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würde. Die Berufsgeschäfte können nur auf Eine Weise ver richtet werden, entweder nach der Gesinnung der Mehreren oder nach der Gesinnung der Wenigern. Jenes also muß geschehen, wenn die Gesellschaft bestehen soll. Außerberufsgeschäfte aber find solche Verrichtungen, in welchen jedem Bürger seine Freiheit und Willkühr gelassen werden muß, sobald die Nation im Zustande der Aufklärung ist. Diese Freiheit in Außerberufsgeschäften nennt Hr. Kant öffentlichen Gebrauch der Vernunft. Er will sie aber, so viel ich einsehen kann, nicht bloß auf Freiheit der Presse und des Schriftstellers einschränken, sondern wird gern einem jeden Volkslehrer die Freiheit gönnen, Vorurtheile zu bekämpfen und Wahrheit auszubreiten, so oft er nicht in Amt und Beruf ist.

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3.

Aber auch alsdann, wenn der Lehrer in Umt und Beruf ist, wird er sehr oft berechtigt seyn, den Grundsägen zu widersprechen, auf welche er angenommen worden, und Neuerung einführen. Es ist wider den Vertrag," sagt man, den er mit der Gemeine eingegangen." Ich antworte: es muß mir zuweilen erlaubt, ja sogar meine Schuldigkeit seyn, wider einen Vertrag zu handeln, und zwar unter folgenden Bedingungen. 1) Ich muß überführt seyn, daß es zum Besten des Gegentheils selbst geschehe, und er bei besserer Einsicht mein Verfahren. billigen werde. 2) Sobald diese bessere Einsicht nicht erfolgt, und von Seiten der Gegenparthei auf Haltung des Vertrages ge= drungen wird, so muß ich willig seyn, von meinem Vorhaben abzustehen, und mir nicht das Recht anmaßen, ihr meine Einsicht aufzudringen. 3) Endlich muß ich die feste Entschließung haben, alle Folgen und Gefahren der eingeführten Neuerung, Schadloshaltung und Bestrafung, Verachtung und Verfolgung über mich ergehen, und keinen Dritten darunter büßen zu lassen.

Unter diesen Bedingungen, sollte ich glauben, haben sich die weisen Volkslehrer, die wir alle in Gedanken haben, in ih rem öffentlichen Berufsvortrage selbst erlauben können, Neuerung einzuführen. Sie waren bei sich überführt, daß es zum Besten der Gemeine selbst geschehe, die sie angenommen, und konnten voraussehen, daß es ihnen gelingen werde, fie davon zu überzeugen. Gelang es ihnen nicht, und es erfolgte Verwehrung von Seiten der Obrigkeit oder desjenigen Theils, der sie

verpflichtet hatte, so waren sie willig, abzustehen und ihr Umt niederzulegen. Endlich trauen wir alle ihnen den festen Muth zu, alle Folgen geduldig zu ertragen, die eine Neuerung in Religionssachen mit sich führt, wenn das Volk dazu nicht vorbereitet oder der Lehrer nicht behutsam genug dabei verfahren ist. Sie hatten im Falle des Widerspruchs die völlige Schadloshaltung übernommen, jeden Ersak, jede Ahndung und Bestrafung sich gefallen lassen, welche die Gegenparthei darauf sehen werde; und waren also berechtigt, so lange wider den Vertrag zu handeln, bis es ihnen mit gehörigem Nachdruck untersagt wurde.

Sonderung der Ämter und Stånde.

Ich las den Auffaß des Hrn. B., und war von seiner Meinung völlig überführt; allein des Hrn. S. Gegengründe schienen eben so einleuchtend, und nun war ich wieder ungewiß. Sollten sich beide Partheien nicht mit einander vergleichen lassen? Ein paar flüchtige Gedanken will ich hinwerfen, die vielleicht etwas dazu beitragen können.

Zuvorderst dunkt mich, müsse man Ämter und Stånde unterscheiden. Was für die Ämter nüglich ist, kann für die Stände schädlich seyn, und umgekehrt. In großen Staaten, wo die Geschäfte sich häufen, ist es nüßlich, sie immer mehr und mehr abzusondern; aber die Stände müssen desto mehr in Verbindung gebracht werden, je mehr die Ämter sie zur Trennung geneigt machen. Sowohl das Interesse des Staates, als das Interesse der Menschheit scheint dieses vorzuschreiben. Tyrannen suchen die Menschen zu vereinzelnen, weise Regierungen begünstigen alle Arten von Vereinigung.

Die Menschen scheinen von je her das Ungemach, welches aus der Sonderung der Ämter entsteht, empfunden zu haben; sie sind zu allen Zeiten darauf bedacht gewesen, die Stånde durch allerlei Verbindungen wieder näher zusammenzubringen; daher die Brüderschaften, Orden, Gilden u. f. w., in welchen die getrennten Stände wieder in Verbindung gebracht wurden. Ich halte dafür, solche Verbindungen seien der Menschheit nüßlich, wenn sie auch keinen unmittelbaren Zweck haben, auf

welchen sie losgehen, oder dieser mit der Zeit sich verloren hat. In der Berlinischen Monatsschrift wurden lehthin die Schüßengilden lächerlich gemacht, welche in Berlin und andern Städten Deutschlands eingeführt sind. Ich kann dieses nicht billigen. Sie haben in unsern Zeiten keinen nühlichen Endzweck mehr, fagt man, und sollten abgeschafft werden. Sie haben keinen schädlichen, antworte ich, und sollten daher beibehalten werden. Stört keine Verbindung unter den Menschen; nehmt ihnen keine Gelegenheit, sich einander zu sehen, und in Gesellschaft allenfalls ein eiteles Spiel zu treiben. Hat die Verbindung nur nichts schädliches zur Absicht, so ist sie bloß als Verbindung schon nüßlich. Was das Interesse der Gesellschaft von der einen Seite getrennt hat, mag das Bedürfniß der Geselligkeit von der andern wieder zusammenfügen. Gebt der Verbindung einen bessern Endzweck, wenn es möglich ist, aber löst sie nicht auf, wenn sie auch gar keinen hat.

Ferner läßt sich in den Ämtern selbst ein Unterschied bemerken, der auf den Vortheil und Nachtheil der Trennung nicht ohne Einfluß ist. Die Geschäfte des menschlichen Lebens sind von dreierlei Art. Einige derselben erfordern bloß Routine. Die Arbeiten sollen nach einem festgesezten Plane und nach bestimm= ten Regeln gleichsam mechanisch verrichtet werden. Je größer die Abtheilung, desto leichter finden sich die Subjecte, die zu diesem niedern Grade von Fertigkeit aufgelegt sind. Andere hingegen erfordern schon mehr Anstrengung des Geistes und Erfindungskraft. Man soll nicht sowohl nach einem bestimmten Plane arbeiten, als Plane selbst entwerfen oder ausbessern. Ein folches Umt erfordert Übersicht des Ganzen, und Routine ist demselben öfters schädlich. Das Simplificiren in den Fabriken selbst trägt mehr zur Vervielfältigung der Erzeugnisse als zur Vervollkommnung der Kunst bei. Es vermehrt die Kunstsachen, indem es die Arbeit erleichtert; aber die Kunst selbst wird durch das Simplificiren nicht verbessert. Selten wird ein Handwerksmann, der einen Theil von einer Uhr mit Leichtigkeit verfertigen gelernt, eine neue Maschine dieser Art erfinden oder die Uhrmacherkunst verbessern. In den Wissenschaften selbst haben wir die wenigsten Erfindungen solchen Männern zu verdanken, die sich auf ein einziges Fach eingeschränkt haben. Erweiterung und Ausbreitung der Wissenschaft ist ihr beschiedenes Loos; zur Erfindung ist ihr Gesichtspunkt zu eingeschränkt.

Eine dritte Art von Geschäften erfordert nicht sowohl Routine oder Erfindungskunst, als vielmehr ausgebreitete Menschenkenntniß und Erfahrenheit. Das hierzu erforderliche Talent kann weder durch übung, noch durch Anstrengung des Geistes allein erhalten werden. Gesunder Menschenverstand und Menschenliebe, vieljähriger Umgang mit Menschen aus allen Stånden, und genaue Bekanntschaft mit ihren Bedürfnissen, Neigungen und Schwachheiten, diese allein geben die Fähigkeit, ein solches Amt zu führen; und Menschenliebe giebt die Neigung, sie zum Guten anzuwenden; und hier scheint die Absonderung und Einschränkung auf einzelne Fächer am schädlichsten zu seyn. Je nåher das Geschäft mit der practischen Philosophie in Verbindung steht, je unmittelbarer es Tugend und Weisheit zum Ziele hat, desto weniger läßt es sich auf diesen oder jenen Stand, auf diese oder jene Classe der Menschen anweisen und ausschließungsweise einschränken.

Ich finde im Plato eine Stelle, die einen ähnlichen Gedanken enthält und die ich zum Schlusse hier herseßen will: „Jupiter befahl dem Merkur", läßt Plato den Protagoras in dem Gespräche dieses Namens sagen, den Menschen Schamhaftigkeit und Gerechtigkeit beizubringen."

über die beste Staatsverfaffung.

Ich werde mich begnügen, über diese reichhaltige Materie einige zerstreute Gedanken hinzuwerfen, die ich für jest in Verbindung zu bringen die Muße nicht habe.

Glückseligkeit besteht im Ebenmaaße zwischen Bestreben und Erhalten, Erwerben und Genießen. Der Sklave arbeitet ohne Genuß, der orientalische Despot genießt ohne Arbeit; und beide sind nicht glücklich.

Ohne übung der Kräfte können weder Staaten, noch einzelne Personen glücklich seyn. Die Kräfte aber müssen Widerstand haben, wenn sie rege werden sollen. Sobald die Feder den Widerstand überwunden und sich entwickelt hat, so ist ihre Spannung dahin, und sie hört auf, rege zu seyn. Der Zirkellauf liegt also in der Natur der Sache. Haben die Våter Ehre

und Vermögen erworben und den Kindern hinterlassen, so bleibt diesen nichts übrig, als der leidige Genuß ohne Erwerb. Haben jene die Freiheit erfochten und wider allen Angriff ge= sichert, so erfolgt bei den Kindern Gemächlichkeit, Sklavenfinn. Sind alle Vorurtheile bestritten und ausgerottet, so er= lischt und erkaltet die Liebe zur Wahrheit, und die Kinder haben keinen Sporn zur Aufklärung. In Absicht auf ganze Staaten also, wo die Glückseligkeit von Våtern auf Kinder fortgeht, scheint Stillstand oder Rückfall unvermeidlich. Der höchste Grad der Vollkommenheit droht Rückfall, damit die Feder wieder einige Spannung erhalte.

In Absicht auf einzelne Personen ist dieses so ausgemacht nicht. Zwar haben, was den Körper betrifft, die Ärzte den bekannten Canon: die vollkommenste Gesundheit ist selbst eine Krankheit, oder derselben sehr nahe. Auch hier also giebt es einen höchsten Punkt der Vollkommenheit, eine Spike, die die Maschine nicht erreichen kann, ohne Gefahr, überzuschlagen und zu stürzen. Ob dieses aber auch in Absicht auf die Seele statt finde, und ob auch hier die Harmonie aller Seelenkräfte, so wie dort die übereinstimmung aller körperlichen Functionen, in ihrer höchsten Vollkommenheit mit Gefahr verbunden sei? Ich zweifle.

Alles beruht auf der großen Frage: was ist die Bestim mung des Menschen, und was soll er hier auf Erden? Ist seine Bestimmung Fortgang zu höherer Vollkommenheit, so ist der Mensch Zweck, die Gesellschaft Mittel. Die Menschen werden verschiedene Arten von gesellschaftlicher Verbindung zu ihrem Fortgange brauchen, je nachdem sie selbst ver= schieden sind. Diese Menschen hier werden in häuslichen Verbindungen, jene in kleineren Gesellschaften, und wiederum andere. in großen Staaten besseres Fortkommen finden. Der Endzweck ist nicht Fortgang der Gesellschaft, sondern der Menschen. Da also immer andere Menschen die Bühne betreten und den Staatskörper ausmachen, da diese verschiedenen Menschen auch verschiedene Anstalten zu ihrem Fortgange brauchen können; so kann der Staat oder die gesellschaftliche Ver bindung zuweilen Jahrtausende stille stehen, zuweilen gar Rückfall leiden, und die Menschen gehen dennoch unaufhaltsam weiter. Fortgang der Menschen kann mit Stillestand

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