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„Stellen, die uns anstößig scheinen, für allegorische Vorstellungen solcher Wahrheiten zu halten, die man zu alten Zeiten dem „Volke mit Fleiß zu verbergen, und nur Leuten von mehrerem „Nachdenken zu verstehen zu geben gewohnt war? Wir glauben hiervon überzeugt zu seyn, und haben auch schon wirklich den Sinn von einigen råthselhaften Stellen herausgebracht. Die wir nicht erklären können, betrachten wir mit einem ehrfurchts,,vollen Stillschweigen, und gestehen unsere Unwissenheit“.

„Indeffen", fuhr er fort, „sind diese Allegorien selbst, in ,,welchen sie die Wahrheit eingehüllt, nicht alle so widerfinnig, ,,als man glaubt. Öfters enthält auch ihr planer Sinn sehr gute Sittenlehren, die heilsam und ersprießlich seyn können. Unsere Lehrer haben hierin die Natur nachgeahmt. Sie bekleidet öfters die Früchte mit äußern Schalen, die an und für sich selbst schmackhaft und köstlich sind; nicht selten aber umhüllt sie den zarten Kern mit einer ungenießbaren Schale, damit man, ohne bei derselben sich aufzuhalten, sogleich den köstlichen Kern suchen möge".

Ich habe meinem gelehrten Juden nichts von der Rabe'schen Ankündigung der Mischna gesagt. Er scheint unsern Gelehrten die Geduld und Arbeitsamkeit nicht zuzutrauen, die nach seiner Meinung erfordert wird, wenn man den wahren Sinn der Mischna oder des Talmuds allenthalben erreichen will. So= bald die übersehung heraus seyn wird, werde ich sie ihm zur Beurtheilung vorlegen.

XVIII. Den 3 Mai 1759.

37ster Brief.

Der Hr. Professor Eschenbach zu Rostock hat eine Metaphysik geschrieben (denn welcher Deutsche wird über eine Wissenschaft lesen, ohne ein eigenes Lehrbuch zu verfertigen?), in welcher das Wolfische Lehrgebäude ganz ohne Verschonen niedergeriffen wird. Da bleibt keine einzige Erklärung unangefochten, kein Sag unbestritten; und fast keine Seite in Wolf's

Schriften, auf welcher der Hr. Verf. nicht augenscheinliche Widersprüche finden sollte. Ich versprach mir recht viel von diesem Buche. Je mehr ich den vornehmsten Lehren der Wolfischen Weltweisheit anhange, mit desto größerer Begierde lese ich die Zweifel und Einwürfe, die dawider gemacht werden. Denn wenn sie von einem philosophischen Kopfe herrühren, so geben fie immer Gelegenheit, die Wahrheit von einer neuen Seite zu betrachten. Ich machte mir also Hoffnung, bei einem Weltweisen, der mit so vieler Freiheit von der betretenen Bahn abgeht, wenigstens einige neue philosophische Aussichten gewahr zu werden, die man gemeiniglich übersieht, wenn man immer in dem alten Gleise fortgeht. Allein ich ward betrogen. Zweifel von dieser Art muß man nur bei einem Weltweisen suchen, der nicht selber ein System aufrichten will. Hr. Eschenbach aber hat den Kopf von seiner eigenen Philosophie so voll, daß er sich nie verläugnen und in die Gedanken eines Andern verseßen kann. Er tadelt, widerlegt und verwirft, weil ihm außer seinen eigenen Gedanken gar nichts gefällt. Über ein jeder Schüler in der Wolfischen Philosophie, der nur etwas mehr als Worte hat be= greifen gelernt, muß ihm die Spise bieten können.

Sagen Sie mir doch: kann ein Weltweiser, der nicht bloß mit Worten spielen oder dem Unwissenden ein Blendwerk vormachen will, aus der Lehre, daß die endlichen Dinge einer be ständigen Veränderung unterworfen sind, die Folge ziehen, „daß, ,,wenn ein Räuber nach Verlauf von vierzig Jahren ertappt und ,,gerådert werde, nicht eben derselbe, der die Mordthat begangen, „sondern ein ganz Anderer, und also ein Unschuldiger, gerådert ,,werde"? Hr. Eschenbach wärmt S. 43. diese elende Consequen zienmacherei wirklich wieder auf; aber sie verdient keine ernsthafte Widerlegung!

S. 55. trifft die Reihe die Wolfische Erklärung von der Vollkommenheit. Wolf sette die Vollkommenheit in die Zusam menstimmung des Mannigfaltigen. „Vermöge dieser Erklärung“, sagt Hr. Eschenbach, „kann manches, das nach dem Redegebrauch ,,unvollkommen und fehlerhaft ist, eben deswegen, weil es un: „vollkommen ist, dennoch vollkommen heissen. 3. E. eine Uhr, ,,darinn alle Råder dahin zusammen stimmen, daß sie allemal ,,die Zeit unrichtig anzeigt, wird eine vollkommene, oder wie man spricht, eine gute Uhr seyn". Possen! das macht Hr. Eschenbach den Wolfianern nicht weiß, daß eine Maschine, deren Theile

und Bewegungen ohne Ausnahme zusammenstimmen, die Zeiten alle Augenblicke anders anzuzeigen, noch eine Uhr seyn kann. Sie könnte eben so gut eine Wassermühle heißen!

Hr. Eschenbach ist überhaupt sehr sinnreich an Erfindung der Instanzen. S. 93. widerlegt er den Sak, daß die Substanzen die Quelle ihrer Veränderungen in sich haben. „Wenn

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8. E. eine Pulvermühle springt", sagt er,,,und einen Haufen Soldaten in die Luft schmeißt: kann man wohl sagen, daß ein ,,Soldat einen beständigen Trieb habe, aus eigener Kraft in die ,,Luft zu springen, daß seine Hände und Füsse einen beständigen ,,Trieb haben aus einander zu fliegen?" Ich will Ihnen diese ganze Stelle herseßen. Sie enthält lustiges Zeug. Wolf selbst", fährt Hr. Eschenbach fort, sagt, daß der Trieb der Körper herunterwärts zu fallen, von dem Druck eines åuffern Körpers ,,herrühre. Ist dieses wahr (welches mir hier gleich viel ist), so ,,kann man ja nicht schliessen, daß die Handlungen eines Dinges ,,allemal von seiner innern Kraft herrühren, sondern von der bestimmenden Kraft eines andern Dinges. Und ist das Herunterfallen der ursprünglichen Kraft des Körpers zuzuschreiben, wie ,,er eben daselbst behauptet; wozu ist der Druck der subtilen Ma= ,,terie nöthig? und warum fållt der Körper nicht im leeren Raume ,,herunter?" Mit welchen Augen muß Hr. Eschenbach die Wolfischen Schriften gelesen haben, wenn er geglaubt hat, nach den Meinungen dieses Weltweisen könne eine Bewegung plöslich und ohne eine vorhergehende andere Bewegung entstehen? Ist wohl das Einmaleins für die Einwürfe eines Menschen sicher, der mit offenen Augen nicht sehen will? Doch Hr. Eschenbach hat noch eine Instanz, und hierauf weiß ich nichts zu antworten. „Ein „Dieb", fagt er, „hat eine Kraft zu stehlen: kann man deswegen ,,sagen, daß sie immer thätig sey, und der Dieb beständig stehle, ,,auch so gar im tiefsten Schlafe?" Gewiß! die Kraft des Hrn. Eschenbach, Einwürfe zu machen, muß immer thatig seyn! denn er kann diesen nicht anders als im tiefsten Schlaf gemacht haben.

Von diesem Schrot und Korne sind die mehresten Einwürfe dieses Weltweisen. Ihnen und mir aber die Zeit nicht zu verderben, will ich nur noch einen einzigen anführen. Den Beweis, den Wolf für die Existenz Gottes aus der Zufälligkeit der Welt hernimmt, verwirft Hr. Eschenbach S. 499. aus folgenden Gründen. Denn erstlich", sagt er,,,deswegen kann ein

„Ding noch nicht zufällig genennt werden, weil dessen Gegentheil fich gedenken läßt; sonst kann man mit eben dem Recht ,,das unendliche Ding und Gott, ja selbst das schlechterdings ,,Nothwendige, noch immer zufällig nennen (§. 39, Anm. ,,2, 3.)". Wir wollen nachschlagen! §. 39. Anm. 2. heißt es: ,,nach dieser Erklärung" (des Zufälligen nåmlich),,kann man ,,fagen, daß das unendliche Ding (ens infinitum) zufällig sey, ,,weil dessen Gegentheil (ens finitum) möglich ist". Wie armfelig! wird hier ein Schüler Wolf's ausrufen. Das heißt mit Worten gespielt; ich sage, der Sak: „das unendliche Ding existirt", sei schlechterdings nothwendig, weil das Gegentheil, „das unendliche Ding existirt nicht", unmöglich ist. Wenn ich also das Lehtere erweise, so steht das Erstere fest; und ich erweise es daher, weil die Welt den Grund ihres Daseyns nicht in sich haben kann.

Der zweite Einwurf des Hrn. Eschenbach klingt noch selts famer: daraus", heißt es ferner, daß Dinge in der Welt entstehen und vergehen, Menschen gebohren werden und sterben, ,,u. d. g. folgt auch nach den eigenen Grundsäßen des Herrn v. ,,Wolf nicht, daß sie zufällig sind, d. i. (wie es hier genommen ,,wird) einen Anfang im Daseyn haben". Und rathen Sie, warum?,,weil Herr v. Wolf glaubt, die Menschen wåren schon ,,in den Saamenthierchen, und kámen durch die Geburt nur ,,in einen andern Zustand der Wirklichkeit". Hr. Eschenbach hat geglaubt, die Verwandlungen, die ein Saamenthierchen leidet, könnten mit einem Dinge vorgenommen werden, das nicht zufällig, das also nothwendig ist; oder wenn er dieses selber nicht geglaubt hat, so hat er es seinem Gegner aufbürden wollen, um ihm desto leichter ankommen zu können. Ich will aus Liebe noch die Schuld auf Hrn. Eschenbach's Philosophie schieben, um seine Aufrichtigkeit nicht in Verdacht zu haben.

38ster Brief.

Sie werden vermuthlich auch etwas von des Hrn. Eschenbach's eigenem System wissen wollen. Ich werde Ihnen also eines und das andere daraus anführen. Seine Meinungen ver

lieren nichts, wenn man sie einzeln vortrågt; der Hr. Eschenbach kann sie unmöglich zusammenhangend gedacht haben.

Er eifert an verschiedenen Stellen wider den Cartesius, daß er die Farben für bloße Erscheinungen gehalten. Ich ge= stehe es, ich hätte nicht geglaubt, daß man zu unsern Zeiten noch an dieser Wahrheit zweifeln könne. Wenn man bedenkt, daß wir uns die sinnlichen Gegenstände nur nach den Eindrücken vorstellen, die sie in die Gliedmaßen der Sinne machen; wenn man sich aus der Physik erinnert, daß der Unterschied der Farben bloß in dem verschiedenen Grade der Geschwindigkeit besteht, mit welchem sie in unsere Organe wirken; so kann man unmöglich daran zweifeln, daß wir von den Farben ganz andere Begriffe haben würden, wenn wir uns deutlich bewußt wären, wie die Strahlen in die kleinsten Theile unserer Organe wirken. Was ist nunmehr unphilosophischer, als zu glauben, daß die Farben außer uns so und nicht anders wirklich sind, als wir sie uns vorstellen? Allein Hr. Eschenbach sagt S. 128., wenn die Farben bloße Erscheinungen wären, so könnte es mit allen übri gen Eigenschaften des Körpers, und folglich mit dem Körper selbst, eben die Beschaffenheit haben; und hierin mag er freilich nicht Unrecht haben. Auch dieses kann man ihm einräumen, daß es nach diesen Voraussetzungen schwer sei, die Idealisten zu widerlegen. Hat man aber deswegen Grund, die unlåugbare Wahrheit der Voraussehungen selbst in Zweifel zu ziehen?

Doch Hr. Eschenbach hat sich vorgenommen, die Idealisten zu widerlegen, es koste was es wolle! Wir wollen sehen, wie er fie abfertigt. Das Daseyn seines eigenen Körpers beweist er S. 148. folgendergestalt: „Ich denke ißt wachend, d. i. in einem „Zustande, da ich mich nach Belieben so oft und viel ich will, ,,befragen kann, wachst du? und mir bewußt bin, daß ich wache. ,,Dieser Sag ist wahr; Ich fühle es, es braucht keines weitern Beweises. Indem ich aber mit wachender Aufmerksamkeit ,,mich selbst betrachtend sage, Ich denke! indem ich dieses Wort, "Ich, ausspreche; erkenne ich zugleich, daß ich mit verschiedenen ,,Gliedmassen, Augen, Ohren u. d. g. begabt sen, die zusammen ,,genommen einen gegliederten Körper ausmachen. Ich stelle „mir auch ißt, da ich zum ersten male sage, Ich denke, diesen Körper als ein auffen wirkliches Ding vor; es fällt mir nicht ,,einmal ein, daß es nur ein blosser Gedanke seyn sollte" u. f. w. Es ist freilich eine verdrießliche Sache, wenn Jemand bei sich

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