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Sitzungen der Berliner Gesellschaft

für das Studium der neueren Sprachen.

Sitzung vom 28. September 1886.

Der Vorsitzende widmet dem Andenken der beiden verstorbenen Herren Direktor Viehoff und Professor Scherer, von denen der erste der Gesellschaft als Ehrenmitglied, der zweite als ordentliches Mitglied angehörte, Worte der Anerkennung. Die Versammlung erhebt sich zu ihren Ehren von den Sitzen. Darauf dankt der Vorsitzende für die ihm zu seinem siebzigsten Geburtstage von dem Vorstande im Namen der Gesellschaft überbrachten Glückwünsche und die festliche Adresse, welche ihn hochbeglückt habe.

Herr Zupitza teilt drei Shakespeare-Miscellen mit. 1) Heinrich VI. 2. Teil 4, 3, 8 f. in der Rede Jack Cades: the Lent shall bee as long againe as it is, and thou shalt haue a license to kill for a hundred lacking one ist zu der Zahl weder mit Malone beasts noch mit anderen persons zu denken, sondern aus dem vorhergehenden Lents zu ergänzen. 2) Titus Andronicus 2, 2 ist als Ort der Handlung nicht A Forest (near Rome), sondern (vergl. schon Delius zu V. 6) Rome. Court of the Emperor's Palace anzusetzen. 3) Hamlet 3, 2, 123 wird die von Delius gegebene Erklärung von country matters gegenüber der von Tschischwitz bestätigt durch den Ausdruck rusticitatis opus in der Comoedia Lydia des Mathieu de Vendôme (Sunt tibi, dux, thalami, sunt et loca talibus apta: fac, sed ne videam, rusticitatis opus: vergl. Originals and Analogues of some of Chaucer's Canterbury Tales S. 184).

Herr Vatke spricht über Gärten und Gartenkunst in Shakespeares England, indem er auf das Färben der Blumen, die curious knots, mazes, arbours und spring gardens besonders eingeht.

Herr I. Schmidt teilt darauf eine Reihe von ihm selbst verfafster Übersetzungen englischer Trinklieder mit. Diese im ganzen spärlich vertretene Gattung der Poesie wird erst seit der Zeit Shakespeares etwas häufiger. Mit den beiden Liedern aus Sheridans Duenna bricht der Vortragende ab.

Zum Schlusse hält Herr Bourgeois einen Vortrag in französischer Sprache über die Jugendzeit von Sainte-Beuve.

Sitzung vom 12. Oktober 1886.

Herr Roediger spricht über einige Gedichte Walthers von der Vogelweide. In 109, 19 findet er den Fehler nicht in liebe, wie die Herausgeber, sondern in spilnden. Die Worte liebe und fröide aus 17. 18 werden in 19 und 21 (fröidenrichen) wieder aufgenommen, spilnden aber zerstört den Gegensatz zu 21 ff. und ist wohl veranlafst durch wunder spil 20 und die Häufigkeit der Formel spilndiu ougen. Dem Sinne nach würde ûz truobe sehenden ougen genügen, es erscheint aber wenig poetisch. In dem Gedicht 74, 20 ist weder die Strophenfolge der Handschrift möglich, noch die von Paul in seiner Ausgabe gewählte. Nach den Worten wart mirs iht mêr, daz trage ich tougen kann der Dichter unmöglich eine Schilderung des genossenen Glückes geben, und wenn dies Glück nur ein Traum war, wie kann er dann, nach Paulscher Anordnung, sagen mir ist von ir geschehen, daz ich allen meiden muoz vast under ougen sehen? Bei Paul wiederholen auch Z. 1 und 2 der zweiten Strophe ungeschickt den Inhalt der ersten. Ferner ist in der ersten der Kranz fertig, während in der zweiten erst die Blumen dazu gebrochen werden sollen, und in der dritten nimmt das Mädchen wieder den fertigen Kranz, ohne dafs die Blumen gepflückt worden wären. Wart mirs iht mêr, daz trage ich tougen und das Erwachen nach dem Traume sind deutliche Abschlüsse. Man mufs mit Lachmann ordnen: I. Nemt, frouwe, II. Si nam. Dies ist ein einleitendes Gedicht. Das errungene Glück veranlafst Walther, das Mädchen von neuem zu suchen, und das Suchen, Finden und die Gewährung neuer Liebe wird in Mir ist, Ir sit, Mich dûhte geschildert, wobei Walther diskret von einem Traume spricht. Zu 39, 11 Under der linden bekämpfte der Vortragende die, auch bei Scherer in der Litteraturgeschichte sich findende Auffassung, als ob dies Gedicht Erzählung enthalte. Dem widerspricht aufs deutlichste die letzte Strophe. Die Anreden in dem Liede erklären sich aus der glücklich übermütigen Stimmung des Mädchens und sind gerade deshalb gebraucht, weil sie sicher ist, dafs niemand sie hört. Das Gedicht ist lediglich Selbstgespräch. Herr Roediger knüpfte hieran Bemerkungen über Frauenstrophen und Betrachtungen über die subjektive und objektive Wahrheit in der Liebeslyrik.

Herr Tobler besprach die bisher gemachten Versuche, die Herkunft der Wörter frz. faine, moire, amadouer, bafouer, ital. rovello festzustellen und führte dieselben seinerseits zurück auf *fagina, marmorea, ami doux (lieber Freund), *bis-fag-are (gleicher Stamm in fouet), *rebellum (Verbalsubstantiv zu rebellare).

Darauf wird der Kassenbericht verlesen.

Die von den Herren Arnheim und Daffis vorgenommene Revision hat ergeben, dass gegen die Kassenführung nichts zu erinnern ist.

Der Antrag des Vorstandes, dem Kandidaten der neueren Philologie Herrn Schlepp ein Reisestipendium zu gewähren, wird von der Versammlung genehmigt.

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Sitzung vom 26. Oktober 1886.

Herr Michaelis giebt eine Übersicht und Besprechung der verschiedenen Ansichten, welche von Linguisten und Lautphysiologen, und zwar von Holder bis auf Seelmann über das h aufgestellt sind. Herr Schulze spricht über die Funktion des sogenannten „Konditionalis" in irrealen hypothetischen Satzgefügen. Ludwig Tobler und Foth sind der Ansicht, dafs romanisches amare habebam (aimerais) einem klassischen amare debebam gleichwertig sei, und verweisen auf die Thatsache, dafs auch im klassischen Latein in irrealen hypoth. Satzgefügen, deren bedingter Satz ein Müssen, Können, Wollen zum Ausdruck bringt, erstens der Indikativ steht (der ja auch im rom. Konditionalis ursprünglich enthalten ist) und zweitens ein Tempus der Vergangenheit auch da zur Anwendung kommt, wo das Wollen, Können, Sollen gegenwärtig stattfindet. Diese Ansicht weist Burgatzky in der neuesten diese Frage betreffenden Untersuchung mit Recht deswegen zurück, weil der Konditionalis im Französischen erst verhältnismäfsig spät, jedenfalls erst zu einer Zeit in irrealen konditionalen Satzgefügen auftritt, als man die Wertigkeit der einzelnen Kompositionselemente desselben unmöglich noch fühlen konnte. Doch auch Burgatzkys Ansicht, dafs reale Bedingungssätze von der Form il disait qu'il donnerait s'il avait das Vorbild für ein il donnerait s'il avait (daret si haberet) gewesen seien, ist unhaltbar. Die Sprache konnte der zufälligen äufseren Übereinstimmung wegen die inneren Verschiedenheiten, die beide Fälle trennen, nicht übersehen. Des Vortragenden Ansicht ist folgende: je donnerais si j'avais sagt für die Vergangenheit aus, was je donnerai si j'ai mit Bezug auf die Gegenwart behauptet; also ist der Sinn des Satzes: Unter Annahme meines Besitzens in der Vergangenheit, stand das Geben von meiner Seite zu erwarten." Der Redende will dem Hörer zweierlei begreiflich machen: erstens, dafs sein Geben von seinem Besitze bedingt sei- dafür allein genügte je donnerai si j'ai, gleichzeitig aber zweitens dafs jener Besitz nicht anzunehmen sei weder für die Gegenwart noch für die Zukunft und dafür kann ein je donnerai si j'ai nicht mehr genügen, da es die Möglichkeit des avoir und damit des donner noch offen läfst. In dieser Lage wird der Hörer aufgefordert, die Annahme des Besitzes für die Vergangenheit zu machen (si j'avais), um für diesen Fall dasselbe zu vernehmen,

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was je donnerai, durch si j'ai bedingt, aussagt. Der Zweck des Redenden ist erreicht. Er setzt richtig voraus, dass, wer je donnerais si j'avais vernimmt, den Schlufs ziehen wird, dafs ein gleiches Verhältnis zwischen avoir und donner auch für die Gegenwart anzunehmen sei, und benimmt gleichzeitig durch die präteritale Form seiner Rede dem Hörenden das Recht, die Annahme des Besitzes und somit des Gebens für seine (des Redenden) Person zu machen.

Herr Zupitza berichtet über die im Anfange des Oktober in Hannover abgehaltene Versammlung von Neuphilologen, aus der ihm das Wichtigste die Aufforderung zur Gründung von Vereinen für die Pflege der neueren Sprachen erscheint, die dann später zu einem Verbande zusammentreten sollen.

Sitzung vom 9. November 1886.

Herr Schmidt spricht über die Ingoldsby Legends, die höher stehen als die ähnlichen Bab Ballads von Gilbert. Als Proben liest der Vortragende die beiden ersten Legenden über den heiligen Nicholas und über die Dohle von Reims in eigener Übersetzung vor.

Herr Vatke sprach über Hans Holbeins Porträt des Mr. Hubert Morett, des Goldschmiedes König Heinrichs VIII. von England.

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Alfred Woltmann in seinem berühmten Werke über Holbein I, 428 sagt über das Portrait: „Mr. Hubert Morett der Vorname ergiebt sich aus den königl. Rechnungsbüchern seines Zeichens Juwelier. Wir lernten zuvor das Bild des deutschen Goldschmieds kennen, welchen Holbein zu London gemalt hatte; dieser safs in seinem Schurzfell da, und vor ihm lagen Goldstücke auf dem Tische, das Zeichen seines Berufs. Wie anders dagegen tritt der englische Goldschmied auf, in seiner Erscheinung für die Lust zur Repräsentation und zur Kleiderpracht, die seiner Nation eigen war, Zeugnis gebend. Ganz von vorn gesehen, lebensgrofs und in halber Figur steht er voll Selbstgefühl uns gegenüber. In ein Wams von schwarzem Atlas mit weifsgeschlitzten Ärmeln ist er gekleidet, sein Überwurf ist aus gleichem Stoff, mit breitem Kragen (!) von Zobelpel; ein Juwel schmückt sein Hütchen, goldene Knöpfchen sein Gewand, eine schöne Kette hängt über seine Brust herab; die linke Hand, mit dem Handschuh bekleidet, fafst den vergoldeten Dolch von prächtiger Arbeit. Wäre es ihm nicht gesetzlich untersagt gewesen, er hätte auch Purpur und Goldbrokat anziehen mögen, wie der König und seine Peers. In unseren modernen Augen läfst ihn aber gerade die Einfachheit der Farbe bei edlem Stoff desto eleganter und vornehmer erscheinen. Dies Schwarz, vereint mit dem Grün des schweren Vorhangs, der den Hintergrund bildet, hebt den Ton des Fleisches in der bewundernswerten rechten Hand, die ihren

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Handschuh hält, wie im herrlich modellierten Antlitz mit dem langen rötlich-blonden Bart, der hier und da sich schon in ein ehrwürdiges Silbergrau wandelt. Herr Hubert Morett ist ohne Zweifel ein geschäftskundiger, klug berechnender Mann, doch in stattlicher Ruhe, kühl und verschlossen steht er da und blickt vor sich hin, ohne eine Miene zu verziehen. Nicht nur der einzelne Mensch, auch der Charakter der ganzen Nation ist in ihm mit höchster Feinheit erfasst.“

Versuchen wir nun diese, die Merkmale des Gemäldes äufserlich aneinanderreihende Schilderung, aus dem Zeitalter des Dargestellten heraus geschichtlich zu vertiefen. Zunächst vergegenwärtigen wir uns hierbei, dafs der Juwelier und Goldarbeiter des damaligen Englands zugleich der Banquier 1) war: wir haben also einen angesehenen Mann vor uns, der den Handwerker. den Künstler und den Kaufmann (merchant oder shopkeeper) in sich vereinigt.

Die Läden der Goldschmiede Londons 2) aber, in Goldsmith's Row, übertrafen an kostbaren Schaustellungen selbst das gleichzeitige Italien, Venedig, Florenz und Rom.

Beginnen wir dann in Betrachtung des Porträts mit dem Gesichtsausdruck des Mannes, so wird derselbe von Woltmann gewifs zutreffend als der kühler, verschlossener Ruhe bezeichnet. Ben Jonson nun hat, allerdings einige Jahrzehnte nach Schaffung dieses Gemäldes, den Gesichtsausdruck der einzelnen Stände gleichsam rubriziert. Da gehört denn unser Goldschmied unter die citizens und shopkeeper, welche von den gleichzeitigen Dramatikern und Satirikern hart und übel genug geschildert werden. Ben Jonson, Cynthia's Revels I, 1 teilt die Stände nach ihrem Gesichtsausdruck in fünf Klassen: 1. merchant, 2. scholar, 3. soldier, 4. lawyer, 5. courtier. "1. merchant or city-face, 'tis a dull, plodding (grübelnd) face, still looking in a direct line, forward: there is no great matter in this face"; während "2. student's or academic face" sich kennzeichnet als "an honest, simple and methodical face; but somewhat more spread than the former." Es scheint fast hiernach, als ob in dem plodding, dem Grübeln ein gewisses Zusammenziehen der Gesichtsmuskeln zu suchen sei. Im ganzen aber trifft Ben Jonson mit dem modernen Kunsthistoriker zusammen: plodding entspricht dem klug-berechnend;

1) Vergl. z. B. Middleton, Your Five Gallants IV, 8... nothing vexes me so much, but that I paid the goldsmith for the change too... (Goldsmiths acted as bankers. Bullen ib.)

2) Vielleicht war Morett gar ein Deutscher. Vergl. Rye, England as seen by Foreigners, London 1865, Introd. p. CVIII: Daniel von Wensin, in his "Oratio contra Britanniam", delivered before Fred. Achilles, Duke of Wirtemberg, at Tubingen in 1613, says "Nor is it long since that the majority of artificers and mechanics in England were aliens and foreigners, and the goldsmiths in London were nearly all Germans!" (So auch Jakob von Lindau am Bodensee, der die Geschmeide der Königin Elisabeth verfertigte.)

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