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aesthetica betitelt hat. Admiratio, sagt Hr. Prof. Baumgarten, est intuitus novitatis. Dieses verdeutscht Hr. Meier: „die ,,Verwunderung ist eine anschauende Erkenntniß der Neuigkeit". Aus der Verwunderung entspringt die Neubegierde, und die Neubegierde macht die Aufmerksamkeit rege. Die Kunst, durch die Verwunderung die Neubegierde, und durch diese die Aufmerksamkeit zu erregen, wird von beiden Schriftstellern die ,,ästhetische Thaumaturgie" genannt.

Alle schönen Gedanken müssen in einem gewissen Verstande neu, d. i. nach dem Hrn. Prof. Meier wunderbar seyn. Daraus folgert dieser Schriftsteller, daß das Wunderbare in allen schönen Gedanken statt finde, fie mögen niedrig oder erhaben seyn. Es ist ein Irrthum", sest er hinzu, wenn man das Wunderbare allein in das Ausnehmende und Große einschränken ,,will. Wir können mit Recht fordern, daß alle schöne Gedanken ,,wunderbar seyn müssen, wenn es der ganze Inbegriff aller ,,ästhetischen Regeln erlaubt".

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Wo wir nicht irren, so haben diese Weltweisen das Neue, das Wunderbare und das Bewundernswürdige (novum, mirabile, admirabile) mit einander vermengt. Eine Sache ist 'neu, wenn wir sie entweder noch gar nicht, oder noch nie von dieser Seite erkannt haben. Sie ist wunderbar, wenn sie übers natürlich ist, und ästhetisch wunderbar, wenn sie dem schönen Verstande (analogo rationis) übernatürlich scheint. Hingegen bewundernswürdig ist sie nicht eher, als wenn wir eine gute Eigenschaft, eine Vollkommenheit an derselben wahrgenommen, die unsere Erwartung übertrifft *). Verwundern und be wundern sind im Deutschen von eben so verschiedener Bedeutung, als im Lateinischen mirari und admirari. Man verwun= dert sich über eine Sache, die dem Laufe der Natur zuwider zu seyn scheint; man bewundert hingegen nur erhabene Dinge, an denen wir eine vorzügliche Vollkommenheit wahrnehmen. Der Gegenstand ist in jenem Falle wunderbar oder verwundernswür dig, in diesem aber müßte er bewundernswürdig genannt werden.

*) Admirantur communiter illi (homines) omnia, quae magna et praeter opinionem suam animadvertunt; separatim autem in singulis, si perspiciunt nec opinata quaedam bona. Cic. de offic. lib. II. 10.

Man wird also wohl sagen können: alle schönen Gedanken müssen neu seyn, d. h. man muß sie noch gar nicht, oder selten von dieser Seite betrachtet haben; daraus aber folgt nicht, daß alle schöne Gedanken auch wunderbar seyn müssen. Dieses sind sie nur alsdann, wenn fie Wunderdinge betreffen, als z. B. die Zwischenkunft der Götter und anderer übernatürlichen Wesen, die an den menschlichen Begebenheiten Theil nehmen. Mirabile dictu, fagt Virgil, wenn er Begebenheiten erzählt, die übernatürlich sind. Die Bewunderung endlich bleibt für erhabene Gegenstånde, und entspringt aus der anschauenden Erkenntniß einer ungewöhnlichen Vollkommenheit. Des Cartes *) sagt zwar: ,,à l'admiration est jointe l'estime ou le mépris, selon que ,,c'est la grandeur d'un objet ou sa petitesse, que nous ,,admirons"; allein dieses ist allem Sprachgebrauch zuwider. Wer hat jemals von einer verächtlichen Sache gesagt, sie ver= diene Bewunderung, und zwar bloß ihrer Kleinfügigkeit halber? Wenigstens scheint die deutsche Sprache diese Verwirrung nicht zu vertragen, sondern verwundern und bewundern sorgfåltig von einander zu unterscheiden.

Wir halten uns vielleicht über eine Kleinigkeit auf. Allein diese Kleinigkeit kann in dem practischen Theile der Üsthetik, und besonders in der Lehre von der Epopee wichtige Folgen haben. Möchte doch der Himmel unserm großen Weltweisen Kräfte ge: nug verleihen, den theoretischen Theil der Ästhetik zu vollenden, und auch den practischen Theil mit der ihm eigenen Gründlichkeit auszuarbeiten! Wie vieles würde sich alsdann aufklären, das uns jet dunkel und unbegreiflich ist!

*) Les Passions de l'ame, Article LIV.

An Essay on the Writings and Genius of Pope, Vol. I. London, printed for M. Cooper at the Globe in Paternoster Row. MDCCLVI. 334 Seiten in gr. 8o.

Das ist:

Versuch über Pope's Schriften und Genie, erster Theil. (aus der Bibliothek der schönen Wiss. und der fr. K. Bd. 4. Stück 1. 1758 . 500-532 und Stück 2. 1759. S. 628-669.)

Der Name eines Pope ist auch unter uns allzu berühmt, als daß ein Werk über dessen Genie und Schriften, welches mit so vieler Einsicht abgefaßt ist, als das gegenwärtige, nicht einen jeden Liebhaber der schönen Wissenschaften interessiren sollte. Diejenigen von unsern Lesern, welche die Schriften dieses unsterblichen Dichters nicht in der Ursprache gelesen, werden ihn doch vermuthlich aus einigen guten und schlechten übersehungen haben kennen lernen. Es ist wahr, die besten prosaischen Übersehungen eines Gedichts sind mit der umgekehrten Seite einer gewirkten Tapete zu vergleichen. Diese Vergleichung hat in Ansehung solcher Dichter, wie Boileau und Pope, die allergenaueste Richtigkeit; denn ein großer Theil ihrer Verdienste besteht in der überaus reinen Diction und in dem vortrefflichen Wohlklange ihrer Verse; und was kann hiervon in einer prosaischen Übersehung übrig bleiben?

Dem fei, wie ihm wolle, so glauben wir dennoch, daß ein Auszug aus diesem kritischen Versuche auch demjenigen Theile von unsern Lesern, welche der engländischen Sprache nicht kundig sind, angenehm seyn werde. Außer dem gründlichen Geschmacke und der wohlangebrachten Belesenheit, welche aus dieser Schrift allenthalben hervorleuchtet, werden sie nicht ohne Vergnügen bemerken, wie streng man außerhalb Deutschland die größten Dichter zu beurtheilen gewohnt ist, und wie sehr man einen Dichter verehren kann, ohne alles, was aus seiner Feder geflossen ist, für Meisterstücke zu halten. Wir haben uns bemüht, die Stellen aus den engländischen Dichtern, die wir anführen mußten, in deutsche Verse, bald mit, bald ohne Reime, zu übersehen. Wer das Engländische versteht, der findet das Original dabei, und

mag sich bei unserer übersehung nicht aufhalten. Wer es aber nicht versteht, wird es uns vermuthlich Dank wissen, so unvollkommen auch unsere übersehung gerathen seyn dürfte. Man mag uns auch allenfalls tadeln; wir wollen uns gewiß nicht mit der Herausforderung schüßen, der Tadler solle es besser machen. Noch eine Entschuldigung für die Weitläuftigkeit dieses Auszugs! doch wir werden entweder keine brauchen, oder man wird keine von uns annehmen. Wir eilen also zur Sache.

In der Zueignungsschrift an Dr. Young sagt unser Verfasser: „Ich habe Hochachtung für das Andenken eines Pope, ,,ich verehre seine Talente; aber ich glaube nicht, daß er die ,,Vollkommenheit in seiner Kunst erreicht habe. In derjenigen. ,,Art von Gedichten, auf welche er sich vorzüglich gelegt, sind ,,ihm zwar alle andere Schriftsteller nachzusehen; aber eben diese ,,Art, glaube ich, ist die vortrefflichste nicht in seiner Kunst. Man ,,giebt, wie es scheint, auf den Unterschied nicht genug Achtung ,,zwischen einem wißigen Kopfe, einem sinnreichen Schriftsteller „(a man of sense) und einem wahren Dichter". Donne und Swift, Fontenelle und La Motte hålt unser Kunstrichter für mißige und scharfsinnige Köpfe, aber für nichts weniger als für Dichter. Die allergründlichsten Beobachtungen des sittlichen Lebens der Menschen sind nach seiner Meinung, wenn sie auch noch so kurz und so lebhaft vorgetragen werden, moralische Ausarbeitungen, aber keine Poesie; und Boileau's gereimte Briefe verdienen ihm eben so wenig den Namen Poesie, als die Charaktere des La Bruyère in Prosa. „Eine schöpferische und ,,glühende Einbildungskraft", sest er hinzu,,,acer spiritus ac ,,vis, und nichts anders als diese, ist das wahre Kennzeichen „eines gepriesenen und ungemeinen Talents, das so Wenige be= „sißen, und von welchem nur so Wenige urtheilen können“.

Wir wissen nicht, ob man mit dem Namen Poet nicht etwas freigebiger seyn könnte; ob ihn z. B. ein Haller nicht eben so gut verdiene, als ein Klopstock. Vielleicht ist es überall nichts als ein Wortstreit; denn wer weiß, ob ein „scharfsinniger Kopf" in dem Verstande, in welchem dieses Wort hier genom= men wird, nicht ein eben so großer Vorzug sei, als eine,,glühende und schöpferische Imagination"? Indessen scheint unser Schriftsteller von seiner Meinung so sehr überzeugt zu seyn, daß er in der Folge seiner Zueignungsschrift kein Bedenken trägt, zu dem berühmten Young zu sagen: „Håtten Sie nichts anders als

Ihre Satyren geschrieben, so würden Sie sich zwar den Titel „eines wißigen und scharfsinnigen Kopfes erworben haben; allein ,,ich weiß gewiß, Sie würden nicht darauf bestanden haben, ,,bloß um deswegen ein Poet genannt zu werden. Non satis ,,est puris versum perscribere verbis".

Er beruft sich auf die Methode, die Horaz vorschreibt, wie man eine Stelle untersuchen soll, ob sie poetisch sei oder nicht; námlich man soll das Sylbenmaaß und die poetische Harmonie zerstören, die Ordnung der Worte umkehren, und alsdann die Stelle überlesen. Wenn ein poetischer Geist darin ist, so wird er durch alle mögliche Versehungen der Worte nicht können ge= tilgt werden, sondern gleich einem Diamant allenthalben hervor= leuchten. Er macht die Probe hierauf mit einer Stelle aus Popens Epistle to Lord Cobham, und findet, daß es zwart vortrefflich gedacht, aber eben so wenig Poesie sei, als das „quî fit Maecenas?" desjenigen Schriftstellers, der diese Methode in Vorschlag gebracht hat. „Das Erhabene und das Pathe„tische", fährt unser Schriftsteller fort, sind die Nerven der ,,áchten Poesie. Wo findet man im Pope das wahre Erhabene „oder das wahre Pathetische? In seinen Schriften ist nihil inane, ,,nihil arcessitum; puro tamen fonti quam magno flumini propior, ,,wie Quintilian vom Lysias bemerkt". Voltaire's Urtheil von Boileau scheint ihm vollkommen auch auf Pope zu passen. Incapable peut-être du sublime, qui élève l'ame, sagt dieser berühmte Schriftsteller, et du sentiment qui l'attendrit, mais fait pour éclairer ceux à qui la nature accorda l'un et l'autre, laborieux, sévère, précis, pur, harmonieux, il devint enfin le Poête de la raison. Diese Stelle führt unser Verf. französisch an, weil er sich scheut oder fürchtet, wie er sagt, im Engländischen seine Meinung rund heraus zu sagen.

Am Ende der Zueignungsschrift theilt unser Verf. die eng ländischen Dichter in vier Claffen ein. In der ersten behaupten die drei erhabenen und pathetischen Dichter, Spenser, Shakespear und Milton, den vornehmsten Rang. Diesen werden Otway und Lee nachgeseßt. Zur zweiten Classe rechnet er die Dichter, die zwar das poetische Genie in einem nicht so hohen Grade befißen, aber vorzügliche Talente zur moralischen Dichtkunst damit verbinden, als Dryden, Donne, Denham, Cowley und Congreve. In die dritte Classe rechnet er die wißigen Köpfe, die einen feinen Geschmack beseffen, und das gemeine gesellschaftliche Leben

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