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XII. Den 22 März 1759.

Beschluß des 28 sten Briefes.

Die Beobachtung der Saamenthierchen aber, die er in eben demselben Sendschreiben seinem vormaligen Lehrmeister mittheilt, kann ich bei dieser Gelegenheit unmöglich übergehen. Sie sind außerordentlich und entscheidend genug, dem verjährten Streit der Weltweisen wegen der Erzeugung der Thiere auf einmal ein Ende zu machen, wenn sie von andern Naturforschern bestätigt werden sollten. Man zweifelt, ob in dem Saamen Thierchen sind, ob diese Thierchen zur Zeugung der Frucht unmittelbar dienen, oder nur eine Nebenverrichtung dabei haben, wie der Herr von Maupertuis in der Physik der Venus behaup tet; und wenn die Thierchen unmittelbar zur Befruchtung die= nen, so zweifelt man noch, ob die Frucht aus einem einzigen Thiere entsteht oder aus vielen zusammengesezt wird? das richtig ist, was Hr. Lieberkühn gesehen haben will, so ist alles entschieden. Er hat ein Saamenthierchen gleichsam auf der That ertappt, eben da es im Begriff war, sich in die Frucht zu verwandeln.

Wenn

Er bekam ein Eichen oder eine sehr kleine menschliche Frucht, die man mit dem weggehenden Blute in einer Theeschale aufgefangen hatte. Nachdem er die feinen Fåserchen, die wie die Placenta aussahen, mit dem allersubtilsten Zånglein einzeln ausgerauft, und ein dünnes Häutchen, das die Frucht umgab, durch die Kunst geöffnet; entdeckte er statt der Frucht, die er suchte, die Gestalt eines ordentlichen Saamenthierchens mit zwei anhangenden Körperchen, welche er für die Herzkam mern halten zu müssen glaubte. Diese anhangenden Körperchen, sagt Lieberkühn, habe er auch sonst an den Saamenthierchen wahrgenommen, obgleich nur mit den besten Gläsern, in einer gewissen Lage, und mit Mühe und Aufmerksamkeit. Hat es nun mit dieser Ähnlichkeit der Frucht mit den Saamenthierchen feine Richtigkeit, so ist gar nicht zu zweifeln, daß die Saamenthierchen die Grundbildung des Menschen enthalten.

Es gelang unserm Naturforscher, sich von dieser Ähnlichkeit zu überzeugen. In einer trächtigen Hündinn fand er eine Frucht, die der vorhin angeführten menschlichen ähnlich war. Was aber dort wie das Schwänzchen eines Saamenthierchens aussah, hatte sich hier in den Rückgrat verwandelt. Die Wirbelbeine und die Seiten-Fortsäge waren durch ein mittelmäßiges Glas zu erkennen; die spißigen Fortsäße aber waren noch nicht gebildet. An den mit Blut gefüllten Körperchen zeigte sich die Corta.. Was konnten sie selbst also anders seyn, als die Herzkammern? Hieraus schloß Lieberkühn nicht nur mit mehrerer Gewißheit, daß die Frucht wirklich aus einem Saamenthierchen entspringe; sondern er gerieth auf eine neue Wahrheit, daß nämlich das Schwänzchen des Saamenthierchens zum Rückgrat werde. Diesen Gedanken erinnere ich mich auch schon in Haller's Unmerkungen über die Boerhavischen Vorlesungen angetrof= fen zu haben. Allein Lieberkühn hat diese Hypothese fast in eis nen Erfahrungssak verwandelt.

Er legte die Hypothese zum Grunde:,,das Schwänzchen ,,des Saamenwürmleins wird zum Rückgrade des künftigen "Thiers". Aus dieser zog er Folgerungen, und verglich sie mit der Erfahrung; wenn Sie ihm anders glauben wollen, daß er erst geschlossen und hernach Erfahrungen angestellt habe. Wenigstens haben wir keinen Grund, seine Aufrichtigkeit hierin in Zweifel zu ziehen; und ich glaube, Hr. Lieberkühn habe wenig Muße gehabt, verlorne Versuche anzustellen. Er schloß also folgendergestalt: Die Fische müssen nach dieser Vorausseßung an ihren Saamenthierchen lange, aber schwer zu erkennende Schwänze haben; denn sie haben viele Wirbelbeine, aber ihre Knochen sind durchsichtig. Die Frösche und die Schnecken müssen Saamenthierchen ohne Schwänze haben, denn sie haben keine Wirbelbeine. An den Thierchen der Schildkröten muß etwas besonderes zu sehen seyn. Denn weil sie das Schild statt des Rückgrats haben, so müssen ihre Saamenthierchen hinten dick, unbeweglich, und mit keinen Schwänzen versehen seyn. Da sie aber vorn einen Hals mit einem kleinen Kopf haben, der beweglich ist, so müssen die Saamenthierchen derselben vorn so etwas wie ein Schwänzchen haben, sich damit bewegen, und also mit dem, was sonst das Köpfchen zu seyn pflegt, hinten nach, mit dem Schwanze aber voranrücken; denn sonst müßte sich das Thier wirklich rückwärts bewegen.

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Alle diese kühnen Vermuthungen trafen ein. Man liest mit so viel Erstaunen als Vergnügen, wie genau Lieberkühn die Erfahrung mit seinen vorher gemachten Schlüssen hat übereinstimmen sehen. Die Natur scheint sich gleichsam nach den Einfällen ihres Lieblings bequemt zu haben.

Ein jeder Liebhaber der Wahrheit muß diese Beobachtungen von einem geschickten Naturforscher wiederholt zu sehen wünschen. Wenn man sie bewährt fånde, so würde es um manche gekünstelte Lehrgebäude von der Erzeugung gethan seyn, die bisher Aufsehen gemacht haben. Die,,innerlichen Formen“_des Buffon, die „plastischen Maschinchen“, das „Mengsel vom månnlichen und weiblichen Saamen", und tausend andere wohlausges sonnene Kunstwörter, die man für Lehrbegriffe gehalten hat, würden der einfältigen und ungekünstelten Wahrheit Plag machen müssen.

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29ster Brief.

Sie finden den aus dem Cicero angeführten Sak zwar nicht ungereimt: singularum rerum singulas proprietates esse, oder wie ich ihn mit andern Worten ausgedrückt: nichts kommt einem Dinge völlig so zu, wie es einem andern Dinge zukommt. Sie möchten ihn aber nicht gern für die Langeweile annehmen. Die Erfahrung scheint für ihn die Gewähr zu leisten; allein Sie fordern Beweise, dadurch die Allgemeinheit eines Grundsaßes außer Zweifel gefeßt werden muß. Vielleicht kann ich Sie befriedigen! Ich muß mich aber vorerst erklären, wie ich diesen Sak verstehe. Man läugnet, wie mich důnkt, keinesweges, daß eben dieselbe beständige oder veränderliche Eigenschaft vers schiedenen Dingen zukommen kann; man ist nicht in Abrede, daß der abgezogene Begriff des Geschlechts in allen darunter enthaltenen Arten, so wie der abgezogene Begriff einer Art in allen einzelnen Dingen anzutreffen sei, die sie in sich begreift. Man behauptet aber, daß dieser abgezogene Begriff des Ge. schlechts in verschiedenen Arten verschiedene Bestimmungen und Einschränkungen erhalte, dergestalt daß er einer Art nicht völlig so zukommen könne, wie einer andern; und dieses gilt auch von

den Bestimmungen, welche die Urt ausmachen, in Ansehung der einzelnen Dinge: dergestalt, daß keine einzige Bestimmung zweien Dingen auf eine völlig ähnliche Weise zukomme. Wenn Cicero die angeführten Worte nicht so verstanden, so hätte er sie meines Bedünkens doch so verstehen sollen.

Die Wahrheit dieser Behauptung zu beweisen, bediene ich mich des Baumgarten'schen Grundsakes, daß nichts in der Welt ohne Folgen sei" *). So wenig ein Ding ohne zureis chenden Grund ist, daraus sich alles verständlich erklären läßt, was dem Dinge zukommt; eben so wenig ist etwas so unfruchtbar, daraus nichts folgen, dadurch sich nichts sollte ers Elåren lassen. Ich sehe diesen Grundsak als bewiesen zum

voraus.

Nun sei a diejenige Bestimmung, die zwei Dingen, b und c, auf eine völlig ähnliche Weise zukommen soll. Sie wird also in b mit den übrigen Bestimmungen d, e, f u. f. w.; in c aber mit den Bestimmungen g, h, i u. f. w. verbunden seyn. Die Verschiedenheit der übrigen Bestimmungen, mit wel chen die Bestimmung a in verschiedenen Vorwürfen, b und c, verbunden ist, kann in Ansehung dieses a selbst nicht ohne alle Folgen seyn. Daher muß a in dem Vorwurfe b andere Ein ́schränkungen und Abånderungen leiden als in dem Vorwurfe c, und folglich beiden nicht völlig auf eben die Weise zukom men. Aus dem angenommenen Sage also, daß etwas zwei Dingen auf eine völlig ähnliche Weise zukommen könne, find wir durch eine bündige Schlußfolge auf den entgegenstehenden Sah gekommen, daß nämlich nichts einem Dinge so zukommen könne, wie es einem andern Dinge zukommt; und also wåre mein Sah erwiesen.

Damit Sie aber auch an der Fruchtbarkeit dieses Grundsages nicht zweifeln; so will ich Ihnen einige Folgerungen hers sehen, die sich aus dem Saße des Nichtzuunterscheidenden, wie er in den Schulen gelehrt wird, nicht ohne Umschweif beweisen lassen, aus diesem weit allgemeinern Grundfaße aber gleichsam von selbst fließen. Diese sind:

1) keine Eigenschaft kann mehr als einer einzigen Selbstständigkeit im höchsten Grade zukommen ;

*) Nihil est sine rationato. Baumg. Metaph. §. 23.

2) einem zusammengefeßten Wesen kann nicht eine einzige Bestimmung im höchsten Grade zugeschrieben werden;

3) ein Wesen, dem eine einzige Eigenschaft im höchsten Grade zukommt, muß auch alle übrige Eigenschaften im höchsten Grade besigen, und folglich unveränderlich seyn;

4) es giebt so wenig vollkommen harte und elastische, als vollkommen dichte und lockere Körper in der Natur; denn auch die Eigenschaften, die Phånomena sind, können dem Körper nicht im höchsten Grade zukommen.

Alle diese wichtigen Säße ergeben sich von selbst, wenn wir den Saß des Nichtzuunterscheidenden auf alle mögliche Accidentien ausdehnen, die einem Wesen zukommen können. Die Beweise davon belieben Sie selbst in schulgerechte Form zu bringen.

Aus dem zweiten Theil.

XVI. Den 19 April 1759.

34fter Brief.

Kennen Sie einen deutschen Profeffor, der Leibniß des Hylozoismi *) beschuldigt und beim Glissonius das ganze Leibnizische System zu finden geglaubt hat? Hier ist eine kleine Dissertation, die im Jahr 1758 zu Gröningen herausgekommen, in welcher die Sache unfres großen Leibniz gründlich vertheidigt wird. Sie führt den Titel: Friderici Adami Widderi A. L. M. Phil. Dr. et Prael. Publ. Dissertatio philosophica

*) Ein Lehrgebäude, nach welchem man der Materie ein Leben zufchreibt; von in die Materie, und swń das Leben.

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