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werden! Die Empfindung thut nichts dabei; und dennoch merkt man hier nichts von jener Unbiegsamkeit, die man mit Recht manchem åltern Künstler vorwirft, weil er bloß aus Kenntniß der Regeln und ohne Empfindung malte.

Die Ursache ist leicht zu finden. Eine jede Bewegung unfrer Gliedmaßen, die wir in ihre Theile auflösen können, kann auch vermittelst gewisser Regeln hervorgebracht, und uns durch die Wiederholung der Regeln gleichsam natürlich werden. Allein es giebt Bewegungen in den Muskeln unsers Körpers, von denen wir bloß klare Begriffe haben. Diese können nicht vermittelst der Regeln hervorgebracht werden. Man versuche es einmal, die Bewegungen alle zu machen, die dazu nöthig sind, folgende drei Worte auszusprechen, ohne sich die Töne dabei stillschweigend zu denken: Arma virumque cano. Sobald man aber die Tône sich denkt, so erfolgen alle dazu nöthige Bewegungen gleichsam ohne Mühe.

Gleicherweise verhält es sich mit den Ausdrücken der Affecte. Die Bewegungen der åußeren Gliedmaßen, mit welchen sie begleitet zu werden pflegen, können durch die übung vollkommen fertig nachgeahmt werden. Über die Bewegung der Gesichtsmuskeln, die Inflexionen der Stimme, die sich in's Kleine verlieren, können unmöglich anders hervorgebracht werden, außer wenn diejenigen Begriffe in unserer Seele erregt werden, die mit denselben correspondiren. Da nun die Kennzeichen der Affecte durch keine symbolische Erkenntniß einer Gemüthsbewegung, sondern durch die wirkliche Anschauung, durch die Begeisterung der= selben hervorgebracht werden, so wird es für einen Schauspieler nicht genug seyn, wenn er es weiß: ich soll einen zornigen Affect ausdrücken; sondern er muß diesen Affect intuitiv fühlen.

Zweite Frage. Was thut die Illusion zur Begeisterung eines Schauspielers?

Wir haben gesehen, daß die Affecte, die der Schauspieler ausdrücken soll, wirklich in ihm entstehen müssen. Nun kann dieses anders nicht geschehen, als vermittelst einer Illusion, indem er sich stillschweigend beredet, er sei die Person, die er vorstellt. Diese Illusion braucht aber kein deutlicher und lauter Vorsat des Schauspielers zu seyn; ja, es kann seiner anschauenden Erkenntniß hinderlich werden, wenn er allzu deutlich an diesen Vorfah gedenkt. Allein er muß seine untern Seelenkräfte walten laffen. Die Menge der Begriffe, denen er sich nach und nach

überläßt, werden eine Art von anschauender Illusion in ihm hervorbringen; und er muß sich nur hüten, mit seinen obern Seelenkräften zu widersprechen. Er muß ausdrücklich an keinen Gegenstand gedenken, der ihn überzeugen kann, er sei die Person nicht, die er vorstellen soll. Kleider und Decoration helfen dem Schauspieler gar nichts. Diese äußerlichen Gegenstände muß er zehnmal ansehen können, ohne dadurch in seiner auschauenden Illusion gestört zu werden.

Man wirft hierwider ein: wenn der Schauspieler wirklich zornig ist, so agirt er schlecht." Allein soll uns dieß wundern? Wenn der Acteur zornig ist, so agirt er seine eigene Person, und nicht die des Helden, den er vorstellen foll; denn die Ursachen seines Zornes halten ihn ab, in alle die Begriffe einzugehen, die zu seiner intuitiven Begeisterung nöthig sind. We er aber, den Charakteren unbeschadet, seine eigene Empfindung ausdrücken kann, da wird man allezeit den Sieg der Natur über die Kunst wahrnehmen.

Wir haben Erempel hiervon: 1) an dem Schauspieler, der die Elektra des Sophokles vorstellte; 2) an einer Stelle in dem Prolog zu Thomson's Coriolan. 3) Man sieht es auch auf der komischen Schaubühne, wenn der Schauspieler einem Frauenzimmer Liebe ausdrücken soll, das er wirklich liebt.

4. Von der lyrischen Poesie *).
Im J. 1777.

(Aus der Neuen Berl. Monatsschrift. Bd. 23. Mai 1810. S. 298—311.)

Die Begriffe stehen mit einander entweder in Real-Ver bindung, so wie ihre Urbilder, die wirklichen Dinge außer uns,

*) Moses Mendelssohn hatte diese Gedanken über die psychologische Beschaffenheit der lyrischen Poesie seinem Freunde Engel zu Gefallen auf geseht, aber schriftlich nicht ganz geendigt, weil sich beide mündlich über diesen Gegenstand unterhielten.

Anmerk. von Fr. Nicolai.

in Absicht auf ihr Daseyn in Zeit und Raum mit einander verbunden sind; oder in Ideal-Verbindung; und zwar a) als Grund und Folge, d. i. Rational-Verbindung, b) durch Gemeinschaft der Merkmale, welches die Verbindung der Einbildungskraft ausmacht.

Wenn in der Masse des Bewußtseyns die Real-Verbindung die herrschende ist, so sind wir im wachenden Zustande, und bei uns selbst. So lange das Bewußtseyn der RationalVerbindung herrscht, meditiren wir, d. i. wir lösen Begriffe auf, oder seßen sie zusammen; gehen von Grund auf Folge, oder von Folge auf Grund. Im Traume ist die Verbindung nach der Gemeinschaft der Merkmale (Ähnlichkeit, Gleichheit u. s. w.) die herrschende. Wenn alle diese Arten der Verbindung sich einander die Waage halten, und keine merklich hervorsticht, so hört das Bewußtseyn auf: wir schlafen.

In Absicht der Folge der Begriffe wird die Aufmerksamkeit, insoweit sie nicht von der Freiheit des Willens abhängt, geleitet: 1) von der Stärke des Eindrucks; 2) von dem Antheil, den wir daran nehmen; 3) von dem Vorsak, den mir gefaßt haben, eine gewisse Idee zu verfolgen. Die Stärke der unfreien Aufmerksamkeit ist also nach diesem dreifältigen Verhältniß zu schägen.

Man kann die Freiheit des Willens, mit welcher wir die Aufmerksamkeit zu lenken im Stande sind, die subjective Gewalt; so wie die Kraft der Vorstellungen selbst auf die Aufmerksamkeit, im Gegensat mit jener, die objective Gewalt nennen. Die subjective Gewalt ist desto größer, je mehr objective Gewalt sie zu besiegen vermag, je mehr sie im Stande ist die Aufmerksamkeit, aller Hindernisse ungeachtet, nach Gutfinden zu lenken.

Mit jedem Fortschritt der Begriffe gleitet die Seele in Imaginations Verbindungen aus, sobald eine Nebenidee die stärkste objective Gewalt erlangt. Sie kömmt von derselben in die Real-Verbindung zurück durch die Stärke des Eindrucks wirklicher Gegenstände; und in die Rational-Verbindung durch die Kraft des Vorsages, oder auch durch die Freiheit des Willens, welcher sie sowohl auf jene, als auf diese zurückrufen kann.

So lange wir es in unserer Gewalt haben, die Gedanken. von jeder andern Reihe, bei der mindesten Veranlassung, in die Real-Verbindung zurückzurufen, so lange besißen wir Gegenwart

des Geistes (Besonnenheit): In den Augenblicken, in welchen wir dieser Freiheit beraubt sind, sagt man: wir seien abwesenden Geistes. Und zwar, wenn uns die Stärke des Vorfaßes, eine gewisse Idee zu verfolgen, überwältigt, so sind wir in Betrach= tung vertieft. Ist es die Gewalt der Theilnehmung, die uns verhindert gegenwärtig zu seyn, so sind wir in Empfindung verloren, oder durch Gemüthsbewegung außer uns. Reißt uns aber die Lebhaftigkeit der Einbildungen mit sich fort, so sind wir in Verzuckung, Begeisterung u. dgl. Wer keinen festen Vorsat hat eine Idee zu verfolgen, auch keiner starken Theilnehmung, so wie keiner lebhaften Einbildung fähig ist, kann leicht gegen= wärtigen Geistes seyn. Je fester hingegen jener Vorsag ist, desto mehr Kraft der Seele wird zur Besonnenheit angestrengt wer= den müssen.

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Aus der Real-Verbindung findet sich leicht ein Übergang in die Reihe des Vorsages; denn diesen gefaßten Vorsak haben wir sehr oft mit dem Begriffe der Real-Verbindung zusammen gedacht, und also in Association. Es giebt also im wachenden Zustande mehr Übergänge aus den Nebenwegen der Imagination in die Reihe des Vorfahes. Im Traume muß uns bloß die Stärke des Vorsages selbst zurückführen; im Wachen aber ge= schieht es durch die Stärke des Vorsages unmittelbar, und durch die Real-Verbindung, die in diesem Zustande herrschend ist, mittelbar.

Dieses mag die Ursache seyn, warum wir eine Meditation im Traume nur selten gehörig ausführen, und warum sie im wachenden Zustande besser von statten geht. Wir werden im Traume durch die herrschende Verbindung, vermittelst der Gemeinschaft der Merkmale, zu oft von unserm Vorsaß abgeleitet; und der äußere Eindruck ist nicht machtig genug, uns in die Real Verbindung und vermittelst derselben auf den Vorsah zurück zu führen.

Nach dieser psychologischen Einleitung komme ich zum lyrischen Gedichte.

Das lyrische Gedicht soll die Veränderungen darstellen, die in einem von der Theilnehmung beherrschten Gemüthe vorgehen. Die Veranlassung dazu ist allezeit eine Begebenheit in der Real Verbindung der Dinge. Diese kann also mit darge stellt werden.

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Aber keine topische Beschreibung, auch keine chronistische.

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Diese sehen Bewußtseyn der Real-Verbindung und Gegenwart des Geistes voraus.

Auch kein deutliches Bewußtseyn eines bestimmten Vorsages, diese oder jene Idee zu verfolgen. Wenn der Dichter einen solchen Vorsag hat, so muß er gleichsam tief in seiner Seele verborgen liegen, und durch die Theilnehmung gleichsam bedeckt seyn.

Die Folge der Begriffe auf einander geschieht nach der Verbindung der Theilnehmung. Bei jedem Fortschritt eine kurze oder långere Abschweifung in gleichartige Nebenbegriffe. Die Rückkehr geschieht durch Gemeinschaft der Merkmale, oder durch die Gewalt der Haupt- Theilnehmung, die in der Seele herrscht; niemals durch den Vorsak, noch weniger durch die Real: Ver= bindung. Sobald die Haupt-Theilnehmung nicht mehr lebhaft genug ist in Worte sich zu ergießen, so schließt sich das lyrische Gedicht.

Alle Nebenideen, die durch das stärkere Licht der Hauptideen in dem von der Theilnehmung beherrschten Geiste verdunkelt werden, muß der lyrische Dichter verschweigen. Daher die Sprünge, die plöslichen Übergänge, die versteckte Ordnung. Dieses ist eigentlich die Ordnung des Vorsages, die der Dichter zu verbergen sucht.

In keiner Dichtungsart kömmt die Natur der Kunst so nahe, als in der lyrischen. Denn wenn der Dichter wirklich in dem besungenen Gemüthszustande sich befindet, so ist er sich selbst Gegenstand, also causa objectiva und causa efficiens zugleich.

Alle Völker haben lyrische Gedichte, selbst die ungebildetsten nicht ausgenommen.

Die lyrischen Gedichte der Kunst unterscheiden sich durch die verborgene Ordnung des Vorsages (den Plan).

Untergattungen.

Lied. Der Gegenstand der Theilnehmung ist unbestimmt. Noch keine wirkliche Gemüthsbewegung, nur Anlage und Bereitschaft dazu. Die Ordnung ist zum Theil Ideal-Verbindung, durch die Association gleichartiger Empfindungen; zum Theil Rational-Verbindung; jedoch nicht ohne Theilnehmung. Keine völlige Abwesenheit des Geistes. Reine eigentliche Ab

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