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ihnen von beiden Dichtern einen hinlänglichen Begriff zu machen gesucht haben.

Historische Lobschrift des weiland hoch- und wohlge= bohrnen Herrn Hrn. Christian des H. R. R. Freyherrn von Wolf u. s. w., von Johann Christoph Gottscheden, nebst des hochseligen Freyherrn Kupferbilde. Halle 1755, in Verlegung der Rengerischen Buchhandlung.

(aus der Bibl. der schönen Wiss. und der fr. K. Bd. 2. Stück 1. 1757. S. 125-133.)

Deutschland hat sich von seinen Nachbaren den gerechten Vorwurf zugezogen, daß es öfters für seine eigene Ehre allzu forylos fei. Aus seinem kaltsinnigen Betragen zu urtheilen, sollte man fast vermuthen, es wisse den Werth der großen Geister nicht zu schäßen, die es in seinem eigenen Schooße hervorbringt. Leibnis und Newton, deren unsterblicher Ruhm bis in die spätesten Zeiten dauern wird, lebten zu einerlei Zeit, und erweiterten die Gränzen der Wissenschaften gleichsam mit verei= nigten Kräften. Der große Newton starb; und es ist bekannt, mit welchem Pompe, mit welchen fast königlichen Ehrenbezeigungen sein Leichnam beigelegt worden sei. Der wenigstens eben so große Leibniß verschied, und ward nicht würdiger beerdigt, als der schlechteste Einwohner einer Stadt, deffen Verlust man nicht weiter verspürt, als an dem Tische, wo er gegessen hat. Ja was noch mehr ist, vielleicht hat der Hr. von Fontenelle diesem großen Deutschen eine würdigere Lobrede gehalten, als alle feine Mitbürger, die noch dazu in gewissem Verstande seine Lehrlinge waren.

Das Schicksal des sel. Freiherrn von Wolf ist noch selt= samer gewesen. So lange seine Lehren von seinen Widersachern angefeindet worden sind, so lange noch ein Theil der Menschen aus Mangel der Einsicht oder aus Leidenschaften seine Weltweisheit verkehert haben; so lange bemühten sich Gelehrte und Ungelehrte um nichts eifriger als um den Namen Wolfianer.

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Die Unterdrückung schien der Unschuld einen Glanz zu geben, den sie in dem größten Glücksstande nicht erlangt haben würde. Die Wahrheit ist endlich durchgedrungen; sie hat über Verfol gung und niederträchtigen Haß gesiegt. Nichts kann glänzender seyn, als dieser Triumph Unfangs gewesen ist. Allein eben dieser Triumph war die Ursache, daß die Wolfische Weltweisheit einen Theil ihres Ansehens verloren hat. Man begnügte sich, die Bedrängte in ihre Rechte eingeseht zu haben; man ward kaltsinniger gegen sie; und endlich scheint ein Geist der Spötterei mehr wider die Wolfische Philosophie vermocht zn haben, als der grimmigste Haß der sogenannten Eiferer für die Sache Gottes.

Er starb zum großen Leidwesen aller derer, die unsterbliche Verdienste zu schåßen gewußt haben; und Niemand außer dem Verfasser dieser historischen Lobschrift, der Hr. Prof. Gottsched in Leipzig, hatte den Willen oder die nöthigen Materialien, seinen völligen Lebenslauf, das Merkwürdigste von dessen Schicksalen, Charakter und Verdienste der gelehrten Welt mitzutheilen.

Hr. Gottsched, der dem Hochseligen in deffen leßten Tagen seinen Vorsak, ihm eine Lobschrift zu verfertigen, eröffnete, war so glücklich, von dem fast sterbenden Herrn geheimen Rathe ,,nicht nur die Bewilligung, sondern auch von seiner bereits ent,,kråfteten Hand einige Vorschriften zu erhalten, darnach er sich ,,ben Abfassung dieses Lebens zu richten hätte. Außer diesem ,,verordnete der Hochselige, daß ihm nach seinem Tode alle dazu ,,nöthige Nachrichten, Briefschaften und Urkunden überliefert werden sollten", davon er die vornehmsten und nüglichsten der historischen Lobschrift als Beilagen beigefügt hat. Er hat auch bei dem Bürgermeister zu Görlik, Hrn. D. Gehler, einen weitläuftigen eigenhändigen Aufsaß des Hrn. Kanzlers, von den ersten Jahren seines Lebens und andern Merkwürdigkeiten, angetroffen, der ihm zu einem wichtigen Hülfsmittel zu diesem Leben diente.

Wir zweifeln, ob sich der Hr. Prof. Gottsched aller dieser wichtigen Materialien, die ihm in die Hånde gegeben worden sind, recht zu bedienen gewußt hat. Wir finden in seiner historischen Lobschrift den Fehler, welchen man überhaupt allen deut= schen historischen Schriften vorzurücken pflegt. Die Begebenheiten werden urkundlich und ohne Falsch erzählt, Zeiten und Örter so genau als möglich angegeben; aber dieser treulichen Samm

lung historischer Zufälle fehlt der Geist der Geschichte. Man wendet nicht Philosophie genug an, die Verwicklung der Urad und Wirkungen in das gehörige Licht zu sehen, und die Lefer auf gewisse Züge aufmerksam zu machen, die ihnen eine Cor in die Tiefen des menschlichen Verstandes und Herzens verschar fen könnten. Alle Umstånde, groß und klein, werden nød Reihe hergebetet; und man merkt die Stellen sehr deutlich, sich der Schriftsteller bemüht hat, seine unbearbeiteten Ma lien zusammenzuflicken.

Man denke ja nicht, daß eine historische Schrift alle en derliche Eigenschaften habe, wenn sie nur glaubwürdig ist. solche Geschichte wird immer nicht mehr als die rohe Pat seyn, die von einer geschicktern Hand von Schlacken geber und zu einer wahren Geschichte umgeschmolzen werden m Wir wünschen zu Ehren des großen deutschen Weltweisen, i Deutschland einen Fontenelle haben möchte. Wir würden in der Lobschrift eines Wolf den Charakter eines großen 6. nies zu lesen bekommen, statt daß uns der Hr. Prof. Genfac bloß den Charakter eines Kanzlers, eines Barons und eines Professors vorgelegt hat.

Wir können uns in keine genaue Beurtheilung dieser Yon: schrift einlassen, weil die Materie allzu weit von unsrer 2 entfernt ist; und nur insoweit die Lobschriften großer Mann einen Theil der Beredsamkeit ausmachen, haben wir nicht umbe gekonnt diese Schrift anzuzeigen. So viel ist gewiß, man flam merkwürdige und nüßliche Anmerkungen darin, über die Art, dieser große Weltweise in seiner Jugend studirt, und wie such dis Kräfte seines Geistes nach und nach entwickelt haben. Siele Anmerkungen von Wolf selbst oder von dem Verf. der Lobftrift herrühren, können wir nicht mit Gewißheit entscheiden. Es hingegen scheinen uns so ungereimt, daß man sie gewiß m auf Wolf's Rechnung schreiben kann. Es wird z. B. er Wolf habe noch zu Hause bei seinem Vater früh um tier die Morgenpredigten abwarten, und die geistreichsten Kirdenb fast alle auswendig lernen müssen. Dadurch glaubt de Be die Religionsgesinnungen des Hrn. Kanzlers zu retten, the mals so heftig sind angefochten worden. Eine so früh geplante Frömmigkeit, sagt er, pflegt fester Wurzel zu schlagen, als daß leichtsinnige Zweifel der Freigeister sie ausrotten könnten. Walke Vertheidigung! Gerade als ob die Widersacher Wolf's j

innige Zweifel zugeschrieben hätten, die man aus Morgenbeten und geistreichen Kirchenliedern widerlegen kann.

Der Styl in dieser Lobschrift ist ungemein affectirt, und nicht selten in das Possierliche, z. B.: „Breßlau, die HauptFast in Schlesien, hat unsern geheimen Rath und Kanzler, Then Christian Freyherrn von Wolf, in ihrem Schoße hergebracht. Der vier und zwanzigste Tag des Jänners, ein Zag der auch in diesem Jahrhunderte, durch die Geburth eines größten Monarchen, noch merkwürdiger geworden, ward im 9sten Jahre sein Geburthstag; und lieferte, des Abends halb 8 Uhr, Deutschland einen künftigen Weltweisen"

w.

Das fein Vater Christoph Wolf, ein gemeiner Bürger zu veslau, und seine Mutter Anna, eine geborne Gillerinn, ge= fen, würde ein Andrer so schlechtweg erzählt haben. Man dere aber die Tour des Hrn. Prof. Gottsched:,,war es größten Weisen zu Athen keine Schande, eines Bildhauers; dem größten Redner daselbst, eines Waffenschmieds Sohn fen zu seyn; so durfte sich auch unser Freyherr nicht schåen, daß sein wackerer Vater, Christoph Wolf, ein ehrlicher Bger zu Breßlau, sein Großvater gleichfalls nichts anders;

Mutter aber, Anna, eine gebohrne Gillerinn gewesen". hätte wohl geglaubt, daß man die Schande, eine ge= Gillerinn zur Mutter zu haben, mit dem Erempel der. 4 Männer aus Athen bedecken müßte!

Seine Geburth", erzählt der Hr. Verf. S. 5., „ward der Frognerinn überaus schwer, und die Wehemütter wußten die ald davon nur auf die besondere Größe der künftigen Werkeines einmal so wirksamen Geistes zu schieben“. Die be= Mr Größe des Kopfes würde in einer schönen Schrift zu geklungen haben!

Bom Descartes urtheilt der Hr. Prof. Seite 25. ziemlich
Er nennt seine meditationes,,ein sehr seichtes Werk-
Welche Kühnheit!

gen.

Der Hr. Prof. hålt sich öfters bei unerheblichen Kleinigteiten -allzu lange auf; und fein Werk könnte um die Hälfte rer, und dennoch wichtiger geworden seyn, wenn er das Unhe håtte weglassen wollen. 3. B. S. 127. widerlegt er enste die Meinung Einiger, die das lange Leben des Hrn. gers bedauert haben,,,bloß weil sie dafür hielten: Er würbe IV. 1.

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,,weit großer in den Augen der Welt geblieben seyn; wenn er ,,entweder nie nach Halle zurückgekommen, und also gleichsam „in beständiger Verfolgung und Verbannung geblieben; oder doch ,,bald nach seiner Zurückkunft in vollem Ruhme gestorben wäre". Diese klugen und großen Personen", wie sie der Hr. Verf. nennt, müssen abenteuerliche Begriffe von einem ruhmvollen Tode, gleichsam auf dem Bette der Ehren, im Kopfe gehabt haben. Verdienen aber solche Einfälle widerlegt zu werden?

Die angehängten Beilagen von Zuschriften verschiedener Fürsten und anderer hohen Standespersonen an den feligen Hrn. Baron, und sonst merkwürdige Urkunden, enthalten viel wichtige Stücke. Vor andern hat uns folgendes Schreiben Sr. Majestät des Königes, als damaligen Kronprinzen von Preußen, an unsern Weltweisen, welcher zu derselben Zeit als Regierungsrath zu Marburg sich aufhielt, und diesem Prinzen den ersten Band seines Rechtes der Natur" zueignete, am merkwürdigsten geschienen. Dieses ist S. 107. in die Lobschrift selbst eingerückt worden; und wir können, nicht umhin, solches unsern Lesern ganz mitzutheilen.

Monsieur,

à Rupin ce 23 de May 1740.

Tout être pensant, et qui aime la vérité, doit prendre part au nouvel ouvrage, que Vous venés de publier; mais tout honnête-homme et tout bon Citoyen doit le regarder comme un Trẻsor, que Votre Libéralité donne au monde et que Votre sagacité a découvert. J'y suis d'autant plus sensible, que Vous me l'avés dédié; c'est aux Philosophes à être les précepteurs de l'univers, et les Maîtres des Princes. Ils doivent penser conséquemment, et c'est à nous de faire des actions conséquentes, ils doivent instruire le monde par le raisonnement, et nous par l'exemple; ils doivent découvrir et nous pratiquer.

Il y a longtems que je lis Vos ouvrages, et que je les étudie: et je suis convaincu, que c'est une conséquence nécessaire pour ceux, qui les ont lûs, d'en estimer l'auteur. C'est ce que personne ne sauroit Vous refuser, et relativement à quoi je Vous prie de croire, que je suis avec tous les sentimens, que Votre mérite exige, Monsieur,

Votre très affectionné
Frederic P. R.

Man muß dem Hrn. Prof. unstreitig für die Mittheilung dieser und anderer merkwürdigen Urkunden ungemein verbunden seyn; aber kann man ihm wohl verbunden seyn, daß er sich

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