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wenn sich große Genies damit beschäftigten, alle Arten von Leidenschaften in der Seele sowohl, als in den sinnlichen Gliedmaßen erregen könnte.

Wenn eine Person, die jest nicht im Affect ist, die Ursachen einer Leidenschaft erzählt, so kann der Ausdruck geschmückt und ordentlich seyn. Erzählt sie aber die Wirkungen der Leidenschaften, so muß sie nachahmen, und eben so unordentlich, so kurz und so feurig sich ausdrücken, als die Person, welche in einem Affecte begriffen ist. Exempel: der beschriebene Untergang der Stadt Troja im 2ten Buch der Äneis.

Der Ausdruck in der Poesie muß aus willkührlichen Zeichen bestehen. Diese können aber durch natürliche Zeichen unterstüt werden, damit sie sinnlicher und anschaulicher werden mögen, welches in Poesien durch den Wohlklang und auf der Schaubühne durch theatralische Action geschicht. Indessen müssen in der Dichtkunst die willkührlichen Zeichen herrschen und nicht von den natürlichen Zeichen völlig verdunkelt werden. Daher sind auf der Schaubühne solche Handlungen zu verwerfen, die durch den heftigen Eindruck, welchen sie auf die Zuschauer machen, den Eindruck der willkührlichen Zeichen völlig verdunkeln. Man sieht auch hieraus, warum die abscheulichsten Handlungen in der Malerei gefallen, die auf der Schaubühne einen sehr widrigen Effect haben.

Wenn beim Shakespeare die abscheulichsten Handlungen weniger mißfallen, so geschieht es deswegen, weil seine willkührs lichen Zeichen immer noch einen stårkern Eindruck machen, als die mechanische Handlung selbst, durch welche er sie unterstüßt.

Über die neuere deutsche Litteratur. Erste und zweite Sammlung von Fragmenten, als eine Beilage zu den Briefen, die neueste Litteratur betreffend. 1767. (von Herder.) *)

Die Verfasser der Litteraturbriefe haben den eingeschränkten Vorfah gehabt, dem Publikum vorzulegen, was die Deutschen während des leßten Krieges zum Besten der Litteratur gethan. Dieses ungenannten Verfassers Absicht geht weiter. Er will den jezigen Zustand der deutschen Litteratur in ihrem ganzen Umfange betrachten, und den deutschen Musen anzeigen, was sie bisher geleistet und was sie noch leisten können. Alle zu dieser Absicht dienliche Anmerkungen und Beobachtungen, die ihm die Litteraturbriefe an die Hand gegeben, hat er in seine Sammlung eingerückt, vieles unverändert beibehalten, manches verbessert, und manches auch völlig verworfen. Daß er seine Sammlungen für bloße Beilagen zu den Litteraturbriefen ausgiebt, ist eine Bes scheidenheit, welcher der Leser gar bald widerspricht; denn er er= kennt den Verfassfer gar bald als einen Mann, der keines fremden Schußes bedarf. Sein Name ist auch der Neugier nicht lange unbekannt geblieben, so sehr er vielleicht gewünscht, sein Kunstrichteramt in der Stille ausüben zu können. Man weiß nunmehr, daß Hr. Herder aus Riga der Urheber dieser unschatbaren Fragmente ist. Er zeigt in denselben vertraute Be= kanntschaft mit den Alten, wohlverdaute Philosophie, durchdringende Scharfsinnigkeit und gesunde Beurtheilungskraft. — Vielleicht ist, wie ein anderer Kunstrichter schon vor uns bemerkt, sein Gefühl nicht das sicherste. Allzu lebhaftes Bewußt: seyn der richtigsten Grundsäge kann den Geschmack unversehens irre führen, wenn er Grundsäge entscheiden läßt, wo die Empfindung entscheiden sollte.

vor.

Wir legen unsern Lesern keinen Auszug aus diesem Werke
Wenn ihnen die deutsche Litteratur nicht ganz gleichgültig

*) Diese Recension war für die Algemeine deutsche Bibliothek be= stimmt, Anmerk. des Herausgebers.

ist, so werden sie eine so merkwürdige Schrift nicht ungelesen lassen. Die aber durchaus Quintessenzen haben wollen, werden solche in andern deutschen Journalen nach beliebigem Geschmacke zubereitet finden. Wir begnügen uns, die Anmerkungen, die wir bei öfterer Durchlesung dieses kritischen Werkes gemacht, unsern Lesern mitzutheilen.

Das System des Verfassers von den verschiedenen Lebensaltern einer Sprache (S. 27. und flgd.) paßt vollkommen auf die griechische Sprache, und scheint von derselben abgezogen zu seyn. Aber auch nur auf diese. Die Römer hatten vielleicht zuerst Weltweise, sodann Redner, und endlich Dichter. Die Hebråer hatten entweder keine Prosa oder keine Poesie. Ihr gemeiner historischer Styl war ungebildet. Wollen wir ihren hohen prophetischen Styl geschmückte Prosa nennen, so bleibt ihnen keine Poesie. In der zweiten Sammlung entwirft der Verfasser selbst ein sehr richtiges Gemälde von der hebräischen Litteratur. Das ålteste Monument der hebräischen Dichtkunst ist vielleicht ein sehr philosophisches Lehrgedicht. Die Veränderungen der neuern Spra chen binden sich ebensowenig an ein System. Hier bildet sich die Sprache zur Dichtkunst, dort zur Metaphysik, und an einem dritten Orte zur schönen Prosa zuerst. Wir wissen wohl, daß der Verfasser seine Hypothese auf ursprüngliche Sprachen einschränken kann, auf solche, die sich selbst überlassen geblieben und in ihrem natürlichen Fortgange durch keine äußerlichen Mittel unterbrochen worden. Die römische Sprache hat sich nach der griechischen, und die neuern Sprachen haben sich nach jenen beiden gebildet; daher der natürliche Fortgang bei ihnen nochwendig hat abgeändert werden müssen. In Absicht auf die hebräische Sprache fehlt es auch nicht an Entschuldigungen. Allein alles dieses zugegeben, so bleibt zur Gewährleistung für diese Hypothese nichts mehr, als die einzige griechische Sprache mit ihren Verånderungen; und es scheint sehr mißlich, von einem einzigen Beispiele sich eine Theorie abzusondern.

Wie sind die Synonyme in den Sprachen entstanden? Der Verfasser meint (S. 55.), die Erfinder der Sprachen hätten das durch ein neues Wort ausgedrückt, was sie noch nicht unter einen andern Begriff zu ordnen wußten. So wåren Synonymen entstanden, die dem Dichter so vortheilhaft waren, als sie dem grammatischen Weltweisen zum Ärgerniß gereichen. In der Folge hatte man die Begriffe mehr unter einander ordnen

gelernt, und das mit einer Bestimmung (adjectivum, participium, adverbium) ausgedrückt, wozu man erst ein neues Wort feste. Hierdurch wåren schon zum Nachtheil der Dichtkunst eine Menge Synonymen ausgemerzt worden. Den Überrest suchte der Philosoph durch hineingelegte feine Unterschiede, als neue, nicht gleichbedeutende Wörter zu gebrauchen, wodurch der dichterischen Sprache vollends ihr Reichthum entzogen worden.

Diese Geschichte der Synonymen scheint uns weder natürlich, noch der Erfahrung gemäß. Wahrscheinlicher ist es vielteicht, daß die gleichbedeutenden Wörter entstanden, indem man einem Dinge in verschiedenen Provinzen verschiedene Namen gegeben, die in der Folge in die Hauptsprache sind aufgenommen worden oder, wo keine Hauptsprache gewesen, von den Dichtern mit gleichem Rechte haben gebraucht werden können. Nach dem Charakter dieser Provinz, und nach dem Grade der Achtung, in welcher sie bei der Nation gestanden, hat auch das von ihr entsehnte Wort eine edle, niedrige, komische oder ernsthafte Nebenboblutung erhalten können. Auch wird man sich in den verschiedenen Provinzen dasselbe Ding wahrscheinlicherweise gleich mit verschiedenen Nebenzügen vorgestellt haben, welches abermals Gelegenheit giebt, die Synonymen durch Nebenzüge zu unterschei= Nicht der Weltweise hat Synonymen abgeschafft. Seine Machtsprüche haben bei dem Volke wenig und bei den Dichtern noch weniger zu bedeuten. Wo hat auch jemals der Philosoph den verkehrten Einfall haben können, eigene Wörter auszumerzen und an ihre Stelle allgemeine Wörter mit adjectivis, participiis oder adverbiis einzuführen? z. E. statt laufen: fehr geschwind gehen; statt Thal: eine Ebene zwischen Gebirgen; oder statt Sonne: den allergrößten Stern einzuführen ?Wenn Synonymen abgeschafft werden, so thut es der Hof, die Modewelt, die sich gewisser Worte, deren sich das geringere Volk bemächtigt, enthalten, wodurch sie nach und nach aus dem Gebrauch kommen. Daher die Sprachen sich schleuniger verändern, wo eine Hauptstadt ist und der Hof sich in der Landessprache ausdrückt.

den.'

Wenn der Sprachforscher Synonymen unterscheidet, thut er dem Dichter dadurch Abbruch? Wir glauben nein! Die verschiedenen Nebenzüge der Synonymen sind es ja, aus welchen der Dichter den größten Vortheil zieht. Der Herr Verfasser bemerkt selbst (S. 56.), daß die Wiederholungen in den orientalischen.

Gedichten, die uns Tautologien scheinen, den Morgenländern nichts weniger als Tautologien waren; indem ihre synonymischen Gegensäge durch Nebenzüge verschiedene Wendungen und Rew heit bekamen. Wenn diese Nebenzüge verloren gehen, so it um den Reichthum des Dichters geschehn. Seine Schäße ers den beschwerlicher überfluß und sein Aufwand artet in er schwendung aus. Mithin ist es eine Wohlthat für den Dichter, wenn diese feinen Nebenzüge festgesezt und bestimmt werden. Wenn wir sie in den orientalischen Sprachen zu bestimmen fæ Stande wåren, so würden wir Poesie finden, wo wir jezt vers drießliche Tautologien sehen.

Ja, wenn die Philosophen die Unterschiede der Synonymen angeben, so hören diese dadurch nicht einmal auf Synonymen zu seyn. In allen Fällen, wo es nur um den Hauptbegriff thun ist und auf den Nebenbegriff nicht gesehen wird, bedient man sich derselben ohne Unterschied. Auch hat sich noch s ein Dichter abhalten lassen, von den Vorschriften des logi Sprachforschers zuweilen abzuweichen, wenn es Wohlklang, N druck, Kühnheit oder Abwechselung erfordern; und der Philci muß so billig seyn, diese Ausnahmen gelten zu lassen. Das bi den Franzosen die Richtigkeit der Sprache dem Reichthume des felben so sehr geschadet hat, kömmt wahrscheinlicherweise dekst, weil dieses Volk niemals eine poetische Sprache gehabt und re kühnsten Dichter allezeit in den Schranken der Prosa"gehrfoa hat. Man mache aber hieraus keine Regel für andere Vô

Von der Constructionsordnung hegt der Verfasser eine liche Hypothese. Alle alte Sprachen," heißt es (S. 98.), „↓ ursprünglich sind und das Gepräge der ersten sinnlichen Lebensart führen, sind voll Inversionen; eine grammatikalische Con struction ist noch nicht eingeführt. So wie die Sprache siche der Folge der Zeit zur Büchersprache bildete, wurde auch Construction nach und nach an eine bestimmte Ordnung gebu den und die Inversionen aufgehoben." In Absicht auf die p ren Sprachen heißt es (S. 101.): „je mehr eine derselben n Grammatikern und Philosophen gebildet worden, desto her Fesseln trågt sie; je mehr sie ihrem ursprünglichen Zufande nåher ist, desto freier wird sie seyn." Dieses alles feit uns willkührlich und ohne genugsamen Grund für allgem ausgegeben zu werden. Die hebräische Sprache trågt meh eine das Gepräge der ersten sinnlichen Lebensart, und hat febr

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