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Verhältniß geben müsse, heißt, am gelindesten davon zu reden, ein entseßlicher Sprung.

Der Herr von Leibniz hat zwar die völlige Gleichheit niemals, so viel ich mich erinnere, mit ausdrücklichen Worten geläugnet, und dürfte Einigen scheinen, den Sag des Nichtzuunterscheidenden bloß auf die völlige Ähnlichkeit eingeschränkt zu haben. Allein Baumgarten hat unumstößlich dargethan, daß sich diese beiden Säße nicht trennen lassen. Er beweist *), daß weder zwei unåhnliche Dinge völlig gleich, noch zwei ungleiche Dinge vollkommen ähnlich gedacht werden können.

Brucker **) führt einige Stellen aus Jordani Bruni Schriften an, in welchen dieser Weltweise mit ausdrücklichen Worten behauptet, es gebe weder zwei völlig gleiche, noch zwei völlig ähnliche Dinge in der Natur. Es ist dieses keine von den Stellen, in welche man hineinlegt, was man nicht darinnen findet. Wenn Brucker anders recht anführt, so kann man sich nicht deutlicher ausdrücken, als Brunus sich hierüber ausgedrückt hat. Mich dunkt, Leibniş müßte Brunus Schriften nicht so fleißig gelesen haben, als Einige glauben. Er würde sonst gewiß nicht vergessen haben, den Saß des Nichtzuunterscheidenden auch auf die völlige Gleichheit auszudehnen. Mit seinem übrigen System stimmt die Allgemeinheit dieses Sahes vortrefflich überein.

Die Stoiker sollen schon, wie abermals Brucker bemerkt, den Sah des Nichtzuunterscheidenden gelehrt haben. Er glaubt dieses aus folgender Stelle des Cicero zu beweisen: dicis, nihil esse idem,,quod sit aliud. Stoicum est quidem, nec admodum credibile, nullum esse pilum omnibus rebus talem, qualis est alius, nullum granum. Allein, mit dieses großen Gelehrten Erlaubniß, aus dieser Stelle läßt sich nur beweisen, daß die Stoiker die völlige Congruenz zweier Dinge gelåugnet. Nihil esse idem, quod sit aliud, sagt der römische Philosoph. Von der geläugneten Congruenz aber bis auf den Sah des Nichtzuunterscheidenden des Leibniß war noch ein ziemlicher Schritt zu thun.

*) Metaph. §. 272. 273.

**) Hist crit. phil. Period. III. p. 2. lib. 1. . 404.

Eine andere Stelle im Cicero hat mich aufmerksamer ge= macht. Eine von seinen unterredenden Personen widerlegt die Meinung des Democritus, welcher unendlich viele Welten geglaubt, darunter sich viele völlig gleich und ähnlich sind; cui non assentior, sagt der Römer, propter id quod dilucide docetur a politioribus physicis, singularum rerum singulas proprietates esse *). Dieser Saß der feinern Naturkündiger, wie sie Cicero nennt, scheint weiter zu gehen als auf die bloße Congruenz. Ein jedes einzelne Ding, sagten sie, hat seine eins zelne Eigenschaften; mit andern Worten: nichts kommt einem Dinge völlig auf eben die Weise zu, wie es einem andern Dinge zukommt. Ist dieses nicht der Sag des Nichtzuunterscheidenden in der weitesten Bedeutung, die man ihm geben kann, und die ihm noch von keinem Neuern gegeben worden? Denn daß zwei wirkliche Dinge nicht eine einzige Bestimmung völlig gemein haben können, hat noch keiner von den Neuern behauptet, ob es sich gleich aus ihrem System beweisen läßt, und überhaupt ein fruchtbarer Begriff zu seyn scheint.

XI. Den 15 März 1759.

26ster Brief.

Hier sind zwei Abhandlungen von den Saamenthierchen, die ein Freund der Leeuwenhoekischen Entdeckungen, wie Sie, nicht ungelesen lassen wird. Die erste ist im Jahr 1756 zu Nürnberg gedruckt, und führt den Titel **). Jedoch der völlige Titel würde eine ganze Seite einnehmen. Sie enthält physikalische Beobachtungen der Saamenthierchen in einem Sendschreiben von M. F. L. Die zweite ist von eben demselben Verfasser im Jahr 1758 zum Vorschein gekommen, und die ses Mal hat es ihm beliebt, sich zu nennen. Er heißt Martin

*) Acad. Quaest. lib. IV. c. 18.

**),Philosophische Beobachtungen derer Saamenthiergens".

Der Herausg.

Frobenius Ledermüller, und ist Notarius und Procurator zu Nürnberg. Man findet darin einen Versuch zu einer Rettung der Saamenthierchen, eine kurze Beschreibung der Leeuwenhoekischen Mikroskope, und einen Entwurf zu einer Geschichte des Sonnenmikroskops. Sie werden über die Unannehmlichkeit des Vortrags desto leichter hinwegsehen, da man in dergleichen Abhandlungen mehr auf die Sache als auf den Vortrag zu sehen gewohnt ist. Durch die Erfindung und Verbesserung der opti schen Werkzeuge hat man in den neuern Zeiten der geheimnißvollen Natur so manches Geständniß abgezwungen. Von der einen Seite hat man durch vortreffliche Ferngläser die entlegen= sten Weltkörper gleichsam heruntergezogen, und die Schöpfung im Großen bewundern gelernt; von der andern Seite ist es uns gelungen, die allerkleinsten Räume durch die Kunst zu vergróBern, und neue Welten im Unendlich - Kleinen zu entdecken. Da es unmöglich war, den Bezirk unserer sinnlichen Empfindungen zu erweitern, so hat man die Gegenstände in die Gränzen der Sinne hineingetragen, welche die Natur weit über dieselbe hinaus gesezt hatte. Was von den Alten durch den kühnsten Flug des Genies nur gemuthmaßt werden konnte, was ihre eingeschränkten Köpfe niemals eingestehen wollten: daß nämlich die Natur im Allerkleinsten so wie im Allergrößten voller Ordnung, Vollkommenheit und Organisation sei; das haben die Neuern den Sinnen gleichsam unmittelbar dargestellt. Wer nunmehr zweifelt, der braucht nur die Augen aufzuthun; und wer hartnåckig seyn will, muß weder dem Verstande noch den Sinnen

trauen.

Die scharfsichtigen Weltweisen unter den Alten hatten die rauhe und unorganische Materie schon längst aus der Natur verbannt. Wenn man die Herrlichkeit der Schöpfung zwischen den Gränzen unserer Empfindungen einzåunen will, so muß man albern genug seyn, die Allmacht mit dem Maaßstabe unserer Sinne ausmessen zu wollen. Plato und Hippokrates haben sogar schon von den Saamenthierchen geredet. Allein sie haben sie nur gleichsam geweissagt. In dem vorigen Jahrhunderte sind sie von Ludw. von Hammen durch die Vergrößerungsglåser entdeckt, von Leeuwenhoek, Hartsoeker und Andern sorgfåltig beobachtet, mit allen Umständen beschrieben, und beinahe außer Zweifel geseht worden. Sie fanden zwar immer noch einigen_Widerspruch; allein die Einwürfe, die dawider gemacht

wurden, waren von keiner sonderlichen Erheblichkeit *). Buffon war der Einzige, der wichtige Zweifel dawider zu erregen schien.

Dieser sinnreiche Naturforscher will beobachtet haben, daß die Leeuwenhoekischen Saamenthierchen nichts als Kügelchen wåren, die sich vielleicht maschinenmäßig und ohne thierisches Le ben in der flüssigen Materie bewegen können. Die Schwänz chen, mit welchen sie Leeuwenhoek, Wolf und Andern im Flüssigen wie fortzurudern schienen, waren zufolge seiner Beobach tungen nichts als zähe Faden, die sich den Kügelchen anhången, indem sich diese von der klebrigen Materie losreißen, aus welcher sie hervorkommen. Diese Faden, sagt er, hat Leeuwenhoek für Schwänze der Thiere gehalten, die sie lebhaft hin und her. bewegen. Sie sind aber nichts als angehängte Theile, die den leblosen Kügelchen in ihren maschinenmäßigen Bewegungen eine Zeit lang folgen. Nach und nach werden sie dünner, und endlich schwimmen die Kügelchen frei herum, und die Faden verschwinden. Das seltsame System, das Hr. Buffon auf diese und andere Beobachtungen gründet, ist bekannt, und bestätigt die gemeine Anmerkung, daß es schwerer sei, zu bauen, als nies derzureißen.

Man sekte zwar gleich Anfangs einiges Mißtrauen in die Buffon'schen Beobachtungen. Es schien fast unglaublich, daß alle die großen Naturforscher, die den Saamenthierchen willkührliche Bewegung und angewachsene Schwänze zuschreiben, nicht recht gesehen haben sollten. Man widersprach dem französischen Naturkundigen vielfältig; und Needham selbst, auf den er sich so oft beruft, schien mit seinen Behauptungen nicht völlig zufrie den zu seyn. Niemand aber hat, so viel ich weiß, so deutlich gezeigt, worin Hr. Buffon geirrt haben mag, als Hr. Ledermüller. Er beweist aus desselben eigenen Schriften, daß er sich weder des rechten Vergrößerungsglases bedient, noch den Gegenstand gehörig beobachtet habe.

Buffon hat sich, in der Vignette vor dem 2ten Theile seiner allgemeinen und besondern Naturgeschichte, vor einem zusam mengesetten Vergrößerungsglase stechen lassen, in welchem man

*) S. Haller's Anm. über Boerhave's Vorles. §. 657. Not. L.

Die Gegenstände von oben herunter sicht; und er giebt diesem Instrument den Vorzug vor den einfachen und zusammengeseßten Mikroskopen, in welchen, man die Gegenstände waagerecht und gegen das Licht erblickt. Mit einem solchen Glase, wie des Hrn. Buffon, hat auch Ledermüller nicht mehr als Buffon sehen Fönnen. Er fand Kügelchen oder Körner, die herumschwammen, und konnte keine Schwänze entdecken. Er bemerkte aber auch die Art von Bewegungen nicht, die Buffon seinen Kügelchen zuschreibt. Er sahe keine Faden, und keine Bemühung Der Kügelchen, sich von der åstigen und klebrigen Materie loszureißen.

Er nahm ein Euffisches Gläschen, das im Durchmesser über 180 mal mehr vergrößerte, als das Buffon'sche, und in die Röhre des Buffon'schen Instruments gar nicht geschraubt werden konnte. Er bediente sich eben desselben Instruments, das Hr. Buffon verwirft, in welchem man nåmlich die Gegenstånde von der Seite und gegen das Licht erblickt. Er zeigt, wie er die Unbequemlichkeit verhütet, die der französische Beob= achter besorgt hat; und jest sah er die Saamenthierchen gar deutlich, zwar nicht so groß als die Leeuwenhoekischen, aber doch weit größer, als sie Buffon vorgestellt hat. Sie hatten nicht nöthig, fich erst von der zåhen Materie, wie Buffon vorgiebt, loszureißen; denn sie waren schon völlig gebildet, und mit beweglichen Schwänzen versehen, sobald er den ersten Blick in das Glas richtete. Sie bewegten solche sehr lebhaft nach allen Seiten, gleich den jungen Fröschen, welche erst aus dem Laich hervorgekrochen sind. Ja er erkannte den Unterschied der ange= hängten Faden von den angewachsenen Schwänzen gar deutlich; denn die leßtern waren mit dem Körper gleich durchsichtig, und der Augenschein zeigte ihm, daß sie zu den Körperchen gehörten, und weder angeklebt noch angeheftet waren.

Zur Probe, ob man ein vollkommenes Mikroskop besige, schlägt Hr. Ledermüller einige Subtilitäten vor, die er mit den seinigen gesehn und Andern gezeigt hat. Die erste betrifft die Aale und Schlånglein im Buchbinderkleister und Effig. Er glaubt, Buffon würde sie unter seinem Vergrößerungsglase bei weitem nicht so groß, als er sie vorstellt, erblicken, und das Experiment gar nicht anstellen können, das Hr. Ledermüller wirklich gemacht hat. Denn er hat eines von diesen kleinen Schlånglein

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