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Gottheit durch die Gründe der wahren Philosophie überzeugt ist, wird von einer natürlichen Begebenheit, deren Verknüpfung mit dem Ganzen er zum Theil einzusehen vermag, weit mehr ge= rührt, als von einem Wunderwerke. Niedrige Geister aber werden durch die beständige Verknüpfung der Ursachen mit ihren Folgen zu dem Irrthum verleitet, die Hand eines vernünftigen, freien Wesens zu verkennen. Ihnen also find die Wunderwerke unentbehrlich; denn indem sie keine Ursache in der Natur der Dinge finden, zeugen sie unmittelbar von einem freien Regierer dieses Ganzen, und in so weit sind sie auch Proben seiner Weisheit.

Eben so verhält es sich mit den Glücksfällen. Diejenigen Güter, die wir durch unsre Bemühung erhalten, davon also der Grund in unsern Handlungen anzutreffen ist, verkündigen weit mehr eine gütige und weise Macht, als diejenigen, welche wir erlangen, ohne sie vermuthet oder etwas dazu beigetragen zu haben; weil auch alle unsre Fähigkeiten, und die Klugheit, sie nach unserm Willen zu lenken, Geschenke einer gütigen, weisen und allmächtigen Hand find.

Ein großer Schriftsteller sagt, man müsse alsdann seine Absicht als eine Sache, die Gott nicht billigt, fahren_laffen, wenn immer ein Hinderniß auf das andere in der Ausführung unsres Vorhabens folgt, das alle unsre Bemühungen zernichtet. Allein fo lange uns keine Offenbarung in solchen Fällen von dem Willen Gottes benachrichtigt, so lange können wir nichts als unsern Verstand zum Leitfaden annehmen, der nach Muthmaßung über unser Vorhaben urtheilen muß. So oft uns unfre Bemühungen fehlgeschlagen, müssen wir eine neue Untersuchung anstellen. Manchmal vermehrt ein fehlgeschlagenes Vorhaben die Wahrscheinlichkeit für die Gefahr; denn ist es ein Hinderniß, das wir bei der ersten Untersuchung nicht erwogen, das unsre Bemühung zernichtet, so muß dieß bei der zweiten Untersuchung mit in Betrachtung gezogen werden. Ist es aber ein bloßer Unglücksfall, der in der Beschaffenheit unseres Vorhabens gar nicht gegründet seyn kann, so ist es noch ein Bewegungsgrund mehr, die Sache nicht fahren zu lassen, wenn die erste Unternehmung uns fehlgeschlagen. Ein Exempel hiervon findet man im Pharospiel. Wer zum ersten Male auf eine gewisse Karte verspielt, verdoppelt den Einsatz auf eben diefelbe; hat er aber darauf gewonnen, so sest er in dieser Mischung kaum ferner

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etwas darauf ein. Man hålt es für weniger wahrscheinlich, daß einerlei Karte mehrere Mal, als daß sie nur einmal auf einerlei Seite liegen würde.

Solchergestalt müssen mir, wenn uns ein Vorhaben fehls geschlagen, zwei Sachen überlegen: erstlich, ob aus der Beschaf= fenheit unsres Vorhabens, oder der Art und Weise, wie wir es zu erlangen gesucht, zu verstehen ist, warum unsre Bemühung uns fehlgeschlagen; oder ob uns bloße Unglücksfälle verhindert, die weder mit unserm Vorhaben, noch mit der Anstalt, die wir dazu gemacht, etwas gemein haben, auch auf keinerlei Weise zu verhüten sind. Im ersten Falle also bedenke man abermals, ob das Hinderniß gewöhnlicher ist, als wir uns vorgestellt haben; und alsdann muß erst eine neue Berechnung angestellt werden. In allen übrigen Fällen müssen wir um desto weniger von unserm Vorhaben ablassen, je mehr Wahrscheinlichkeit wir für den glücklichen Ausschlag desselben durch den ersten Verlust erlangt haben. Wenn das Glück unser Vorhaben noch so oft gutheißt, so ist es dennoch keinesweges eine Anzeige, daß der Wille Gottes mit unserer Absicht übereinstimmt. Wie oft ist das Glück nicht dem Gottlosen günstig, und läßt alle seine Unternehmungen ge= lingen, und dennoch kann der Lasterhafte

(Unvollendet.)

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Gedanken und Bemerkungen.

(den 11 April 1754.)

Unsre Begierden find desto heftiger, auf je weniger Gegenstånde sie sich erstrecken; so daß sich die Heftigkeit umgekehrt wie die Summe der Gegenstände verhält. Sehet die Heftigkeit = i, die Summe der Gegenstände = s; so ist die Begierde si. Es ist daher zu untersuchen, ob nicht diese Quantitåt si in allen Augenblicken unsres Lebens einerlei verbleibt; welches alsdann eine vollkommene Ähnlichkeit wäre mit der Erhaltung einerlei Kräfte der Bewegung in der Natur, und zwar eigentlich der vis derivativae, weil die Bestimmung unsrer Vorstellungskraft auf einen gewissen Gegenstand, welches die Begierde ist, der vi derivativae åhnlich ist.

Fragt ein Lasterhafter, wie es in einer Welt aussehen würde, in der man den Schmerz nicht fühlte, so sei die Antwort: so wie in der moralischen Welt, wo die Kranken sich nicht fühlen und kränker zu seyn wünschen.

Die Bewegungen, die in einem Körper auf vorhergehende Empfindungen erfolgen, sind der Lebhaftigkeit der Empfindungen, und nicht der Deutlichkeit proportional.

Die Lebhaftigkeit nimmt, nachdem sie durch die Wiederholung so zu sagen das Marimum erreicht, allmålig wieder ab, und wird endlich = 0; in welchem Falle auch das Bewußtseyn aufhört.

Den 10 Juli 1757.

Der

Man kann in Beobachtung der Pflichten zu viel thun, wenn sich die moralische Obliegenheit nicht so weit erstreckt, als die physische Möglichkeit; daher ist in Ansehung solcher Tugenden die Mittelstraße anzurathen. Hingegen kann in Ansehung solcher Pflichten niemals zu viel geschehen, die als rationes determinantes omnium officiorum angesehen werden können. gleichen sind amor Dei, cultus ejus internus, appetitio perfectionis verae, studium se ipsum perficiendi etc.; weil diese allgemeinen Pflichten alle unsere freien Handlungen determiniren sollen, und daher die physische Möglichkeit unmöglich weiter geht, als die Obliegenheit.

Folgender Lehrsag ist von Euclides so vielfältig gebraucht und mit Nußen angewendet worden, daß es vielleicht nicht völlig unnůßlich wäre, denselben allgemein festzusehen. Ja ich glaube fogar, er dürfte in der Lehre von den Differential-Größen eini ges Licht anzünden, wenn man ihn darauf anzuwenden suchte.

b A Wenn sich von zweien Größen, A und B, mehr als die Hälfte von A verhält zu mehr als der Hälfte von

a

B

e: d, und mehr als die Hälfte des Überrestes von A zu mehr als der Hälfte des überrestes von B gleichfalls e:d und so weiter; so verhalten sich B auch die Größen A: Be: d.

Der Beweis hiervon kann aus dem Euclides 1. XII. prop. 1. und 5. ohne sonderliche Mühe abgezogen werden.

Ich glaube, man kann sich hierdurch einen Begriff von der Differential-Größe machen, wenn man sich einbildet, sie entstehe, indem man von einer gewissen Größe immer mehr als die Hälfte abnimmt; denn nach prop. 1. 1. X. Eucl. wird zuleht eine Größe übrig bleiben, quae quacunque magnitudine minor erit; und dieses ist die Definition der Differential- Größe. Es erhellt also hieraus die Ursache, warum eine DifferentialGröße rationem totius magnitudinis mutare nequit.

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In der Lehre von den körperlichen Größen hat Wolf (in feinen Anfangsgründen) die allerunzulänglichsten Beweise gewählt. Wenn er erweisen will, daß Pyramiden, Parallelepipeda und Prismen, die gleiche Höhen und Basen haben, einander gleich seien, so beruft er sich auf die gleiche Anzahl gleich großer Durchschnitte; da doch so wenig ein Körper aus einer größern Anzahl von Durch schnitten, als eine Fläche aus einer gróBern Anzahl von Linien, oder eine Linie aus einer größern Anzahl von Punkten besteht. Tschirnhaus in Medicina mentis führt einen größern Schriftsteller an, der sich eben dieses Beweises in Ansehung des Triangels bedient. Allein er merkt mit Recht an, daß aus eben diesen Gründen folge, die Linie abc d.

d b

Den 29 Juni 1758.

Man kann dreierlei Grade der natürlichen Vorhersehung unterscheiden. Entweder man erwartet einen gewissen Erfolg

bloß durch ein Spiel der Einbildungskraft; wenn man z. B. die beiden Begriffe A und B so oft zu gleicher Zeit gehabt, daß sie sich nachher allezeit einander begleiten, so kann man nachher B aus A, oder A aus B vermuthen, nicht weil sie in einander gegründet sind, sondern weil der begleitende Begriff die erste Vorstellung ist, auf welche wir natürlicher Weise gerathen. Expectatio casuum similium.

Oder man schließt per regulam probabilitatis, daß A_und B entweder unmittelbar oder mittelbar in einander gegründet seyn müssen, weil sie sich in der Natur beständig begleiten. Hierzu wird schon das Vermögen zu abstrahiren erfordert.

Der dritte Grad ist die Vorhersehung aus der Kenntniß der Ursachen und Wirkungen und ihres Verhältnisses gegen einander.

c. 1760.

Reverentia, Ehrfurcht ist eine Furcht oder ein Abscheu, Jemanden zu mißfallen, den man verehrt. Dieses Wort faßt im Deutschen die philosophische Definition in sich.

Briefe über Kunst.
Erster Brief.

Es ist wahr, Agathocles, wir haben die Gränzen aller Wiss senschaften und Künste seit einiger Zeit so sehr erweitert, daß man sich endlich genöthigt gesehen, jeder Kunst, jeder Wissenschaft einen eigenen Bezirk abzustechen. Jede erfordert unsern ganzen Fleiß, unsre ganze Aufmerksamkeit, unser ganzes Leben. Die Polyhistors unsrer Zeit müssen entweder Leibnize seyn, oder sich mit der Geschichtskunde der Wissenschaften begnügen, ohne in ihr inneres Wesen zu bringen und alle ihre Geheimnisse zu durchforschen. Auf neue Entdeckungen müssen sie schlechterdings Verzicht thun. Sie sind nur den Geistern vorbehalten, welche die Natur mit einer herrschenden Neigung zu einer einzigen

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