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mittelenglischen Romanze Cheuelere Assigne.

Die Sage vom Schwanenritter hat in England erst Bearbeitungen gefunden, als auf dem Kontinente ihre Grundmotive schon längst zu festen Formen verbunden waren. Ein weiterer Ausbau des Stoffes war also von vornherein ausgeschlossen, als etwas schon Fertiges wurde er dem englischen Volke dargeboten. Wenn es nun auch nur Übertragungen sind, die für die englische Litteratur in Betracht kommen, und diese in nur geringer Zahl uns vorliegen, so mufs der Stoff sich dennoch grofser Beliebtheit erfreut haben, da man auch bemüht war, Episoden der Sage künstlerisch darzustellen, und zwar zu einer Zeit, als der Stoff noch nicht lange auf Englands Boden heimisch geworden sein konnte. Man vergl. hierüber Gibbs' Ausgabe des Cheuelere Assigne, p. VII ff.

Die älteste erhaltene englische Bearbeitung des Stoffes ist die Romanze, die in Bezug auf ihre Quelle und Sprache im Nachfolgenden betrachtet werden soll. Es ist ein allitterierendes Gedicht von 370 Zeilen und stammt wahrscheinlich aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Herausgegeben wurde es von Utterson für den Roxburghe Club, nach einer Handschrift des British Museum; eine neue Ausgabe ist besorgt von Gibbs, E. E. T. S., Extra Series, Nr. VI, 1868.

Über den Inhalt des Gedichtes läfst sich kurz Folgendes sagen: Der König Oryens von Lyor war betrübt, dafs seine Gemahlin Betryce kinderlos blieb. Einst sahen sie von einem Walle aus ein armes Weib mit zwei Kindern, woraufhin die

Königin die Möglichkeit bezweifelt, dafs Zwillinge nur von einem Manne erzeugt werden können. Zur Strafe gebar sie sechs Söhne und eine Tochter, jedes Kind mit einem silbernen Kettlein verschen. Des Königs Mutter Matabryne hafst die Königin, sie läfst die Kinder durch einen Diener Markus fortbringen, mit dem Auftrage, sie zu töten. Dem König zeigt Matabryne sieben junge Hündlein als von der Königin geboren. Betryce wird ins Gefängnis geworfen. Markus setzt die Kinder im Walde aus, ein Eremit findet und rettet sie, eine Hindin nährt sie. So wachsen sie auf. Da erblickt sie der Förster Malkedras, der Matabryne davon berichtet. Sie läfst Markus blenden und heifst Malkedras die silbernen Ketten holen und die Kinder töten. Er entreifst den Kindern die Ketten, worauf sie als Schwäne davonfliegen. Nur ein Kind ist gerettet, das mit dem Eremiten fort war. Matabryne läfst einen Goldschmied kommen und befiehlt ihm, eine Schale aus den Ketten zu machen. Bei diesem vermehrt sich eine Kette, so dafs er die Schale aus einer halben Kette machen kann. Die anderen Ketten verbirgt er.

Die Königin soll nunmehr verbrannt werden. Da erscheint dem Eremiten ein Engel und sagt, dafs der Knabe, der Enyas genannt werden soll, bestimmt sei, seine Mutter zu befreien. Der Knabe kommt zur Stadt, trifft den König, enthüllt ihm Matabrynes Falschheit und will für die Königin kämpfen. Matabryne entbietet Malkedras, um gegen ihn zu kämpfen. Der Kampf beginnt, Enyas tötet seinen Gegner. Matabryne wird verbrannt ; die Königin ist gerettet. Die Schwäne werden verwandelt mit Ausnahme von einem, dessen Kette fehlt.

Reiffenberg, der Herausgeber des Chevalier au Cygne et Godefroid de Bouillon (Brüssel 1846), glaubt in Bd. I, p. X der Einleitung, dafs Caxton aus den Niederlanden die Fabel wahrscheinlich nach England gebracht habe. Dafs der Stoff durch Caxton in England eingeführt sei, soll damit wohl nicht behauptet werden, denn a. a. O. p. XLVI wird die mittelenglische Romanze von Reiffenberg erwähnt und als Entstehungszeit die Regierung Heinrichs VI. angegeben.

Im Anfang des 16. Jahrhunderts hat dann Copland nach einer französischen Prosafassung eine englische Übersetzung herausgegeben, die von Thoms in die Collection of Early Prose

"

Romances, London 1828, aufgenommen ist. Thoms spricht in seiner Einleitung zu Helias, knight of the swan von einem französischen Gedicht in der Hs. 15. E. VI des British Museum, das er als wahrscheinliche Quelle des me. Gedichtes hinstellt. Vielleicht wurde er aufser durch die Übereinstimmung des Inhalts auch durch die Ähnlichkeit des Titels Chevalier au Signe" mit dem des me. Gedichtes Cheuelere Assigne" dazu veranlasst. Andere altfranzösische Redaktionen schreiben Chisne, Chine, Cisne. Auch Gibbs glaubt, dafs die me. Romanze (E) ein Auszug aus den ersten 1083 Zeilen des französischen Gedichtes (F) sei. Einer näheren Prüfung dieser Frage hat sich der Herausgeber von E jedoch nicht unterzogen. Er begnügt sich, durch eine kurze Inhaltsangabe von F, sowie durch gelegentliche Parallelstellen die beiderseitige Übereinstimmung in den Hauptzügen der Fabel nachzuweisen.

Am allerwenigsten jedoch kann uns der Herausgeber von E durch die Anm. zu v. 236-37 veranlassen, in F die Quelle zu E zu suchen. In E sagt das Kind zum König, als dieser ihm das Urteil über die Königin verkündet:

...

Thenne were pou nozt ryztlye sworne vpon ryzte Juge
Whenne pou tokest pe by crowne.

Die französische Parallelstelle lautet:

Nas pas a droit juge comme roy loyaument.

Gibbs fafst nun „upon ryzte Juge" auf als „[hast not] rightly judged“ und sagt: „These words are evidence that the French poem was the original of the English one; our poet having apparently taken the word Juge into his text without translating it." Wenn die Stelle in E auf den ersten Blick auch nicht ganz klar zu sein scheint, so liegt die Unwahrscheinlichkeit der obigen Behauptung doch zu sehr auf der Hand. Juge soll in E doch wohl nicht als Part. aufgefafst werden? Wir haben hierin das me. Subst. juge zu sehen und demnach die Stelle in E etwa zu übersetzen: „Dann warst du nicht recht beeidigt ... zum rechten Richter", d. i. dann warst du kein rechter Richter.

Wenn man nun auch zugeben mag, dafs der me. Bearbeiter den ersten Teil des französischen Gedichtes auf ein Drittel des Umfanges in seiner Fassung verringert haben kann, so mufs es

doch unbedingt befremden, dafs E gelegentlich einige Stellen mehr ausmalt, als dies in F geschieht. Man vergleiche die folgenden Noten, die Gibbs dem Text hinzugefügt hat: Zu v. 162:

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The conversation between the goldsmith and his wife is much longer and more dramatic in our poem than in the French." Zu v. 210: The conversation between the hermit and the child is more full in the English than in the French poem."

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Dals F unserem Gedichte inhaltlich nahe steht, ist nicht zu leugnen, doch braucht es darum nicht a priori als Quelle angenommen zu werden. Jedenfalls ist dem Herausgeber die Existenz einer lateinischen Legende vom Schwanenritter (merkwürdigerweise de milite de la Cygne betitelt), von Reiffenberg a. a. O. Bd. I, p. 181 ff. nach einer Hs. der Bodleiana zuerst herausgegeben, unbekannt geblieben. Diese lateinische Legende, die Reiffenberg a. a. O. Bd. I, Einl. p. VIII in das 14. Jahrh. setzt, ist von einem Engländer nach einer französischen Vorlage geschrieben. Diese lateinische Fassung (L) steht E in vielen Beziehungen sehr nahe, zeigt aber auch andererseits mit F manches Übereinstimmende. Dafs L nach einer französischen Vorlage entstanden ist, wird im Anfang bezeugt, wo die historia" als ,,prius scripta gallice" bezeichnet wird; auch am Ende wird dem, der noch mehr wissen will, die magna volumina zu lesen anheimgestellt. Derartige Verweisungen auf die Quelle finden sich in me. Gedichten häufiger, so auch in Arthur (ed. Furnivall, E. E. T. S.) v. 633-34:

Ho pat wolle more loke
Reed on pe frensch boke.

Auch in unserem Gedicht wird an zwei Stellen, wo handelnde Personen mit Namen erwähnt werden, auf die Quelle hingewiesen mit den Worten: as be book tellethe (v. 7. 270).

In L werden die Geschicke des Schwanenritters noch etwas weiter erzählt, als dies in E geschieht. Der Gang der Handlung stimmt mit F. Der König, schon 200 Jahre alt (in F plus que cent ans), wählt Eneas zum Nachfolger. Eneas belagert Schlofs Montebraunt, wohin sich Matebrune geflüchtet hat. Das Schlofs wird genommen, Matebrune gesteht ihre Schandthaten und wird verbrannt. Eneas überläfst seinem Bruder Orianus die Herrschaft und zieht mit dem Schwan fort. Hier folgt eine Lücke.

Dann wird erzählt von Eneas' Gefangenschaft in der Burg des Aygolandus, von seiner Befreiung durch Oriaunt. Aygoland wird von Eneas erschlagen, die Burg eingenommen. Abermals kommt der Schwan, um mit Eneas davonzuziehen. Hier bricht Lab.

Wie verhalten sich nun F, L und E zueinander? Da die Handlung bei allen von Einzelheiten abgesehen. ziemlich gleichmässig verläuft, so müssen uns zunächst die Namen einigen Anhalt geben.

Der König Oriant, seine Gemahlin Beatrix, seine Mutter Matebrune und ihre Helfershelfer Markus und Mauquarré unterscheiden sich nur durch graphische Verschiedenheiten in F, L und E. Doch ist es auffällig, dafs für Matabryne in E die Schreibung Matebrune in F und L begegnet, nur einmal zeigt L Matabrune. Auch Reiffenbergs Text hat Matabrune.

Die fünf Geschwister des Schwanenritters weichen bis auf zwei Namen voneinander ab; in F heifsen die Kinder Orions, Orient, Zacharias, Jehan, Rosette, in L Johannes, Oriaunt, Petrus, Sampson, Rosula oder Rosetta, in E Uryens, Oryens, Assakarye, Gadyfere, Rose. Also Übereinstimmung zeigen nur der Name Orient (dem in L und F der Schwanenritter die Herrschaft überläfst) und der Name des Mädchens Rosette. In F und L lassen sich noch Jehan und Johannes, in F und E Orions und Uryens, Zacharias und Assakarye zusammenbringen. Danach müfste die gemeinsame Quelle aller drei Fassungen die Namen, die F bietet, enthalten haben. Es ist natürlich, dafs der Franzose keinen Grund hatte, Änderungen vorzunehmen, bei den Engländern läfst sich solches aus Unkenntnis oder Unverständnis wohl erklären.

Ähnlich mag es wohl zu erklären sein, dafs die Stadt, die am Eingang aller drei Fassungen als Sitz des Königs erwähnt. wird, gegenüber Lilefort in F als Belefort in L und Lyor in E genannt wird. Die ursprüngliche Form, auf die F, L und E zurückgehen, mufs Lilefort gewesen sein, welchen Namen auch andere altfranzösische Redaktionen aufweisen; die Form des Namens ist von den englischen Schreibern etwas modifiziert, der Begriff der Insel aber, der in dem Namen Lilefort = Insula fortis liegt, ist sowohl bei dem Verfasser von L als auch von E vorhanden. Denn in der Überschrift zu L heifst es:,,Historia...

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