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andern Plane passen, in welchem der Charakter des Northumberland und die daraus erstandenen Begebenheiten besser ausgeführt würden.

Wir bemerken zum Beschlusse noch dieses. Die Kunstrichter, welche den Dichtern rathen, nichts als vollkommen tugendhafte Personen aufzuführen, mögen aus dem Erempel dieses Trauerspiels lernen, wie schädlich ihr Rath für tragische Dichter sei. Der Charakter des schändlichen Gardiner's ist der einzige, der die ganze Action belebt. Ohne ihn würden alle Personen des Stückes einerlei Gesinnungen und einerlei Absichten haben. Die Lebhaftigkeit des Guilford unterscheidet ihn zwar etwas von den übrigen tugendhaften Charakteren. Sie erzeugt auch wirks lich einiges Interesse da, wo ihn die Tugend zu verlassen scheint, und er wider die gesammte Menschheit in eine wilde Raserei ausbricht. Gardiner aber seht alles in Bewegung. Er bringt fogar die Gelassenheit der Johanna zur Ungeduld, erregt den heftigsten Streit der Gesinnungen, und seht die moralische Größe der Heldinn durch den Contrast selbst in das stårkste Licht. Wåre die Bosheit Northumberland's mit dem Hauptinteresse des Stückes zu vereinigen gewesen, so hätte die Handlung durch die Vollständigkeit des Contrasts weit mehr Leben, und der Charakter der Johanna einen weit stärkern Glanz bekommen; denn ihre Tugend würde sich mehr in Werken, als in erhabnen Sprüchen gezeigt haben. Die Lebhaftigkeit der Handlung ist die Seele des Trauerspiels; und die gelassenen tugendhaften Charaktere können uns nicht anders gewinnen, als wenn sie durch stark abstechende Farben gleichsam hervorgebracht werden.

Wir hoffen, Hr. Wieland werde sich durch unsere freimüthige Beurtheilung nicht abschrecken lassen, ferner an der Aufnahme der Schaubühne zu arbeiten. Er ist Dichter genug, künftig wenigstens ein deutscher Thomson zu werden, wenn er nur bessere Plane erfinden, und die Simplicitåt der Alten von ihrer wahren Seite kennen lernen wird.

Moses Mendelssohn's Antheil an den Briefen, die neueste Litteratur betreffend.

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Aus den Briefen, die neueste Litteratur

betreffend.

Aus dem ersten Theil.

IX. Den 1 März 1759.

20ster Brief.

Sorgen Sie nicht! Sie sollen zeitig genug mit unsern neuen Weltweisen bekannt werden. Sie werden zeitig genug das traurige Schauspiel, eine Wissenschaft in ihrem Verfall, erblicken;· und eine solche Wissenschaft, in welcher wir vor kurzem so wichtige Progreffen gemacht, in welcher Deutschland die größten Månner aufzuweisen hatte; eine Wissenschaft, die dem unbestimmten Nationalcharakter der Deutschen etwas eigenthümliches zu geben schien. Die Königinn der Wissenschaften, die sich sonst sich_sonst aus Herablaffung ihre Magd nannte, ist jeho, dem Wortverstande nach, zu den niedrigsten Mägden heruntergestoßen worden.

Die arme Matrone! sagt Shaftesbury; man hat sie aus der großen Welt verbannt und auf die Schulen und Collegien verwiesen. Nunmehr hat sie auch diesen staubigen Winkel räumen müssen. Des Cartes hat die Scholastiker, Wolf den Des Cartes, und die Verachtung aller Philosophie auch endlich den Wolf verdrängt. Der Schauplah ist ledig, und dem

Anscheine nach wird Crusius bald der Weltweise nach der Mode werden.

Sie

Unterdeffen lebt alles in einer allgemeinen Anarchie. follten mit Verwunderung unsere jungen Leute, die von hohen Schule zurückkommen, von Philosophie reden hören. Sie beurtheilen alles, lachen über alles. Sie werden Ihnen dreist genug unter die Augen fagen, daß die beste Welt eine Grille, die Monaden ein Traum, oder ein Spaß des großen Leibnik, Wolf ein alter Schwäßer, und Baumgarten ein dunkler Grillenfänger sei, die albern genug waren, was Leibniß scherzweise vorgebracht, in ein ernsthaftes System zu verwandeln. Diese plögliche Veränderung dürfte Ihnen ein Råthsel scheinen? Wissen Sie also, daß einige kleine Brochuren (sie werden Ihnen nicht unbekannt seyn; denn sie haben das Glück gehabt, Preisschriften zu werden) unsern Weltweisen die Augen geöffnet. Sie haben das Sectirerjoch endlich abgeschüttelt; sie sind Eklektiker geworden, schwören zu keiner Fahne, auch nicht einmal zur Fahne der Vernunft. Justi, der vor einigen Jahren wider die Monaden. zu Felde zog, hatte das Glück, der damals obsiegenden Wolfischen Philosophie den ersten Stoß beizubringen. Allein er wußte fich in sein Glück zu finden. Zufrieden, daß er gekrönt vom Kampfplaße zurückkam, zeigt er sich jest von einer ganz andern Seite, und ist aus einem mittelmäßigen Metaphysikus vielleicht ein vortrefflicher Cameralist geworden. Reinhard aber, der die beste Welt besiegte, scheint vor Freuden ganz außer sich zu seyn. Die Ehre, die ihm vielleicht nur deswegen widerfahren, weil er unter den schlechten Schriften die beste einschickte, scheint ihm ein göttlicher Beruf zu seyn, seinen Eifer zu verdoppeln. Baumgarten sieht es und lacht, unsere kleineren Geister zit

Der einzige Prémontval thut ihm noch einigen Widerstand. Nunmehr glaubt Hr. Reinhard, in den Stücken, in welchen ihm auch dieser Recht giebt, ganz gewiß Recht zu haben.

Das Abenteuerlichste ist, daß alle Einwürfe, die von diesen Herren wider die Wolfische Philosophie vorgebracht werden, nichts weniger als neu sind. Lange, Buddåus und ihre Anhänger haben eben dieselbe, und noch mehrere, weit gründlicher vorgetragen. Jene wurden ausgepfiffen, und ihre heutigen Ausschreiber machen Aufsehen. Werden Sie mir nun bald einräumen, daß die Wahrheit die Sache des Publikums gar nicht sei? Sein Beifall ist Leichtgläubigkeit, und sein Ladel Eigensinn.

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