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Heinrich von Villena,

ein spanischer Dichter und Zauberer.

Was die Geschichte berichtet.

Im Jahre 1356 erklärte Peter der Grausame seinem Namensvetter, dem König Peter IV. von Aragon, den Krieg. Da ersuchte dieser Heinrich von Trastamara, den Bastardbruder des Königs von Kastilien, ihm mit einer Schar Kastilianer zu Hilfe zu kommen. Bei dieser Gelegenheit schlofs der Infant Alfons von Aragon eine innige Freundschaft mit Heinrich von Trastamara. Als dieser in Burgos sich zum Könige von Kastilien hatte krönen lassen und mit seinem Bruder um den Besitz Kastiliens kämpfte, stand Alfons in dem langen Feldzuge seinem Freunde zur Seite, bis Heinrich nach dem Tode seines Bruders allgemein als König von Kastilien anerkannt wurde. Der König Heinrich zeigte sich gegen seine Freunde und Mitkämpfer dankbar und freigebig. So verlich er Alfons die Markgrafschaft und Herrschaft von Villena; zugleich blieb dieser stets der einflufsreichste Ratgeber des Königs. Alfons suchte sein Ansehen und seine Macht beim Könige möglichst zu befestigen. Er bewirkte, dafs die Heirat seines Sohnes Pedro mit einer natürlichen Tochter des Königs zu stande kam; aber nach dem Tode des Königs, seines treuen Gönners, begann der Glücksstern des Günstlings sich zu verdunkeln. Sein Sohn war in einer Schlacht gefallen, und obwohl er einen Knaben hinterlassen hatte, mufste die Mitgift seiner königlichen Mutter herausgegeben werden. Die Neider suchten den Fremdling aus Aragon aus seiner Machtstellung in Kastilien zu verdrängen, was ihnen aber erst im Jahre 1393 bei der Thronbesteigung Heinrichs III. gelang. Die Feinde des

Archiv f. n. Sprachen. LXXVII.

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Alfons hatten den König für ihre Pläne gewonnen, und dieser entzog ihm nicht nur jeden politischen Einflufs, sondern erklärte ihn auch der Markgrafschaft von Villena für verlustig. Dem früheren Günstling zweier Könige blieb von all seiner Macht nichts mehr übrig als der Besitz der kleinen Städte Villena und Almansa. Er zog sich mit seinem jungen verwaisten Enkel in das Herzogtum Gandia zurück. Dieser Enkel war der nachmals so berühmte Gelehrte und Dichter Heinrich von Aragon, bekannter unter dem Namen Heinrich von Villena, oder Heinrich, Markgraf von Villena, obwohl ihm die letzteren Titel rechtlich gar nicht zukamen.

Heinrich von Villena war neun Jahr alt, als ihn sein Grofsvater auf seine letzten Besitzungen und in die Einsamkeit mit sich nahm, um dessen Erziehung zu überwachen und zu leiten. Alfons suchte vor allem seinem Enkel die Neigung zu ritterlichen Übungen und zum Kriegswesen einzuflöfsen und dessen natürliche Lust zum Studium und Liebe zur Poesie und Wissenschaft zu unterdrücken. Der Knabe hatte aber zum Leidwesen seines Erziehers die gröfste Abneigung gegen das Kriegswesen, und später zeigte er sich ebenso abgeneigt der Politik; aber dem Studium der Wissenschaften und der Dichtkunst ergab er sich mit dem gröfsten Eifer.

Sehr jung kehrte Heinrich an den Hof des Königs von Kastilien zurück und suchte dort wieder in den Besitz der Markgrafschaft von Villena zu gelangen; aber alle seine Bemühungen waren vergeblich. Indessen verlich ihm sein Oheim, der König Heinrich III., der ihn zufrieden stellen wollte, die Grafschaft von Ganga und verheiratete ihn mit der Tochter des reichen, angeschenen Grafen Tello. Der junge Ehemann war erst etwa achtzehn Jahre alt. Leider begnügte sich Heinrich von Villena mit diesem Erfolge nicht und trachtete, wahrscheinlich auf Anstiften seines ehrgeizigen Grofsvaters, nach der Würde eines Hochmeisters des ritterlichen Calatrava-Ordens. Der König wollte auch diesen Wunsch seines Neffen erfüllen, und so liefs sich dieser zum Schein und unter einem nichtigen Vorwande von seiner Frau scheiden und entsagte der ihm verliehenen Grafschaft, um nach den Ordensgesetzen wahlfähig zu werden. Hierauf bestimmte oder nötigte der König das Kapitel der Ordens

ritter, seinen jungen Neffen zum Ordensmeister zu ernennen, obwohl sich eine grofse Anzahl der Ritter gegen diese ungesetzliche und ungehörige Wahl erklärte. Als Ordensmeister begleitete Villena den Sohn des Königs, den Infanten Ferdinand, auf den Feldzug gegen die Mauren nach Andalusien und zog mit ihm im Juni 1407 in Sevilla ein. Aber während der Infant ins Feld zog und sich tapfer mit den Mauren schlug, blieb der Ordensmeister Heinrich, der gar keine Kriegslust zeigte, in Sevilla bei der Gemahlin des Infanten zurück und lag seinen friedlichen Studien und der Poesie ob. Eine schwere Last Bücher liefs er sich stets bei seinen Reisen und Zügen nachfahren, um sie auch im Feldlager und auf Reisen zur Hand zu haben. Erst als Ferdinand siegreich von Sevilla zurückkehrte, raffte sich der Ordensmeister auf, bestieg sein Pferd und ritt dem Sieger entgegen, um wenigstens auf diese Weise sich beim Siege zu beteiligen.

Als später (1412) der Infant Ferdinand, der zum Könige von Aragon erwählt worden, in Saragossa einzog, war Villena ebenfalls bei den prächtigen Krönungsfeierlichkeiten zugegen und nahm thätigen Anteil an den Festlichkeiten. Er hatte zu diesem Anlafs ein allegorisches Festspiel geschrieben, welches zur Krönungsfeierlichkeit aufgeführt wurde und grofsen Beifall erntete. In diesem Schauspiele, einem der frühesten der spanischen Dramenlitteratur, traten die Wahrheit, der Friede und die Barmherzigkeit auf, und zeugen wieder für den friedlichen Sinn des Verfassers. Fast zu gleicher Zeit gründete er in Barcelona ein Konsistorium „der frohen Wissenschaft" (gaya ciencia), wie in der heiteren Provence die Kunst der Poesie hiefs, und erneuerte die sogenannten Blumenfeste, dichterische Wettkämpfe nach den Regeln und Gesetzen der frohen Wissenschaft. Diese Feste sollten die in Verfall geratene provençalische Dichtkunst wieder beleben. Zudem schrieb Villena ein Buch über die „Dichtkunst" (Arte de trovar), in welchem er die Theorie und Geschichte der Dichtkunst behandelte. Dies praktische Handbuch wurde von den Poeten und Poesiefreunden sehr geschätzt. Übrigens genofs der Verfasser auch als ausübender Dichter grofsen Ruhm. Seine neidlosen Kollegen nannten ihn eine süfse Quelle des kastalischen Berges“, auch: „eine Säule am Tempel der Musen“.

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Jüngere, talentvolle Dichter schlossen sich ihm als Schüler an. Einer der bekanntesten derselben ist Mazias, genannt der Verliebte, der besonders durch seine unglückliche Liebe und seinen tragischen Tod berühmt geworden.

Den poetischen Freuden und Triumphen, welche dem Ordensmeister reichlich zu teil wurden, folgten bald eine Reihe von Enttäuschungen und Leiden, die ihm das Leben verbitterten. Sein Gönner, König Ferdinand von Aragon, starb 1416, und Villena kehrte nach Kastilien zurück. Dort hatte ein Kapitel der Ordensritter von Calatrava dessen Ehescheidung für nichtig erklärt und zugleich war eine päpstliche Entscheidung im gleichen Sinne erfolgt. Die gewaltthätige und unrechtmäfsige Wahl Villenas zum Ordensmeister wurde verurteilt; sie war auch nur durch den Einfluss des Königs möglich geworden. Infolge dieser Bewegung mufste er der Würde eines Ordensmeisters entsagen und zugleich den reichen Einkünften, die damit verbunden waren. Vergebens hatte er also der hohen und einträglichen Würde zuliebe seine Frau und seine Besitzungen aufgeopfert. Seine Frau erhielt er zwar wieder zurück; dagegen blieben die ihm früher geschenkten Grafschaften für ihn verloren. Der unglückliche Ex-Ordensmeister wandte sich in seiner Notlage an die Königin Katharina, um durch deren Einfluss einen Ersatz für die verlorenen Grafschaften zu erhalten. Nach langwierigen Verhandlungen wurde ihm die unbedeutende Herrschaft von Iniesta zuerkannt. Er zog sich nun mit seiner wiedergewonnenen Frau und seinen teuren Büchern nach Iniesta zurück und erschien nur noch bei besonderen Anlässen am Hofe. In der Einsamkeit und Zurückgezogenheit widmete er sich ausschliesslich dem Studium und litterarischen Arbeiten. Eine reichhaltige und kostbare Bibliothek war ihm dabei behilflich. Seine Studien umfafsten die meisten Zweige der damaligen Wissenschaft, besonders Moralphilosophie, Medizin, Theologie, Mathematik und Poetik. Mit gelehrten Arabern und Juden stand er in brieflichem Verkehr.

Heinrich von Villena schrieb Bücher und Abhandlungen über die verschiedensten Gegenstände. Im Jahre 1417 gab er ein Werk: „Die zwölf Arbeiten des Herkules“ (Las doce trabajos de Hercules) heraus. In diesem Buche erzählt er die Arbeiten des mythologischen Helden, indem er aus jeder eine Nutzanwen

dung für seine Zeit zieht und zugleich die ganze Mythe allegorisch deutet und erklärt. So bedeutet ihm der nemeische Löwe den Stolz, den Feind aller guten Sitte, die Harpyien sind. der Geiz; der Raub der goldenen Äpfel schildert die Schwierigkeit, mit welcher das Wissen erlangt wird. Antäus repräsentiert die Unwissenheit und Brutalität, die sich dem Durst nach Wissenschaft entgegensetzen. Als die Pest in einem Teil Spaniens wütete, verfalste Villena (1422) seinen „tratado de consolacion", ein Trostschreiben, an einen Ritter gerichtet, der Eltern und Kinder durch die furchtbare Epidemie verloren hatte.

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Im folgenden Jahre (1423) schrieb der fleifsige Mann ein Büchlein mit dem Titel libro de Aojamiento" - eine längere Abhandlung über den bösen Blick oder über die Bezauberung durch den Blick; in diesem Büchlein ward der Glaube an den bösen Blick und die Zauberei in gelehrter Weise widerlegt und für nichtig erklärt. Dies Werklein wurde für den Autor verhängnisvoll; denn obwohl er alle Zauberkunst als Wahn darstellte, brachte es ihn doch in den Ruf eines Zauberers und Nekromanten. Seine Feinde benutzten die Gelegenheit, ihn in der Meinung der Zeitgenossen und bei der Nachwelt als Schwarzkünstler zu verdächtigen und seinem Ansehen möglichst zu schaden.

Nach der schlimmen Erfahrung, die Villena mit der Behandlung der Schwarzkunst gemacht hatte, wandte er sich mit gröfserem, oder wenigstens lohnenderem Erfolge der Kochkunst zu. Er verfafste El arte cisoria" (1423). Mit dieser Schrift, welche neben der Tranchierkunst allerlei Geheimnisse der Kunst des Siedens und Bratens enthält, gewann er die Herzen der Leser, und das Werk wurde von den Landsleuten des Verfassers nicht vergessen. Selbst in der neuesten Zeit (1878) wurde es von Felipe Denica Navarro wieder herausgegeben und mit schätzbaren Notizen über das Leben und die Schriften des Autors begleitet. Der Herausgeber bemerkt über das erwähnte Buch:

„Die arte cisoria des Heinrich von Villena kann in gewissem Sinne als das erste kastilianische Buch über die Kochkunst betrachtet werden. Villena handelt über die Kochkunst mit jenem kritischen Scharfsinn, der in allen seinen Schriften sich offenbart. Man findet in seinem Werke nicht die gewöhn

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