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glückliche Betrug zu erhalten? Bloß durch die künstliche Erregung der Leidenschaften. Nur diese sind mächtiger als die Sinne, und verführen die Seele, die täuschenden Vorstellungen für wirklich zu halten; daher interessirt die vollkommene Tugend in der Nachahmung nur alsdann, wenn sie zur Action Gelegen= heit giebt; wenn sie Leidenschaften erregt, und vermittelst derselben den Leser oder Zuschauer täuscht, daß er eine Wirklichkeit 'vor sich zu haben glaubt; d. h. wenn sie mit der poetischen Idealschönheit verbunden werden kann; und wie selten ist dieser Fall!

Plutarch hat also, Recht, wenn er die vermischten Charaktere den vollkommen tugendhaften vorzieht; aber der Grund ist falsch, den er davon angiebt. Nicht weil in der Natur Böses mit Gutem vermischt ist; der Künstler hat ja die Freiheit, die Natur zu verschönern. Warum kann er dieses in Ansehung der : Schönheit? warum in Ansehung der Leibesstärke, der Tapferkeit und der übrigen Naturgaben? Homers Helena ist schöner als die Natur, sein Achilles tapferer, und vielleicht sein Nestor weiser. Nur die Tugend hat er in der Epopee nicht bis auf den höchsten Gipfel treiben wollen, weil sie in den mehrsten Fällen den Abfichten des Dichters zuwider ist und sich nicht mit seiner Idealschönheit verbinden läßt.

Die Alten scheinen dieses überhaupt vortrefflich eingesehen zu haben. In ihren prosaischen Erzählungen, die mehr die Absicht haben, den Verstand zu erleuchten als das Gemüth zu be wegen, trugen sie kein Bedenken die vollkommensten Charaktere den Sterblichen zur Nachahmung vorzubilden. Über sie hätten mehr als stoisch gesinnt seyn müssen, wenn sie ihren vollkommenen Weisen für alles in allem, und sogar für die geschickteste dramatische Person gehalten håtten. Ich weiß kein einziges dramatisches Stück von den Alten, in welchem vollkommen tugendhafte Personen vorkommen sollten. Ich nehme weder den Oedip noch die Alceste aus, so sehr Sie auch geneigt scheinen, diese beiden Charaktere für moralische Idealschönheiten zu halten. Dedip hat zwar nicht solche Fehler, daß man sein Unglück eine verdiente Strafe nennen könnte. Er zeigt doch aber seine menschliche Seite allzu sehr, und ist von der vollkommenen Tugend eines Sokrates, eines Cato weit entfernt. Es ist eine Ver= mischung von Tugenden und Schwachheiten, die einen indivis duellen Charakter ausmacht. Der Charakter der Alceste ist mehr

übermäßige Zärtlichkeit als Tugend; und die Haupthandlung derselben, die Aufopferung für ihren Gemahl, ist vielleicht nach den strengsten Regeln der Vernunft eine zu weit getriebene Zärtlichkeit, eine Schwachheit; aber zu welchen vortrefflichen Situationen hat diese Schwachheit Gelegenheit gegeben!

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67ster Brief.

Die Staatskunst hat sich in den neuern Zeiten so weit von der einfältigen Bahn der Weltweisheit verirrt, daß man sie kaum für ein philosophisches Studium mehr erkennen sollte. Jene ungekünftelten Plane der alten Staatskunst scheinen sich so wenig als das arkadische Schäferleben mit unsern jeßigen Umständen zu vertragen. Und dieses ist viel mehr eine nothwendige Folge der Zeiten, als ein Fehler der Geseze oder der Gesetzgeber. Lassen Sie einen neu aufkommenden Staat nach den einfältigsten Gesehen regiert werden, so werden sich in Kurzem seine Verhältnisse mit den benachbarten, und vermittelst dieser mit den übrigen Völkern der Erde vermehren, und seine Bedürfnisse sich vervielfältigen; daraus werden dann neue Geseze entstehen; und so oft diese mit den alten collidiren, werden Ausnahmen und Einschränkungen hinzugethan werden müssen. Zulegt wird das Regierungssystem dieses Volks so verwickelt und in einander laufend seyn, als immer eines von den Systemen, nach welchen die jeßigen Staaten regiert werden. Die Weltweisen werden unzufrieden seyn und sich die erste Einfalt zurück wünschen; allein so vergebens, als man sich zuweilen die unschuldigen Jahre der Kindheit zurück wünscht.

Indessen gehören sowohl die Klagen der Weltweisen als die Verwirrung der Staatskunst mit zum Laufe der besten Welt, und sie sind auch nicht ganz ohne Nußen. Indem sie die Eins bildungskraft mit den angenehmen Bildern einer einfältigen Staatsverfassung beschäftigen, prägen sie den Gemüthern ihrer Mitbürger eine heilsame Liebe zur unschuldigen Natur ein, da durch sie abgehalten werden, dem hinreißenden Strome allzu leicht nachzugeben.

Diese Gedanken hatte ich, als ich die Schriften eines J. J. Rousseau, die philosophischen Träume" eines Iselin, und verschiedene andere Tractate dieser Art gelesen; und sie wurden lehthin bei mir erneuert, als mir erwähnten Herrn Iselin's Versuch über die Gesesgebung *) zu Gesichte kam. Man sieht mit Vergnügen die inbrünstigen Wünsche eines Menschenfreundes, der, unzufrieden, daß er sie nicht erfüllt sieht, in seiner Einsamkeit die dden Straßen der gefunden Politik", wie er sich in der Vorrede ausdrückt,,,durchwandert, auf denen man ,,die Glückseligkeit der Menschen, und nicht die Größe und den ,,Glanz ihrer Beherrscher sieht".

Ich werde Ihnen von dieser kleinen Schrift wenig zu fagen haben, denn sie enthålt wenig neues: ungefähr die allgemeinen Züge eines vollkommenen Gesetzgebers, so wie man sie nach den Grundsägen der Weltweisheit entwerfen würde; Forderungen eines mit den Welthåndeln unbekannten Weltweisen, deren Beurtheilung man dem Mann in Geschäften überlassen muß. Hr. Iselin hat weder durch Beispiele aus der Geschichte noch durch neue Vorschläge die Möglichkeit seiner Forderungen dargethan, und die meisten tragen offenbar das Zeichen der Unausführlichkeit an der Stirne. Er sagt z. B. (S. 37.):,,In ,,sonderheit aber müssen sie (die Geseze) den Reichthümern den ,,Rang bestimmen, der ihnen gebührt, und denselben nicht er,,lauben zu den Vortheilen, die sie ohne diß gewähren, noch ,,die Ehre, welche die Belohnung der Tugend und der Verdienste ,,ist, sich zuzueignen. Die Geseze wåren ungerecht und unver,,nünftig, wenn sie den Reichthümern die Bequemlichkeit, das ,,Wolleben und eine große Pracht versagen wollten. Sie find ,, aber zernichtet, wenn der Reiche, nur weil er reich ist, die ,,Achtung und die Ehre auf sich ziehet. Alsdenn ist es um den "Staat geschehen". Die Warnung ist vortrefflich! aber was müssen die Geseze thun, diesem Mißbrauche vorzubeugen? Können sie den Reichthümern die Bequemlichkeit, das Wohlleben und eine gewisse Pracht nicht versagen; so können sie auch nicht verhindern, daß der Reiche diejenigen Mitbürger an seiner Bequem= lichkeit und Pracht Theil nehmen läßt, die ihm zu gefallen

*) Versuch über die Gesezgebung, von dem Verfasser der philo= sophischen Träume. Zürich bey Drell u. Co. 1760.

leben; daß diese hinwiederum dem Reichen zur Vergeltung die jenige Achtung und Ehre bezeigen, welche die Belohnung der Tugend und der Verdienste seyn sollte; und alsdann ist es ja um den Staat geschehen! Es ist leicht zu sagen, was die Gesehe thun sollten; aber, wie? ist eine Frage, die sich der Weltweise allezeit erst selber thun muß, ehe er eine Forderung an den Tag legt.

,,Den Frieden mit den Benachbarten", heißt es ferner (S. 42.),,,so viel es immer möglich, zu unterhalten, die kriege,,rischen Tugenden in den Herzen der Bürger zu pflanzen und ,,zu ernähren, sind die zwey Hauptgrundsäße, nach denen ein Gesetzgeber sich zu richten hat". Wer wird dieses läugnen? Wenn aber diese beiden Hauptgrundsäge, wie es öfters kommen kann, mit einander streiten, was soll der Gesetzgeber thun? Hr. Iselin hat ihm an einem andern Orte untersagt, seine Völker einer andern Macht zu leihen. Soll er nun einen Krieg_anfangen, um die kriegerischen Tugenden in den Herzen der Bürger zu pflanzen und zu ernähren? Baco und fast alle erfahrne Politiker sagen ja, die Menschlichkeit aber seufzt nein; was sagt nun der Weltweise dazu? Diese schwierige Aufgabe ist der Untersuchung eines Menschenfreundes würdig, so wie überhaupt nicht die allgemeinen Gefeße, sondern die nöthigen Ausnahmen in besondern Fällen die größten Schwierigkeiten machen. Wenn die Politiker mit den Weltweisen irgend in einen Streit ges rathen, so ist es mehrentheils über die Ausnahmen; in dem Allgemeinen der Geseze stimmen sie vollkommen überein. Warum beobachtet also Hr. Iselin über jene ein tiefes Stillschweigen?

In der darauf folgenden Stelle ist er etwas weniger allge mein. Ohne einen Blick auf die jeßigen Zeitläufte würde der Weltweise schwerlich auf diese Betrachtungen gekommen seyn. ,,Unglückselig ist das Volk", heißt es, dessen Råthe und Be ,,herrscher groß, mächtig, und selbst gesicherter durch die Unords ,,nungen des Krieges, nur darauf bedacht sind, wie sie den ,,Tempel des Janus eröfnen können. Welch ein glückseliges „Geheimnis wäre es nicht, wenn man anstatt neue Auflagen ,,auszudenken, ein Mittel ausfündig machen könnte, wodurch die größte Last des Krieges auf diejenigen gewälzt würde, die dens ,,felben anrathen! Welch eine weise Marime wäre es nicht, ,,wenn der siegende Theil insbesondere diejenigen Minister des ,,Besiegten, die den Krieg angesponnen, verfolgte, und sich mehr

,,an deren und ihrer Clienten Schäzen und Gütern, als an der ,,Armuth des unglückseligen Landmannes erhohlte!" Lassen Sie uns diesen Wunsch von ganzem Herzen unterschreiben, damit diese niederträchtigen Aufwiegler, welche zwar List, aber nicht Tapferkeit genug besigen, eine Welt zu verwüsten, sie wenigstens nicht so gemächlich, so unbesorgt verwüsten mögen.

Die Lehre von der Sanction oder Einführung der Gefeße handelt Hr. Iselin mit einiger Gründlichkeit ab. Man sieht, daß er die Theorie der Neuern von der Verbindlichkeit und von den Bewegungsgründen mit Verstande gelesen. Schade, daß er diese subtile Materie nicht durch Erempel aus der Geschichte erläutert!

XI. Den 13 Dec. 1759.

72 ster Brief.

Warum mag es doch so schwer seyn, über den Ursprung der Sprachen mit einiger Gründlichkeit zu philosophiren? Ich weiß wohl, daß sich von geschehenen Dingen, davon wir keine urkundliche Nachrichten haben, selten mehr als Muthmaßungen herausbringen lassen. Allein warum will den Weltweisen auch keine Muthmaßung, keine Hypothese glücken? Wenn sie uns nicht sagen können, wie die Sprachen wirklich entstanden, warum erklären sie uns nicht wenigstens, wie sie haben entstehen kön= nen? Sollte es nicht daher kommen, weil uns die Sprachen so natürlich geworden, daß wir nicht ohne dieselben denken können? So wenig die Augen in ihrem natürlichen Zustände das Werkzeug des Sehens, die Lichtstrahlen, deutlich wahrnehmen, eben so wenig mag vielleicht die Seele das Werkzeug ihrer Ges danken, die Sprache, bis auf ihren Ursprung untersuchen können. Dieses mag uns so lange zur Entschuldigung dienen, bis ein glücklicheres Genie die Entschuldigungen unnöthig macht. Da ich ein Freund von dergleichen Speculationen bin, so können Sie sich leichtlich vorstellen, daß ich die Preisschrift der königl.

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