Page images
PDF
EPUB

b) Ja es ist nicht einmal nöthig, daß ein dramatisches Stück aufgeführt würde, um zu gefallen. Wer beim Lesen urtheilen kann, ob der Dichter sein Stück mit der gehörigen Kunst ausgearbeitet, und ob er es so gemacht hat, daß es durch die lebendige Vorstellung eines höheren Grades der Nachahmung fähig werden kann; der kann die äußere Vorstellung leicht entbehren.

§. 14.

Das beste Mittel, uns intuitive von dem Werthe der Nachahmung zu überzeugen, ist, wenn vermittelst der Illusion unangenehme Leidenschaften in uns erregt werden.

a) Wenn wir eine gemalte Schlange plößlich anblicken, so gefällt sie uns desto besser, je mehr wir uns davor erschreckt haben. Aristoteles glaubt, wir ergößten uns, weil wir von der vermeinten Gefahr befreit worden wären. Allein wie unnatürlich ist diese Erklärung! Ich glaube vielmehr, der kurze Schrecken überführt uns intuitive, daß das Urbild getroffen sei.

b) Daher gefallen uns alle unangenehme Affecten in der Nachahmung. Der Musikus kann uns zornig, betrübt, verzweiflungsvoll u. s. w. machen, und wir wissen ihm Dank für die unangenehmen Leidenschaften, die er in uns erregt hat. Man sieht aber, daß in diesen Fällen das zweite Urtheil: diese Affecten find nur nachgeahmt, unmittelbar auf den Affect folgen muß; weil sonst die unangenehme Empfindung, die aus dem Affecte entspringt, größer seyn würde, als die angenehme, die eine Wirkung der Nachahmung ist.

c) Aus diesen Gründen lassen sich die Gränzen des bekannten Gesetzes bestimmen: die schönen Künste sind eine Nachahmung der Natur, aber nicht die Natur selbst.

Zufällige Gedanken über die Harmonie der inneren und äußeren Schönheit.

(Um das J. 1755.)

(Aus I. Heinemann's Moses Mendelssohn. S. 57-66.)

Die Maschinen der Natur sind von den Kunstmaschinen darin unterschieden, daß bei jenen das Innere und Äußere, Materie und Form, Kraft und Schein, allezeit in der genauesten Verbindung stehen; welches aber bei den Werken der Kunst nicht statt findet. Die Baukunst macht eine Ausnahme. Die Ge= bäude müssen den Schein der Festigkeit und Bequemlichkeit haben. Die Materie verhält sich bei den Werken der Kunst bloß leidend, und der Künstler drückt ihr durch eine fremde Kraft eine ihr gleichgültige Form ein; dahingegen die Natur durch innere Kräfte die Materie in die gehörige Form bringen, und also durch innere Kraft den äußern Schein wirken läßt. Es wird sich also bei den Naturmaschinen, durch diese Harmonie des Innern und des Äußern, von dem Einen auf das Andere schließen lassen; bei den Kunstmaschinen aber nicht. Mit andern Worten: die Naturmaschinen haben eine Physiognomik, die Kunstmaschinen aber nicht.

Zwischen Güte und Schönheit findet dieselbe Harmonie statt, wie zwischen Kraft und Schein; denn die Schönheit ist nichts anderes, als sichtbar gewordene Güte und Tüchtigkeit.

Da aber die Güte etwas objectivisches ist, bei der Schönheit hingegen viel subjectivisches mit unterläuft, so kann diese Harmonie nicht vollständig seyn. Mancher Gegenstand kann Schönheit lügen, mancher seine Schönheit zu sehr verbergen, wenn nämlich die innern Eigenschaften außer dem Gebiete des ästhetischen Gefühls liegen.

Die Vorsehung hat dafür gesorgt, mehrentheils innere Tüchtigkeit durch außere Schönheit, Güte durch Annehmlichkeit zu erkennen zu geben. Da aber dieses nur eine Nebenabsicht gewesen, so hat sie zuweilen höheren Absichten weichen müssen, wenn sie mit ihnen in Collision gekommen. Hierher gehört der Geschmack der Speisen und ihre Gesundheit oder Zuträglichkeit für den menschlichen Körper.

Das Symbol der äußern Schönheit mit bösem und gefahrvollem Innern verknüpft, ist das Haupt der Meduse, das mit Schlangen geziert ist, weil auch diese Schönheit in Form und Bewegung mit innerem Schädlichen verbinden. Hingegen war die Hermessäule nach der Beschreibung, die, wo ich nicht irre, Alcibiades im Gastmale des Plato davon macht, ein Sinnbild der inneren Vortrefflichkeit, mit äußerer Häßlichkeit verbun= den. Der Elephant verbirgt mehr als thierischen Verstand und eine feine, beinahe edle Empfindsamkeit unter einem plumpen äußeren Wesen, das nicht den mindesten Geist verspricht.

Jede Naturmaschine ist in doppelter Rücksicht der Schönheit und Häßlichkeit fähig: 1) als Form, und 2) als Ausdruck; als Form, insoweit die Maschine sich in Linien und Flächen endigt, die sowohl in Ruhe, durch Wendung und Farbe, als zum Theil in Bewegung, an und für sich betrachtet, schön, reizvoll, erhaben u. s. w. seyn können. Man kann dies die todte Schönheit der Naturmaschine nennen. Da aber auch das Äußere derselben ein natürlicher Ausdruck des Inneren ist und die guten und bösen Eigenschaften, die Vollkommenheiten und Mängel der Dinge sichtbar macht, so machen sie auch in dieser Betrachtung einen angenehmen oder widrigen Eindruck, erregen Gefallen oder Mißfallen, sind schön oder håßlich.

Die lebendigen Schönheiten sind von verschiedener Art. 1) Die organischen oder sinnlichen Merkmale, welche die innerlichen organischen Vollkommenheiten natürlich ausdrücken; z. E. die äußerlichen Kennzeichen von Gesundheit der Pflanze, von ihrer Fähigkeit zum Wachsthum, Nahrung und Fortpflanzung.

2) Die thierische Schönheit, oder sinnlichen Merkmale der inneren thierischen Vollkommenheiten, als der Empfindung, Willkühr und des Naturtriebes. 3) Menschliche oder geistige Schönheit, d. i. sinnliche Merkmale, welche Vernunft, Freiheit des Willens, Empfindsamkeit, Sittlichkeit, und die übrigen Eigenschaften eines vernünftigen Wesens auf eine natürliche Weise ausdrücken.

Es giebt auch zufällige Schönheiten, d. i. Merkmale, welche gewisse innerliche Eigenschaften nicht durch natürliche Verbindung, sondern bloß durch zufällige Association der Begriffe andeuten, und also nur gewissen Personen eigen seyn können. So nehmen uns zuweilen gewiffe Gesichtszüge ein, die an und für sich unbedeutend sind, uns aber gefallen, weil wir sie an gewissen Gegenständen unserer Liebe und unserer Hochachtung wahrgenom men haben. Die Nachahmung äußerlicher Fehler und Mängel großer verehrungswerther Männer ist daher zu erklären. Es ist nicht immer bloß niederträchtige Schmeichelei, wie Mancher zu glauben geneigt ist.

Aus der harmonischen Verbindung und Vereinigung aller dieser Schönheiten entspringt die Schönheit des Menschen.

Zwischen der todten und lebendigen Schönheit findet abermals eine Harmonie statt, insoweit die Natur die innere Vollkommenheit des Lebens mehrentheils durch schöne Formen, Farbe und Bewegung zu erkennen zu geben pflegt. Jedoch finden auch hier häufige Ausnahmen statt.

Die unmittelbare Vorstellung einer Sache, d. h. wie sie sich uns ohne Zergliederung, Überlegung u. s. w. darstellt, heißt ihr Schein.

Angenehm ist eine Vorstellung, wenn sie uns mehr unsere Kräfte, als ihre Einschränkung empfinden låßt, d. h. wenn sie unsere Kräfte ohne Anstrengung beschäftigt.

Eine Sache, die einen angenehmen Schein hat, ist schön.

Es giebt kein absolutes Ideal der Schönheit; sondern jedes Subject erfordert, nach dem Maaße seiner Kräfte und Fähigkeiten, ein anderes Ideal, das demselben entspricht. Ein absolutes Ideat würde alle vorhin angeführte Schönheiten in dem höchsten Grade und in der, vollkommensten übereinstimmung verbinden. Dieses ist so wenig möglich, als daß sich ein Körper mit der allergrößten Geschwindigkeit, oder nach allen Richtungen zugleich bewege.

Selbst unter den Hogart'schen Schönheitslinien giebt es keine, die an und für sich die schönste wäre. Jeder menschliche Sinn erfordert nach dem Grade seiner Schärfe und Blödigkeit einen größeren oder kleineren Schwung. Da aber alle gesunde, unverfangene menschliche Sinneskräfte innerhalb bestimmter Grånzen der Schärfe und Stumpfheit bleiben, so wird das Ideal in der Mitte zwischen den äußersten Gränzen gleichsam schwimmen.

Jedes Subject hat eine ihm eigene Mischung von Fähig keiten und Neigungen, welche sein Genie und seinen Charakter ausmachen. In dieser Mischung wird mehrentheils eine Eigenschaft gleichsam hervorstechen, und den Hauptzug des Genies oder Charakters ausmachen; diesem werden die übrigen Eigenschaften untergeordnet seyn. So wird auch das Ideal, das jedem dieser Subjecte entspricht, jedes seine eigene Mischung von todten und lebendigen Schönheiten aller Art haben müssen, nebst einem, in derselben nicht selten hervorstechenden Ausdruck des Guten, welches den Charakter des Ideals ausmacht. Im Herkules z. B. wird der Ausdruck der Kraft den Hauptcharakter ausmachen, im Jupiter die Majeståt, in der Venus die Wollust, im Merkur Behendigkeit, in der Minerva Weisheit u. s. w. Alle übrige Schönheiten oder finnliche Ausdrücke des innern Guten haben eine Beziehung auf diesen Hauptcharakter, und sind demselben untergeordnet. Der Apoll allein scheint nach der Beschreibung, die von demselben gemacht worden, alle diese Schönheiten in der besten übereinstimmung, ohne daß eine derselben merklich hervorsteche, zu besigen. Indessen kann er doch nur die Schönheiten des männlichen Geschlechts haben, obzwar in dem blühendsten Lebensalter, das Kraft und Unschuld mit Erfahrung und Weisheit verbindet. Für die Schönheiten des weiblichen Geschlechts wird ein anderes Ideal aufgesucht werden müssen, in welchem nicht Thätigkeit, sondern Liebreiz der herrschende Charakter seyn wird.

Da die Schönheit eine unmittelbare Empfindung ist, die nicht von unsern Urtheilen und Vernunftschlüssen abhängt, fo findet auch in Ansehung derselben kein Irrthum, kein Vourtheil statt. Was irgend einem Menschen gefällt und schön dûnkt, muß einen Grund des Wohlgefallens enthalten, muß Eigenschaften besigen, die wenigstens diesem Subjecte angemessen sind, und der Mischung seiner Fähigkeiten eine angenehme Beschäftigung darbieten. Wenn auch Jemand einem Gegenstande, der IV, 1.

3

« PreviousContinue »