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Versuch, eine vollkommen gleichschwebende Temperatur durch die Construction zu finden *).

(Aus Marpurg's hist.-krit. Beyträgen zur Aufnahme der Musik. Bd. V. Stück 2. Berl. 1761. S. 95—109.)

Man hat sich seit vielen Jahren Mühe gegeben, eine gleichschwebende Temperatur in Zahlen auszudrücken. Die Unmöglichkeit, dieses ganz genau bewerkstelligen zu können, leuchtete zwar

*) Der Streit über den Vorzug dieser oder jener ungleich schwebenden Temperatur hat aufgehört, seit uns Neidhardt mit der gleichschwebenden Temperatur bekannt zu machen angefangen. Man hat gefunden, daß weder die eine, noch die andere etwas taugt; und daß in einer Tonleiter, wo die kleinen und großen halben Töne in einerlei Klanggrößen ausgeübt werden, nothwendig alle Töne zwischen eins und zwei in einer stetigen geometrischen Proportion zusammenhangen müssen. Man ist also auf verschiedene Art eine gleichschwebende Temperatur zu berechnen bemüht gewesen, z. B. 1) vermittelst der Ausziehung der Wurzeln, 2) durch Vergleichung des Quinten- und Quartenzirkels, 3) durch die geometrische Zerfällung des ditonischen Commatis, 4) durch die arithme= tische Theilung desselben, 5) durch die geometrische Zerfällung des syntonischen Commatis in elf Theile, 6) durch die arithmetische Zergliederung desselben in eben so viele Theile, 7) durch die Rationalzahlen des Mollaccords 6:5:4:3. (Krit. Briefe über die Tonkunst, 39. 40. 41. Stück), 8) durch die arithmetische Zergliederung der Diesis 125:128, 9) durch die geometrische Theilung derselben, 10) durch die arithmetische Zerfällung des kleinen Terzencommatis 625: 648, 11) durch die geometrische Theilung desselben, u. s. w.

in die Augen; allein man begnügte sich, es durch die Näherung zur Wahrheit dahin zu bringen, daß der Fehler nicht zu merken war. Nun ist zwar ein geübtes Ohr im Stande, einen ungemein kleinen Unterschied zu bemerken; allein so scharf ist der geübteste Sinn nicht, daß er nicht sollte betrogen werden können. Man hat also leichtlich einen harmonischen Canon finden können, der dem feinsten Gehör gleichschwebend deuchtet. An die mathematische Construction hat man selten gedacht. Man wußte, daß sie möglich sei, und daß man durch dieselbe die verlangten Lången, ohne die mindeste Abweichung, finden könne; allein man hielt sie für unbequem, vermuthlich weil zu einer vollkommenen geometrischen Construction der verlangten Lången höhere krumme Linien vonnöthen sind, welche nun freilich in der Ausübung unsägliche Schwierigkeiten verursachen. Neidhardt, der sich um die Temperatur sehr verdient gemacht, spricht folgendergestalt davon. Was die geometrische Construction betrifft, so wird eine geometrische Mittelproportionallinie insge

"

Obgleich eine auf solche Art berechnete gleichschwebende Temperatur dem Gehör alle mögliche Genugthuung giebt, so kann man doch, wegen der am Ende vorkommenden Brüche, nicht behaupten, daß eine einzige davon das Auge gänzlich befriedige; es müßte denn die von Nro. 7 seyn. Ich übergehe die Differenzen, die sich, wegen der verschiedenen Arten der Solution, in den legtern Ziffern finden, ob man selbige gleich wegwirft. Der Herr Kirnberger, einer unsrer besten Tonkünstler hieselbst, dem diese Unvollkommenheit unserer gleichschwebenden Temperatur bekannt war, und der gerne eine gleichschwebende Temperatur auf dem Monochord zu sehen wünschte, die zugleich das Ohr und das Auge vergnügte, bekam dasjenige zu lesen, was Neidhardt in seiner Sect. canon. harmon. von der geometrischen Construction in Absicht auf die Temperatur schreibt. Er nahm Gelegenheit, mit einem scharfsinnigen Mathematiker hieselbst, dessen Namen zu nennen ich nicht die Erlaubniß habe, hierüber zu sprechen, und denselben zu fragen: ob dasjenige, was der Herr Neidhardt nur so obenhin berührt hatte, sich nicht näher untersuchen und vielleicht mit mehrerer Genugthuung, als die arithmetische Annäherung, auf _einen Canon zur Ausübung bringen ließe. Der gelehrte Freund des Herrn Kirnberger übernahm diese Untersuchung, und hatte nach einer kurzen Bemühung das Vergnügen, das Räthsel aufzulösen und die von dem Herrn Neidhardt gelassene weite Lücke auszufüllen. Hier ist sein Aufsag über diesen Gegenstand, der seinen vortrefflichen Einsichten so viel Ehre macht, als er nicht nur allen Kennern der gleichschwebenden Temperatur, sondern auch den Mathematikern selbst gewiß angenehm seyn wird. (Anm. von Marpurg.)

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