, es in der That nicht sind, insoweit man die Farben für etwas objectives, für die Eigenschaften der Oberfläche hålt, die Augen eines gesunden Menschen auf eine bestimmte Weise zu afficiren. Insoweit aber die Farben als etwas subjectivisches betrachtet werden, findet auch in Absicht auf dieselben kein Streiten und überführen statt. Mit der Schönheit hat es dieselbe Bewandtniß. Durch Vernunftgründe und Autoritäten bringt ihr dem Menschen keine unmittelbare Erkenntniß bei. Er wird höchstens Regeln herplappern lernen, die er nicht versteht, und Urtheile nachbeten, wovon sein Innerstes nicht überführt ist.

Wie aber? sind deswegen alle Kritiken vergeblich, alle Regeln grundlos, alle Vernunftgründe in Sachen des Geschmacks bloßes Geschwät? Nichts weniger! Unter allen Arten des Geschmacks muß vielmehr ein einziger der Vollkommenheit und Glückseligkeit der Menschen am zuträglichsten seyn. Dieses wird der wahre, richtige Geschmack seyn, den zu erlangen alle Men= schen sich bestreben müssen. Und insoweit der Mensch, wenigstens indirect, auch über die Mischung seiner Fähigkeiten einige Gewalt hat, und ihnen nach Wohlgefallen Ausbildung und Richtung geben kann; so steht es auch in seiner Macht, sich diesem einzigen wahren Geschmacke mehr oder weniger zu nåhern, und seine Empfindung der Schönheit so auszubilden, wie sie

seiner Bestimmung und dem Endzwecke seines Daseyns am meisten angemessen ist.

Dieses ist das hohe Amt der Kritik. Sie soll uns zeigen: 1) welcher Geschmack der beste sei, d. h. nach obigem Grundsaße, welche Empfindung des Schönen der wahren Bestimmung des Menschen, dem Endzwecke seines Daseyns am zuträglichsten sei, am besten entspreche; und 2) wie wir unsere Kräfte und Fähigkeiten, insoweit es bei uns steht, zu bilden und zu richten haben, um dieses Geschmackes theilhaft zu werden. Führet einem Menschen, der das Groteske liebt, und an der Erhabenheit eines Apoll keinen Geschmack findet, tausend Vernunftgründe und eben so viele Autoritäten an, daß der Apoll vortrefflich sei; ihr werdet ihn zum Schweigen, vielleicht zum Nachplaudern bringen, aber nicht überführen. Zeigt ihm aber erstlich, daß die Empfindung des Erhabenen und Großen dem Endzwecke unsres Daseyns, der wahren Glückseligkeit des Menschen zuträglich sei, ja derselben weit mehr entspreche, als die Empfindung des lächerlichen Grotesken, an welcher er sich zu ergößen gewöhnt hat. Thut dieses aber nicht eher, bevor ihr untersucht habt, ob die Seele desselben der Empfindung des Erhabenen fähig sei, und durch gehörige Ausbildung ihrer theilhaft werden könne. Sonst gereichen eure Bemühungen, wenn sie nicht fruchtlos sind, mehr zum Schaden, als zum Vortheil dieses Menschen. dann zeiget ihm die Weise, wie er seine Fähigkeiten ausbilden soll, um zu dieser Empfindung des Erhabenen zu gelangen, von der er nunmehr einsieht, daß sie seine Glückseligkeit befördern werde. So und nicht anders läßt sich der Geschmack der Menschen ausbilden; so und nicht anders kann man ihm eine unmittelbare Erkenntniß der Schönheit beibringen, deren er ganz unfähig zu seyn schien.

Einzelne Schönheiten können ins Gedränge kommen und einander hinderlich seyn. Das Natürliche und das Sinnreiche, Anständigkeit und Wahrheit, Kühnheit und Bescheidenheit, Eifer und Sanftmuth u. s. w. schränken sich wechselsweise einander ein. Und nun kömmt es auf die subjective Mischung der Kräfte an, welche von beiden sich widersprechenden Schönheiten obsiegen

oder unterliegen soll. Die Franzosen scheinen mehr Anstand als Wahrheit zu lieben, mehr feine Lebensart als Erhabenheit, mehr das Sinnreiche als die Natur; die Engländer das Gegentheil. Jede Nation hat offenbar ihre eigene Mischung von Kräften, wodurch ihr Geschmack bestimmt wird. Welcher Geschmack ist aber der Bestimmung des Menschen am zuträglichsten? Unstreitig derjenige, nach welchem man sich durch ekelhafte oder låcherliche Nebenbegriffe nicht abhalten läßt, das Schreckliche, Erha: bene, Kühne, Naive in seiner ganzen Stärke zu fühlen, bei andern Gelegenheiten aber, wo die Collision vermeidlich ist, sich, am Feinen und Anständigen sich zu ergöhen, geübt hat. Je mehr man sich diesem Ideale nähert, desto vollkommener und richtiger ist unser Geschmack. Man sieht aber auch, wohin man die Bemühung zu lenken habe, wenn man seinen Geschmack verbessern will.

Gedanken Verschiedener bei Gelegenheit einer

merkwürdigen Schrift*).

(aus dem deutschen Museum. Januar 1783, S. 3—9.)

Die Erscheinung des Etwas, das Lessing gesagt hat, hat mich an zwei interessante Briefe erinnert, welche dem fel. Lessing ehemals mitgetheilt wurden und durch andere Wege noch in mehrere Hånde gekommen sind. Ich gebe sie in der Ursprache, um fie vollkommen unverfälscht zu liefern.

M..... le 20. Juin, 1779.

Vous me faites la guerre sur ce que je ne Vous ai point communiqué l'ordonnance qui a paru chez nous pour réformer les études des moines. C'est par discrétion que nous en voulions faire un secret; mais les moines eux-mêmes en ayant donné des copies, cette ordonnance fut réimprimée à B.... et H.... Ainsi je Vous envoye tout ce qui m'en reste d'exemplaires, et je me propose de la faire réimprimer à mon tour. Pour le Votum de.... que Vous m'avez communiqué, c'est une pièce très bien travaillée; mais il porte sur des principes un peu différens des miens. J'eus un entretien sur cette matiere avec feu le Comte de Buckebourg la dernière fois que je vis ce grand homme,

*) Im Januar 1783 waren im deutschen Museum unter dem Titel: Gedanken Verschiedener über eine merkwürdige Schrift, Einwürfe gegen mein Etwas, das Lessing gesagt hat (Berlin bei G. J. Decker 1782) erschienen. An jenen Gedanken Verschiedener hatte Mendelssohn den größten Antheil, und von den Worten an:,,Auch geht unser Verfasser über alles dies sehr schnell hinweg", bis ans Ende, gehören sie ihm allein zu. Diesen Gedanken seşte ich im Februar des Museums Erinnerungen entgegen 2c.

Anmerk. von Friedr. Heinr. Jacobi (in seinen Werken Bd. 4. Abtheil. 1. 1819. S. 38.).

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