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Wenn ein Wesen, das in widrige Leidenschaften verwickelt ist, deutliche Vorstellungen erlangt, so verschwinden die Leidenschaften, weil sie nothwendig dunkle Begriffe zum Grunde haben müssen; und ein Arzt, der eine vollkommene Einsicht hat von einer Krankheit, in welche er selbst verfallen ist, muß desto mißvergnügter seyn, je mehr diese Wissenschaft seine Furcht vergrößert, und je gewisser sie ihm den nahen Tod vor Augen legt. Was Sie von den bösen Geistern sagen, ist mir völlig unbegreiflich. Ich glaube, der T... selbst kann nichts begehren, nisi sub ratione boni. Das Widerspiel hiervon streitet mit den ersten Gründen unseres Erkenntnisses. Wenn ein Geist eine deutliche und lebendige Erkenntniß von dem Guten und Bösen hat, so muß er das Gute wollen, oder er wird von dem Schöpfer ursprünglich zum Bösen bestimmt seyn, d. h. Gott muß ihn ursprünglich bestimmt haben, an seiner eigenen Vernichtung zu arbeiten. Ein ungeheurer Begriff, der nur in einer poetischen Welt für möglich angenommen werden kann! Jedoch auch die Dichter erlauben sich keine solche ungebundene Freiheit; sie lassen den König der Hölle selbst nie etwas ohne Bewegungsgrund beschließen; er schmiedet die entseßlichsten Anschläge, er sinnt auf Bosheit, bloß aus eitler Ruhmbegierde:

Ile trusted to have equal'd the most High,
If he oppos'd.

Es liegt also lauter Unwissenheit, lauter falsche Urtheile liegen
zum Grunde, die ihm sein Vorhaben als wirklich gut vorstellen;
und wenn die Dichter an manchen Stellen hiervon abgewichen
zu seyn scheinen, so kann ihr Versehen der Wahrheit keinen
Eintrag thun. Nach den Begriffen, die wir uns von Gott
und von dem Wesen eines Geistes machen müssen, ist der årgste
Schalk, von einer gewiffen Seite betrachtet, ein Thor;
wenn Satans Erkenntniß so lebendig als groß, wenn seine Fas
sungskraft so deutlich als schnell wåre, so wåre Satan mora-
lisch nothwendig ein Engel.

und

Der zweite Tadel, den Sie wider meinen Beweis vorbringen, beruht auf der Gleichgültigkeit, mit welcher, nach Ihrer Meinung, ein Ungläubiger das größte übel, das der Zernichtung, ansehen muß. Sie nehmen über sich, zu beweisen, daß der, welcher seiner Meinung nach der Zernichtung höchstens nur eine Zeit lang entrinnen kann, durch die Vernunft verbunden sei, sich

zu allen Zeiten und in allen Umstånden, in Glück und Unglück, in Freude und Leid, das Leben zu nehmen. Hier ist es eigent= lich, wo Sie dasjenige wieder bestreiten, was Sie mir Anfangs scheinen zugegeben zu haben. Was soll ich hierauf antworten? Verzeihen Sie meine Hartnäckigkeit! Ich glaube, Ihre Art, den Ungläubigen ad absurdum zu bringen, wird meinem Beweise erst den Nachdruck geben, der ihm sonst gefehlt hätte. Ich ge= stehe es, liebenswürdiger Gegner! Sie haben mir in dem System der Zernichtung eine Aussicht gezeigt, die ich nicht genug bewun dern, nicht genug verabscheuen kann. Håtte ich diesen Gedanken vormals so deutlich eingesehen, als er mir jet in die Augen leuchtet, so würde ich dem Ungläubigen meine Schlingen näher gelegt haben.

„Du gestehest es“, hätte ich ihn angeredet, „daß alle deine Wünsche, alle Bestimmungen deines Willens auf eine wahre oder scheinbare Vollkommenheit abzielen. Entweder du fühlst es, daß diese Vollkommenheit, dieser Endzweck aller deiner Begierden eine Ewigkeit in sich faßt, weil eine Realität von einer eingeschränkten Dauer unwürdig ist, dem Bestreben eines vernünftigen Wesens zum Ziele gesezt zu werden; oder du nennst die Ewigkeit eines zufälligen Dinges ein Hirngespinnst, und glaubst, eine zeitliche Vollkommenheit interessirt dich genug, um sie einer Unvollkommenheit vorzuziehen." Denn wahrlich, eines von beiden muß er annehmen, wenn er Geduld genug hat, auf sich selbst Acht zu haben.

Geseht, er behaupte das Erstere, so wäre er durch einen einzigen Vernunftschluß auf die häßlichste Behauptung zu bringen, die jemals ist gedacht worden, und von welcher Sie mit Recht sagen, daß sie die Natur eines jeden vernünftigen Wesens aufwiegele. Er wird nichts wünschen, nichts wollen, nichts verlangen können; und sowohl das wahre, als das scheinbare Gute muß in seinen Augen alle Vorzüge verlieren, wodurch sie fähig seyn könnten, feine Wahl zu bestimmen. Kurz! er wird in Glück und Unglück, in Freude und Leid verbunden seyn, sich die Kehle abzuschneiden.

Will er also in seinem Unglauben beharren, so muß er zu dem lestern Falle seine Zuflucht nehmen. Er muß sagen:,,lasset die Vollkommenheit, die ich erreichen kann, immer von einer eingeschränkten Dauer seyn. Das Loos eines endlichen Wesens bringt es also mit sich. Es würde nach Unmöglichkeiten streben,

wenn es sich in allen seinen Begierden eine Ewigkeit zum Ziele sehen wollte. Meine Vorstellungskraft ist auf eine solche Vollkommenheit bestimmt, die sowohl der Dauer, als dem Grade nach endlich ist. Diese innerliche Bestimmung ist meiner eingeschränkten Natur gemäß, und ich kann immer noch eine zeitliche Vollkommenheit einer ewigen Unvollkommenheit vorziehen." Nimmt er dieses an, so kann ich beweisen, daß ihm vermöge seiner Natur kein Augenblick verächtlich seyn muß, um welchen er seine Realitåt verlängern kann. Das Mehr und Weniger kann hier in der Natur der Sache nichts ändern. Zieht er ein fröhliches Leben von 100 Jahren seiner Zernichtung vor, so muß ihm die kürzeste und mit den größten Qualen verknüpfte Dauer diesen Vorzug verdienen. Glück und Unglück, Freude und Leid muß ihm vollkommen einerlei seyn, wenn zwischen Seyn und Nichtseyn gewählt werden soll; denn ein einziger Augenblick ist für ihn eine Ewigkeit.

Ich bin müde, aus diesem Tone zu sprechen. Wie můde müssen Sie nicht seyn, mir in diesem Tone zuzuhören! Ich will also schließen, und nur noch eine einzige Bitte hinzuthun. Seien Sie versichert, daß ich keine andere Tugend an meinen Freunden zu mißbrauchen pflege, als ihre Geduld, und daß mich nichts mehr vergnügen wird, als wenn Sie fortfahren werden, mir Ihre vortrefflichen Gedanken mitzutheilen.

Berlin d. 1 Mai 1756.

Ich bin Zeit Lebens

Ihr

unveränderlicher Freund Moses.

2. Vorschläge zu einer Aufgabe in der Beredsamkeit *).

Im J. 1758.

(Aus der Neuen Berl. Monatsschrift. Bd. 23. Jan. 1810. S. 44—46.)

1.

Ist eine der drei einfachen Regierungsformen, vermöge ihrer innern Einrichtung, der Aufnahme und dem Fortgange der schönen Künste und Wissenschaften zuträglicher, als die andere? und welche ist es?

2.

Da die Empfindung des Schönen überhaupt mit der Empfindung des Schönen in den Sitten so genau verwandt ist; woher kommt es, daß beide nicht allezeit in einem Subject bei einander sind?

Man findet nåmlich sehr Viele, die in den Werken der schönen Künste den feinsten und richtigsten Geschmack haben, und dennoch in ihren Sitten das Häßliche und Unanständige nicht merken, das ein Anderer, deffen Geschmack sonst vielleicht sehr ungebildet ist, mit der größten Sorgfalt zu vermeiden sucht. Nun läßt sich zwar einigermaßen begreifen, wie die Neigung zur Wollust und zur Weichlichkeit sich mit dem allerfeinsten Geschmacke in den schönen Wissenschaften verträgt. Wie aber dieses in Ansehung des Geizes, der Mißgunst und anderer unmenschlichen Leidenschaften angeht, scheint ein Räthsel zu seyn.

*) Ich hatte 1757, als ich anfing die Bibl. der schönen Wissenschaften herauszugeben, einen Preis auf das beste einzusendende Trauerspiel ausgeseht. Ich war nun Willens, einen ähnlichen Preis für einen in Prosa auszuführenden Gegenstand zu bestimmen. Dazu entwarf M. M.Diese Vorschläge. Die Sache unterblieb, weil ich und Moses die Bibl. D. sch. W. nicht fortseßten.

IV, 1.

Anmerk. von Fr. Nicolai. 2

3.

Woher es kommt, daß die schönen Wissenschaften, wie bereits vielfältig bemerkt worden, in ihrem Fortgange nur einen gewissen Grad der Vollkommenheit erreichen, alsdann plößlich aus der Art schlagen, und mit noch geschwinderen Schritten sich dem Verfall zu nahen scheinen, als sie vorhin zur Vollkommenheit gelangt sind?

Man glaubt nåmlich insgemein, die Begierde zur Neuerung und, es seinen Vorgängern zuvorzuthun, sei die Ursache der bemerkten Revolutionen. Könnte es aber nicht auch seyn, daß die schönen Wissenschaften an ihrer innern Intensität verlieren, wenn der Geschmack an denselben allzu sehr ausgebreitet wird?

4.

Giebt es ein allgemeines Kriterium der Schönheit? und worin besteht es?

3. Beantwortung einiger Fragen in der Schauspielkunst. Um das J. 1774.

(Aus der Neuen Berl. Monatsschrift. Bd. 24. Jul. 1810. S. 11—17.)

Erste Frage. Kann man durch Regeln, ohne innere Empfindung, ein guter Schauspieler werden? Und hatte jene Actrice Recht, die ihre Schülerinn für ungeschickt hielt eine verliebte Rolle zu spielen, weil sie ihr gestand, daß sie in ihrem Leben nicht verliebt gewesen sei?

Antwort. Daß man es in gewissen Stücken durch die übung bis zu großer Fertigkeit bringen könne, ist unstreitig. Wir sehen das täglich an unsrer Fertigkeit im Lesen und Schreiben, und an den überaus leichten und hurtigen Kriegsübungen der Preußen. Wie viel Regeln, die wir Anfangs langsam und mit Mühe erlernt haben, müssen hier fast auf einmal executirt

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