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«Aus den Notizen eines Reisenden»), mit kleineren Auf sätzen über alle möglichen Kulturgegenstände, alles auf eige nen Forschungen, zu Hause oder im Ausland, beruhend, oft wichtige Einzelbeiträge zur Geschichte des kulturellen Lebens in Schweden enthaltend, aber auch über weitere Gebiete sich erstreckend (Folklore, Kunstgeschichte); Archivfunde, teilweise als solche veröffentlicht, teilweise den Stoff zu lebhaften Schil derungen aus alten Zeiten (z. B. dem Leben in Uppsala) abgebend; Briefe und Lebenserinnerungen bekannter Persönlichkeiten, mit gründlichem Kommentar versehen; eine in vielen Auflagen erschienene Sammlung von mittelalterlichen Sagen, der Jugend erzählt; eine Masse von Zeitungsartikeln, Rezen

sionen u. s. W.

Diese Übersicht dürfte einen Begriff nicht nur von Schücks riesiger Arbeitskraft, sondern auch von der Richtung und dem Charakter seines Forschernaturells geben. Er ist vor allem Historiker, genauer bestimmt Kulturhistoriker, und als solcher der entschiedenste Empirist und Realist; absolut kein Philosoph und auch kein Ästhetiker, wenn man darunter die theoretische Spekulation begreift, aber wohl Ästhetiker in dem Sinne, dass er den Schönheits- und Kunstwerten durchaus nicht fremd gegenübersteht; Psychologe insofern, als er es vor allem liebt, die Menschen, besonders gern feste, ganze Gestalten darzustellen und das Menschliche, um nicht zu sagen das Männliche, überall hervorzuheben; nicht aber Psychologe in der Bedeutung, dass er sich für den feineren Zusammenhang der Dichterpsyche und des Dichterlebens mit der Dichtung selbst interessierte.

Auch nicht Realist in dem Sinne, dass er sich von aller Spekulation fernhielte: im Gegenteil, er liebt es sogar, zu spekulieren und zu konstruieren, aber sozusagen nur in fess tem Material. Seine grösste Leistung auf diesem Gebiet und wohl überhaupt seine grösste selbständige wissenschaftliche Leistung - ist die Geschichte der mittelalterlichen Lites ratur Schwedens. Hier hat er einen genialen und sicheren Bau aus einem Stoff aufgeführt, der nur in losen Notizen

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bestand, hat die Voraussetzungen für die Konstruktion mit bewunderungswürdiger Schärfe auseinandergelegt und dann die Folgerungen gezogen. Einige seiner Biographien sind in anderer Weise gelungene Konstruktionen, indem sie aus sehr verschiedenartigen, oft auch fragmentarischen Dokumenten ein volles Lebensbild zusammensetzen. Auf Gebieten, die sonst nordischen Philologen und Archäologen gehören, hat er Probleme angegriffen und selbst Theorien aufgeworfen. Stellungnahme zu Theorien ist überhaupt seine Lieblingsbeschäftigung.

Schon in seiner ersten gedruckten Schrift, einer Anzeige des bekannten herabsetzenden Aufsatzes des greisen Historikers Anders Fryxell über Bellman, betont Schück (wie einer seiner Kollegen, Prof. Sylwan in Göteborg, in einer vorzüg lichen Charakteristik zu Schücks 65-jährigem Geburtstag hers vorgehoben hat), dass die literarhistorische Forschung in Schweden zurückgeblieben ist, weil sie mehr ästhetische als historische Zwecke verfolgt hat. Obgleich ein Feind aller theoretischen Darlegungen hat Schück auch später dann und wann seine Auffassung über die Literaturgeschichte formuliert, ja sogar einen Aufsatz über «Literaturhistorische Methoden>> geschrieben. Er unterscheidet hier nicht sowohl drei Metho den als vielmehr drei Arten von Literaturgeschichte: die phi lologische, die ästhetische und «die Literaturgeschichte als selbständige Wissenschaft», das heisst «die Geschichte der geistigen Kultur, insofern diese sich in der Literatur abspiegelt». Es ist klar, dass er diese letztere vorzieht. Am deutlichsten hat er sich in dieser Richtung ausgesprochen in der Vorrede zu seinen letzten «Hauptzügen der schwedischen Literatur» in drei Bänden (1917-18), worin er sagt: «In dieser Arbeit haben wir strenger als sonst den Charakter der Literaturgeschichte als die Geschichte des Volkes, soweit sie sich in der Literatur abspiegelt, festzustellen versucht.>>

Von allen seinen Vorgängern ist vielleicht Hettner derjenige, dem Schück das meiste verdankt, wenigstens was seine kulturhistorische Methode betrifft. Mit Recht hat Prof. Syl

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wan bemerkt, dass Hettners Behandlung der vorgoetheschen Zeit dem Schückschen Ideale nahekommt, obgleich der letz= tere andererseits nicht die Bewunderung Hettners für den deutschen Neuhumanismus teilt. Ich möchte hinzufügen, dass Schück auch dem Begriff der Kulturgeschichte einen weiteren Umfang verleiht, indem er sich viel mehr mit Ponderabilien abgibt, wirtschaftliche Verhältnisse, die Art der Erziehung, u. s. w. Fesselnd ist auch Sylwans Darstellung von Schücks Verhältnis zu Taine. Der Kern der Übereinstimmung, sagt Sylwan, liegt in der Methode und in dem Ziele der historischen Schilderung: das Dichtwerk hat darin seine Bedeutung nicht an und für sich, sondern als Denkmal über das Zeitalter, in und aus welchem heraus es entstanden ist. Aber während die Geschichte für Taine am nächsten eine Beispielsammlung zu seinem ästhetischen System ist, behandelt Schück sie als Empiriker und steht zu seinen Quellen in einem ganz ande ren, viel mehr kritischen und philologischen Verhältnis als Taine. Mir scheint, als ob bei Schück eigentlich mehr Nach= klänge von Taine vernehmbar seien als ein unmittelbarer Widerhall; und auch diese sind so gründlich umgearbeitet, dass wir jedenfalls in Schücks grossen Arbeiten einen ganz anderen Ton hören als in denen Taines, einen robusten, irdischeren, auch einfacheren. Das hindert nicht, dass in einzelnen Arbeiten, wie in der Studie über Gustav III., «auf einer herrschenden Eigenschaft aufgebaut», sich eine nähere Verwandtschaft mit Taines Methode spüren lässt; doch fragt sich jeder, der Schück näher kennt, ob hier nicht ebensowohl ein Ausschlag seines eigenen Temperamentes vorliegt: wo er auf eine eigene Idee kommt, besonders wenn sie sich ihm als die richtige im Gegensatz zu der allgemein herrschenden darstellt, kann er sie mit einer eigensinnigen Kraft durchführen, die der Einseitigkeit nahe kommt. Will man den inneren Grund zu Schücks Auffassung seiner Wissenschaft feststellen, so findet man auch ihn, glaube ich, zuletzt in der ganzen realistischen Anlage seiner Natur, den weiten Interes sen, dem wachen Blick für alles, was mit der Kulturentwick

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lung zusammenhängt, der unbeschränkten Wissbegier, dem gesunden Drang, alles aus tatsächlichen Verhältnissen herzuleiten, der Geringschätzung geistiger Erscheinungen, die der Grundlage im inenschlichen Erfahrungs- und Gefühlsleben entbehren. Ich möchte kurz sagen, dass seine Methode eine biologische ist. Aber dabei empfängt sein allem Bedeutenden offenstehender Sinn von verschiedenen Seiten Eindrücke: so unterschätzt er keineswegs die Analyse eines Sainte-Beuve, eines Georg Brandes, obgleich es nicht in seiner Natur liegt, ihnen auf diesen Wegen zu folgen.

In Schweden, wie überall, war die Frage nach den vers schiedenen Richtungen der Literaturforschung während langer Zeit einer lebhaften Besprechung unterzogen, und die historischvergleichende Methode bekam, wie gewöhnlich, die Wahrheit gründlich zu hören. Einzelne Übertreibungen und Fehlgriffe beim Haschen nach literarischen Vorbildern, sowie eine einseitige Beschäftigung mit Milieueinflüssen gaben hierzu einen scheinbaren Anlass. Aber, wie oben schon angedeutet, diese Behandlung der schwedischen Literaturgeschichte wirkte auf sie revolutionierend. Zwar war Schück nicht der allererste, der die geschichtliche Methode einführte: sein Vorgänger in Lund, Gustaf Ljunggren, hatte in einigen wichtigen Arbeiten die Bahn gebrochen. Schücks Anregungen bedeuteten jedenfalls mehr. Um ihn sammelten sich jüngere Forscher, die wieder die Richtung weiter verpflanzten. Sie beharren gewiss in der Verfolgung bestimmter historischer Aufgaben, denn so haben sie ihre Arbeit aufgefasst, und dadurch legen sie immer neue Gebiete ihres Bodens bloss. Sie überlassen anderen die psychologisch-ästhetischen Erwägungen, denn sie haben sowieso genug zu tun. Dafür dürfen sie nicht gerügt werden, sondern die anderen, die sich nicht genug geltend machen. Übrigens hat Schück in seinen letzten Bearbeitungen der schwedischen Literaturgeschichte selbst einige vorzügliche und von feinem poetischen Urteil beseelte Dichteranalysen gegeben.

Dass diese Fragen auch das grosse Publikum in Schweden so stark interessiert haben, beruht einerseits überhaupt auf

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dem allgemeinen, weit verbreiteten Interesse für Literatur und Wissenschaft und dann auch nicht wenig darauf, dass der bedeutendste und produktivste Literarhistoriker des Landes sich in seiner ganzen Tätigkeit immer an die allerweitesten Kreise gewendet hat. Daher sind einige formale Züge seiner Bücher zu erklären. Er hat sich erstens einen ganz besonderen Stil herausgebildet. Dieser ist klar, einfach und sachlich, aber durch seine Anschaulichkeit und durch das in jeder Zeile fühlbare Einleben in den behandelten Gegenstand im höchsten Grade unterhaltend. Dabei ist jedoch nicht ein Eingehen auf streitige wissenschaftliche Fragen ausgeschlossen, im Gegenteil, abweichende Ansichten und ihre Urheber wer den genannt. Als eine Folge dieser Popularisierung fällt aber und zuweilen in recht peinlicher Weise auf, dass die wissenschaftliche Literatur nie angeführt wird, weder in Zitaten noch in Bibliographien. Das empfindet nicht nur der Fachmann, sondern auch der Laie, der möglicherweise weiter gehen möchte, als einen Mangel. Man ist nicht daran gewöhnt, dass man in dieser Weise der Mittel zur Kontrolle beraubt wird.

Sicher sind für Schück solche Dinge Adiaphora und unsere Ansprüche pedantisch. Seine Parole «nulla dies sine libello», immer vorwärts; immer neue Gegenstände und neue Bände! - gestattet ihm wohl auch nicht, über derartiger Perlenstickerei Zeit zu verlieren, und wenn einige skrupel hafte Leser sich beklagen, dass sie bei dem Studium seiner Darlegungen zuweilen gleichsam in der Luft hängen bleiben, so betrachtet er es ohne Zweifel als ihre eigene Schuld. Hie und da kann auch diese ununterbrochene Zirkulationsbewe gung zwischen Archivalien, Schreibtisch und Druckerei zu Kleinigkeiten führen, die bei dem wissenschaftlichen Paragraphenmenschen ein Kopfschütteln hervorrufen? Quellen können übersehen werden, ein Dokument kann als Neuigkeit erscheinen, das vor nicht langer Zeit veröffentlicht wurde, eine fehlerhaft interpretierte Textstelle kann unnötige Kommentare hervorrufen, eine früher ausgesprochene Ansicht kann jedenfalls immer freimütig zugegebene sogar mehrere

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