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Kalenderwechsel behielt man dafür irrtümlich den 24. Juni bei. Dieser Tag war, wie wir gesehen, eines der Hauptfeste Paltars, die Sommersonnenwende, auch Mittsommertag oder jetzt St. Johannis Sonnenwendentag genannt, der Gipfel des Jahres, wo die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat und der liebe Sommer seine ganze Pracht und Herrlichkeit entfaltet. Zwar beginnt von da ab die Sonne wieder zu sinken, wie Paltar dem blinden Gotte der Dunkelheit erliegt; aber man vermied, Trauer in die Freude zu mischen. Man genofs heiteren Sinnes die Gegenwart und jauchzte der erreichten Höhe des Lichtes, ohne mit Eulenspiegel zu weinen. Treffend bezog der christliche Geistliche das biblische Wort Johannes des Täufers: „Christus mufs wachsen, ich aber mufs abnehmen“ auf den sterbenden Gott, als dessen Nachfolger und Vollender nun Christus eintrat.

Von den Paltar-Sagen ist kaum etwas auf Johannes den Täufer übergegangen, obgleich dessen Gestalt die Einbildungskraft unserer Vorfahren auf das lebhafteste beschäftigte. An die Stelle der Sage von Paltars Ermordung trat nunmehr die Erzählung von Johannes' Enthauptung, und diese ward von der reichen Erfindungsgabe unseres Volkes sagenhaft erweitert und ausgeschmückt, wobei die alte Mimar-Sage ihren Einflufs geübt zu haben scheint: Die schöne, aber leichtsinnige Tochter des Herodes, Salome, auf welche im Volksmunde der Name der Mutter, Herodias, übertragen ward, war von sinnlich-heifser Liebe zu dem gefangenen Johannes entzündet; dieser aber mit seinem reinen, rechtlichen Sinne erwiderte die Leidenschaft nicht. Das trug ihm den Hafs der Tochter und noch mehr der Mutter zu. Letztere, von bitterer Rachsucht erfüllt, veranlafste jene, als der Vater die Tochter für die Wonne eines Tanzes belohnen wollte, das Haupt des Johannes zu fordern. Das geschah denn auch. Als aber der Tochter Herodias auf einer Schüssel das blutige Haupt überreicht ward, da ward sie von Reue ergriffen; ihre Liebe erwachte neu, und sie wollte das teure Antlitz mit Thränen benetzen und mit Küssen bedecken. Aber das Haupt wich zurück und begann heftig zu blasen. Die Unselige ward von geisterhaftem Hauche hoch in den Luftraum getrieben und schwebt nun durch denselben bis zum Ende der Welt.

Wie nach allgemeiner Anschauung dem Blute des sterbenden

Gottes oder Heiligen wunderbare Kraft beigelegt wird, so ist aus dem Blute Johannes' eine Blume entsprungen: das im Mittelalter und noch später sorgfältig gesammelte, weil für heilkräftig gehaltene Johanneskraut, auch Johannesblut genannt. Es ist die Kamille, welche schon dem Paltar geheiligt war, das Kraut so licht, dafs es mit seinen Augbrauen verglichen wird.“ Der ähnlichen, schönen Johannesblume (gem. Wucherblume) sei nebenbei ebenfalls gedacht; sie dient bekanntlich zu dem Spiele der Liebeweissagung „Liebt mich liebt mich nicht"; der Gott der Liebe soll offenbaren, ob die Liebe wahr ist. Die kugelige, handgestalte Wurzel der Kukuksblume (Knabenkraut) wird unter dem Namen „Johannishand“ eifrig gesucht und zum Verkaufe geboten; besonders die fünffingerigen Wurzelstöckchen werden begehrt. Diese fingerartige Wurzel gilt für einen geheimen Segen; sie schirmt gleich der Hand des Gottes und Heiligen vor allem Unglück und bringt seinem Träger überall Heil.

Das Johannisfest wird kirchlich nicht mehr begangen, um so höher ist seine volkstümliche Feier anzuschlagen. Es ist wirklich auffallend und spricht für die Zähigkeit des Volksbewusstseins, dafs die alten heidnischen Gebräuche sich so lebenskräftig im Christentum bewährt haben und grofsenteils noch bewähren. So sind auch die Paltargebräuche fast unverkürzt auf Johannes übertragen worden, dessen Verehrung nun ebenso eifrig gepflegt ward wie früher die des allgeliebten Heidengottes; in der That hatte der Gott Paltar nur einen anderen Namen erhalten. Der Volksglaube warf übrigens mit Johannes dem Täufer einen anderen Träger des Johannesnamens zusammen, den Jünger und Evangelisten, dessen Wort war: „Kindlein, liebet einander!" Dieser Lieblingsjünger des Heilandes soll vergifteten Wein ohne Schaden getrunken haben. Das veranlafste besonders bedeutende Minnetrünke für diesen Heiligen, indem man wähnte, dafs der ihm geweihte Trank hinwiederum alle Gefahr der Vergiftung und anderen Schaden abwenden werde. Die Kirche pflegt noch jetzt am Tage des Evangelisten (27. Christmonat, Dezember) einen Kelch mit Wein zu segnen und das Andenken des liebsten Jüngers des Herrn dem Volke zur Nacheiferung zu empfehlen. Mit der Johannisminne, auch Johannis-Segen oder -Weihe genannt, war die St. Gertrudenminne eng verbunden

es ist

das Paar Paltar und Nanda! Johannis- und Gertrudenminne pflegte besonders von Scheidenden sich zugetrunken zu werden, wovon man sich gut Glück versprach. Man mochte den Gedanken hegen, dafs man sich treu anhänglich bleiben wolle, wie Nanda ihrem Paltar, da sie ihm in den Tod folgte. Es würde zu weit führen, alle die vielen volkstümlichen Johannis- oder Sonnenwend-Bräuche, mit welchen gröfstenteils die Pfingstbräuche zusammenfallen, zu schildern; wie sie früher dem Gotte galten, bekunden sie nun die Bedeutsamkeit des Heiligen und seiner Feier. An die Kräuterlese, Wasserweihe, Johannisbad, Baumweihe sei nur erinnert; aber die Sitte des Johannisfeuers oder Sonnenwendfeuers, auch Himmelsfeuer genannt, mufs eingehender besprochen werden.

Die Johannisfeuer wurden am Vorabende von Johannis an günstig gelegenen Orten, an Wassern und auf Bergen entzündet. Die damit verbundenen Gebräuche sind äufserst mannigfaltig und können unmöglich sämtlich hier besprochen werden; nur einiges sei herausgegriffen. Heilige Kräuter oder Kränze aus neunerlei Kräutern wurden in die Lohe geworfen, Met ward dazu getrunken, und das Volk sang, jauchzte und führte Reigen um das Feuer auf. Dafs diese wie alle Volksbräuche nicht immer auf die Jugend und den gemeinen Mann beschränkt waren, geht daraus hervor, dafs im Jahre 1497 zu Augsburg die schöne Susanna Neithart in Kaiser Maximilians Gegenwart das Johannisfeuer anzündete. „,Feuer hebt Krankheit," heifst es; deshalb ward das Vieh durch die Johannisfeuer getrieben, um es gegen Teufelei und künftige Krankheiten zu sichern, und aus dem gleichen Grunde sprangen eifrig alt und jung darüber. Auch hier ist der Gott der Liebe der Volkserinnerung geblieben: Je ein Jüngling und eine Jungfrau umtanzen Arm in Arm oder Hand in Hand den Holzstofs des Sonnenwendfeuers und springen dann zusammen darüber; sie dürfen sich dabei nicht loslassen, sonst haben sie kein Glück miteinander. Diese Sitte hat sich in Schwaben am längsten erhalten. Auch das Hinablassen brennender Strohräder, wie beim Frühlingsfeste, begegnet zu Johannis, in hervorragender Verbreitung in Schwaben. Über ein im Jahre 1823 zu Konz, einem deutsch-lothringischen Dorfe an der Mosel (unweit Sierk bei Diedenhofen, nicht zu verwechseln mit Konz

bei Trier), entzündetes Johannisfeuer berichtet eine sehr fesselnde Schilderung folgendes: Jedwedes Haus liefert ein Gebund Stroh auf den Gipfel des Stromberges, wo gegen abend Männer und Bursche sich versammeln; Frauen und Mädchen sind beim Burbacher Brunnen aufgestellt. Nun wird ein mächtiges Rad dergestalt mit Stroh bewunden, dafs gar kein Holz mehr zu sehen ist, und durch die Mitte eine starke, zu beiden Seiten mehrere Fufs vorstehende Stange gesteckt, welche dann von den Lenkern des Rades erfasst wird. Aus dem übrigen Stroh bindet man Fackeln. Auf ein vom Bürgermeister zu Sierk gegebenes Zeichen erfolgt mit einer Fackel die Anzündung des Rades, welches nun schnell in Bewegung gesetzt wird. Jauchzen erhebt sich, alle schwingen die Fackeln in die Luft, ein Teil der Männer bleibt oben, ein anderer Teil folgt dem rollenden, bergab zur Mosel geleiteten Feuerrade. Während das Rad vor den Frauen und Mädchen vorüberläuft, brechen diese in Freudengeschrei aus, die Männer auf den Bergen antworten. Gelangt das Rad brennend in die Flut, so weissagt man daraus gesegnete Weinernte. Auch sonst begegnen derartige Feuergebräuche zu Johannis oder zu anderer Zeit vielfach, wie wir auch schon bei Besprechung des Frühlingsfestes gesehen haben. Vor allem aber ist die Ähnlichkeit dieses Johannisfeuers mit jenem Trierer Frühlingsfeuer auf dem Pholsberge unverkennbar; die Verschiedenheit der Jahreszeiten ist nicht wesentlich Sommervorfest und Sommerhauptfest!

Es sei endlich genug, um nicht aus dem Hundertsten ins Tausendste zu kommen. Der Gegenstand ist so mannigfach und vielseitig, dafs man gewaltsam die Beschränkung sich auferlegen mufs. Aber aus allem Vorgetragenen erhellt zur Genüge die grofse Bedeutsamkeit unseres Lichtgottes Paltar-Phol-Frouwo. Aus dem vielen, zum Teil vielleicht etwas roh und ungelenk erscheinenden Stoffe leuchtet strahlend das Bild unseres geliebten Gottes hervor, welcher trotz des Christentums von seiner Hoheit. kaum etwas einbüfste, sondern als Johannes, nur aufserlich verändert, in seinem ganzen göttlichen Glanze fortlebte und fortlebt.

Wir haben absichtlich die Hauptzüge unseres Gottes und die ihm geltenden Bräuche ausführlicher behandelt, um ein

scharfes und hoffentlich helles Grundbild für unseren heiligen Johannes liefern zu können. Wohl weils ich werden überbildete Weltmenschen über Plumpheit und Ungefügheit der deutschen Glaubensanschauungen mitleidig wegwerfend die Achseln zucken. Ich kann solchen nur in das Gesicht sagen, dafs sie überhaupt nicht urteilsfähig sind, weil sie einem gesunden Urteile grundsätzlich sich entziehen. Wohlweifs ich auch schlagen überchristliche Christenbrüder vor den alten Heidenträumereien ihr Kreuz und suchen ihren Mitchristen den bedeutenden Unterschied zwischen jenem leiblich-sinnlichen und teuflischen Heidentum und dem geistig-göttlichen Christentum begreiflich zu machen. Nun wenn wir auch dem Christentum, wenigstens einem gesunden Urchristentum, nicht dem gegenwärtigen, entarteten, rückschrittlichen sogenannten Christentum, einen guten Teil geistigen Gehaltes zuerkennen müssen, so können wir doch nicht leugnen, dafs es auch einen bedeutenden Teil derber Sinnlichkeit aufzuweisen hat; der christlich-mythologischen Ungebilde und der abgeschmackten Wundermärchen ganz zu geschweigen, weist es uns den Glauben an Himmel und Hölle, Engel und Teufel, beides in sinnlich schroffster Weise gegenüber gestellt; nicht ein edles, ideales Streben soll die Menschheit begeistern, sondern die Aussicht auf schnöde Belohnung und die Furcht vor Strafe ist der Grund und Boden unserer christlichen Erziehung ein höheres Struwwelpetertum! Oder ist es etwa nicht so? Steht unser Heidentum viel tiefer, da doch aus dem Erörterten hell hervorleuchtet, wie gesund, kernedel und gerecht unsere Vorfahren dachten und fühlten, wie sie, fern von Lug und Trug, die feste Anhänglichkeit an die geliebten Götter mit ihren Gefühlen für alle hohen Regungen, für Heimatsliebe, Freundesliebe und Weibesliebe zu einen wufsten? Liebe zu den Göttern, nicht eine abschreckende christlich-theologische Gottesfurcht, beseelte unsere Ahnen! Roher, plumper als die christlichen Sagen sind wohl im grofsen Ganzen unsere Heidensagen, das mag anerkannt werden. Aber man bedenke, dafs unsere Geistes- und Glaubens-Entwickelung gewaltsam unterbrochen, gehemmt ward, dafs fremdes und aberfremdes Volkstum uns aufgezwängt ward. Wenn dies nicht geschehen wäre, so würde unser Volkstum langsamer, aber sicherer und - selbständiger, vor allem aber

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